
"Union und SPD werden bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen nichts dazwischenkommen lassen", erwartet der SÜDKURIER aus Konstanz. "Diese Groko soll etwas werden, daran lässt Friedrich Merz keinen Zweifel. Die Ernsthaftigkeit der Lage, innen- wie außenpolitisch, lässt keinen Raum für Mätzchen à la 'Besser nicht regieren als falsch regieren'. Dass jetzt, nach den Sondierungen, jeder Partner Erfolge für sich verbuchen kann, ist deshalb ein gutes Zeichen: Die Union macht bei der Migration und beim Bürgergeld Punkte, die SPD beim Mindestlohn. Kritik ist dagegen angebracht, wo Reformen mal wieder auf die lange Bank geschoben werden sollen – wie bei der Rente", urteilt der SÜDKURIER.
"Die Einigung vom Wochenende trägt die Handschrift der Union, also der Wahlsiegerin", stellt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG fest. "Sie hat sich durchgesetzt mit ihrer Forderung, die irreguläre Migration einzudämmen. Auch bei ihrem geliebten Bürgergeld lässt die SPD mehr Härte zu, Arbeitsunwillige sollen womöglich gar nichts mehr bekommen. Die SPD hat sich ihre Zustimmung sehr, sehr teuer abkaufen lassen. Sie hat ein 500-Milliarden-Paket für Infrastruktur durchgesetzt, das nahezu alles zu umfassen scheint, von Schienen bis zu Kindertagesstätten. Und die SPD hat zur mutmaßlichen Freude ihrer geschrumpften Wählerschaft noch weitere Wohltaten zu bieten - Industriestrompreis, Mindestlohn, stabile Rente. Diese Liste zeigt, wo die maßgebliche Schwäche dieses Sondierungspakets liegt: bei Maßlosigkeit und dem Fehlen von Prioritäten. Die schwarz-rote Koalition, wenn sie denn zustande kommt, bietet allen alles", bemängelt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
In der FRANKFURTER RUNDSCHAU heißt es: "Die Ergebnisse der Sondierungsgespräche lassen daran zweifeln, dass Union und SPD die selbstgesteckten Ziele erreichen können. Schließlich wollte vor allem CDU-Chef Friedrich Merz beweisen, dass er die Agonie der Ampel beenden und Deutschland nach vorne bringen kann. Dafür hat die mögliche künftige Regierungskoalition sich zwar rasch auf eine Lockerung der Schuldenbremse und ein großes Sondervermögen für Verteidigung und Infrastruktur geeinigt und damit den Eindruck erweckt, weitere dringend notwendige Reformen anzugehen. Doch die Details der Sondierungsgespräche legen nahe, dass ihnen Wahlgeschenke wichtiger sind", schreibt die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
"Herausgekommen ist ein Füllhorn, eine große Wundertüte, die viele hübsche Geschenke für viele Bevölkerungsgruppen bietet", fasst die LAUSITZER RUNDSCHAU aus Cottbus die Ergebnisse zusammen. "Für die Rentner springt eine Sicherung des Rentenniveaus heraus und eine Ausweitung der Mütterrente. Aber auch die Berufspendler werden bedacht, der Strompreis soll sinken und Überstunden steuerfrei gestellt werden. All das kostet sehr viel Geld, doch wie genau dieses Geld aufgebracht werden wird, darüber haben sich die Unterhändler entweder noch nicht unterhalten oder aber sie verschweigen es erst einmal."
Die Zeitung DIE WELT sieht es so: "Die SPD, die mit blamablen 16,4 Prozent aus der Bundestagswahl hervorgegangen ist, übt sich keineswegs in Zurückhaltung. Als sei sie der Wahlsieger, hat sie ihre Zustimmung zur horrenden Steigerung der Verteidigungsanstrengungen von der Zustimmung der Union zu einem riesigen 'Sondervermögen' für die Infrastruktur abhängig gemacht. Die SPD wird nun wohl mit Nachdruck versuchen, das vage gehaltene Sondervermögen gerade auch für die Pflege ihrer sozialpolitischen Steckenpferde zu nutzen", erwartet DIE WELT.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG verweist auf einen anderen Aspekt: "Die Tonlage der Passagen in dem Sondierungspapier, die dem Thema Migration gewidmet sind, ist ohne Zweifel eine andere als die, die aus den einschlägigen Verabredungen der Ampelparteien im Jahr 2021 sprach. Aber den höheren Preis dafür zahlt auch in diesem Fall die Union. Weitreichende Entscheidungen der Ampel wie das neue Staatsangehörigkeitsrecht werden nämlich nicht angetastet. Doch anstatt die SPD und die Grünen im Wahlkampf mit deren eigenen Forderungen zu konfrontieren, setzte Merz im Bundestag auf Maximalpositionen, die nur mit der AfD mehrheitsfähig waren – und sich in dem Sondierungspapier erwartungsgemäß nur in verdünnter Form wiederfinden." Das war die F.A.Z.
