Gestern (4.1.2011) Nachmittag, zum Auftakt des Landesparteitages der baden-württembergischen FDP schwor die Landesvorsitzende Birgit Homburger ihre Parteifreunde auf den bevorstehenden Wahlkampf ein. In Baden-Württemberg wird am 27. März gewählt. Fast flehend erinnerte sie an liberale Kampfkraft:
"Wann, wenn nicht jetzt, wer, wenn nicht wir. Verzagtheit ist nichts für Baden-Württemberg . Dieses Land lechzt nach liberalem Lebensgefühl und Chancen."
Vielen Delegierten tat die kämpferische Rede der Vorsitzende gut; nicht zuletzt, weil die Debatte der vergangenen Wochen um Guido Westerwelle und die desaströsen Umfragewerte eine ziemliche Prüfung für die Kampfkraft der liberalen Basis war. Das hörte man auch aus der einen oder anderen Wortmeldung auf dem Parteitag deutlich heraus.
"Es ist zurzeit kein Riesenspaß als FDPler Politik in Gremien und an Stammtischen zu machen", "
klagte Daniel Wochner aus dem FDP-Kreisverband Freudenstadt, wo die Liberalen bei der Bundestagswahl 2009 auf ein Rekord-Ergebnis von fast 19 Prozent gekommen waren. Er sprach in dem Augenblick Vielen aus der Seele. Auch den vier Mitgliedern der Reutlinger FDP-Gemeinderatsfraktion, die sich am Vorabend zu einem kleinen liberalen Stammtisch getroffen hatten. Der Parteivorsitzende Westerwelle, so stellte es Julius Vohrer auf gut schwäbisch fest, sei in den letzten Wochen zum Buhmann geworden:
" Du kannst jede Kabarettsendung angucken, Westerwelle kommt immer vor. Er ist der Buhmann der Nation."
Ob man mit Westerwelle an der Spitze Wahlkampf machen will? Die Herren aus der Stadt am Rande der schwäbischen Alb blieben eine klare Antwort schuldig. Bei Lichte betrachtet, sagten sie dann, habe auch Westerwelle einige Fehler gemacht. Die aber seien bei Weitem nicht so gravierend, wie sie jetzt mit der massiven öffentlichen Kritik an ihm gemacht würden.
"Da waren ein paar unglückliche Dinge dabei, die hätte man besser machen können. Ein bisschen Beratung hätte gut getan. Das hilft jetzt aber nichts, wir müssen nach vorne schauen."
Ähnlich sieht es Gemeinderatskollege Knut Hochleitner. Nichts sei dümmer, als eine Führungsdebatte zur Unzeit; zu Beginn eines Jahres mit sieben Landtagswahlen.
"Wir werden den Teufel tun, uns jetzt auseinanderdividieren zu lassen. Jetzt müssen wir hinter jemanden stehen, der vielleicht auch ein paar Fehler gemacht hat."
"Die Bundes-FDP hat einen entscheidenden Fehler gemacht. Sie hat eine Koalitionsvereinbarung abgeschlossen, die aus lauter Absichtserklärungen und Prüfaufträgen besteht", "
ergänzte der Kreisvorsitzende und Landtagsabgeordnete Hagen Kluck. Folglich sei es kein Wunder, dass viele liberale Ziele auf der Strecke geblieben sind. Gegen einen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sei mit Absichtserklärungen nämlich nicht viel auszurichten, so Kluck. In Baden-Württemberg wisse man das. Hagen Kluck:
""Ich trau keinem Schwarzen über den Weg. Deswegen muss man niet- und nagelfest vereinbaren, was man will. Anders ist mit denen nicht zu regieren."
Seit 1996 regiert im Ländle eine schwarz-gelbe Koalition. Hier sei man es gewohnt, Vereinbarungen mit der CDU auszuhandeln, und zwar solche, von denen am Ende auch die Liberalen etwas haben. Allerdings, räumt Parteifreund Vohrer ein, saß am Berliner Koalitionstisch jemand, der es hätte wissen können: die baden-württembergische Landeschefin und FDP-Fraktionsvorsitzende im Bundestag:
"Die Homburger hätte es eigentlich wissen müssen. Man nimmt sich ein bisschen mehr Zeit und macht das nicht so im Galopp. Obwohl es natürlich gut ankommt, wenn es so schnell geht."
