30. Januar 2025
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Kommentiert wird hauptsächlich die Migrationsdebatte im Bundestag. Die oppositionelle Unionsfraktion hat für ihre Forderungen nach einer Verschärfung der Asylpolitik unter anderem mit Stimmen der AfD eine Mehrheit erhalten.

Friedrich Merz, CDU-Parteivorsitzender, und die AfD-Fraktion, aufgenommen im Rahmen der Sitzung des Deutschen Bundestages mit der Regierungserklaerung des Bundeskanzlers zu aktuellen innenpolitischen Themen in Berlin, 29.01.2025.
Mit Hilfe der Stimmen der AfD erhält ein Unionsantrag für eine restriktivere Migrationspolitik im Bundestag eine Mehrheit. (picture alliance / photothek.de / Florian Gaertner)
Für die NÜRNBERGER ZEITUNG war das... "keine Sternstunde des deutschen Parlaments. Ausgerechnet an dem Tag, an dem der Bundestag des 80. Jahrestags der Befreiung des NS-Vernichtungslagers Auschwitz gedachte, eskalierte der Wahlkampf zu einer fragwürdigen Migrationsdebatte. Was gesagt oder gebrüllt wurde, waren Beiträge zu einer reinen Schaufenster-Diskussion, denn ungeachtet des Abstimmungsergebnisses wird nichts, was besprochen wurde, kurzfristig Gesetzeskraft erlangen. Das weiß das gesamte Parlament", mahnt die NÜRNBERGER ZEITUNG.
Die RHEIN-ZEITUNG aus Koblenz unterstützt den Vorstoß der Union: "Merz hat nach dem Attentat von Aschaffenburg völlig zu Recht ein entschiedeneres Vorgehen gefordert und deutlich gemacht, was sich unter seiner Führung verändern würde. SPD-Kanzler Scholz hatte es im Sommer nicht vermocht, einen Konsens der Demokraten zu schärferen Gesetzen herbeizuführen. Das hat sich gerächt. Doch warum Merz diese Anträge derart ungestüm in den Bundestag gebracht hat, ist nicht zu verstehen. Er hat damit eine ganz andere Debatte eröffnet, nämlich die, wie weit Demokraten die Hand nach rechts ausstrecken dürfen. Warum hat er, der Kanzler werden will, nicht vorher den Kontakt zu den demokratischen Fraktionen gesucht?", fragt sich die RHEIN-ZEITUNG.
"Mit der AfD will Merz nicht koalieren", unterstreicht die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg. "Ohne sie muss er aber auf SPD oder Grüne nach der Bundestagswahl zugehen. Er muss also mit denen regieren, die er an diesem Mittwoch im Bundestag vorführte. Die Abstimmung war alleine dem Wahlkampf geschuldet. Würde dahinter ein politisches Konzept stehen, dann hätte der zumindest nach außen siegesgewisse Merz bis nach der Wahl, bis zu den Koalitionsverhandlungen warten müssen, um dann Fakten zu schaffen", stellt die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG fest.
"Deutschlands Regierungen der letzten Jahrzehnte hatten sich gut in der Ohnmacht eingerichtet", bemängelt die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt/Oder. "Eine Kontrolle der Migration sei halt nicht machbar. Deutsches Recht, europäisches Recht, internationale Verpflichtungen sprächen dagegen. Damit konnten sie immer gut bemänteln, dass sie im Grunde nichts Grundlegendes an der Einwanderungspolitik ändern wollten. Auch bei der Bundestagsdebatte am Mittwoch wurde das wieder klar, um einige Tonlagen schriller allerdings. Denn neben der moralischen Abscheu, dass die Anträge von CDU und CSU zur Kontrolle der Migration den Beifall der AfD finden könnten, geht im linken Parteienspektrum auch eine politische Sorge um. Nämlich jene, ein Druckmittel gegen die Union zu verlieren: die Möglichkeit, konsequentere Migrationsregeln verhindern zu können, indem man die AfD-Keule schwingt", befindet die MÄRKISCHE ODERZEITUNG.
"Die Anträge der Union dienen vor allem dazu, das eigene Profil zu schärfen", vermutet der KÖLNER STADT-ANZEIGER. "Dafür nimmt man einen Schulterschluss mit der AfD in Kauf. Dieser Preis ist zu hoch. Für die Bewältigung der Probleme ist nichts gewonnen, wohingegen die AfD einen politischen Sieg und einen Schritt hin zur Normalisierung in der politischen Landschaft feiern kann. Freilich ohne dabei 'normal' zu werden – im Sinne von demokratisch verlässlich. Sollte die AfD in Deutschland eines Tages an die Macht kommen, wird man sich an diesen Januartag 2025 erinnern und sagen: Da hat es angefangen."
