Die VOLKSSTIMME aus Magdeburg führt aus: "Bei näherem Hinsehen dürfte Pistorius’ vermeintlich selbstloser Rückzug von strategischer Natur sein: Seine SPD liegt in Umfragen abgeschlagen bei aktuell 14 Prozent – da würde auch seine Popularität das Wahl-Ruder kaum noch herumreißen. Also lässt er seinen angeschlagenen Chef sehenden Auges in die Niederlage krachen. Nach dem 23. Februar werden Scholz und wohl auch all jene in seiner Partei, die sich für die erneute Kandidatur des Noch-Kanzlers eingesetzt haben, keine führende Rolle mehr spielen. Aber Pistorius stünde dann ohne Verlierer-Makel bereit, nicht mehr die Bundeswehr, sondern die alte Dame SPD zu verlorener Stärke zu führen", vermerkt die VOLKSSTIMME.
DIE RHEINPFALZ aus Ludwigshafen findet: "Dass es zuletzt zu einer regelrechten Rivalität zwischen Scholz und seinem Verteidigungsminister gekommen ist, hat die SPD-Parteispitze zu verantworten. Den aufkeimenden Sympathiebekundungen für Pistorius – zunächst von Abgeordneten, dann von Ex-Parteichefs, schließlich von mächtigen Parteigruppierungen – hätten Lars Klingbeil und Saskia Esken ein schnelles und klares Votum für Scholz entgegenhalten müssen. Sie taten es nicht. Aber auch Pistorius hat sich schofelig verhalten. Mit einem einzigen Wort hätte er die Debatte um seine Person beenden können. Vom Zuspruch geschmeichelt hielt er stattdessen seine Ambitionen zu lange im Vagen", argumentiert DIE RHEINPFALZ.
Die WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG aus Essen meint, weite Teile der SPD in Nordrhein-Westfalen hätten sich zu weit aus dem Fenster gelehnt: "Die kaum verhohlene Unterstützung für Boris Pistorius, zugleich ein beispielloses Misstrauensvotum gegen den amtierenden Kanzler, sollte eine Machtdemonstration sein, ein Aufstand der Basis gegen die in Berlin – ein Aufstand nicht irgendeiner Basis, sondern mitten aus der Herzkammer der Sozialdemokratie. Nun ist es eine Ohnmachts-Demonstration geworden. Und am Ende sind alle beschädigt. Zuerst natürlich der Kanzler, der nun ja auch – mangels Alternative – der Kanzlerkandidat sein dürfte. Beschädigt sind aber auch die Vorsitzenden der NRW-Landesgruppe im Bundestag, Wiebke Esdar und Dirk Wiese, die den Vorstoß gegen Scholz gewagt hatten, sowie der NRW-SPD-Chef Achim Post, der die beiden Abgeordneten unterstützt hatte. Sie werden nun noch mehr Mühe haben, ihre erwartungsenttäuschten Parteimitglieder an Rhein und Ruhr zu motivieren, Wahlkampf für den Zweitbesten zu machen. Ein Desaster!" Das war die WAZ.
Die WIRTSCHAFTSWOCHE gibt zu bedenken, es sei ohnehin fraglich, ob der Niedersachse ein echter Heilsbringer wäre: "Sicher, Boris Pistorius ist ein klasse Typ. Nahbar, ehrlich, ein Macher. Das Problem der Pistorius-Projektionen, dieses Fiebertraums von anfassbarem Anpackertum mit einer Prise Schröder, war auch ein Symptom. Denn es geht ja nicht nur um Personen, sondern die Partei dahinter: Die SPD findet nicht nur keine Kraft, die nötigen Kurskorrekturen einzuleiten oder durchzusetzen, sie erkennt sie nicht einmal. Weder in der Wirtschaftspolitik noch beim Sozialstaat, schon gar nicht bei der Migration. Welche Politik hätte Pistorius für die SPD vertreten sollen, außer der eines 'Weiter so', nur ohne Scholz, wo Zukunft nur möglich ist, wenn die Schuldenbremse aufgeweicht wird?", fragt die WIRTSCHAFTSWOCHE.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG analysiert: "Unabhängig vom Ausgang der SPD-Führungskrise halten die vergangenen Tage ein paar wichtige Erkenntnisse über den Zustand der größten Regierungspartei parat. Erstens zeigte sich nach Gerhard Schröder und zuletzt auch Angela Merkel, dass die Trennung von Regierungsamt und Parteiführung zu einer Zerreißprobe führen kann. Zweitens offenbarte der Vorstoß primär der NRW-Hierarchen in der Partei eine gefährliche Entfremdung zwischen Mittelbau und Führung. Und drittens bestätigte sich die Uraltweisheit, dass jeder weitere Tag in einem ungelösten Führungskonflikt nur Schaden anrichtet. Scholz oder nicht Scholz, das war ein Zeichen der Orientierungslosigkeit der gesamten Partei und insofern lediglich Spiegel einer gescheiterten Koalition", kommentiert die SÜDDEUTSCHE.
