Der TAGESSPIEGEL aus Berlin schreibt zur Bundestagsabstimmung: "Die feixenden AfD-Abgeordneten wird man so schnell nicht vergessen. Triumphal feierten die Rechtsradikalen ihren Erfolg, erstmals einem oppositionellen Antrag zur Mehrheit verholfen zu haben. Das bisherige Argument, eine Stimme für die AfD sei verloren, weil sie hinter der 'Brandmauer' politisch wirkungslos sei, ist mit ihrer erfolgreichen Mehrheitsbeschaffung dahin. Das sollte alle Parteien, zumal die CDU/CSU, umtreiben. Friedrich Merz hatte erst Ende 2024 erklärt, keine Anträge einzubringen, die zu einer 'zufälligen oder tatsächlich herbeigeführten Mehrheit' mit der AfD führen können. Sein damals mit Verve vorgetragenes Wort erweist sich jetzt als hohl, frei nach Konrad Adenauer als 'Geschwätz von gestern'. Das ist ein schwerer Fehler und wird Merz das wichtigste Kapital eines Politikers kosten: Vertrauen." Das war der TAGESSPIEGEL.
Die Zeitung DIE WELT dagegen findet: "Dass die AfD für den in jedem Detail im Zweifel richtigen Fünf-Punkte-Plan gestimmt hat, ist ebenso unproblematisch wie die Tatsache, und das verdrängen die linken Schreihälse und Journalismusdarsteller, dass die AfD mehrfach auf Bundes- und Landesebene und kommunal sowieso mit Roten und Grünen abgestimmt hat. Demokratie lebt vom Wählerwillen. Und dass die Mehrheit der Wähler diese komplett verunglückte Migrationspolitik von Angela Merkel nicht mehr will, auch die Mehrheit der wenigen SPD-Wähler, die es noch gibt, spricht für sich", heißt es in der WELT.
"Die Ankündigung von Friedrich Merz, im Fall seiner Kanzlerschaft eine Wende in der Migrationspolitik herbeizuführen, war richtig", meint die VOLKSSTIMME aus Magdeburg. "Merz hätte es allerdings bei der Ankündigung belassen sollen, seine Pläne zum Start einer Kanzlerschaft umzusetzen. Mit der Abstimmung eines Antrags, der nur dank AfD eine Mehrheit erhielt und trotzdem nicht einmal bindend ist, hat sich die Union extrem angreifbar gemacht. Andererseits: Mit ihren Anträgen hatte sich die Union ausdrücklich an SPD und Grüne gewandt und die AfD verurteilt. Grüne und SPD ließen sie – wohl auch aus wahltaktischen Gründen – aber auflaufen. Auch sie tragen damit eine Mitverantwortung für das Versagen der Mitte. Künftige Koalitionsoptionen sind so bereits belastet", stellt die VOLKSSTIMME fest.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG sieht den Unions-Kanzlerkandidaten in einem Dilemma: "Merz muss zeigen, dass eine Bundesregierung unter seiner Führung einige Verhältnisse im Land ändern wird. Der geringe Handlungsspielraum der Mitte-Koalitionen, die wachsende Verrechtlichung und Bürokratisierung von politischen Prozessen sind Haupttreiber für Unzufriedenheit - und damit für die Radikalisierung. Die Union wird nur dann stärker werden, wenn sie diese Handlungsfähigkeit unter Beweis stellt. Ansonsten wächst die AfD. Die Woche hat indes erst einmal drei Dinge bewiesen: Für die Union ist es möglicherweise bereits zu spät, den Spielraum nach rechts zu erweitern. SPD wie Grüne haben nicht verstanden, dass ihr eigentlicher Feind die AfD ist, nicht die Union. Und wie das Spektrum der Demokraten nach der Bundestagswahl zusammenfinden will - das bleibt das eigentliche Rätsel", unterstreicht die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Alt-Bundeskanzlerin Merkel hat die gemeinsame Abstimmung der Unionsabgeordneten mit der AfD kritisiert. Dazu meint die TAZ: "Nicht nur dem liberalen Flügel, sondern auch vielen potenziellen CDU-WählerInnen dürfte Merkel aus der Seele gesprochen haben. Ihre drastische Intervention war für alle wertgebundenen Christ-Demokraten berechtigt und geboten, weil auch Merz gegen einen zentralen Markenkern der CDU verstoßen hat: die klare Abgrenzung gegen Rechtsextremisten. Dass Merz erstmals wissentlich einen Abstimmungserfolg der AfD im Bundestag ermöglicht hat, war ein historischer Fehler und macht die Brandmauer unglaubwürdig", urteilt die TAZ.
