
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU gibt zu bedenken: "Noch ist zwar nicht ausgemacht, ob Erdogans Regierung wie vor zwölf Jahren bei den Gezi-Protesten die vielen Menschen einschüchtern kann. Doch deutet einiges darauf hin, dass er die Erosion seiner Macht nicht aufhalten kann. Zum einen wirkt seine Repression nicht mehr so wie früher. Außerdem musste seine AKP bereits bei den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr eine herbe Niederlage einstecken. Und Imamoglu hat zwei Mal in Folge das wichtige Amt des Stadtoberhaupts von Istanbul für sich entschieden. In diesem Machtkampf gegen die Regierung Erdogan sind die Türkinnen und Türken auf sich alleine gestellt", beobachtet die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
In der TAZ ist zu lesen: "Die Verhaftung des wichtigsten Oppositionspolitikers, kurz nachdem PKK-Gründungsmitglied Abdullah Öcalan zur Niederlegung der Waffen aufgerufen hat, passt zu Erdoğans letztem Move. Man muss sich stark auf die Zunge beißen, bei allem, was sich gerade politisch in der Türkei wiederholt. Und bei aller Kritik, die man an der CHP für ihre vergangene Politik haben muss – dieser Moment könnte ihre Chance sein, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Wenn sie ihre knöcherne Parteistruktur öffnet, es schafft, die Jungen zu Wort kommen zu lassen und sich ernsthaft für die Interessen von Minoritäten einsetzt – dann könnte die Türkei tatsächlich gewinnen", ist sich die TAZ sicher.
"Was nun?", fragt der KÖLNER STADT-ANZEIGER und fährt fort: "Für den inhaftierten Ekrem Imamoglu ist dieser Moment noch nicht das Ende der Geschichte. Seine Anhänger wollen den Istanbuler Bürgermeister weiterhin als Kandidaten bei der Präsidentschaftswahl 2028. Nach normalem Lauf der Dinge – und bei Beachtung der Amtszeitbegrenzung in der Verfassung – dürfte Recep Tayyip Erdogan dann schon nicht mehr antreten. Setzt Erdogan aber vorgezogene Neuwahlen an, könnte er weitermachen – während Imamoglu nur aus der Zelle zusehen kann. Ein solcher Putsch könnte die Türkei zerreißen. Die Massendemonstrationen sind ein Warnsignal. Erdogan riskiert Machtkämpfe, die am Ende nicht mehr nur im Saal ausgetragen werden", so die Erwartung des KÖLNER STADT-ANZEIGERS.
Die SÜDWEST-PRESSE aus Ulm schreibt dazu mit Blick auf die Europäische Union: "Die EU muss Erdogan die rote Karte zeigen. Wenn die EU ihre eigenen Werte und Regeln ernst nimmt, ist es an der Zeit, die Beitrittsverhandlungen mit Ankara abzubrechen und dem Land den Kandidatenstatus zu entziehen", fordert die SÜDWEST-PRESSE.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG hält fest: "Recep Tayyip Erdoğan ist auf dem Weg zur Diktatur weit vorangeschritten: Verwaltung, Armee und Justiz in der Türkei hat der Präsident zu willfährigen Herrschaftsinstrumenten gemacht, die Presse weitgehend gleichgeschaltet. Aber trotz vieler Repressalien hat er in den 23 Jahren, in denen seine AKP-Partei an der Regierung ist, eines nicht geschafft und wohl auch nicht gewagt: die politische Opposition auszuschalten. Das haben die Proteste am Wochenende gezeigt, als Hunderttausende in Istanbul und anderen Städten auf die Straße gingen, weil sie nicht hinnehmen wollten, dass nun auch noch die kommenden Wahlen zur Makulatur werden", beobachtet die FAZ.
Die STUTTGARTER ZEITUNG sieht den türkischen Präsidenten Erdogan gar als gescheitert an: "Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wird als machtsüchtiger Autokrat in die Geschichte eingehen. Der heute 71-Jährige war einst angetreten, um sein Land von der Vormundschaft der Militärs zu befreien. Doch in seinen langen Jahren als Regierungs- und Staatschef entfernte er sich immer weiter von demokratischen Grundsätzen. Mit dem Haftbefehl gegen seinen Herausforderer Ekrem Imamoglu hat Erdogan sein Lebenswerk zerstört. Ein Zurück gibt es nicht mehr", erwartet die STUTTGARTER ZEITUNG.