Soviel zum Thema Berlin. Im Land sieht es nach Meinung der Reutlinger Liberalen besser aus: Seiner FDP im Stuttgarter Parlament und in der Landesregierung bescheinigte Carl-Gustav Kalbfell gute Arbeit; die momentan aber nicht richtig wahrgenommen werde, weil noch immer viel zu viele Menschen über "Stuttgart 21" reden. Allerdings sei Baden-Württemberg größer als die Landeshauptstadt:
"Die Wahl wird eben nicht in Stuttgart entscheiden. Was wir machen müssen, ist die PS besser auf die Straße zu bringen und zu sagen, die Landespolitik hat gute Arbeit geleistet."
"Motor FDP" lautet das Motto, mit dem die Partei in den Landtagswahlkampf ziehen will, insofern ist das Bild mit den PS, die besser auf die Straße gebracht werden müssen, passend. Bleiben die aktuellen Umfragen, die beunruhigen. Die sehen die FDP derzeit zwischen drei und fünf Prozent. Auch in Baden-Württemberg müssen die Freien Demokraten um den Wiedereinzug in den Landtag zittern. Im Stammland der Liberalen, im Heimatland des liberalen Übervaters Theodor Heuss - eine Katastrophe. Guido Westerwelle:
"Die FDP nicht im Landtag, das würde den politischen Liberalismus in Deutschland in den Grundfesten erschüttern. Dann wäre kein Stein mehr auf dem anderen."
Dessen ist sich der Bundesvorsitzende durchaus bewusst. Westerwelles Auftritt morgen (6.1.2011) auf der Dreikönigskundgebung in Stuttgart wird mit großer Spannung erwartet. Mit einer kämpferischen Rede ist zu rechnen. Beobachter sprechen von der Rede seines Lebens, die Guido Westerwelle in der Staatsoper halten müsse. Der 49-Jährige will Bundesvorsitzender bleiben, im Mai auf dem Bundesparteitag erneut kandidieren. Er weiß allerdings sehr wohl, dass die Wahlen in Hamburg, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und vor allem in Baden-Württemberg ausschlaggebend sein werden für seinen Verbleib an der Parteispitze. Noch gibt es für Westerwelle viel Rückendeckung aus der Parteiführung. Nach Generalsekretär Christian Lindner und Entwicklungsminister Dirk Niebel forderte auch Fraktionschefin Homburger: Schluss mit der Personaldebatte.
"Angesichts der Diskussionen in unserer Partei in den letzten Wochen hatte ich den Eindruck, dass der eine oder andere da auch Lust auf Selbstmord hat. Aber jetzt ist eine Situation, wo der Bundesvorsitzende klar erklärt hat, dass er das Deck nicht verlässt, wenn es stürmt. Wer jetzt die Debatte weiterführt, betreibt das Geschäft des politischen Gegners. Personaldiskussionen sind Gift und keine Medizin."
Dass seine Partei die richtige Medizin für Deutschland habe, wurde Guido Westerwelle nie müde zu betonen. Immer und immer wieder hatte er - seit Übernahme des Parteivorsitzes vor fast zehn Jahren - sein Credo gepredigt:
"Wir brauchen eine Steuerstrukturreform mit dem klaren Ziel: Mehr Netto vom Brutto! Und ich sage es Ihnen hier: Ich werde einen Koalitionsvertrag nur unterzeichnen, in dem ein niedrigeres, einfaches und gerechteres Steuersystem enthalten ist, weil die Netto-Frage die soziale Frage ist für die, die in Deutschland dieses Land tragen, für die, die den Karren ziehen, meine sehr geehrten Damen und Herren!"
Westerwelle musste viele Jahre warten, bis er im Oktober 2009 tatsächlich seine Unterschrift unter einen Koalitionsvertrag mit CDU und CSU setzen konnte. Ein Vertrag, in dem die FDP-Parolen zum Teil wörtlich Eingang fanden.
Die Regierungspraxis sah anders aus. Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das der Bundestag schon im Dezember 2009 im Eiltempo verabschiedete, wollten die Liberalen energisch mit der Umsetzung ihrer Wahlversprechen beginnen. Das Gesetz aber geriet zum Bumerang - vor allem die Senkung des Umsatzsteuersatzes für Hotels, Pensionen, Gasthöfe und Campingplätze von 19 auf nur noch 7 Prozent wurde für die Freien Demokraten zur Imagekatastrophe - auch wenn eigentlich die CSU die Reduzierung gefordert hatte.
