19. September 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Heute mit Stimmen zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach die AfD keinen rechtlichen Anspruch auf die Besetzung von Ausschussvorsitzen im Bundestag hat. Zudem wird die neue EU-Kommission kommentiert. Doch zunächst geht es um die Explosionen von Kommunikationsgeräten im Libanon.

Soldaten der libanesischen Armee sichern die Zufahrt eines Krankenwagens zum Gelände des Krankenhauses der American University.
Die Zeitungskommentare beschäftigen u.a. mit den Explosionen von Kommunikationsgeräten im Libanon. (Marwan Naamani / dpa / Marwan Naamani)
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG erläutert: "Das Kommunikationsnetz, in dem sich militärische und politische Führer absprechen, ist eng umrissen und geheim. Mobiltelefone sind verboten, weil die Libanesen wissen, dass die Israelis 24/7 mithören. Daher nutzen sie die altmodischen Pager: Sie sind abhörsicher. Die einzig relevante Frage ist daher, warum der Angriff zu diesem Zeitpunkt geschah. Er war lange vorbereitet worden. Die von der Hisbollah in Europa oder Asien bestellten Pager mussten offenbar auf dem Handelsweg abgefangen, in Taschenbomben verwandelt und dann weitergeleitet werden, ohne in Beirut Verdacht zu erregen. So eine wertvolle Waffe werden die Israelis nur einsetzen, wenn sie den zweiten Schlag schon im Kopf haben. Wollten sie die Hisbollah, die Israel seit elf Monaten mit Raketen beschießt, demütigen?", fragt die SÜDDEUTSCHE.
Die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt (Oder) beobachtet: "In der Draufsicht handelt es sich bei der Pager-Attacke nicht um einen militärischen Angriff in einem Krieg. Selbst Sympathisanten Israels müssen eingestehen: Das Mittel der Wahl ist hier ein terroristisches. Menschen wurden beim Einkaufen, auf der Straße oder zu Hause von den Explosionen getroffen. Die Bilder sind nicht weit von jenen des Hamas-Überfalls auf Israel entfernt. Israel setzt damit seine Beteuerung aufs Spiel, es gehe um einen Verteidigungskampf", urteilt die MÄRKISCHE ODERZEITUNG.
Der Berliner TAGESSPIEGEL meint, die Operationen seien ein "weiterer Beleg dafür, wie es Akteuren – staatlichen wie nicht-staatlichen – zunehmend gelingt, technologische Schwachstellen und Sicherheitslücken in politischen und wirtschaftlichen Strukturen auszunutzen, um ihre Ziele zu erreichen. Wir kommen in ein Zeitalter, in dem der strategische Vorteil in Konflikten bei den Akteuren liegen wird, die sich durch Kreativität und Agilität auszeichnen. Der technologische Fortschritt, gerade bei der Künstlichen Intelligenz, wird diesen Trend massiv beschleunigen", vermutet der TAGESSPIEGEL.
Der SPIEGEL spricht von einer neuen Kategorie von Angriff, dem sogenannten Hybriden Cyberwar. Dieser umfasse einerseits "eine physische Komponente, im militärischen Bereich spricht man von kinetischer Wirkung. Andererseits wird aber auch eine cyberwarhafte Botschaft verbreitet: Wir stecken in euren Systemen. Wir kontrollieren euer zentrales Kommunikations- und Nervensystem. Wir zerstören das für den Betrieb jeder Technologie notwendige Vertrauen. Hybrider Cyberwar ist ein Doppelschlag auf Körper und Psyche des Gegners. Interessanterweise ist für diese Botschaft nicht essenziell, ob tatsächlich ein Hackerangriff Teil der Operation war. Es reicht der schiere Eindruck, vor allem in der Öffentlichkeit", analysiert der SPIEGEL.
Die RHEINISCHE POST aus Düsseldorf glaubt: "Der Angriff ist für die Hisbollah besonders demütigend, weil erstens so viele ihrer Kämpfer kalt erwischt wurden, zweitens zahlreiche Verletzungen den Unterleib betrafen – und das in einer Region, die Ehrverletzungen niemals verzeiht. Das heißt auch, dass eine Operation, die den Feind vor allem aggressiver macht, aber nicht wirklich lahmlegt, den befürchteten großen Krieg zwischen Israel, Hisbollah und Iran ein Stück nähergebracht hat", vermerkt die RHEINISCHE POST.
Die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG ist sich sicher, dass Israel "keinen Wert auf Diplomatie mit der Hisbollah legt. Offenbar fühlt es sich gewappnet gegen jene Vergeltung, zu der sein 'Coup' eine regelrechte Aufforderung war. Man kann nur hoffen, das Kalkül geht auf und die Hisbollah ist zu geschwächt und entfernt, um Israel gefährlich zu werden. Liegt es falsch, hat es die Region einen Schritt näher an jenen Großkrieg manövriert, den der Westen und die Nachbarn seit einem Jahr zu verhindern versuchen." Das war die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG.
