
"An der Sitzordnung der 630 Abgeordneten wird eins deutlich abzulesen sein", schreibt das HAMBURGER ABENDBLATT: "Die neue Macht der Ränder. In der Mitte sitzen Union, SPD und Grüne. Rechts außen der stark gewachsene Block der AfD mit 152 Parlamentariern. Links außen die 64 Abgeordneten der Linkspartei. Gemeinsam sind die Flügel so stark, dass sie die Parteien in der Mitte in die Zange nehmen können. AfD und die Linke verfügen ab sofort über eine Sperrminorität, sie können Beschlüsse verhindern, für die es wie bei Grundgesetzänderungen eine Zwei-Drittel-Mehrheit braucht. Die Multimilliarden-Schuldenpakete haben Union, SPD und Grüne deswegen noch mit den Mehrheiten des alten Bundestags beschlossen. Damit sind längst nicht alle Probleme erledigt. Die Union hat auf Druck der SPD eingewilligt, bis Jahresende die Schuldenbremse zu reformieren. Auch dafür ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich. Friedrich Merz als vermutlich nächster Kanzler wird dann nicht nur mit den Grünen sprechen müssen, sondern auch mit der Linken", ist sich das HAMBURGER ABENDBLATT sicher.
Die VOLKSSTIMME aus Magdeburg bemerkt zum Vorstoß von Schleswig-Holsteins CDU-Ministerpräsident Günther, punktuell mit den Linken zusammenzuarbeiten: "Für die CDU/CSU ist die Linkspartei weiter das Schmuddelkind der deutschen Einheit, Nachfolgerin der Unrechtspartei SED und irgendwie staatsfeindlich. Das verkennt die reale Entwicklung der vergangenen Jahre, in denen etwa der linke Ministerpräsident Bodo Ramelow in Thüringen einer der beliebtesten – frei gewählten – Länderchefs war. Günthers Ansatz kann dazu dienen, die vielfach gespaltene deutsche Gesellschaft ein Stück weit zu einen. Es ist ein Signal der Union nach links", glaubt die VOLKSSTIMME.
Das FLENSBURGER TAGEBLATT beobachtet: "Wie giftig die Lage schon zum Start in die neue Legislatur ist, zeigte sich bei den Querelen um den Posten des Bundestagspräsidenten. Dass Unionskandidatin Julia Klöckner auch nur in Erwägung gezogen hatte, sich bei der AfD-Fraktion vorzustellen, ließ die Grünen drohen, die Wahl Klöckners nicht mitzutragen; da war von 'Ultimatum' die Rede und einem 'falschen Signal der Normalisierung'. Ist damit der Ton gesetzt? Die Frage, wie mit der auf 152 Abgeordnete angewachsenen AfD-Fraktion umzugehen sei – der zweitgrößten im Bundestag, Oppositionsführerin zudem –, wird die nächsten Jahre wie ein roter Faden durchziehen", erwartet das FLENSBURGER TAGEBLATT.
In der Zusammensetzung des neuen Bundestags zeige sich ein trauriger Trend, betont das HANDELSBLATT: "Immer weniger klassische Unternehmer, also Handwerker, Mittelständler oder Familienunternehmer, sitzen im Parlament. Auch wenn die Anzahl der Abgeordneten heruntergestuft wurde, ist ein neuer Tiefstand erreicht: 37 Unternehmer werden in der neuen Legislaturperiode in Berlin sein. Dem alten Bundestag gehörten 51 Unternehmer an. 2017 belief sich deren Zahl noch auf 78 – mehr als doppelt so viele wie künftig. Diese Entwicklung hat verschiedene Gründe. Ein wichtiger ist, dass mit Wirtschaft und Politik zwei Paralleluniversen aufeinandertreffen", notiert das HANDELSBLATT.
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU gibt zu bedenken: "Auf den neuen Bundestag kommen enorme Aufgaben zu. Das Parlament wird in den nächsten Jahren schwerwiegende Entscheidungen treffen müssen für die Zukunft Deutschlands, den sozialen Ausgleich und den Klimaschutz, die wirtschaftliche Prosperität und die Infrastruktur, die Sicherheit des Landes und seine internationale Rolle. Die wichtigste Herausforderung für den demokratisch gesonnenen Teil der 630 Abgeordneten besteht allerdings darin, das Vertrauen in die Demokratie wieder herzustellen. Es hat gelitten, auch durch den selbstzerstörerischen Arbeitsstil der Ampelkoalition." Soweit die FRANKFURTER RUNDSCHAU und so viel zu diesem Thema.
