17. Dezember 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Heute mit Stimmen zur Europäischen Union, die möglichst schnell Kontakte zu den neuen Machthabern in Syrien knüpfen will. Beherrschendes Thema ist aber die von Bundeskanzler Scholz im Bundestag verlorene Vertrauensfrage.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hört der Aussprache nach seiner Vertrauensfrage am 16.12.2024 zu.
Die Zeitungen kommentieren vor allem die verlorene Vertrauensfrage von Bundeskanzler Scholz (SPD) im Bundestag. (picture alliance / dpa / Christoph Soeder)
Die BERLINER ZEITUNG bemerkt zu Scholz' Rede: "Keine Spur von Reflexion, geschweige denn Selbstkritik, stattdessen Wahlkampf, triefend von ungekanntem Populismus. Antworten auf die Frage, welche Lehren er aus dem Scheitern der Ampel gezogen hat? Fehlanzeige. Statt Versäumnisse, die es zuhauf gab, einzugestehen, setzte Scholz auf Schuldzuweisungen – ein bemerkenswerter Verteidigungsmodus angesichts der Deindustrialisierung des Landes und der Wirtschaft im freien Fall. Was bleibt, ist – nach diesem historischen Datum im Bundestag zur ersten Vertrauensfrage nach 20 Jahren – ein bitterer Nachgeschmack und die bange Frage, ob dieses politische Chaos ein Vorgeschmack auf die kommenden Wochen ist. Man ahnt Schlimmes", notiert die BERLINER ZEITUNG.
Die RHEINPFALZ aus Ludwigshafen glaubt: "Die absichtlich verlorene Vertrauensfrage hat die Deutschland-Krise nicht gelöst. Die Menschen im Land wollen raus aus der Kriegsangst, aus der Rezession, nichts mehr hören von Migrationskonzepten, nicht mehr ständig höhere Preise für Butter und Benzin bezahlen. Sie beschleicht das unangenehme Gefühl, dass keine Regierung imstande ist, die Republik zu reparieren."
Der WESER-KURIER aus Bremen analysiert: "Aus dem Scheitern der Ampelkoalition lassen sich verschiedene Schlüsse ziehen. So zum Beispiel ist es wenig sinnvoll, wenn Parteien an der Regierung sind, aber zugleich mit Blick auf ihre eigene Klientel Opposition spielen wollen. Das kann nicht gut gehen. An diesem Spagat sind in dieser Regierung vor allem die beiden kleineren Partner gescheitert. Zudem war die Ampel kommunikativ ein Desaster: Wer meint, sich mit nach außen getragener Kritik auf Kosten der Partner profilieren zu können, irrt. Es ist aber auch ein Versagen von Bundeskanzler Olaf Scholz, dass er es nicht geschafft hat, durch Führungsstärke und mit der Autorität seines Amtes diese Debatten zu unterbinden." Das war der WESER-KURIER.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG hebt hervor: "Es ist gut, dass die Parteien nun mit ihren Rezepten vor das Wahlvolk treten und etwa beantworten müssen, wie in Zeiten des demografischen Wandels die Rente gesichert werden kann. Woher Abermilliarden für Bundeswehr und Infrastruktur kommen sollen, wenn die Schuldenbremse für sakrosankt erklärt wird. Wie eine Volkswirtschaft wachsen soll, die über Jahre ins Hintertreffen geraten ist. Wie Deutschland in die Lage versetzt wird, politisch, wirtschaftlich und militärisch dem Angriff auf seine freiheitliche Ordnung zu trotzen. Zum erst sechsten Mal hat ein Bundeskanzler die Vertrauensfrage gestellt. Das mag in die Geschichte eingehen. Entscheidender aber ist, was auf die verlorene Frage folgt", urteilt die SÜDDEUTSCHE.
Die VOLKSSTIMME aus Magdeburg bewertet die Kanzlerkandidatinnen und -kandidaten der verschiedenen Parteien: "Da ist nichts mit neuem Schwung. Die SPD-Wähler einsammeln will ausgerechnet Olaf Scholz, der als Ampel-Untergangskanzler Krisen allerorten zurückgelassen hat. Bei der Union darf Friedrich Merz ran. Damit er endlich sein Merkel-Trauma von vor 20 Jahren aufarbeiten kann. Bei der AfD wird Alice Weidel wüste Parolen als Pfeilregen auf das Establishment abfeuern. Für die Grünen hat die geschasste Vorsitzende Ricarda Lang gerade per Talkshow die Devise ausgegeben, dass die Menschen wie Erwachsene zu behandeln seien. Warum bitteschön haben die Grünen dann ausgerechnet Märchenonkel Robert Habeck zum Kanzlerkandidaten gemacht?", fragt die VOLKSSTIMME.