"Klientelpolitik" lautet seitdem einer der Hauptvorwürfe an die Adresse der Liberalen - und an Guido Westerwelle. Hatte nicht er als Oppositionspolitiker gut bezahlte Vorträge auch bei Hotelkonzernen gehalten. Und waren nicht gerade aus dieser Ecke stets großzügige Spenden an die FDP geflossen?
Als das Wachstumsbeschleunigungsgesetz im Januar 2010 in Kraft trat, war Westerwelles Ansehen als Bundesaußenminister bereits lädiert. Er blamierte sich, noch bevor er seinen Amtseid abgelegt hatte, als er auf einer Pressekonferenz am Tag nach der Bundestagswahl einen BBC-Korrespondenten abbürstete, der ihn gebeten hatte, eine Frage auf Englisch zu beantworten:
"So wie es in Großbritannien üblich ist, dass man dort selbstverständlich Englisch spricht, so ist es in Deutschland üblich, dass man hier Deutsch spricht. (OK, wir werden übersetzen.)"
Immer wieder fühlte sich Westerwelle seitdem bemüßigt, seine durchaus passablen Englischkenntnisse öffentlich unter Beweis zu stellen. Es war nicht die einzige Peinlichkeit in den frühen Monaten seiner Amtszeit. In Paris bestaunte er während einer Pressekonferenz mit dem erstaunten Amtskollegen Kouchner wie ein kleiner Junge den Uhrensaal des Außenministeriums:
"Das ist schon, glaube ich, so mit einer der schönsten Säle, wo man überhaupt jemals in seinem Leben eine Pressekonferenz abhalten darf."
Und in Ankara versicherte er zur Gaudi seines türkischen Amtskollegen Davutoglu.
"Ich spreche hier für die deutsche Bundesregierung und nicht als Privatmann. Ich bin hier nicht als Tourist in kurzen Hosen unterwegs, sondern als deutscher Außenminister. Und das, was ich hier sage, das zählt!"
In Deutschland freilich blieb sich der frischgebackene Außenminister treu und machte sich umgehend daran, seine Ankündigung vom Dreikönigtreffen 2009 umzusetzen:
"Die langen Linien, die großen Linien, darum geht es! Und deswegen wollen wir eine geistige, politische Wende in diesem Land, wir wollen eine Wende!"
In einem Gastbeitrag für die "Welt" erläuterte er, was er darunter unter anderem verstand.
"Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein. An einem solchen Denken kann Deutschland scheitern."
In der Öffentlichkeit brach ein Sturm der Entrüstung los, Westerwelles Warnung geriet für ihn und seine Partei zum kommunikativen Fiasko. Nicht als Wiederbelebung des Leistungsgedankens wurden seine Worte interpretiert, sondern als Frontalangriff auf den Sozialstaat, als Verhöhnung arbeitsloser Hartz-IV-Empfänger.
Anders als alle seine Amtsvorgänger gelang es Westerwelle nicht, den Amtsbonus eines Bundesaußenministers für seine persönlichen Beliebtheitswerte zu nutzen. Er wurde vielmehr rasch zu einem der unbeliebtesten Politiker der Koalition. Und während dann auch die Umfragewerte der FDP vor der wichtigen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen in den Keller zu fallen begannen, schoss der FDP-Chef das nächste Eigentor - diesmal wieder als Außenminister. Auf Reisen nach Asien und Lateinamerika zählten zu den jeweiligen Wirtschaftsdelegationen auch Geschäftspartner seines Bruders, seines Lebenspartners Michael Mronz und langjährige FDP-Spender. Die Opposition sprach von Vetternwirtschaft, und Westerwelle sah sich noch in Brasilien gezwungen, die Vorwürfe zurückzuweisen:
"Das ist eine sehr erfolgreiche Reise hier in Südamerika, die gut ist auch für Deutschland und die deutsche Außenpolitik. Und bei dieser Reise spielen diese parteipolitischen Kampagnen und durchsichtigen, auch verleumderischen Manöver aus Deutschland keine Rolle. Danke schön."
