04. Oktober 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Heute mit Kommentaren zum Krieg in Nahost und zur Friedensdemonstration in Berlin. Doch zunächst geht es um den Jahrestag der Deutschen Einheit.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht auf dem Festakt zum Tag der Deutschen Einheit im Mecklenburgischen Staatstheater. Er steht auf einer Bühen, die mit einer deutschen und einer EU-Fahne geschmückt ist.
Zentrale Feier zum Tag der Deutschen Einheit in Schwerin. (picture alliance / dpa / dpa POOL / Jens Büttner)
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG beobachtet: "Der 3. Oktober ist der Tag, an dem Dank über den Ostdeutschen ausgeschüttet wird. Weil sie ihre Freiheit und damit auch die Einheit des Landes erkämpft haben. Da werden 'Lebensleistungen' gewürdigt wie sonst nur auf Friedhöfen. Wohlige Routine, die angesichts der Wahlerfolge einer demokratiefeindlichen Partei nicht aufrechterhalten werden konnte. Der Kanzler hat versucht, den 'Stimmungen und Verstimmungen' im Osten Rechnung zu tragen. Den richtigen Ton getroffen hat er nicht. Der jährliche Appell an das 'Wir' wird nicht genügen im Kampf gegen das 'Wir-gegen-die-Gefühl völkischer Kräfte'. 'Alles hätte auch ganz anders ausgehen können in dieser dramatischen Zeit – weit weniger selbst bestimmt, weit weniger friedlich, weit weniger glücklich', hat der Kanzler mit Blick auf den Einheitsprozess gesagt. Dieser Satz gilt fort", bemerkt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG hält es für fraglich, ob ökonomische Unterschiede und mangelnde Repräsentation als Gründe für Frust und Wut im Osten angeführt werden können: "Viele Städte in Ostdeutschland sind in einem so guten Zustand, dass man schlecht gelaunte Bewohner in einen Bus nach Gelsenkirchen oder Duisburg setzen möchte, damit sie den Unterschied sehen. Gleichzeitig fühlen sich fast zwei Drittel der Einwohner im Osten als Bürger zweiter Klasse. Zwar spricht sich eine große Mehrheit der Bürger in Ostdeutschland für die Demokratie aus. Doch ein Teil von ihnen versteht darunter nicht demokratische Verfahren, den Ausgleich von Interessen und den Schutz von Minderheiten, sondern die unmittelbare Erfüllung der Forderungen, die man selbst als die richtigen ansieht." Weiter heißt es in der F.A.Z: "Der Vertrauensverlust in Parteien und staatliche Institutionen ist kein ostdeutsches Spezifikum. Die demokratischen Politiker müssen neue Wege finden, um dem entgegenzutreten. Es wäre fatal, sie als ostdeutsche Besonderheit abzubuchen. Es geht darum, dass die Demokraten einig darin sind, den Zerstörern der Demokratie entgegenzutreten." Wir zitierten die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG.
Die NÜRNBERGER ZEITUNG führt aus: "Es wäre ein völlig falsches Verständnis von Einheit, politische, landsmannschaftliche, kulturelle Unterschiede einer vermeintlich perfekten Einheit zuliebe einebnen zu wollen. Auch wenn der Föderalismus, also die starke politische Stellung der Länder, anfällig ist für Umständlichkeiten bei der Entscheidungsfindung und Zuständigkeits-Wirrwarr, so ist er doch ein Wesenskern der deutschen staatlichen Verfasstheit", unterstreicht die NÜRNBERGER ZEITUNG.
Tausende Menschen haben gestern in Berlin für Frieden in der Ukraine und im Nahen Osten demonstriert. Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG kritisiert: "Die Frage, was mit Frieden gemeint ist, die wird von den angeblichen Friedensaktivisten völlig ausgeklammert. Ihre Forderung nach einem Stopp westlicher Militärhilfe würde jedenfalls auf den Untergang der Ukraine als souveräner Staat hinauslaufen. Ein Pazifismus, der das Recht des Stärkeren hinnimmt, kann aber keinen stabilen Frieden hervorbringen, sondern ermutigt geradezu zu noch mehr Gewalt und Imperialismus", ist die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG überzeugt.
Die Zeitung ND DER TAG kritisiert: "'Frieden' ist das neue Schimpfwort. Wer dafür ist, gilt als naiv, manipuliert und gefährlich. Denn man soll das Land verteidigen, auch wenn es nicht angegriffen wird. Noch nicht, sagt die Regierung, bleibt aber vage. Dann kriegen die Menschen mehr Angst. Und verlangen nach Sicherheit. Das ist kein Schimpfwort, das ist die Magie der Rüstungsindustrie."