SPIEGEL ONLINE verweist auf Unions-Kanzlerkandidat Merz, der sein Wahlprogramm mit 'Politikwechsel für Deutschland' überschrieben habe: "Merz ist – trotz seines fortgeschrittenen Alters – der Einzige, der tatsächlich für einen Aufbruch stehen könnte. Nur: Das Wahlprogramm selbst und sein Personal geben das nicht her. Mit Jens Spahn, Alexander Dobrindt und Julia Klöckner werden Personen als mögliche Minister im Kabinett Merz gehandelt, die bereits unter Angela Merkel der Regierung angehörten. Ein deutlicher Politikwechsel ist mit der Union lediglich beim Thema Migration zu erwarten – wenn sie ihr Versprechen vom 'faktischen Aufnahmestopp' denn umsetzen kann", schätzt SPIEGEL ONLINE.
Themenwechsel. Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG geht ein auf die Europäische Union, die den Dialog mit Syriens neuen Machthabern sucht: "Gut so. Einen in der Region erfahrenen Diplomaten wie den Deutschen Michael Ohnmacht als Sondergesandten noch in der Frühphase des Regimewechsels nach Damaskus zu schicken, ist richtig. Nur so lässt sich ausloten, was Europa zur Stabilisierung des Landes beitragen kann.Tatsächlich wollen die EU-Staaten vom neuen starken Mann, HTS-Chef Ahmed al-Scharaa, zügig Schritte zur Stabilisierung Syriens sehen. Wer Geld zum Wiederaufbau zusagt, muss auch Geflüchtete heimschicken können, ohne um deren Leben fürchten zu müssen. Wie ernst aber ist es al-Scharaa mit den angekündigten Reformbestrebungen? Und werden diese dann den Europäern genügen? Wer jetzt auf eine schnelle und lupenreine Demokratisierung des Landes mit einem Minderheitenschutz nach europäischen Standards setzt, macht sich etwas vor. Deshalb sollten die Europäer die Latte der Erwartungen nicht zu hoch hängen", empfiehlt die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.
Die STUTTGARTER ZEITUNG meint: "Die EU macht mit ihrem schnellen Handeln deutlich, dass die Verantwortlichen in Brüssel die geostrategische Bedeutung dieses möglichen Konfliktherdes erkannt haben. Ziel ist es, kein Machtvakuum in Damaskus entstehen zu lassen. Doch in den EU-Mitgliedstaaten scheinen nicht alle Politiker die Gunst, aber auch die Gefahr der Stunde erkannt zu haben. Gestritten wird darüber, wie die in den EU-Staaten lebenden Syrer angesichts des Falls von Assad so schnell wie möglich in ihre Heimat abgeschoben werden können. Das zeugt nicht nur von menschlicher Kleinmütigkeit, sondern auch von fehlendem politischem Weitblick," kritisiert die STUTTGARTER ZEITUNG.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG stellt fest: "Nur die Türkei hat schon etablierte Kontakte zu den siegreichen Islamisten. Da die Türkei auch Truppen im Land hat, ist sie neben den Vereinigten Staaten das einzige NATO-Land, das handlungsfähig ist in Syrien. Sollte Trump nach dem Amtsantritt seinem alten Abzugsinstinkt nachgeben, dann könnte die Türkei sogar der einflussreichste westliche Verbündete in dem Land werden. Allerdings wird Erdoğan nicht den Job für die Europäer erledigen, wie manche glauben. Seine Interessen sind stark auf Nordsyrien und die Kurdenfrage gerichtet. Allzu viel sollte sich die EU auch nicht von den arabischen Vormächten versprechen, die nun ebenfalls für eine 'inklusive' und 'repräsentative' Regierung in Syrien plädieren. Die ist in der Region die Ausnahme", gibt die F.A.Z. zu bedenken.
Die MEDIENGRUPPE BAYERN, zu der unter anderem der DONAUKURIER aus Ingolstadt gehört, argumentiert: "Gewohnt ungelenk und zögerlich treten die Europäer auf den Plan – aus verständlichen Berührungsängsten bei der Zusammenarbeit mit den siegreichen Islamisten in Damaskus. Es gibt aber zu viel zu verlieren, um es nicht engagiert zu versuchen, gerade für Deutschland. Die Vorzeichen könnten schlimmer sein – wie die Erfahrungen etwa in Libyen und Afghanistan zeigen. So gibt es zumindest Hinweise, dass die tonangebende HTS-Miliz einen anderen Weg beschreiten will. Dass HTS-Anführer Ahmed al-Scharaa schon vor Jahren den Turban der Dschihadisten gegen eine Militäruniform und neuerdings den Anzug eingetauscht hat, mag nicht jeden überzeugen. Aber es gibt handfestere Argumente, wie die Bereitschaft, zeitweilig mit Assads Ex-Regierungschef al-Dschalali zu kooperieren, mehr noch aber das Beispiel der Provinz Idlib. Dort hat HTS über Jahre eben keine Schreckensherrschaft installiert und Ansätze von Pragmatismus und Pluralismusfähigkeit gezeigt."