Themenwechsel. Die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG geht ein auf den Internationalen Strafgerichtshof, der Haftbefehl unter anderem gegen Israels Ministerpräsident Netanjahu und Ex-Verteidigungsminister Gallant erlassen hat: "Dies hat zunächst symbolischen Wert – der Gerichtshof kann den Haftbefehl nicht selbst vollstrecken. Und Israels Regierung wird deswegen ihren Kurs kaum ändern. Sie hat den Gerichtshof nicht anerkannt. Praktische Auswirkungen gibt es dennoch: 124 Staaten haben den IStGH anerkannt, sie müssten Netanjahu festsetzen, sobald er einreist. In der Bredouille sind nun vor allem Israels Partnerländer, nicht zuletzt auch Deutschland. Die Bundesregierung hat stets die Bedeutung des Völkerrechts betont – und ihre Achtung internationaler Gerichtshöfe", notiert die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG.
Die NORDWEST-ZEITUNG aus Oldenburg kritisiert die Entscheidung: "Täter-Opfer-Umkehr, Appeasement von Terroristen, antiisraelisches Schmierentheater. Dieser Dreiklang spricht aus dem Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes. Der Haftbefehl ergeht gegen Politiker eines demokratischen Staates, die ihr Land gegen Angriffe aus allen Himmelsrichtungen verteidigen. Er ergeht gegen Regierungsmitglieder eines Staates, der gegen seine Auslöschung kämpft. Die Opfer also sollen vor Gericht. Hier wird versucht, das Recht Israels auf Landesverteidigung zu untergraben. Das wird scheitern." So weit die NORDWEST-ZEITUNG.
SPIEGEL ONLINE wirft ein: "Es scheint im Moment noch ein verwegener Gedanke zu sein, dass sich Netanyahu und Gallant für die Kriegsführung in Gaza vor einem internationalen Gericht verantworten müssen. Doch auch im Fall des serbischen Politikers Slobodan Milošević konnten sich viele Menschen lange Zeit nicht vorstellen, dass ihm eines Tages der Prozess gemacht werden würde. 'Niemand steht über dem Gesetz' ist ein Satz, der in den vergangenen Jahren so oft folgenlos verwendet wurde, dass er drohte, zur Floskel zu verkommen. Die Den Haager Richter haben ihm ein Stück Relevanz zurückgegeben", unterstreicht SPIEGEL ONLINE.
Nun noch Stimmen zur UNO-Klimakonferenz in Aserbaidschans Hauptstadt Baku. Die FRANKFURTER RUNDSCHAU bewertet den bisherigen Beschlussentwurf als Armutszeugnis: "Er wird den Millionen Menschen weltweit, die schon heute unter den Folgen der Klimakrise leiden, überhaupt nicht gerecht. Die Verhandlerinnen und Verhandler müssen Kompromisse finden, damit die Konferenz nicht scheitert. Dass die Klimakonferenz derart ins Stocken gerät, ist auch Schuld des Gastgebers. Schon zum dritten Mal in Folge findet die Konferenz in einem Ölstaat statt. Und wieder läuft es wie folgt: Der Gastgeber blockiert die Verhandlungen, weil er fürchtet, dass der Klimaschutz sein florierendes Geschäft mit fossilen Brennstoffen zunichtemacht. Wenn die COP29 in Aserbaidschan eines lehrt, dann, dass es eine Konferenz in dieser Form nicht mehr geben darf", mahnt die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG erwartet, dass die Tagung verlängert wird: "Solch ein Nachspiel, diesmal tatsächlich in einem Stadion, ist normal, nicht aber die unüberbrückbar scheinende Polarisierung. Daran trägt die Präsidentschaft eine Mitschuld. Das autoritäre Ölland Aserbaidschan sieht die COP wie die hiesigen Formel-1-Rennen an, es geht um Werbung, nicht um Inhalte. Ein großes Problem ist aber auch die UNO-Struktur: Alle Länder haben dasselbe Gewicht, müssen einstimmig entscheiden, die Trennung in Industrie- und Entwicklungsländer ist längst überholt." Und mit diesem Auszug aus FAZ endet die Presseschau