Gerwald Herter: Die seligen Zeiten, da die CSU den politischen Aschermittwoch ganz für sich beanspruchen konnte, sie sind längst vorbei. Doch kann sie immerhin beanspruchen, den Aschermittwoch zur politischen Marke gemacht zu haben. Normalerweise ist die Opposition das CSU-Hauptangriffsziel. Diesmal könnte das anders sein, weil sich die schwarz-gelbe Koalition seit Monaten streitet. Nicht allzu weit entfernt, in Vilshofen tritt der FDP-Chef Guido Westerwelle auf. Was sollen wir nun davon halten? Müssen wir uns an den Dauerkrach in der schwarz-gelben Koalition gewöhnen? – Das will ich jetzt vom Politologen, Wahl- und Parteienforscher Professor Jürgen Falter erfahren. Mit ihm bin ich nun verbunden. Guten Tag, Herr Falter.
Jürgen Falter: Guten Tag!
Herter: Herr Falter, CSU und FDP sind wohl grundverschiedene Parteien. Eines aber scheint sie zu vereinen: die Furcht, in der Koalition mit der CDU unterzugehen. Erklären Sie sich so die verbalen Profilierungsversuche der letzten Tage und des heutigen Tages?
Falter: Ja, das hat natürlich etwas mit den Umfragewerten zu tun. Das hat aber auch etwas zu tun mit der Tatsache, dass der Koalitionsvertrag in weiten Passagen so unbestimmt formuliert ist, dass jeder das rauslesen kann, was er gerne möchte, und dann kommt es natürlich dazu, dass eine so unterschiedlich aufgestellte Partei wie die CSU die FDP hart kritisiert und umgekehrt, und das ist das Bild, das wir im Augenblick von der Koalition haben. Wenn das nicht irgendwann aufhört, dann wird das natürlich zu Lasten der Koalition gehen, dann braucht sie eigentlich kaum noch bei nächsten Wahlen anzutreten, denn dann wird die CDU vielleicht einigermaßen abschneiden, aber CSU und FDP werden darunter leiden.
Herter: Sind wir nicht schon an dem Punkt? Die Umfragewerte für die FDP zum Beispiel sinken und das Bild, das die Koalition abgibt, ist auch nach eigenem Urteil, also nach dem Urteil der Beteiligten, desaströs.
Falter: Ja, das ist in der Tat der Fall. Allerdings Guido Westerwelle versucht, eine Gegenstrategie zu fahren, die im Augenblick auch nach allem, was man sehen kann, zumindest teilweise erfolgreich ist. Er versucht, sehr dezidiert FDP-Positionen fast in Wahlkampfart wieder in die Öffentlichkeit zu bringen, und er hat es hingekriegt, dass man am heutigen Tage sehr stark über ihn, über seine Positionen auch diskutiert. Wenn man sich Horst Seehofer angeschaut hat, der hat die CSU-Vorstellung von sozialer Solidarität, von Sozialstaat sehr intensiv abgearbeitet, und Westerwelle hat es umgekehrt getan und die anderen reiben sich an ihm zumindest mit persönlichen Attacken. Das heißt also, ich glaube, seine Strategie könnte sogar aufgehen.
Herter: Wo bleibt Bundeskanzlerin Angela Merkel? Auch sie wird heute sprechen, wenn auch im Norden Deutschlands.
Falter: Die schaut sicherlich nicht sehr amüsiert zu, aber wie es ihre Art ist, versucht sie, aus dem Hintergrund heraus das ganze zu beeinflussen, und es ist ja auch wahnsinnig schwer, dass eine Koalition, die aus drei Parteien besteht – und die CSU ist eine eigenständige Partei, das muss man den Nordlichtern immer wieder sagen -, natürlich nicht so einfach zu regieren ist, dass man da nicht einfach mit Machtworten argumentieren kann, sondern man muss versuchen, Absprachen zu treffen. Die hatte man getroffen, die sind nur vielfach wieder gebrochen worden.
Herter: Die CSU hat es in einem einfacher: sie tritt nur in einem Bundesland an, Bayern, im Freistaat Bayern. Die FDP muss um ihre Umfragewerte in allen möglichen Bundesländern bangen und stellt sich in Nordrhein-Westfalen zur Wahl. Was heißt das für die Strategie dieser beiden Parteien?