Die STUTTGARTER NACHRICHTEN gehen ein auf die Anklage der Generalstaatsanwaltschaft München gegen fünf Klimaaktivisten der früheren Gruppe "Letzte Generation": "Es ist ein Unterschied, ob sich Menschen zusammenschließen, um im großen Stil Drogen zu schmuggeln, Zuhälterei zu organisieren – oder um für Klimaschutz zu agieren. Daher ist der Vorwurf überzogen, es handele sich auch bei den Aktivisten um eine kriminelle Vereinigung. Zwar gehört es zum Wesen der Justiz, das Recht weiterzuentwickeln. Das geschieht oft. Dass etwa Raser als Mörder bestraft werden können, gab es vor zehn Jahren noch nicht. Allerdings ist der Staat auch angehalten, bei eben dieser Fortentwicklung des Rechts die Verhältnismäßigkeit im Blick zu behalten. Es spricht also nichts dagegen, die Klimakleber für jede einzelne Tat zu beurteilen und gegebenenfalls zu sanktionieren. Eine strukturelle Gleichsetzung mit Berufsverbrechern ist jedoch übertrieben", meinen die STUTTGARTER NACHRICHTEN.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG stellt fest: "Die Gruppe beruft sich auf höhere Ziele – aber nur zur Erinnerung: Wir leben in einem Rechtsstaat. Es kann keine Rede davon sein, dass Proteste gegen die Klimapolitik kein Gehör fänden. Zahlreiche Möglichkeiten, mehr als je zuvor, stehen jedem Einzelnen zur Verfügung, um seine Haltung einer breiteren Öffentlichkeit mitzuteilen. Straftaten gegen beliebige Bürger können nicht dazu gehören, auch nicht, wenn sie Staatsziele auf dem Banner führen. Damit könnte jede Gruppierung kommen. Die Taten, die gar nicht so 'passiv' und friedlich waren, sprachen keineswegs irgendeiner Mehrheit aus dem Herzen, was sie aber auch nicht gerechtfertigt hätte", argumentiert die F.A.Z.
Nun noch Stimmen zu den andauernden Protesten in der Türkei gegen die Inhaftierung und Absetzung des Istanbuler Bürgermeisters Imamoglu. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG erläutert: "Besucht man dieser Tage die Demos in Istanbul, merkt man, wer sich da erhebt: Junge Menschen, Schüler und Studentinnen, die wenig zu verlieren haben, und daneben solche, deren Milieus der Präsident über die Jahre aus dem öffentlichen Sektor vertrieben hat. Außerdem ist da die Mittelschicht, die angesichts der Hyperinflation einen enormen Wohlstandsverlust erlitten hat. Es sind die, die an einen starken Staat immer geglaubt haben. Und da ist die oppositionelle CHP, die Partei Atatürks, die lange Jahre an formeller Parlamentsarbeit festhielt, an den eingeübten demokratischen Verfahren. Das ändert sich gerade. Denn viele Millionen sehen Erdogan nicht mehr als legitimen Staatschef, sondern als Machthaber, letztlich als Putschisten – wie die CHP es sagt. In der Türkei, die so viele Putsche erlebt hat, ist dies der ultimative Vorwurf. Die CHP-Spitze glaubt nicht mehr an Opposition im Parlament, nur noch an Widerstand auf der Straße", analysiert die SÜDDEUTSCHE.
Die BADISCHEN NEUESTEN NACHRICHTEN aus Karlsruhe bewerten den internationalen Umgang mit dem türkischen Präsidenten: "Das Kalkül aus Brüssel, Berlin oder auch Paris lautet in dieser unsicheren Weltlage: diesen impulsiven, aber wichtigen Machthaber bloß nicht provozieren. Diese Zurückhaltung wird sich aber rächen. Erdogan wird dadurch nicht besänftigt oder gar motiviert, Deutschland oder die EU als Partner zu sehen. Er deutet die derzeitigen Reaktionen vielmehr als Schwäche."
Die AUGSBURGER ALLGEMEINE wirft ein: "Der Hoffnungsträger, der Erdogan einmal war – man kann sich kaum noch daran erinnern – hat sich auf alle Zeit in Luft aufgelöst. Allein: Es wird ihn nicht schmerzen. So viele Krisen hat er schon überstanden, so viele Proteste niedergeschlagen, am Ende ging er stets als Sieger hervor. Verehrt von seinen Anhängern, gebraucht vom Ausland. Heute gibt es für den 71-Jährigen nur noch ein Ziel: Er will sich noch einmal zum Präsidenten küren lassen. Dass er verlieren könnte, ist keine Option."