19. Dezember 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Mit Kommentaren zur documenta, der politischen Lage im Iran und zur Debatte in Deutschland über die TV-Duelle der Kanzlerkandidaten. Im Mittelpunkt steht jedoch die Wiederwahl des sächsischen Ministerpräsidenten Kretschmer, der nun eine Minderheitsregierung aus CDU und SPD führt.

Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen, steht im Plenarsaaldes Landtags.
Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen (Robert Michael / dpa / Robert Michael)
Dazu schreibt die SÄCHSISCHE ZEITUNG: "Kretschmer hat jetzt zwar das Amt, aber kaum noch Macht. Künftig wird in Sachsen immer die Opposition entscheiden, was die Staatsregierung an Gesetzen und Projekten tatsächlich umsetzen kann. Bereits im Januar stehen wichtige Haushaltsentscheidungen an, da in der Landeskasse vier Milliarden Euro fehlen. Schon der absehbare Streit, was unter diesen Umständen alles zu streichen ist, wird eine ernste Belastungsprobe für das von Kretschmer angestrebte Konsultationsverfahren zwischen der Landesregierung und der Landtagsopposition", erwartet die SÄCHSISCHE ZEITUNG aus Dresden.
Die VOLKSSTIMME aus Magdeburg bemerkt: "Kretschmer steht einer Minderheitsregierung vor, die bei jeder Gelegenheit von der AfD unter Feuer gesetzt werden wird. Um den Drahtseilakt zu meistern, bleibt der schwarz-roten Regierung in Dresden nur, den erprobten ostdeutschen Pragmatismus in der Regional- und Kommunalpolitik weiterzuentwickeln. Dazu gehört bei der CDU – unabhängig von den Leitlinien des Adenauer-Hauses – die Vorbehalte gegen die Linken aufzugeben, das Bündnis Sahra Wagenknecht ernst zu nehmen und nicht jeden Antrag der Alternative für Deutschland als Angriff auf den demokratischen Staat zu werten", findet die VOLKSSTIMME.
Auch der Berliner TAGESSPIEGEL rät zu politischer Kreativität. "Die Suche nach Mehrheiten in Sachsen wird schwer. Abermals erweist sich der Osten als politisches Labor für das ganze Land. Auch in den Ländern im Westen dürfte es mittelfristig zu verzwickten Mehrheitsverhältnissen kommen."
Nach Ansicht der LEIPZIGER VOLKSZEITUNG ist die künftige Regierung von Ministerpräsident Kretschmer besonders vom BSW abhängig, denn: "Kretschmer hat sich selbst in diese Situation manövriert, durch seinen aggressiven und oft unfairen Wahlkampf gegen den Ex-Koalitionspartner Grüne und durch sein Festhalten an der längst obsoleten Brandmauer gegen die gefledderte Linkspartei."
Die BERLINER ZEITUNG wirft ein Schlaglicht auf die AfD: "Die Wahl des Ministerpräsidenten in Sachsen geriet für die AfD zur Blamage. Im zweiten Wahlgang stimmte nur ein einziger Abgeordneter für AfD-Fraktionschef Jörg Urban – und das, obwohl die AfD als zweitstärkste Partei über 40 Stimmen im Landtag verfügt. So stimmten vermutlich die meisten AfD-Abgeordneten für den für die Freien Wähler angetretenen Gegenkandidaten Matthias Berger. Der Hütchenspieler-Trick funktionierte nicht. Nicht zuletzt, weil die AfD offenkundig mit niemandem Absprachen getroffen oder wenigstens informell sondiert hatte, wie sich die anderen verhalten würden."
Nun zum Bundestagswahlkampf. ARD und ZDF wollen Bundeskanzler Scholz von der SPD und Unions-Kanzlerkandidat Merz gegeneinander antreten lassen. Die Kandidaten der Grünen und der AfD, Habeck und Weidel, sollen in einem separaten Duell ihre Standpunkte austauschen. "Wer ist nur auf diese absurde Idee gekommen?" fragt die FRANKFURTER RUNDSCHAU. "Das wird der dramatischen Krise der Demokratie in keiner Weise gerecht. Die AfD ist eine rassistische, autoritäre und nationalistische Partei, die das Klima im Land vergiftet. Die Tatsache, dass die AfD auf demokratischem Weg von vielen Menschen gewählt wird, macht sie nicht zur demokratischen Partei."
ZEIT-ONLINE argumentiert anders und bedauert, dass es nach der Absage der Grünen nicht zu einer direkten Begegnung mit der Kanzlerkandidatin der AfD kommt: "Man hätte gern ein Fernsehduell zwischen Robert Habeck und Alice Weidel gesehen. Verletzte Eitelkeiten verhindern eine Veranstaltung, die sicherlich unterhaltsamer und vermutlich erhellender gewesen wäre als irgendeine andere denkbare Kombination derer, die sich zu Möchtegernkanzlern haben ausrufen lassen. Habeck hat diese Chance nicht ergriffen. Schade."