Das sah die deutsche Öffentlichkeit anders, die Medien hatten sich endgültig auf Westerwelle eingeschossen. Auf dem Landesparteitag der nordrhein-westfälischen FDP im März 2010 holte er zum Gegenschlag aus, wie so oft seit der verpatzten Pressekonferenz nach der Bundestagswahl garniert mit einer Demonstration seiner Englischkenntnisse:
"The published opinion is not always the public opinion! (Beifall) That's English! Oder, um es auf Deutsch zu sagen: Ihr kauft mir den Schneid nicht ab! Das verspreche ich euch"
Den Schneid kauften ihm stattdessen die Wählerinnen und Wähler in Nordrhein-Westfalen ab, die im Mai 2010 die schwarzgelbe Koalition in Düsseldorf abwählten - ausgerechnet im Bundesland mit dem größten FDP-Landesverband, aus dem auch Westerwelle stammt. Am Wahlabend musste er einräumen:
"Wir haben unsere Wahlziele nicht erreicht. Das ist ein Warnschuss natürlich auch für die Regierungsparteien. Und die Bürgerinnen und Bürger sollen wissen: Er ist auch gehört worden. Wir müssen uns anstrengen, das verloren gegangene Vertrauen durch harte und gute Arbeit zurückzugewinnen. Das ist jetzt unsere Aufgabe."
Die bis heute nicht gelöst wurde - im Gegenteil. In den Meinungsumfragen dümpelt die FDP bundesweit zwischen drei und fünf Prozent. Satte elf Prozentpunkte hat sie seit ihren 14,6-Prozent-Ergebnis bei der Bundestagswahl 2009 verloren. Der Absturz in der Wählergunst fiel drastisch aus, nachdem bis zur Sommerpause im vergangenen Jahr wüstes Gezänk zwischen den Koalitionspartnern vor allem in der Gesundheitspolitik das öffentliche Erscheinungsbild bestimmt hatte. Und auch die nach der Sommerpause getroffenen Entscheidungen der schwarzgelben Koalition zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung und in der Energiepolitik waren ebenso wenig geeignet, das Ansehen der Liberalen zu verbessern. Die Aussetzung der Wehrpflicht, eine alte Forderung der Freien Demokraten, verbuchte schließlich der CSU-Verteidigungsminister zu Guttenberg als Erfolg. Westerwelles einziger größerer Erfolg als Außenminister, Deutschlands nicht-ständiger Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, geriet darüber schnell in Vergessenheit.
Stattdessen ein weiterer Rückschlag für Westerwelle. Die WikiLeaks-Veröffentlichungen vertraulicher US-amerikanischer Diplomatenpost bescherte ihm Anfang Dezember die sogenannte "Maulwurfsaffäre", als sich herausstellte, dass ausgerechnet sein Büroleiter in der FDP-Zentrale jahrelang als Informant der US-Botschaft in Berlin aktiv gewesen war. Über eine Woche zögerte Westerwelle, bis er sich von seinem Mitarbeiter trennte. Nun aber brachen in der FDP alle Dämme. Was vorher allenfalls hinter vorgehaltener Hand zu hören gewesen war, wurde aus den Landesverbänden, die im Frühjahr schwierige Wahlen zu bestehen haben, nun öffentlich thematisiert: Westerwelle soll auf den Parteivorsitz verzichten. Der Spitzenkandidat der rheinland-pfälzischen FDP, Herbert Mertin, bezeichnete Westerwelle als Zitat "Klotz am Bein". In Baden-Württemberg forderten ihn mehrere FDPler auf, sich auf das Amt als Außenminister zu konzentrieren.
Den Vogel allerdings schoss der FDP-Fraktionschef im schleswig-holsteinischen Landtag, Wolfgang Kubicki, ab: In einem "Spiegel"-Interview übte er grundsätzliche Kritik am Erscheinungsbild der FDP, für das er auch die Fraktionschefin im Bundestag, Birgit Homburger, mitverantwortlich machte. Guido Westerwelle forderte er indirekt zum Rücktritt als Parteichef auf, sollten die Landtagswahlen in Hamburg, Rheinland-Pfalz, vor allem aber Baden-Württemberg für die Liberalen verloren gehen. In einem Fernsehinterview wiederholte Kubicki:
"Wenn wir nicht schnellstmöglich aus dem Tal des Jammers der schlechten Meinungsumfragen herauskommen, dann werden wir eine Partei ohne Unterleib sein, und das ist nicht überlebensfähig. Wir kämpfen alle dafür, dass wir siegreich sind, aber sollte dieser Super-GAU eintreten, dann kann ich mir in der Tat nicht vorstellen, dass der Bundesparteitag im Mai ein Parteitag der Harmonie werden wird, sondern dann wird Guido Westerwelle für sich selbst die Konsequenzen ziehen."