Falter: Die CSU versucht, sich sozusagen nach wie vor in eins zu setzen mit den bayerischen Interessen, zu argumentieren, dass Bayern es eigentlich nur mit ihr gut gehen könne, dass sie die bayerische Staatspartei sei, auch wenn sie längst die Mehrheit verloren hat, aber sie hofft eben, dass sie sie wieder zurückgewinnen kann. Das hat man auch sehr stark in der Rede von Seehofer heute gemerkt. Dieser Versuch der Identifikation von CSU und Bayern, der CSU-Interessen, der bayerischen Interessen, das erinnert fast ein bisschen an General Motors in früheren Jahren, was gut ist für General Motors, ist gut für die USA. Inzwischen wissen wir, es ist das Gegenteil wahr. Bei der FDP ist es in der Tat anders. Die FDP muss bundesweit agieren und sie hat durchaus regional unterschiedliche Klientele. Das ist gar nicht so einfach. Der Gedanke, mit dem sie versucht, ihre Wähler zusammenzuhalten, ist der der Leistungsgerechtigkeit, auch der Generationengerechtigkeit. Das taucht auch bei der FDP in der Zwischenzeit wieder auf. Und man hat eine andere Sozialstaatsvorstellung. Es ist nicht so, dass man keine hat, es ist eine andere.
Herter: Man merkt, dass FDP-Chef Westerwelle kämpft. Ist es so, dass auch Kritik aus den eigenen Reihen ihm sehr viel ausmacht? Es sind ja Risse deutlich geworden in der Partei, er steht nicht nur gegen die Opposition, er steht auch gegen bestimmte Politiker in der eigenen Partei. Kann man ihm das anmerken?
Falter: Man hat es ihm heute nicht angemerkt, aber man hat es ihm angemerkt an Äußerungen in den letzten Tagen. Nun hat die FDP, hat auch Guido Westerwelle ein Problem. Die FDP wirkt nach außen sehr häufig wie eine Ein-Mann-Partei und da ist das Problem dasjenige, dass Guido Westerwelle ein Generalist ist, aber natürlich nicht auf jedem einzelnen Gebiet gleichermaßen kompetent wirken kann. Und es ist ein zweites Problem: wenn Guido Westerwelle angeschlagen ist, dann ist damit auch die FDP angeschlagen. Sie war, glaube ich, in früheren Jahren dann doch besser aufgestellt, als eben neben Genscher ein Lambsdorff da existierte, als ein Gerhart Baum auftrat, die jeweils unterschiedliche Kompetenzgebiete für sich beansprucht haben und die FDP relativ glaubwürdig vertreten haben. Das ist, glaube ich, im Augenblick das Hauptproblem, vor dem die FDP innerparteilich steht und wo sie wahrscheinlich einen Weg finden muss auf Dauer, damit sie aus diesem Dilemma rauskommt.
Herter: Der Vorgänger von Westerwelle, Steinmeier, hat sich im Amt des Außenministers parteipolitisch zurückgehalten. FDP-Chef Westerwelle macht das nun nicht gerade. Glauben Sie, das kann gelingen?
Falter: Da ist eine gewisse Diskrepanz drin, die Diskrepanz zwischen, sagen wir mal, den Regeln der Diplomatie, den Imperativen des zurückhaltenden Auftretens. Das gilt ja nicht nur auf der internationalen Bühne, das gilt dann auch auf der deutschen Bühne. Guido Westerwelle ist aber gleichzeitig Parteivorsitzender; das war Frank-Walter Steinmeier damals nicht. Insofern hat Guido Westerwelle eine Doppelrolle zu spielen, die Steinmeier nicht spielen musste. Deswegen ist, glaube ich, Guido Westerwelles Position die schwierigere. Er kann nicht auf das eine verzichten, vollkommen zu Gunsten des anderen; dann wäre er kein guter Parteivorsitzender. Das ist vielleicht das Hauptproblem.
Herter: Lassen Sie uns zum Schluss noch auf die Opposition blicken. Gelingt es ihr, die Querelen in der Koalition zu nutzen?
Falter: Sagen wir mal, verbal, polemisch gelingt es der Opposition ganz ausgezeichnet. In den Umfragen gelingt es bestenfalls den Grünen, aber die SPD hat sich noch nicht wieder aufgerappelt. Die SPD ist in den Augen eben vieler Wähler immer noch auf der Suche nach dem richtigen Weg, irgendwo zwischen Skylla und Karyptis, zwischen, sagen wir mal, der Wende nach links einerseits oder der Wende mehr zur Mitte hin. Da ist sich die SPD nicht einig, das merken die Wähler und Sigmar Gabriel muss erst noch Tritt fassen in dieser Hinsicht. Das wird sicherlich noch Wochen und Monate dauern.