Der WESER-KURIER aus Bremen notiert: "Die Vorschläge sind rechtlich nicht bindend und täuschen nach den schrecklichen Anschlägen von Aschaffenburg und Magdeburg Konsequenzen vor, die es in Wahrheit nicht geben wird. Das weiß Merz nur zu genau. Wenn es ihm wirklich darum gegangen wäre, in der Sache etwas zu erreichen, hätte er auf SPD und Grüne zugehen und auf einen Kompromiss hinarbeiten müssen. Stattdessen hat der CDU-Vorsitzende sein Versprechen vom vergangenen November, keine gemeinsamen Mehrheiten mit der AfD anzustreben, nicht gehalten", erinnert der WESER-KURIER.
Auch die STUTTGARTER ZEITUNG moniert: "Mit der Ansage, es sei ihm egal, ob für seinen Antrag zur Migrationspolitik eine Mehrheit auch mit Stimmen der AfD zusammenkomme, hat Merz ein Tabu gebrochen. Dass diese Mehrheit nun zustande gekommen ist, wird dauerhaft Spuren im politischen System hinterlassen. Die Republik hat sich an diesem Tag derart verändert, dass sich Historiker noch damit beschäftigen dürften. Wer die Tür zur Zusammenarbeit nur einen Spalt weit aufmacht, muss befürchten, dass sie irgendwann kraftvoll aufgestoßen wird. Die in Teilen rechtsextreme AfD konnte sich nie so mächtig fühlen. Das hat dauerhaft politische Folgen – nicht nur für Menschen mit Migrationshintergrund", findet die STUTTGARTER ZEITUNG.
"Offen bleibt, ob das, was am Ende dabei herauskommt, den Tabubruch wert ist", schreibt die AUGSBURGER ALLGEMEINE. "Was, wenn der Kurswechsel von Gerichten kassiert wird? Was, wenn sich nach der Wahl keine Partner finden, um aus der Symbolpolitik von heute Gesetze von morgen zu machen? Was, wenn große Worte doch nur für kleine Taten reichen? Dann hat sich Merz verzockt. Dann hat es sich nicht gelohnt, der AfD eine Tür zu öffnen. Dann werden sich noch mehr Menschen enttäuscht abwenden", befürchtet die AUGSBURGER ALLGEMEINE.
Die TAGESZEITUNGTAZ – weist darauf hin, dass die AfD-Abgeordneten als einzige über den Unions-Beschluss applaudiert hätten: "Hinter den Kulissen feixen sie über die strategische Sackgasse, in die Merz sich manövriert hat, weil er ihr Kernthema zum Wahlkampfmittelpunkt gemacht hat. Ihr Ziel bleibt langfristig die Zerstörung der CDU, wie sie vielfach gesagt hat. Durch bodenlose Asylverschärfung und geplante Abschaffung von Menschenrechten in einem völlig entkoppelten Panikdiskurs über Migration gibt die Union mit ihrem Radikalkurs der AfD recht und ermutigt ihre Wähler geradezu. All das geschieht, während die AfD radikaler als je zuvor auftritt und Alice Weidel offen völkische Vertreibungsfantasien propagiert. Der Tabubruch ist dabei nur die Ouvertüre für Freitag, wenn die Union – unterstützt von FDP und BSW – ein rechtswidriges Gesetz durchbringen will. Umso wichtiger wird es jetzt, laut Widerspruch zu artikulieren und auf die Straße zu gehen", fordert die TAZ.
Trotz internationaler Appelle zeichnet sich keine Entspannung des Konflikts in der Demokratischen Republik Kongo ab. Zu Beginn der Woche war die M23-Rebellenmiliz, die laut Vereinten Nationen von Ruanda unterstützt wird, in die Millionenstadt Goma eingedrungen. Die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG kritisiert: "Ruanda ist mittlerweile für manchen europäischen Politiker zu einer Art Modell-Land avanciert, ein scheinbarer Stabilitätsanker in einer instabilen Region. Unter anderem die Unionsparteien empfahlen das Land als sicheres Drittland für Abschiebungen. Die Eskalation im Kongo macht einmal mehr deutlich, wie unausgegoren dieser Vorschlag war. Zu Recht stehen nun Sanktionen gegen das übergriffige Ruanda im Raum."
Nach Ansicht der FRANKFURTER RUNDSCHAU ist der Westen für die Krise mitverantwortlich: "Dass die Region nicht zur Ruhe kommt, liegt vor allem an den Bodenschätzen, die für die Herstellung von Konsumgütern für den Weltmarkt verwendet werden. Darunter sind auch Elektrofahrzeuge, mit denen nun auch deutsche Autohersteller wie BMW, Daimler und VW Gewinne erwirtschaften wollen und dafür auf die Ressourcen dort zugreifen. Aber die Mehrheit der einheimischen Bevölkerung profitiert davon kaum. Junge Leute haben keine Perspektive und sehen im bewaffneten Kampf ihre beste Chance, vom Reichtum ihres Landes etwas abzukriegen. Ein regionaler Krieg droht. Um glaubwürdig zu bleiben, darf Europa nicht länger wegschauen." Mit dem Kommentar aus der FRANKFURTER RUNDSCHAU endet diese Presseschau.