Der Liberale aus dem hohen Norden provoziert gern - und manchmal, das räumt er durchaus ein, schießt er dabei über das Ziel hinaus. Wie kaum ein anderer FDP-Politiker polarisiert er. Weil Kubicki im "Spiegel" von Auflösungserscheinungen seiner Partei sprach und deren Situation mit der Spätphase der DDR verglich, hagelte es aus der Berliner Parteiführung nur so an Kritik. Als Quertreiber und Selbstdarsteller, der aus persönlicher Eitelkeit gehandelt habe, wurde der 58-Jährige bezeichnet.
"Also, dass ich ein eitler Selbstdarsteller bin, das weiß ich alleine", "
scherzte Kubicki vor Journalisten. Und auf die Frage, was ihn denn erwarte, wenn er wieder auf seine Kollegen im Bundesvorstand trifft, antwortete er gewohnt schlagfertig:
" "In der Frage steckt ja: Erwarten Sie, dass Sie einen Kopf kürzer gemacht werden? Nein! Erwarten Sie, dass Guido Westerwelle zurücktritt? Nein! Erwarten Sie eine Palastrevolution? Nein! Ich erwarte einen offenen Meinungsaustausch."
Eigene Ambitionen verneinte Kubicki stets. Er erwartet stattdessen, dass sein Weckruf, wie er sein Spiegel-Interview nennt, gehört wird. Nur wenn die FDP in der Bundesregierung endlich Profil zeige, könne sie, davon ist er überzeugt, bei den Landtagswahlen in diesem Jahr bestehen.
"Ich möchte mit Westerwelle weitermachen, aber ich möchte nicht so weitermachen wie im letzten Jahr, als die FDP sich insgesamt kleiner machte, als sie ist. Wir werden von CDU und CSU mittlerweile wieder so behandelt wie in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts, als Mehrheitsbeschaffer und nicht mehr als gestaltende politische Kraft. Aber 15 Prozent der Menschen dieses Landes haben die FDP gewählt, weil sie sehen wollen, dass sich was verändert. Und wenn sie das Gefühl haben, es bleibt alles, wie es ist, oder es ist sogar noch schlimmer geworden, dann verstehe ich, dass diese Menschen sich von der FDP abwenden."
Wolfgang Kubicki kann sich eigenen Angaben nach vor Einladungen zu Wahlkampfauftritten übrigens kaum retten. Wo und wie oft Westerwelle seinen Wahlkämpfern zur Seite springen wird, gibt sein Büro nicht bekannt. Nur eine Botschaft des Parteichefs an seine Kritiker klingt unmissverständlich: Westerwelle will das Feld nicht kampflos räumen.
"Wann, wenn nicht jetzt, wer, wenn nicht wir. Verzagtheit ist nichts für Baden-Württemberg . Dieses Land lechzt nach liberalem Lebensgefühl und Chancen."
Vielen Delegierten tat die kämpferische Rede der Vorsitzende gut; nicht zuletzt, weil die Debatte der vergangenen Wochen um Guido Westerwelle und die desaströsen Umfragewerte eine ziemliche Prüfung für die Kampfkraft der liberalen Basis war. Das hörte man auch aus der einen oder anderen Wortmeldung auf dem Parteitag deutlich heraus.
"Es ist zurzeit kein Riesenspaß als FDPler Politik in Gremien und an Stammtischen zu machen", "
klagte Daniel Wochner aus dem FDP-Kreisverband Freudenstadt, wo die Liberalen bei der Bundestagswahl 2009 auf ein Rekord-Ergebnis von fast 19 Prozent gekommen waren. Er sprach in dem Augenblick Vielen aus der Seele. Auch den vier Mitgliedern der Reutlinger FDP-Gemeinderatsfraktion, die sich am Vorabend zu einem kleinen liberalen Stammtisch getroffen hatten. Der Parteivorsitzende Westerwelle, so stellte es Julius Vohrer auf gut schwäbisch fest, sei in den letzten Wochen zum Buhmann geworden:
" Du kannst jede Kabarettsendung angucken, Westerwelle kommt immer vor. Er ist der Buhmann der Nation."
