18. Oktober 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Kommentiert wird der Besuch des US-Präsidenten Biden in Deutschland sowie die Tötung von Hamas-Chef Sinwar im Gazastreifen. Zunächst geht es aber um die Krankenhausreform, die der Bundestag gestern beschlossen hat.

Berlin: Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, spricht in der Plenarsitzung im Deutschen Bundestag.
Gesundheitsminister Lauterbach spricht im Bundestag zur Krankenhausreform. (Bernd von Jutrczenka / dpa / Bernd von Jutrczenka)
"Die Reform ist der finanziellen Not geschuldet", notiert der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER. "Nach dem bisherigen Abrechnungssystem droht vielen Kliniken das Aus. Die Finanzierung des Gesundheitssystems wird künftig ohne Härten für Patienten und Ärzte nicht gehen. Eine dieser Härten ist der starke Anstieg der Krankenkassenbeiträge für die Arbeitnehmer. Eine weitere die drohenden Klinikschließungen. Ob mit Lauterbachs Reform nun der große Wurf gelungen ist oder ob in der nächsten Legislaturperiode schon wieder die nächste Reform des Gesundheitswesens erfolgen muss, bleibt abzuwarten", schreibt der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER.
Die VOLKSSTIMME aus Magdeburg kritisiert: "Offen ist etwa die Frage, ob die geplante Vorhaltefinanzierung vor allem kleinere Kliniken tatsächlich vom Druck befreit, möglichst viele Fälle zu behandeln. Denn: Immerhin 40 Prozent der Vergütung bleiben fallzahlbasiert. Parallel nimmt die Reform mit Mindeststandards bei Personal und Gerät gerade kleinen Kliniken die Chance, bestimmte Leistungen überhaupt anzubieten", bemängelt die VOLKSSTIMME.
"Die Vorteile der Reform überwiegen", meint hingegen der KÖLNER STADT-ANZEIGER. "Während den Vorgängern Lauterbachs nur einfiel, die Probleme im Krankenhaussektor mit immer mehr Geld zuzukleistern, schafft die nun auf den Weg gebrachte Reform moderne Strukturen. Dass am Ende kleinere Kliniken in ohnehin gut versorgten Ballungsgebieten dichtmachen müssen, ist politisch gewollt. Und das zurecht, angesichts der Tatsache, dass in Deutschland jedes dritte Krankenhausbett leer steht", hebt der KÖLNER STADT-ANZEIGER hervor.
"Es ist die umfassendste Reform seit 20 Jahren", unterstreicht die STUTTGARTER ZEITUNG. "Und bitter notwendig. Die Diagnose: Das jetzige System setzt eine Reihe an Fehlanreizen. Kliniken nehmen stationär Patienten auf, die besser ambulant versorgt wären. Sie nehmen Eingriffe vor, an denen sie verdienen, bei denen sie aber kaum Routine haben. Das kostet Geld. Das geht zulasten der Patienten. Die Behandlung: Es wird künftig weniger Kliniken geben. Um alle Krankenhäuser zu erhalten, ist nicht genügend Geld da, es fehlen Fachkräfte. Es ist auch nicht sinnvoll, dass kleine Kliniken hochspezialisierte Behandlungen vornehmen. Noch gibt es die Chance, dass man eine Strukturreform geplant durchführt. Tut man nichts, werden Kliniken nach und nach aus wirtschaftlicher Not sterben", mutmaßt die STUTTGARTER ZEITUNG.
"Ohne die Reform würden viele Kliniken im ländlichen Raum schließen", glaubt auch die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG. "Oder Krankenkassen und Staat müssten noch mehr Milliarden in unrentable Häuser stecken, was die Beiträge noch stärker steigen ließe oder die Haushaltslöcher weiter aufreißen würde. Zu viele Krankenhäuser halten eine Vollversorgung aufrecht, die teuer, aber nicht im Sinne des Patienten ist. Der profitiert bislang von kurzen Wegen, aber nicht von der besten Behandlung. Die Grund- und Notfallversorgung aufrechtzuerhalten, die ambulante Versorgung zu stärken, für planbare Spezialeingriffe und schwere Erkrankungen aber künftig auf optimal ausgestattete Fachkliniken zu setzen, ist deshalb der richtige Weg", befürwortet die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.