Die RHEIN-ZEITUNG argumentiert anderes: "Waffenlieferungen an die Ukraine und Israel sind richtig. Richtig ist aber auch, dass nichts unversucht bleiben darf, um den Krieg in der Ukraine und auch die Eskalationsspirale im Nahen Osten auf diplomatischem Weg zu beenden. Es ist eine historische Aufgabe auch des amtierenden Bundeskanzlers Olaf Scholz, dies noch stärker als bislang zu versuchen und eine neue Form der Friedenspolitik zu definieren. Die Zeit drängt – sowohl für ihn als auch für die Länder im Krieg." mahnt die RHEIN-ZEITUNG aus Koblenz.
Der Kreml in Moskau hat verhalten auf Spekulationen über ein bevorstehendes Telefonat zwischen Bundeskanzler Scholz und Russlands Staatschef Putin reagiert. Die VOLKSSTIMME fasst es in einem Wort zusammen: "Abgeblitzt. So lässt sich die diplomatische Schmach für Olaf Scholz zusammenfassden. Es gebe 'keine gemeinsamen Themen', ließ der Kreml-Herr postwendend ausrichten. Und machte damit klar: Scholz ist für ihn mindestens eine Nummer zu klein, um mit ihm über die Ukraine zu sprechen – da müsste schon US-Präsident Biden anrufen. Dass dieser Putin an den Verhandlungstisch bringen könnte, ist unwahrscheinlich. Damit steht aber auch fest: Die Ukraine braucht vom Westen sofort mehr und weitreichendere Waffen, um Moskau endlich zum Kriegsende zu zwingen. Der Ukraine diese Waffen zu verweigern, wäre gleichbedeutend mit der Aufforderung zur Kapitulation", schlussfolgert die VOLKSSTIMME aus Magdeburg.
Nun in den Nahen Osten. Nach dem iranischen Raketenangriff auf Israel hat Premierminister Netanjahu Vergeltung angekündigt. Die Zeitung DIE WELT überlegt: "Netanjahu kämpft für den freien Westen einen Stellvertreterkrieg. Seine kühle Entschiedenheit, den Feinden Israels auch mit Härte und Unmissverständlichkeit zu begegnen, macht ihn zur Avantgarde. Netanjahu ist Vorbild gerade für jene von Selbstzweifeln zernagten, feigen, lauchigen Vertreter des Westens, die die Feinde in Moskau, Peking, Teheran oder auch Ankara zum Ausgreifen ermutigen. Wird Netanjahu mit einem Gegenschlag die Mullahs im Iran so schwächen können, dass ihr Terrorregime einstürzt – er würde als großer Staatsmann in die Geschichte eingehen können", kommentiert DIE WELT.
Die BERLINER MORGENPOST schreibt: "So nachvollziehbar das Ziel ist, die Terrorgefahr auszuschalten: Netanjahus Alles-oder-nichts-Ansatz ist fragwürdig. Sollte die israelische Luftwaffe iranische Nuklearstätten bombardieren, würde der Gegenschlag Teherans noch gewaltiger ausfallen als der am 1. Oktober. Ein Angriff auf die iranischen Ölanlagen wiederum würde die globalen Energiepreise nach oben schießen lassen. Der Nahe Osten steht am Rande einer neuen, unkontrollierbaren Eskalationsstufe. Fest steht: Mit Kriegslogik und einer ewigen Mehrfrontenkonstellation lässt sich keine Stabilität schaffen. Es rächt sich, dass Netanjahu über keine Exit-Strategie für den gegenwärtigen Konflikt verfügt", lesen wir in der BERLINER MORGENPOST.
Der KÖLNER STADT-ANZEIGER vermerkt: "Der Schlüssel zum Konflikt liegt in der iranischen Hauptstadt Teheran. Sowohl die Hisbollah als auch die in Gaza operierende Terrorgruppe Hamas, die verantwortlich ist für die Massaker an israelischen Zivilisten vor bald einem Jahr, werden aus Iran gesteuert und finanziert. Ein Machtwort aus Teheran könnte Wunder wirken. Es wäre allerdings auch ein Wunder: Schließlich müsste die autoritäre Männertruppe an der Staatsspitze, die ihre eigene Bevölkerung wegen fehlender Kopftüchter hinschlachten lässt, Abstand nehmen vom staatlich verkündeten Wunsch nach Vernichtung Israels", erläutert der KÖLNER STADT-ANZEIGER.
Die TAZ vermutet: "Netanjahu hat ein persönliches Interesse daran, den Krieg auszuweiten, um weiter an der Macht zu bleiben. Er weiß, dass die USA an seiner Seite stehen werden. Vor den Präsidentschaftswahlen wird sich niemand trauen, ihm in den Arm zu fallen. Den Rest der Welt glaubt er ignorieren zu können, wie die Einreisesperre gegen UNO-Generalsekretär Guterres zeigt. Wie Schlafwandler taumelt die Welt einem Krieg in der Region entgegen, den alle vermeiden wollten", warnt die TAZ.