Herter: Professor Jürgen Falter im Gespräch mit dem Deutschlandfunk über alte Rituale und neue Sprüche beim politischen Aschermittwoch. Herr Falter, vielen Dank.
Falter: Bitte sehr!
Jürgen Falter: Guten Tag!
Herter: Herr Falter, CSU und FDP sind wohl grundverschiedene Parteien. Eines aber scheint sie zu vereinen: die Furcht, in der Koalition mit der CDU unterzugehen. Erklären Sie sich so die verbalen Profilierungsversuche der letzten Tage und des heutigen Tages?
Falter: Ja, das hat natürlich etwas mit den Umfragewerten zu tun. Das hat aber auch etwas zu tun mit der Tatsache, dass der Koalitionsvertrag in weiten Passagen so unbestimmt formuliert ist, dass jeder das rauslesen kann, was er gerne möchte, und dann kommt es natürlich dazu, dass eine so unterschiedlich aufgestellte Partei wie die CSU die FDP hart kritisiert und umgekehrt, und das ist das Bild, das wir im Augenblick von der Koalition haben. Wenn das nicht irgendwann aufhört, dann wird das natürlich zu Lasten der Koalition gehen, dann braucht sie eigentlich kaum noch bei nächsten Wahlen anzutreten, denn dann wird die CDU vielleicht einigermaßen abschneiden, aber CSU und FDP werden darunter leiden.
Herter: Sind wir nicht schon an dem Punkt? Die Umfragewerte für die FDP zum Beispiel sinken und das Bild, das die Koalition abgibt, ist auch nach eigenem Urteil, also nach dem Urteil der Beteiligten, desaströs.
Falter: Ja, das ist in der Tat der Fall. Allerdings Guido Westerwelle versucht, eine Gegenstrategie zu fahren, die im Augenblick auch nach allem, was man sehen kann, zumindest teilweise erfolgreich ist. Er versucht, sehr dezidiert FDP-Positionen fast in Wahlkampfart wieder in die Öffentlichkeit zu bringen, und er hat es hingekriegt, dass man am heutigen Tage sehr stark über ihn, über seine Positionen auch diskutiert. Wenn man sich Horst Seehofer angeschaut hat, der hat die CSU-Vorstellung von sozialer Solidarität, von Sozialstaat sehr intensiv abgearbeitet, und Westerwelle hat es umgekehrt getan und die anderen reiben sich an ihm zumindest mit persönlichen Attacken. Das heißt also, ich glaube, seine Strategie könnte sogar aufgehen.
Herter: Wo bleibt Bundeskanzlerin Angela Merkel? Auch sie wird heute sprechen, wenn auch im Norden Deutschlands.
Falter: Die schaut sicherlich nicht sehr amüsiert zu, aber wie es ihre Art ist, versucht sie, aus dem Hintergrund heraus das ganze zu beeinflussen, und es ist ja auch wahnsinnig schwer, dass eine Koalition, die aus drei Parteien besteht – und die CSU ist eine eigenständige Partei, das muss man den Nordlichtern immer wieder sagen -, natürlich nicht so einfach zu regieren ist, dass man da nicht einfach mit Machtworten argumentieren kann, sondern man muss versuchen, Absprachen zu treffen. Die hatte man getroffen, die sind nur vielfach wieder gebrochen worden.
Herter: Die CSU hat es in einem einfacher: sie tritt nur in einem Bundesland an, Bayern, im Freistaat Bayern. Die FDP muss um ihre Umfragewerte in allen möglichen Bundesländern bangen und stellt sich in Nordrhein-Westfalen zur Wahl. Was heißt das für die Strategie dieser beiden Parteien?