Für die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt/Oder ist die Entscheidung, Merz gegen Scholz antreten zu lassen, eine Reminiszenz an die 90er Jahre. "Damals kam das erste TV-Duell erst gar nicht zustande. Gerhard Schröder (SPD) wollte unbedingt, Helmut Kohl (CDU) auf keinen Fall. Jetzt wird also noch einmal die alte Bundesrepublik aufgeführt, als es zwei Volksparteien gab und damit klare Optionen für das Kanzleramt."
Nun in den Iran. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG sieht Risse in Teherans Machtgebilde: "Außenpolitisch fiel innerhalb weniger Monate ein über Jahrzehnte gepflegtes System in sich zusammen, als Israel erst das Zerstörungspotential der Hisbollah dezimierte und kurz darauf Syriens Gewaltherrscher Assad gestürzt wurde. Die direkte Auseinandersetzung mit Israel stellte dann die eigene militärische Unterlegenheit bloß. Wenn das iranische Parlament verlangt, die Verschärfung des Kopftuchgesetzes auf Eis zu legen, so zeigt das: Die Erkenntnis der eigenen Schwäche ist angekommen. Derzeit wagt man es nicht, den Kampf gegen Irans mutige Frauen voranzutreiben. Die haben seit Beginn der Protestbewegung 2022 unermüdlich versucht, die Macht der Mullahs auszuhöhlen, indem sie ihre Furchtlosigkeit zeigten. Für die Hardliner ist das besonders bitter, weil sie wissen, dass jedes Zugeständnis an die Opposition der Bewegung neuen Schub verleihen könnte. Denn es zeigt die Schwäche des Regimes", fasst die F.A.Z. zusammen.
Auch die TAZ sieht den Iran außenpolitisch geschwächt: "Angesichts des schwierigen Verhältnisses zu den USA müssen sich die Mullahs Europa wieder annähern. Dafür braucht es das Bild eines moderaten Iran, der auf Kritik reagierenkann. Es gibt keine Trennung zwischen Reformern und Hardlinern, sondern nur eine strategische Rollenverteilung. Dies zu übersehen macht den Westen mitschuldig – an der Verschleierung von Menschenrechtsverletzungen und ander Unterstützung eines Regimes, das diese gezielt einsetzt, um an der Macht zu bleiben", urteilt die TAZ.
Zum Schluss geht es um die documenta in Kassel, die zuletzt von einem Skandal wegen antisemitischer Darstellungen erschüttert wurde. Nun hat die Findungskommission die Kuratorin für die Ausstellung im Jahr 2027 nominiert. Es ist die stellvertretende Direktorin des New Yorker Guggenheim Museums, Naomi Beckwith. Die HESSISCHE/NIEDERSÄCHSISCHE ALLGEMEINE lobt die Personalentscheidung: "Nach dem in Europa bis dahin weitgehend unbekannten Künstlerkollektiv Ruangrupa aus Indonesien setzt die Findungskommission den Kontrapunkt. Sie geht auf Nummer sicher. Mit Naomi Beckwith verantwortet ein absoluter Vollprofi die documenta. Mit all den Konflikten in der so extrem polarisierten Gesellschaft der USA, die oft auch Aufreger in der Kunst sind und in den Museen ausgetragen werden, dürfte sie bestens vertraut sein. Beckwiths souveräner Auftritt lässt stark hoffen, dass sie diese Konflikte auch in Kassel moderieren und dem großen Druck als documenta-Leiterin standhalten wird", notiert die HESSISCHE/NIEDERSÄCHSISCHE ALLGEMEINE aus Kassel.
Das Magazin MONOPOL kommt zu einer ähnlichen Einschätzung: "Als Vizechefin des Guggenheim dürfte Beckwith im Konfliktmanagement geschult und an die Auseinandersetzungen mit der Politik und Geldgebern gewöhnt sein. Auch war das berühmte Haus bereits Bühne für Proteste von Aktivisten - auch zum Thema Israel und Gaza. Dass sie sich in deutsche Grabenkämpfe und Boykottstrudel verwickeln lässt, liegt erst einmal nicht nahe. Auf den ersten Blick scheint es, als habe sich die Documenta für die zu erwartende argwöhnische Beobachtung der nächsten zweieinhalb Jahre bestmöglich aufgestellt. Die Personalie der künstlerischen Leitung zeugt vom Wunsch nach Solidität und der Besinnung auf die enge inhaltliche USA-Anbindung der früheren Ausgaben. Eher ein 'Zurück zu alter Stärke' als ein völliger Neustart."