27. September 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Die Zeitungen kommentieren unter anderem die Erfolgsaussichten des Friedensplans, den der ukrainische Präsident Selenskyj in den USA vorgelegt hat. Außerdem geht es um die Rücktrittsankündigung des Vorstands der Grünen Jugend. Zunächst aber zur ersten Sitzung des Thüringer Landtags nach der Wahl Anfang des Monats.

Jürgen Treutler, AfD-Abgeordneter und Alterspräsident, während der konstituierenden Sitzung des Landtags. Am 1. September wurde in Thüringen ein neuer Landtag gewählt
Alterspräsident Jürgen Treutler (AfD) bei der Landtagssitzung in Erfurt (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
Dazu heißt es in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG: "Ein unwürdiges Gezerre – nichts anderes war die konstituierende Sitzung des Thüringer Landtags um Abstimmungsprozeduren und Geschäftsordnungsklauseln. Und das besonders Schlimme daran: Es war abzusehen, dass es in Erfurt so kommen würde. Eigentlich sollte das ein feierlicher parlamentarischer Moment sein. Stattdessen durfte das Publikum beobachten, wie ein von der AfD-Fraktion gesteuerter Alterspräsident stundenlang demokratische Beschlüsse von Abgeordneten blockierte, die von der Mehrheit des Volkes gewählt sind – jener Mehrheit, auf die sich die AfD sonst gern beruft", resümiert die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
"Es war erschütternd, was sich in Erfurt abgespielt hat", bemerkt die STUTTGARTER ZEITUNG. "Die konstituierende Sitzung des Thüringer Landtags geriet zur Chaos-Veranstaltung. Es hat sich gezeigt, wie gefährlich die AfD für die parlamentarische Ordnung ist. Kern des Konflikts: Die AfD, stärkste Fraktion im Landtag, will gemäß parlamentarischer Tradition den Landtagspräsidenten stellen. Doch die Partei verfügt nicht über die erforderliche Mehrheit. Dennoch versuchte der Alterspräsident von der AfD mit Verfahrenstricks einen Wahlgang durchzudrücken. Die Fraktion versuchte, jeden Zentimeter politischer Macht, den sie bekommt, zu missbrauchen", analysiert die STUTTGARTER ZEITUNG.
Die MEDIENGRUPPE BAYERN, zu der unter anderem die PASSAUER NEUE PRESSE gehört, spricht von einer "grausamen Demokratiesatire" und führt weiter aus: "Die AfD hat die Rolle des Alterspräsidenten genutzt, um die Sitzung nach ihrem Gutdünken zu prägen. Der 73-jährige Jürgen Treutler, der völlig ohne parlamentarische Erfahrung ist, war ganz offensichtlich ein willfähriges Vollstreckungsinstrument in der Hand des AfD-Fraktionschefs Björn Höcke. Nun entscheiden Gerichte. Wenn es noch des Beweises bedurfte, dass sich die AfD der demokratischen Regeln nur bedienen will, um die Demokratie kaputt zu machen: In Erfurt wurde er erbracht", meint die MEDIENGRUPPE BAYERN.
Die BADISCHEN NEUESTEN NACHRICHTEN halten fest: "Es war eine Tragödie, ein schwarzer Tag für die Demokratie und den Parlamentarismus, der erst der Anfang eines geplanten Zersetzungsprozesses sein dürfte. Thüringen ist für die AfD die Blaupause. Der Landtag soll auf Dauer lahmgelegt und als handlungsunfähig dargestellt werden, um damit den Ruf nach einem starken Mann, der endlich aufräumt und für klare Verhältnisse sorgt, zu begründen", vermuten die BADISCHEN NEUESTEN NACHRICHTEN aus Karlsruhe.
Zu unserem nächsten Thema. Der Vorstand der Jugendorganisation der Grünen hat seinen Austritt aus der Partei angekündigt. Die FRANKFURTER RUNDSCHAU stellt dazu fest: "Die Grünen zieht es in die Mitte, die Grüne Jugend nach links. Jetzt hat diese Zerreißprobe ein Ende. Der Nachwuchs hat die Verbindung gekappt – jedenfalls das Führungspersonal der Organisation im Bund und in mehreren Bundesländern. Ob ihr Projekt einer neuen linken Bewegung erfolgreich sein kann, steht auf einem anderen Blatt. In jedem Fall aber ist der krachende Ausstieg der Jugend ein schwerer Schlag für die Grünen" glaubt die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
"Seismologen könnten in diesen Tagen sehr gut erklären, was bei den Grünen passiert" merkt der in Berlin erscheinende TAGESSPIEGEL an. "Wie bei einem großen Erdbeben hat sich auch die Erschütterung der Partei mit ihrer Jugendorganisation seit langer Zeit angebahnt. Doch die Zerstörung der Partei wird ausbleiben. Im Gegenteil, auf den Trümmern könnte schnell ein stabileres Fundament für die Grünen entstehen. Der überraschende Rücktritt der Nachwuchsführung wird den Grünen bei ihrem Neustart, den der Rücktritt der Bundesspitze um Ricarda Lang und Omid Nouripour ermöglicht hat, helfen", ist DER TAGESSPIEGEL überzeugt.
Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG geht davon aus, dass der geplante Neuanfang bei den Grünen der Vorbereitung einer möglichen Koalition mit der Union dient - denn: "Ausgerechnet Friedrich Merz, der die nach links gerückte Merkel-CDU wieder in Richtung Mitte-Rechts geführt hat, könnte die Grünen im nächsten Jahr als Koalitionspartner brauchen. Damit das klappt, müssten die Grünen Robert Habeck folgen. Er will mit einem pragmatischen Mitte-Kurs an die Erfolgszeiten vor der letzten Bundestagswahl anknüpfen. Ob das gelingt und die Partei sich dabei nicht zerreibt, steht noch in den Sternen. Möglich wäre es", kann sich die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG vorstellen.
Die TAZ ist sich sicher: "Die Regierungsgrünen rund um Robert Habeck wollen künftig noch weniger mit den Zähnen knirschen und mit Blick auf schwarz-grüne Machtoptionen noch kompromissbereiter werden. Rein wahltaktisch ist Habecks Strategie naheliegend. Nie waren die Grünen so stark wie mit dem Ultrarealo-Kurs in Baden-Württemberg und Hessen. Doch er reißt links eine Lücke auf", gibt die TAZ zu bedenken.
Wir blicken zum Abschluss noch ins Ausland. Der ukrainische Präsident Selenskyj hat in den USA mit Präsident Biden über seinen sogenannten "Sieges-Plan" für den russischen Angriffskrieg gesprochen. Der KÖLNER STADT-ANZEIGER bezweifelt, dass sich die Ukraine in dem Konflikt auch künftig noch auf die Unterstützung Washingtons verlassen kann, und erinnert: "John F. Kennedy versprach im Jahr 1961, Amerika werde im Kampf um die Freiheit 'jeden Preis zahlen, jede Last tragen, jeden Freund unterstützen und sich jedem Feind widersetzen'. Aber gilt das noch? Dem alten Biden wird man einen Kennedy-Moment nicht mehr abverlangen können. Auf Kamala Harris aber könnte eine Prüfung dieser Art zukommen. Bevor sie behilflich sein kann bei Selenskyjs Siegesplan, muss sie allerdings erst mal selbst gewinnen. Für den Mann aus Kiew mag es bitter sein, es ist aber wahr: Das Schicksal der Ukraine entscheidet sich in fünf Wochen – in den Vorstädten von Amerikas Swing States", hebt der KÖLNER STADT-ANZEIGER hervor.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG hält die Frage, ob bei der US-Wahl der republikanische Ex-Präsident Trump oder die demokratische Kandidatin Harris gewinnt, ebenfalls für entscheidend und mutmaßt: "Vor der amerikanischen Wahl dürfte sich in der Ukrainefrage nicht mehr allzu viel tun. Der Unterschied zwischen Trump und Harris ist bei diesem Thema so groß, dass alle relevanten Akteure, von Putin bis Scholz, abwarten müssen, wer sich durchsetzt. Etwas langfristiger dürften die Veränderungen an der russischen Nukleardoktrin wirken, auch wenn Putin sie natürlich gezielt in diesen Tagen platziert, wo im Westen wieder Strategiedebatten geführt werden. Die Bedeutung des Dokuments sollte man allerdings nicht überschätzen", empfiehlt die F.A.Z.
"Allerdings ist Putin nicht allein, wenn es darum geht, die atomare Faust zu zeigen", wirft die MÄRKISCHE ODERZEITUNG zu diesem Thema ein. "Abgesehen von Nordkorea und vom Iran, Indien und Pakistan, wendet sich offenbar auch die Nato der verschärften Abschreckung zu. Sie denkt darüber nach, mehr Atomwaffen einsatzbereit zu machen und sie hat schon beschlossen, weitreichende Waffen in Deutschland zu stationieren, die auf Russland gerichtet sind. Es mag für die Nato-Reaktion Begründungen geben, aber das Säbelrasseln wird nicht einmal diskutiert. Jedenfalls nicht im Bundestag. Schlimmer noch: Es scheint von untergeordnetem Interesse zu sein. Dabei müsste im Mittelpunkt jeder Debatte stehen, wie man zur Deeskalation, zu Abrüstung, zu Sicherheitsgarantien kommt. Es geht schließlich um Leben und Tod. Von uns allen", unterstreicht die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt (Oder), und damit endet die Presseschau.