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Die Rätsel und Botschaften in "Shining"

Stanley Kubrick wird zu den besten Regisseuren der Filmgeschichte gezählt. Zu seinen bekanntesten Werken zählt der Horrorfilm "Shining" mit Jack Nicholson in der Hauptrolle. Zu Letzterem hat der Amerikaner Rodney Ascher diverse Interpretationen für seine Dokumentation "Room 237" zusammengetragen.

Von Jörg Albrecht |
    Und wer schon immer Zweifel daran gehabt hat, dass die Amerikaner 1969 auf dem Mond gelandet sind, sollte sich "Room 237" erst recht ansehen.

    "Room 237" ist eine aufregende Dokumentation. "Room 237" fordert Neugierde ein, Aufmerksamkeit und Spürsinn. Ein Muss für jeden Cineasten. Denn diese Doku wirft ein neues Licht auf Stanley Kubricks Filmversion von Stephen Kings "Shining", diesem Meilenstein der Filmgeschichte.

    In der Einsamkeit eines abgelegenen Berghotels spielt sich ein schreckliches Familiendrama ab. Wer "Shining" gesehen hat, wird viele Bilder nicht vergessen haben – wie zum Beispiel die Szene, in der das Blut aus den verschlossenen Fahrstuhltüren quillt und die Gänge überflutet. Aber Kubrick hat nicht nur diese Schockbilder inszeniert. Er hat auch viele kleine Details in "Shining" platziert, die – sofern man sie entdeckt – verwirren und verstören. Denn Kubrick wusste genau: Bilder haben die Macht zu manipulieren. Wie subtil er das zu nutzen wusste, wollen fünf Kubrick-Experten beweisen in der Dokumentation "Room 237". Sie haben sich "Shining" unzählige Male und Bild für Bild angesehen. Ihr Fazit: Es sei ein Meisterwerk. Aber aus anderen Gründen, als die meisten denken. "Shining" sei nur auf den ersten Blick ein Horrorfilm nach einem Bestseller. Es gelte, den Subtext zu erfassen. Das Bild hinter dem Bild. Das kann eine Dose Backpulver sein. Denn die steht möglicherweise gar nicht so zufällig auf dem Regal, wie es den Anschein macht.

    "... Er habe damals zu seinen Freunden gesagt: ´Der Film handelt vom Genozid an den Indianern.´ Woraufhin sie fragten: ´Wovon redest du?´"

    Ja, wovon reden diese Kubrick-Experten eigentlich? Sie reden von ausgeklügelten Rätseln und verborgenen Botschaften in "Shining". Wir erfahren, dass das Hotel, in dem fast der komplette Film spielt, über einer indianischen Grabstätte errichtet worden ist. Und auch der Name des Hotels in den Bergen von Colorado könnte kaum besser gewählt sein: Das Overlook Hotel bietet zwar eine gute Aussicht, ist aber nach dieser Interpretation ein Ort der nicht bemerkten, der übersehenen Dinge. So lässt sich die gewaltige Blutfontäne, die in Zeitlupe aus dem Aufzug schießt, wie folgt erklären:

    "Der Fahrstuhlschacht, so die Vermutung, fährt in die Leichname der Indianer. Daher komme das Blut. Es sei buchstäblich das Blut der Indianer."

    "Shining" – also im Kern ein Film über das Leid der Ureinwohner Amerikas? Oder reflektiert Kubrick hier einen ganz anderen Völkermord? Gleich zwei Indizien untermauern diese Theorie. Da ist zum einen die Schreibmaschine, die Kubrick in der Hotel-Lobby platziert hat: ein deutscher Adler. Und da ist zum anderen die Zahl 42, die sich durch den ganzen Film zieht.

    "Für einen Historiker symbolisiere eine deutsche Schreibmaschine gepaart mit der Zahl 42 den Holocaust. Denn es war im Jahr 1942, als die Nazis beschlossen, so viele Juden wie möglich zu vernichten. Die Zahl 42 und die Schreibmaschine zusammen – das sei der Ausgangspunkt gewesen, den Film historisch zu interpretieren."

    "Shining" sei Kubricks Weg gewesen, den Holocaust in einem Spielfilm indirekt zu thematisieren. Nur so sei es ihm möglich gewesen, das Grauen in seinen historisch einzigartigen Ausmaßen zu zeigen, sagt ein zweiter Kubrick-Experte.


    Ausschnitt aus "Shining":
    "" "Ich bin ganz durcheinander.""

    Aber was wäre eine solche Dechiffrierung ohne die dazugehörigen Bilder aus "Shining"? Während die Kubrick-Experten ihre Erkenntnisse und Entdeckungen ausbreiten, liefert Rodney Ascher in seiner Doku die entsprechenden Szenen aus "Shining" mit.

    Und so wird "Room 237" zu einer großartigen Collage. Das alles ist akademisch im besten Sinne. Mal erhellend, mal versponnen, immer aber faszinierend, sodass man 100 Minuten lang nicht aus dem Staunen herauskommt. Geht es doch um nichts anderes als um die Kunst des Sehens.