Gut drei Monate vor dem Ende seiner Amtszeit trifft US-Präsident Biden heute bei seinem ersten bilateralen Deutschlandbesuch Bundeskanzler Scholz in Berlin. "Es ist späte Premiere und früher Abschied zugleich", merkt der MÜNCHNER MERKUR an. "Joe Biden kommt kurz vor seinem Auszug aus dem Weißen Haus zum ersten Staatsbesuch nach Berlin. Dabei hatte – man darf schon die Vergangenheitsform verwenden – der inzwischen 81-Jährige eine enge Beziehung zu Deutschland, vor allem nach München, wo er Jahrzehnte lang Stammgast der Sicherheitskonferenz war. Mit ihm verabschiedet sich der letzte Präsident, für den die transatlantische Allianz mit der politischen Sozialisierung während des Kalten Kriegs eine Selbstverständlichkeit war. Bei seinem Besuch dürfte diese Verbundenheit heute zelebriert werden. Und trotz der Kriege in der Ukraine und Nahost wird ein Hauch Nostalgie in der Luft liegen", prognostiziert der MÜNCHNER MERKUR.
"Der Besuch Bidens in Berlin ist mehr ein Abschieds- als ein Arbeitsbesuch", erklärt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG. "In zweieinhalb Wochen wird in den Vereinigten Staaten gewählt, dann ist der Präsident endgültig das, was man in Washington eine 'lahme Ente' nennt. Sofern die Wahl halbwegs reibungslos verläuft, wird sich die Weltpolitik schnell auf den neuen Oberbefehlshaber im Weißen Haus einstellen, und das gilt besonders für die großen Kriegs- und Krisenherde. Harris hat sich Trump in manchen Punkten angenähert, aber in der Außenpolitik sind die Kontraste immer noch groß: Die Demokratin dürfte an den großen Linien Bidens nicht allzu viel verändern, Trump dagegen steht für Isolation und Bündnisskepsis. Seine erste Amtszeit lehrt, dass er das nicht immer in die Tat umsetzen kann, aber es wäre definitiv ein Unterschied zum überzeugten Atlantiker Biden", heißt es in der F.A.Z.
Die SÜDWEST PRESSE aus Ulm kommentiert: "Biden ist das alte Gesicht einer zwar heillos zerstrittenen, aber immer noch dynamischen und starken Nation. Für die Europäer und insbesondere für Deutschland markiert Bidens Abschiedsreise nichtsdestotrotz eine Wende oder, besser gesagt, stellt sie einen letzten Aufruf dar. Denn mit Biden verabschiedet sich die Nachkriegsgeneration aus der Verantwortung, US-Politiker also, die ihre Arbeit im Kalten Krieg aufgenommen und dort die Glaubenssätze gelernt haben, auf die sie in ihrer Karriere immer wieder zurückgegriffen haben. Ob Trump oder Bidens Stellvertreterin Harris: Der nächste Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte, die nächste Präsidentin der Vereinigten Staaten wird kein Transatlantiker und erst recht kein Freihändler mehr sein", stellt die SÜDWEST PRESSE fest.
Nach israelischen Angaben ist der Hamas-Anführer Sinwar im Gazastreifen getötet worden. "Sinwar gilt als der Drahtzieher der Massaker vom 7. Oktober", konstatiert die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg. "Mit ihm verliert die Terrororganisation ihren führenden Kopf. Das sollte Anlass für Israel sein, den Krieg zu beenden, das Bombardement auf Gaza und auf Hisbollah-Stellungen im Libanon zurückzufahren und sich wieder auf Verhandlungen zu konzentrieren, damit wenigstens ein Teil der Geiseln, die sich noch in Händen der Hamas befinden, freikommen kann. Alles spricht für dieses Vorgehen. Sehr wahrscheinlich ist es dennoch nicht. Die Art, wie die Regierung Netanjahu die schlimmsten Gräueltaten an Juden seit dem Holocaust ahndet, hat schon längst das alttestamentarische Mäßigungsgebot 'Auge um Auge, Zahn um Zahn' verletzt. Der Blutzoll – gerade der zivile – auf der palästinensischen Seite ist unverhältnismäßig hoch", urteilt die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG.
Das Magazin CICERO analysiert: "Sinwar scheint darauf gehofft zu haben, dass die Hisbollah und Iran sich auf die Seite der Hamas stellen und Israel in einen größeren Krieg ziehen würden. Dies macht deutlich, wie wenig Sinwar die Islamische Republik verstand, die ihre Verbündeten gerne für die eigenen imperialen Ambitionen nutzt, von ihnen aber nicht in unerwünschte Konflikte mit überlegenen Gegnern gezogen werden will. Hier zeigten sich die Grenzen des Ex-Geheimdienstlers Sinwar, der in der engen Welt des Gazastreifens groß geworden war und Israel verstehen lernte, von der großen Politik des Nahen Ostens aber doch überfordert blieb." Mit diesem Kommentar aus CICERO endet die Presseschau.