Die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg beleuchtet die Gründe für die Intervention der Alt-Kanzlerin: "Merz hat am Mittwoch demonstrativ Merkels von Humanität geprägte Flüchtlingspolitik in die Tonne getreten. Und er trägt der Altkanzlerin immer noch demonstrativ nach, dass sie seine Karriere 2002 rüde beendete. Unter psychologischen Aspekten verursachte Merkel also vor über 20 Jahren bei Merz ein Trauma, das ihn bis heute politisch einengt. Ein Großteil seines Comebacks beruht auf einem Rachemotiv. Merz will Merkels Politik revidieren. Die Frage lautet nun: Ließe sich ein Kanzler Merz im Fall einer Minderheitsregierung ebenfalls von der AfD tolerieren? Heute besteht die Gelegenheit, diesen Verdacht auszuräumen: Merz sollte auf das 'Zustrombegrenzungsgesetz' verzichten – alleine schon wegen des Namens", empfiehlt die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG.
Die SÜDWEST PRESSE aus Ulm überlegt: "Die 'Erklärung der Bundeskanzlerin a.D.' könnte der Anfang der Spaltung einer der letzten großen konservativen Parteien Europas sein. Oder sie könnte paradoxerweise Merz in ähnlicher Weise retten, wie Gerhard Schröders Gepolter am Wahlabend 2005 einst Merkel rettete. Indem die harte Kritik von außen die Kritiker im Inneren um der CDU-Selbsterhaltung willen hinter Merz versammelt."
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG beschäftigt sich mit der Debatte im Bundestag über ein mögliches Verbot der AfD: "Je stärker die AfD wird, desto mehr wird ihr Verbot gefordert. Das hat nicht nur Gründe des Schutzes der freiheitlichen Grundordnung, sondern auch des Schutzes vor Konkurrenz. Der Grund für das Entstehen und Erstarken dieser Konkurrenz gerät dabei gelegentlich in den Hintergrund. Keine Frage: Das Werben für die eigene Position gerade im Wettbewerb mit weitgehend kenntnislosen Vereinfachern, die sich von vielen zivilisatorischen Errungenschaften verabschieden wollen, ist zweifellos schwer - schwerer als die Forderung nach einem Parteiverbot. Dabei ist der Aufwand eines solchen Verfahrens groß, sein Ende offen, und die Folgen sind nicht absehbar. Die oft fest vorgetragene Absicht, nur dann einen AfD-Verbotsantrag zu stellen, wenn klar sei, dass er erfolgreich sein werde, offenbart eine Illusion: Eine solche Gewissheit gibt es in kaum einem komplexen gerichtlichen Verfahren", betont die F.A.Z.
Auch die STUTTGARTER ZEITUNG äußert Bedenken: "Es wäre geradezu aberwitzig, eine Partei verbieten zu wollen, die in 15 von 16 Landesparlamenten sitzt und demnächst wohl zur stärksten Oppositionsfraktion im Bundestag aufsteigt. Eine Gesinnung, der 20 Prozent des Wahlvolks zuneigt, lässt sich nicht mit einem Federstrich aus der Welt schaffen. Eine Demokratie, die so vielen Bürgern den Mund verbieten wollte, würde selbst demokratisch fragwürdig handeln. Zudem sprechen pragmatische Gründe gegen einen Verbotsantrag unmittelbar vor der Wahl: Von einer Märtyrerrolle könnte die AfD profitieren. Es gibt nur eine richtige zu dieser falschen Alternative: konsequente Politik, die sich um den Unmut ernsthaft kümmert, der wie Humus für das Gedeihen der AfD wirkt", lautet die Ansicht der STUTTGARTER ZEITUNG.
Thema in der FRANKFURTER RUNDSCHAU ist das Betätigungsverbot in Israel für das Palästinenserhilfswerk UNRWA: "Gaza ist massiv zerstört, zehntausende Palästinenserinnen und Palästinenser sind tot, viele mehr wurden verletzt. Viele stehen – buchstäblich – vor den Trümmern ihrer Existenz. Es ist fatal, dass Israel nun ausgerechnet in dieser Lage dem Palästinenserhilfswerk UNRWA seine Arbeitsgrundlage entzieht. Dass mehrere internationale Untersuchungen den israelischen Verdacht einer Hamas-Unterwanderung nicht bestätigt haben, hat die Regierung von Benjamin Netanjahu nicht interessiert. Statt sich ans Völkerrecht zu halten, das sie zur Versorgung der Menschen in Gaza verpflichtet, will sie nun das Gelände der UNRWA-Zentrale in Ost-Jerusalem an israelische Siedler geben, ein Geschenk an die endlos zündelnden Rechtsextremen im Kabinett. Es ist ein so plakatives wie kurzsichtiges Manöver."