"Confidences à Allah" - der französische Originaltitel von Saphia Azzeddines Romandebüt meint so viel wie: Allah sein Herz ausschütten. Dieser Titel hält alles in der Schwebe. Der Titel der deutschen Übersetzung "Zorngebete" ist dagegen zumindest missverständlich. Denn er suggeriert eine politische Dimension, die der Roman gar nicht hat.
"Das ist ein Buch, das vom Glauben erzählt, bevor es von der Religion spricht. […] Meine Erzählerin kann gar nicht anders als gläubig sein. Sie ist da seit ihrer Geburt hineingewachsen. Sie glaubt - auch wenn der Islam, den sie von ihrem Vater eingetrichtert bekommen hat, vollkommen fortschrittsfeindlich ist. Manche haben einen guten Stern, wie man so schön sagt. Sie ist gläubig. […] Gott hilft ihr dabei durchzuhalten."
Jbara, die Erzählerin, betrachtet die Lebensumstände im marokkanischen Hinterland ohne jede Rücksicht. Schon als 16-Jährige nimmt sie kein Blatt vor den Mund. Ihr Kaff "am Arsch der Welt", sagt sie, sei der Tod. Weshalb sie auch hofft, dass Allah nicht sieht, was sie so treibt. Denn ihr einziges Glück ist der köstliche Granatapfeljoghurt. Und den bekommt sie nur, wenn sie den Hirten Miloud an sich ranlässt. Immer wieder wendet sich Jbara dabei direkt an den Leser.
Sie brauchen gar nicht "bäh!" zu sagen. Ich werde keine Poesie hineinlegen, wo keine ist. Ich habe Ihnen ja gesagt, dass ich arm bin. Das Elend stinkt nach Arsch. Und Milouds Arsch hat nie Wasser gesehen.
Und solche schlagfertigen Bemerkungen gibt es reihenweise. Hier noch ein Beispiel:
Es wird gevögelt, was das Zeug hält bei den Armen, weil das gratis ist.
"So ist mein Humor schon immer gewesen: ohne Beschränkung. Er soll ja zum Lachen bringen. Mein bevorzugter Humor ist schwarz - im Sinne des fantastischen, bereits verstorbenen Humoristen Pierre Desproges. Er sagte: Wenn einer auf der Straße hinfällt, ist das lustig. Wenn einer hinfällt und sich wehtut, ist das noch lustiger. In diese Richtung geht auch mein Humor."
Auch Allah bekommt bei Jbaras regelmäßigen Zwiegesprächen natürlich sein Fett weg. Schließlich lässt er ja unendlich viel Schlechtes zu. Zum Beispiel, dass die 16-Jährige schwanger und prompt von ihrem Vater verstoßen wird. Schonungslos rückt Saphia Azzeddine die nackten Realitäten marokkanischer Frauen in den Blick. Das allerdings hindert sie nicht daran, auch auf Märchenelemente zurückzugreifen. So fällt ihrer Erzählerin in der Not ein amerikanischer Touristenkoffer vom Dach eines vorbeifahrenden Busses direkt vor die Füße: mit ein wenig Geld und erotischer Unterwäsche. Ein Zeichen des Himmels. Denn als Analphabetin bleibt ihr ohne Schutz der Familie ohnehin nur die Prostitution zum Überleben. Nur sie öffnet Türen: zunächst zu einem Putzjob im Restaurant, dann zum Aufstieg als Haushälterin bei reichen Leuten. Für Illusionen bleibt aber auch dort kein Raum. Denn mit einem "Nichts" darf der Sohn des Hauses umspringen, wie er will.