Themenwechsel. Die AfD hat laut einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts keinen Anspruch darauf, den Vorsitz in Ausschüssen des Bundestags zu übernehmen. Der Bremer WESER-KURIER findet: "Es wäre auch ein Hohn, wenn eine Partei, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, ausgerechnet dem Innenausschuss vorsäße; wenn Corona-Leugner in der Gesundheitspolitik das Wort führten oder Kritiker, die gegen Entwicklungshilfeprojekte zu Felde ziehen, diesen Ausschuss leiteten. Zwar ist es guter parlamentarischer Brauch, dass alle im Bundestag vertretenen Fraktionen bedacht werden. Aber das ist kein Selbstzweck. Ein Vorsitz setzt die Bereitschaft zur konstruktiven Sacharbeit voraus. Daran mangelt es bei der AfD erheblich", argumentiert der WESER-KURIER.
Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG glaubt nicht, dass die Angelegenheit mit dem Richterspruch erledigt ist. "Vertreter und Anhängerschaft der AfD werden das Karlsruher Urteil zu nutzen wissen, um sich einmal mehr als Opfer des Systems darzustellen. All jene, die mit der Partei sympathisieren, dürften sich in ihrem Glauben ohnehin bestärkt fühlen. Das macht die Lage brisant. Tatsächlich ist die AfD in der Vergangenheit wiederholt damit aufgefallen, demokratische Abläufe zu verhöhnen und zu stören. Das Urteil weist die Partei nun zwar in die Schranken, mehr aber auch nicht. Die Klarstellung der Karlsruher Richter ändert nichts an der Tatsache, dass es bislang weder den Ampel-Parteien noch der CDU/CSU gelungen ist, die AfD im parlamentarischen Prozess inhaltlich kaltzustellen. Die Strategie systematischer Ausgrenzung und Verteufelung geht offensichtlich nicht auf", notiert die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.
Ähnlich äußert sich die FRANKFURTER RUNDSCHAU: "Jetzt stimmt die AfD wieder das Klagelied von der Ungleichbehandlung an. Die Partei, die nur 50 handverlesene Journalist:innen zu ihrer Wahlparty in Erfurt eingeladen hatte, dann aber gerichtlich zur Zulassung aller verurteilt wurde, daraufhin alle ausschloss, aber ihre politischen Freunde von 'Compact' wiederum rein- und filmen ließ. So sieht Chancengleichheit à la AfD aus."
Nun noch Stimmen zur neuen EU-Kommission. "Das Hauptproblem besteht im Zuschnitt, den Präsidentin von der Leyen den wichtigen Ressorts verpasst hat", hebt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG hervor: "Am besten ist das erkennbar am neuen Superressort der Sozialistin Ribera. Diese ist eine ausgewiesene Expertin für Energie- und Klimapolitik. Dass sie dafür im weiteren Sinne zuständig wird, ist nachvollziehbar. Von der Leyen setzt aber einen drauf. Ribera soll zuständig für einen 'grünen, gerechten und wettbewerbsfähigen Wandel' sein, sie soll die Wirtschaft gleichzeitig 'dekarbonisieren' und industrialisieren. Die Wettbewerbspolitik erhält sie außerdem. Diese Konstruktion entlarvt von der Leyens Bekenntnis, ihre zweite Amtszeit stehe im Zeichen der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, als hohle Phrase", lesen wir in der F.A.Z.
Mit Blick auf die Kommissionspräsidentin stellt die Zeitung DIE WELT fest: "Von der Leyen hat ein System voller Abhängigkeiten und Rechenschaftspflichten geschaffen, eine komplexe Bürokratie, in der niemand zu viel Einfluss gewinnen kann. Einige Kommissare berichten direkt an von der Leyen, andere an Vizepräsidenten. Zudem überschneiden sich oft die Zuständigkeiten, es dürfte daher mehr Gerangel geben. Die Chefin hätte dann das letzte Wort. Und so ist die neue Kommission vor allem eines: die Zementierung der Macht von der Leyens", resümiert DIE WELT.
Das Magazin CICERO zieht einen bildlichen Vergleich: "26 dunkle Planeten – die neuen, weitgehend unbekannten Kommissare – kreisen um die alles beherrschende Sonne. Allerdings konnte die deutsche Chefin, die sich dank Kanzler Olaf Scholz in ihrem Amt halten konnte, nicht alle Ziele erreichen. Das Ziel der Geschlechterparität wurde klar verfehlt. Nur 11 von 27 Mitgliedern sind Frauen, so männlich war die Kommission schon lange nicht mehr." Das war zum Ende der Presseschau ein Kommentar des CICERO.