Falter: Die CSU versucht, sich sozusagen nach wie vor in eins zu setzen mit den bayerischen Interessen, zu argumentieren, dass Bayern es eigentlich nur mit ihr gut gehen könne, dass sie die bayerische Staatspartei sei, auch wenn sie längst die Mehrheit verloren hat, aber sie hofft eben, dass sie sie wieder zurückgewinnen kann. Das hat man auch sehr stark in der Rede von Seehofer heute gemerkt. Dieser Versuch der Identifikation von CSU und Bayern, der CSU-Interessen, der bayerischen Interessen, das erinnert fast ein bisschen an General Motors in früheren Jahren, was gut ist für General Motors, ist gut für die USA. Inzwischen wissen wir, es ist das Gegenteil wahr. Bei der FDP ist es in der Tat anders. Die FDP muss bundesweit agieren und sie hat durchaus regional unterschiedliche Klientele. Das ist gar nicht so einfach. Der Gedanke, mit dem sie versucht, ihre Wähler zusammenzuhalten, ist der der Leistungsgerechtigkeit, auch der Generationengerechtigkeit. Das taucht auch bei der FDP in der Zwischenzeit wieder auf. Und man hat eine andere Sozialstaatsvorstellung. Es ist nicht so, dass man keine hat, es ist eine andere.
Herter: Man merkt, dass FDP-Chef Westerwelle kämpft. Ist es so, dass auch Kritik aus den eigenen Reihen ihm sehr viel ausmacht? Es sind ja Risse deutlich geworden in der Partei, er steht nicht nur gegen die Opposition, er steht auch gegen bestimmte Politiker in der eigenen Partei. Kann man ihm das anmerken?
Falter: Man hat es ihm heute nicht angemerkt, aber man hat es ihm angemerkt an Äußerungen in den letzten Tagen. Nun hat die FDP, hat auch Guido Westerwelle ein Problem. Die FDP wirkt nach außen sehr häufig wie eine Ein-Mann-Partei und da ist das Problem dasjenige, dass Guido Westerwelle ein Generalist ist, aber natürlich nicht auf jedem einzelnen Gebiet gleichermaßen kompetent wirken kann. Und es ist ein zweites Problem: wenn Guido Westerwelle angeschlagen ist, dann ist damit auch die FDP angeschlagen. Sie war, glaube ich, in früheren Jahren dann doch besser aufgestellt, als eben neben Genscher ein Lambsdorff da existierte, als ein Gerhart Baum auftrat, die jeweils unterschiedliche Kompetenzgebiete für sich beansprucht haben und die FDP relativ glaubwürdig vertreten haben. Das ist, glaube ich, im Augenblick das Hauptproblem, vor dem die FDP innerparteilich steht und wo sie wahrscheinlich einen Weg finden muss auf Dauer, damit sie aus diesem Dilemma rauskommt.
Herter: Der Vorgänger von Westerwelle, Steinmeier, hat sich im Amt des Außenministers parteipolitisch zurückgehalten. FDP-Chef Westerwelle macht das nun nicht gerade. Glauben Sie, das kann gelingen?
Falter: Da ist eine gewisse Diskrepanz drin, die Diskrepanz zwischen, sagen wir mal, den Regeln der Diplomatie, den Imperativen des zurückhaltenden Auftretens. Das gilt ja nicht nur auf der internationalen Bühne, das gilt dann auch auf der deutschen Bühne. Guido Westerwelle ist aber gleichzeitig Parteivorsitzender; das war Frank-Walter Steinmeier damals nicht. Insofern hat Guido Westerwelle eine Doppelrolle zu spielen, die Steinmeier nicht spielen musste. Deswegen ist, glaube ich, Guido Westerwelles Position die schwierigere. Er kann nicht auf das eine verzichten, vollkommen zu Gunsten des anderen; dann wäre er kein guter Parteivorsitzender. Das ist vielleicht das Hauptproblem.
Herter: Lassen Sie uns zum Schluss noch auf die Opposition blicken. Gelingt es ihr, die Querelen in der Koalition zu nutzen?
Falter: Sagen wir mal, verbal, polemisch gelingt es der Opposition ganz ausgezeichnet. In den Umfragen gelingt es bestenfalls den Grünen, aber die SPD hat sich noch nicht wieder aufgerappelt. Die SPD ist in den Augen eben vieler Wähler immer noch auf der Suche nach dem richtigen Weg, irgendwo zwischen Skylla und Karyptis, zwischen, sagen wir mal, der Wende nach links einerseits oder der Wende mehr zur Mitte hin. Da ist sich die SPD nicht einig, das merken die Wähler und Sigmar Gabriel muss erst noch Tritt fassen in dieser Hinsicht. Das wird sicherlich noch Wochen und Monate dauern.
Herter: Professor Jürgen Falter im Gespräch mit dem Deutschlandfunk über alte Rituale und neue Sprüche beim politischen Aschermittwoch. Herr Falter, vielen Dank.
Falter: Bitte sehr!