"Ich habe [in puncto Stil] absolut gar nichts gesucht. Das Buch wollte einfach raus aus mir. Ganz schnell. Ich wusste vorher nicht einmal, dass ich es schreiben würde. Zu der Zeit war mir einfach nicht klar, wohin mein Weg geht. Wenn ich es jetzt aus der Distanz wieder lese, fallen mir natürlich die kurzen Sätze auf. Ich habe das mit Wut geschrieben. Ich wusste nicht mal, ob ich es wagen würde, den Text einem Verleger anzubieten. Ich habe mich einfach nur in die Haut von Jbara versetzt, meiner Heldin, mich an ihre Stelle begeben – ohne mir Gedanken über den Stil zu machen. Dazu kann ich Ihnen gar nichts sagen. "
Zupackend und pointiert, rasant und deftig ist Saphia Azzeddines Roman-Prosa. Dass ihre Heldin in der marokkanischen Männergesellschaft wiederholt vom Glauben abfällt, verwundert dabei nicht. Mal ist sie der letzte Dreck, mal ein Spielball ihrer Freier. Trotzdem kommt Jbara immer wieder auf Allah zurück. Denn Allah ist der einzige, der ihr wirklich zuhört, der einzige auch – so will es die Ironie -, der ihr nicht widerspricht. Läuft es schlecht, beschwert sie sich bei ihm wutentbrannt über das erlittene Unrecht. Passiert etwas für sie Gutes, ist sie dagegen erst einmal verwirrt, weil Allah doch Macht zu haben scheint. So folgen wir ihrem tragikomischen Aufstieg zur Edelprostituierten. Saphia Azzeddine zeigt die Männerwelt in all ihrer Brutalität. Aber nicht alle Männer sind Schweine.
"Es gibt in meiner Geschichte Männer, die vergewaltigen, die schlagen. Es gibt einen dämlichen Vater und einen noch dämlicheren Fkih, [eine Art Imam]. Es gibt Drecksäcke, die für Sex-Tourismus anreisen. Es gibt all das. Aber es gibt eben auch Männer, die Jbara ihre Hand reichen – auch wenn sie die in ihrer Zeit als Prostituierter nicht immer ergreift. Sie begegnet immerhin einem Mann, der sie heiraten möchte, einem sehr einfachen Mann. Und sie trifft einen, der ihr Lesen und Schreiben beibringt. Es gibt auch Retter, wird man sagen. "
Ins Arabische ist Saphia Azzeddines Roman "Zorngebete" noch nicht übersetzt. Das französischen Original ist in Marokko aber frei verkäuflich. Das verwundert – denkt man nur an die Passage, als einer von Jbaras Freiern, ein Scheich, für einen Extralohn auf sie urinieren möchte.
"Es gibt nur eine Zensur in der muslimischen Welt: bei Blasphemien gegen Gott und den Propheten Mohammed. In meinem Buch gibt es aber keine einzige Gotteslästerung. Einige konservative Zeitungen haben das hervor gehoben. Die derbe Wortwahl missfiel ihnen natürlich. Aber da kann ich nichts dafür. Das ist meine Art zu schreiben. Auch das Vaterbild hat sie entrüstet. Aber es gab nichts Gotteslästerliches zu finden. Mir liegt sehr daran, Debatten zu provozieren, aber nichts daran zu verletzen. Es interessiert mich nicht, auf Allah oder den Propheten einzudreschen. Mich interessiert, die Gesellschaft, das heißt Männer und Frauen, auf das Schicksal der jungen Frauen - in diesem Fall Marokkos - hinzuweisen. Und dabei habe ich natürlich das Wahnsinnsglück gehabt, dass die bornierten Integristen so ungebildet sind. Sie waren nicht in der Lage, mein Buch zu lesen. Das ist perfekt."
Immer wieder schlägt Saphia Azzeddine in ihrem Debütroman "Zorngebete" tragikomische Töne an. So auch, als ihre Erzählerin nach etlichen Geldbotschaften endlich wieder zurück ins Dorf ihrer Eltern reisen darf. Der Konsum- und Fernsehrausch hat dort mittlerweile auch die Strenggläubigen erfasst, allen voran ihren Vater. Doch fällt Saphia Azzeddine keine moralischen Urteile. Sie belässt es bei der ungeschminkt-illusionslosen Beschreibung. Ganz nebenbei unterläuft sie so auch Klischee-Erwartungen, die in den Medien der westlichen Welt längst allgegenwärtig sind: gerade im Roman-Finale, als Jbara zur dritten Ehefrau eines Imams wird. Auch da gibt es, dank Saphia Azzeddines schlagkräftigem Humor, einiges zu lachen – bis hin zu der Tatsache, dass Frauen ihre aufgezwungene Verschleierung manchmal auch genießen können: um endlich einmal Ruhe vor dem selbstherrlichen Hengstgebaren der Männer zu haben.