Die AUGSBURGER ALLGEMEINE blickt auf die Rolle Deutschlands in dieser Sache: "Sämtliche Bundesregierungen haben sich bisher viel von Ankara gefallen lassen. Missstände werden angemahnt, den Worten folgen nie Taten. Mit Diplomatie hat das nichts zu tun", urteilt die AUGSBURGER ALLGEMEINE. Und damit soviel zu diesem Thema.
Der MÜNCHNER MERKUR widmet sich den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD: "Heute Held, morgen Depp: Das Auf und Ab in unserer aufgeregten Stimmungsdemokratie geht immer schneller. Und Friedrich Merz durchfliegt seit dem Wahlabend die Phase des freien Falls. Das plump gebrochene Schulden-Wahlversprechen, das 100-Milliarden-Geschenk an die Grünen und die in Kernfragen ruckelnden Koalitionsverhandlungen lassen seine Wähler – und das waren eh schon weniger als erwartet – zweifeln. Kann er‘s? Womöglich ist die Antwort darauf offen. Doch wer Merz aus welchen Motiven auch immer scheitern sehen will, sollte wissen, was nachkommt: keine grüne oder rote Renaissance, kein friedlicher Führungswechsel in der Union, sondern eine zur stärksten Partei und vielleicht Fraktion aufsteigende AfD. Umso dringender ist, dass aus diesen Koalitionsverhandlungen noch ein Erfolg wird", mahnt der MÜNCHNER MERKUR.
Die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt/Oder moniert: "Die von einer weiteren historischen Wahlniederlage gekennzeichnete SPD lehnt in den Verhandlungen offenbar vieles ab, was zum Erfolg der neuen Koalition führen könnte. Es hakt bei Themen wie Steuerreformen, Gesundheit, Pflege und Rente. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil scheint überzeugt, nur ohne Zumutungen für das Land aus dem Umfragekeller zu kommen. CDU-Chef Merz hingegen muss das Gegenteil anstreben. Die Gefahr liegt darin, dass die bewilligten Schulden einen einfachen Ausweg aus dem Dilemma darstellen und den inneren Widerspruch der neuen Koalition zuschütten könnten. Damit würde ein schwarz-rotes Bündnis unter ähnlichen Voraussetzungen starten wie die Ampel", befürchtet die MÄRKISCHE ODERZEITUNG.
Das HANDELSBLATT vertritt folgende Ansicht: "Schade, dass der deutsche Sozialstaat nicht eine Brücke oder ein Panzer ist. Denn dann würde er vielleicht endlich die Aufmerksamkeit bekommen, die er verdient. Während die Politik angesichts der zerbröselnden Infrastruktur und des beklagenswerten Zustands der Bundeswehr endlich den Handlungsdruck erkannt und akzeptiert hat, agiert sie im Sozialbereich wie die drei sprichwörtlichen weisen Affen: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Die Schwächen lassen sich – anders als im Fall der Bundeswehr und der Infrastruktur – auch nicht mit viel Geld zukleistern. Im Gegenteil. Hier sind echte Strukturreformen gefragt, die Geld sparen helfen. Doch die wahrscheinlichen nächsten Koalitionsparteien CDU, CSU und SPD lassen dazu bislang keinen Willen erkennen", folgert das HANDELSBLATT.
Die NÜRNBERGER ZEITUNG mahnt: "Wichtiger ist jetzt, schnellstmöglich eine Regierung ins Amt zu bringen, die glaubwürdig handeln kann, und nicht, den Kanzler schon vor seiner Wahl zu schwächen. Hinsichtlich des von den rechten Parteien im Wahlkampf so priorisierten Themas Migration heißt das, erfüllbare Maßnahmen zu beschließen und auch danach zu handeln. Für die anderen muss die Prämisse gelten: Darüber streiten wir uns später", rät die NÜRNBERGER ZEITUNG.
Der NORDBAYERISCHE KURIER aus Bayreuth kritisiert: "Beim Bürgergeld hat die Union eine radikale Wende versprochen. Wer arbeiten kann, aber nicht arbeiten will, soll hart sanktioniert werden. Harte Hand auch gegen die illegale Migration, hat Merz immer wieder in Aussicht gestellt. Kippt Merz nach der Schuldenbremse auch bei Bürgergeld und Migration, ist sein Vertrauenskapital aufgezehrt", so die Sorge des NORDBAYERISCHEN KURIERS, mit dem diese Presseschau endet.