Die RHEIN-ZEITUNG aus Koblenz fasst zusammen: "Was die Reformbereitschaft angeht, so gibt es bis zu einem Koalitionsvertrag noch deutlich Luft nach oben. Die Senkung der Mehrwertsteuer für die Gastronomie ist zwar schön für alle Restaurantbesucher, aber sicher kein staatspolitisches Muss. Auch beim Bürokratieabbau und der Frage, wo der Staat eigentlich sparen kann und sich reformieren muss, muss eine neue Regierung noch deutlich konkreter werden – gerade mit Blick auf jüngere Generationen. Merz muss nun Verhandlungsgeschick bei der Abstimmung mit den Grünen beweisen. Sollte die Grundgesetzänderung für das Finanzpaket und die dafür nötige Zweidrittelmehrheit im Bundestag verfehlt werden, werden die Karten neu gemischt", betont die RHEIN-ZEITUNG.
Der WESER-KURIER aus Bremen erwartet eine Zustimmung der Grünen im Bundestag: "Die Grünen werden es sich kaum leisten können, die Aufhebung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben scheitern zu lassen. Damit würde die Partei die staatspolitische Verantwortung, die sie mit ihrer entschiedenen Reaktion auf den russischen Angriffskrieg unter Beweis gestellt hat, fallen lassen. Und auch mit dem Sondervermögen für Infrastrukturprojekte können viele Projekte umgesetzt werden, die den Grünen in der Vergangenheit wichtig waren. Das jetzt aus Ärger über die Union zu blockieren, wäre verantwortungslos", warnt der WESER-KURIER.
Die neue Gewalt in Syrien mit vermutlich mehr als 1.000 Toten beschäftigt die SAARBRÜCKER ZEITUNG: "Einer der Gründe, warum sich der syrische Diktator Baschar al-Assad trotz der Brutalität seines Regimes so lange an der Macht halten konnte, war die Furcht der Minderheiten in Syrien vor noch schlimmeren Grausamkeiten von Assads Gegnern. Deshalb war es eine der wichtigsten Leistungen der Übergangsregierung von Ahmed al-Scharaa nach Assads Sturz vor drei Monaten, den Übergang von der Diktatur in die neue Zeit einigermaßen friedlich zu gestalten. Die Massaker an alawitischen Zivilisten in den vergangenen Tagen haben diese Leistung zerstört. Nur eine unabhängige Untersuchung der Gewalt kann das zerstörte Vertrauen wieder herstellen. Scharaa sollte dafür internationale Juristen und Experten ins Land holen und eine rasche Bestrafung der Schuldigen ermöglichen", fordert die SAARBRÜCKER ZEITUNG.
Die AUGSBURGER ALLGEMEINE ist besorgt: "Die Gefahr, dass das Land mit seinen unzähligen Milizen, einer Vielzahl religiöser und ethnischer Minderheiten und jeder Menge offener Rechnungen erneut in einer Woge aus Chaos und Gewalt untergeht, ist real. Die Kernfrage ist, ob Ahmed al-Scharaa willens und in der Lage ist, alle Akteure seiner heterogenen Allianz zu kontrollieren. Gelingt es ihm nicht, die Kämpfe in kurzer Zeit für sich zu entscheiden und die Zivilbevölkerung vor mordenden sunnitischen Terroristen zu schützen, kann er kein Partner für die EU sein. Dann bleibt Syrien eine Hölle auf Erden", unterstreicht die AUGSBURGER ALLGEMEINE.
"Diese Massaker wären vermeidbar gewesen", bemerkt die TAZ. "Menschenrechtler warnten schon früh, dass ohne eine Aufarbeitung der Assad-Verbrechen Racheakte folgen würden. Die neuen Machthaber versäumten es, Mechanismen der Übergangsjustiz zu etablieren, um den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen. Die aktuelle Instabilität ermöglicht es Milizen verschiedener Couleur, willkürlich zu agieren. Die internationale Gemeinschaft darf nicht länger schweigend zusehen. Es müssen konkrete Schritte zur Aufarbeitung des Assad-Regimes unternommen werden – ohne dabei die islamistischen Gruppen unter al-Scharaa zu verharmlosen. Die Gewalt wird sonst immer weitergehen."