Saphia Azzeddine: Zorngebete. Roman. Aus dem Französischen von Sabine Heymann. Wagenbach Verlag, Berlin 2013. 121 Seiten, 16, 90 Euro.
"Das ist ein Buch, das vom Glauben erzählt, bevor es von der Religion spricht. […] Meine Erzählerin kann gar nicht anders als gläubig sein. Sie ist da seit ihrer Geburt hineingewachsen. Sie glaubt - auch wenn der Islam, den sie von ihrem Vater eingetrichtert bekommen hat, vollkommen fortschrittsfeindlich ist. Manche haben einen guten Stern, wie man so schön sagt. Sie ist gläubig. […] Gott hilft ihr dabei durchzuhalten."
Jbara, die Erzählerin, betrachtet die Lebensumstände im marokkanischen Hinterland ohne jede Rücksicht. Schon als 16-Jährige nimmt sie kein Blatt vor den Mund. Ihr Kaff "am Arsch der Welt", sagt sie, sei der Tod. Weshalb sie auch hofft, dass Allah nicht sieht, was sie so treibt. Denn ihr einziges Glück ist der köstliche Granatapfeljoghurt. Und den bekommt sie nur, wenn sie den Hirten Miloud an sich ranlässt. Immer wieder wendet sich Jbara dabei direkt an den Leser.
Sie brauchen gar nicht "bäh!" zu sagen. Ich werde keine Poesie hineinlegen, wo keine ist. Ich habe Ihnen ja gesagt, dass ich arm bin. Das Elend stinkt nach Arsch. Und Milouds Arsch hat nie Wasser gesehen.
Und solche schlagfertigen Bemerkungen gibt es reihenweise. Hier noch ein Beispiel:
Es wird gevögelt, was das Zeug hält bei den Armen, weil das gratis ist.
"So ist mein Humor schon immer gewesen: ohne Beschränkung. Er soll ja zum Lachen bringen. Mein bevorzugter Humor ist schwarz - im Sinne des fantastischen, bereits verstorbenen Humoristen Pierre Desproges. Er sagte: Wenn einer auf der Straße hinfällt, ist das lustig. Wenn einer hinfällt und sich wehtut, ist das noch lustiger. In diese Richtung geht auch mein Humor."
Auch Allah bekommt bei Jbaras regelmäßigen Zwiegesprächen natürlich sein Fett weg. Schließlich lässt er ja unendlich viel Schlechtes zu. Zum Beispiel, dass die 16-Jährige schwanger und prompt von ihrem Vater verstoßen wird. Schonungslos rückt Saphia Azzeddine die nackten Realitäten marokkanischer Frauen in den Blick. Das allerdings hindert sie nicht daran, auch auf Märchenelemente zurückzugreifen. So fällt ihrer Erzählerin in der Not ein amerikanischer Touristenkoffer vom Dach eines vorbeifahrenden Busses direkt vor die Füße: mit ein wenig Geld und erotischer Unterwäsche. Ein Zeichen des Himmels. Denn als Analphabetin bleibt ihr ohne Schutz der Familie ohnehin nur die Prostitution zum Überleben. Nur sie öffnet Türen: zunächst zu einem Putzjob im Restaurant, dann zum Aufstieg als Haushälterin bei reichen Leuten. Für Illusionen bleibt aber auch dort kein Raum. Denn mit einem "Nichts" darf der Sohn des Hauses umspringen, wie er will.
"Ich habe [in puncto Stil] absolut gar nichts gesucht. Das Buch wollte einfach raus aus mir. Ganz schnell. Ich wusste vorher nicht einmal, dass ich es schreiben würde. Zu der Zeit war mir einfach nicht klar, wohin mein Weg geht. Wenn ich es jetzt aus der Distanz wieder lese, fallen mir natürlich die kurzen Sätze auf. Ich habe das mit Wut geschrieben. Ich wusste nicht mal, ob ich es wagen würde, den Text einem Verleger anzubieten. Ich habe mich einfach nur in die Haut von Jbara versetzt, meiner Heldin, mich an ihre Stelle begeben – ohne mir Gedanken über den Stil zu machen. Dazu kann ich Ihnen gar nichts sagen. "
Zupackend und pointiert, rasant und deftig ist Saphia Azzeddines Roman-Prosa. Dass ihre Heldin in der marokkanischen Männergesellschaft wiederholt vom Glauben abfällt, verwundert dabei nicht. Mal ist sie der letzte Dreck, mal ein Spielball ihrer Freier. Trotzdem kommt Jbara immer wieder auf Allah zurück. Denn Allah ist der einzige, der ihr wirklich zuhört, der einzige auch – so will es die Ironie -, der ihr nicht widerspricht. Läuft es schlecht, beschwert sie sich bei ihm wutentbrannt über das erlittene Unrecht. Passiert etwas für sie Gutes, ist sie dagegen erst einmal verwirrt, weil Allah doch Macht zu haben scheint. So folgen wir ihrem tragikomischen Aufstieg zur Edelprostituierten. Saphia Azzeddine zeigt die Männerwelt in all ihrer Brutalität. Aber nicht alle Männer sind Schweine.
"Es gibt in meiner Geschichte Männer, die vergewaltigen, die schlagen. Es gibt einen dämlichen Vater und einen noch dämlicheren Fkih, [eine Art Imam]. Es gibt Drecksäcke, die für Sex-Tourismus anreisen. Es gibt all das. Aber es gibt eben auch Männer, die Jbara ihre Hand reichen – auch wenn sie die in ihrer Zeit als Prostituierter nicht immer ergreift. Sie begegnet immerhin einem Mann, der sie heiraten möchte, einem sehr einfachen Mann. Und sie trifft einen, der ihr Lesen und Schreiben beibringt. Es gibt auch Retter, wird man sagen. "
Ins Arabische ist Saphia Azzeddines Roman "Zorngebete" noch nicht übersetzt. Das französischen Original ist in Marokko aber frei verkäuflich. Das verwundert – denkt man nur an die Passage, als einer von Jbaras Freiern, ein Scheich, für einen Extralohn auf sie urinieren möchte.
"Es gibt nur eine Zensur in der muslimischen Welt: bei Blasphemien gegen Gott und den Propheten Mohammed. In meinem Buch gibt es aber keine einzige Gotteslästerung. Einige konservative Zeitungen haben das hervor gehoben. Die derbe Wortwahl missfiel ihnen natürlich. Aber da kann ich nichts dafür. Das ist meine Art zu schreiben. Auch das Vaterbild hat sie entrüstet. Aber es gab nichts Gotteslästerliches zu finden. Mir liegt sehr daran, Debatten zu provozieren, aber nichts daran zu verletzen. Es interessiert mich nicht, auf Allah oder den Propheten einzudreschen. Mich interessiert, die Gesellschaft, das heißt Männer und Frauen, auf das Schicksal der jungen Frauen - in diesem Fall Marokkos - hinzuweisen. Und dabei habe ich natürlich das Wahnsinnsglück gehabt, dass die bornierten Integristen so ungebildet sind. Sie waren nicht in der Lage, mein Buch zu lesen. Das ist perfekt."
Immer wieder schlägt Saphia Azzeddine in ihrem Debütroman "Zorngebete" tragikomische Töne an. So auch, als ihre Erzählerin nach etlichen Geldbotschaften endlich wieder zurück ins Dorf ihrer Eltern reisen darf. Der Konsum- und Fernsehrausch hat dort mittlerweile auch die Strenggläubigen erfasst, allen voran ihren Vater. Doch fällt Saphia Azzeddine keine moralischen Urteile. Sie belässt es bei der ungeschminkt-illusionslosen Beschreibung. Ganz nebenbei unterläuft sie so auch Klischee-Erwartungen, die in den Medien der westlichen Welt längst allgegenwärtig sind: gerade im Roman-Finale, als Jbara zur dritten Ehefrau eines Imams wird. Auch da gibt es, dank Saphia Azzeddines schlagkräftigem Humor, einiges zu lachen – bis hin zu der Tatsache, dass Frauen ihre aufgezwungene Verschleierung manchmal auch genießen können: um endlich einmal Ruhe vor dem selbstherrlichen Hengstgebaren der Männer zu haben.
Saphia Azzeddine: Zorngebete. Roman. Aus dem Französischen von Sabine Heymann. Wagenbach Verlag, Berlin 2013. 121 Seiten, 16, 90 Euro.