Ob man mit Westerwelle an der Spitze Wahlkampf machen will? Die Herren aus der Stadt am Rande der schwäbischen Alb blieben eine klare Antwort schuldig. Bei Lichte betrachtet, sagten sie dann, habe auch Westerwelle einige Fehler gemacht. Die aber seien bei Weitem nicht so gravierend, wie sie jetzt mit der massiven öffentlichen Kritik an ihm gemacht würden.
"Da waren ein paar unglückliche Dinge dabei, die hätte man besser machen können. Ein bisschen Beratung hätte gut getan. Das hilft jetzt aber nichts, wir müssen nach vorne schauen."
Ähnlich sieht es Gemeinderatskollege Knut Hochleitner. Nichts sei dümmer, als eine Führungsdebatte zur Unzeit; zu Beginn eines Jahres mit sieben Landtagswahlen.
"Wir werden den Teufel tun, uns jetzt auseinanderdividieren zu lassen. Jetzt müssen wir hinter jemanden stehen, der vielleicht auch ein paar Fehler gemacht hat."
"Die Bundes-FDP hat einen entscheidenden Fehler gemacht. Sie hat eine Koalitionsvereinbarung abgeschlossen, die aus lauter Absichtserklärungen und Prüfaufträgen besteht", "
ergänzte der Kreisvorsitzende und Landtagsabgeordnete Hagen Kluck. Folglich sei es kein Wunder, dass viele liberale Ziele auf der Strecke geblieben sind. Gegen einen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sei mit Absichtserklärungen nämlich nicht viel auszurichten, so Kluck. In Baden-Württemberg wisse man das. Hagen Kluck:
""Ich trau keinem Schwarzen über den Weg. Deswegen muss man niet- und nagelfest vereinbaren, was man will. Anders ist mit denen nicht zu regieren."
Seit 1996 regiert im Ländle eine schwarz-gelbe Koalition. Hier sei man es gewohnt, Vereinbarungen mit der CDU auszuhandeln, und zwar solche, von denen am Ende auch die Liberalen etwas haben. Allerdings, räumt Parteifreund Vohrer ein, saß am Berliner Koalitionstisch jemand, der es hätte wissen können: die baden-württembergische Landeschefin und FDP-Fraktionsvorsitzende im Bundestag:
"Die Homburger hätte es eigentlich wissen müssen. Man nimmt sich ein bisschen mehr Zeit und macht das nicht so im Galopp. Obwohl es natürlich gut ankommt, wenn es so schnell geht."
Soviel zum Thema Berlin. Im Land sieht es nach Meinung der Reutlinger Liberalen besser aus: Seiner FDP im Stuttgarter Parlament und in der Landesregierung bescheinigte Carl-Gustav Kalbfell gute Arbeit; die momentan aber nicht richtig wahrgenommen werde, weil noch immer viel zu viele Menschen über "Stuttgart 21" reden. Allerdings sei Baden-Württemberg größer als die Landeshauptstadt:
"Die Wahl wird eben nicht in Stuttgart entscheiden. Was wir machen müssen, ist die PS besser auf die Straße zu bringen und zu sagen, die Landespolitik hat gute Arbeit geleistet."
"Motor FDP" lautet das Motto, mit dem die Partei in den Landtagswahlkampf ziehen will, insofern ist das Bild mit den PS, die besser auf die Straße gebracht werden müssen, passend. Bleiben die aktuellen Umfragen, die beunruhigen. Die sehen die FDP derzeit zwischen drei und fünf Prozent. Auch in Baden-Württemberg müssen die Freien Demokraten um den Wiedereinzug in den Landtag zittern. Im Stammland der Liberalen, im Heimatland des liberalen Übervaters Theodor Heuss - eine Katastrophe. Guido Westerwelle:
"Die FDP nicht im Landtag, das würde den politischen Liberalismus in Deutschland in den Grundfesten erschüttern. Dann wäre kein Stein mehr auf dem anderen."
Dessen ist sich der Bundesvorsitzende durchaus bewusst. Westerwelles Auftritt morgen (6.1.2011) auf der Dreikönigskundgebung in Stuttgart wird mit großer Spannung erwartet. Mit einer kämpferischen Rede ist zu rechnen. Beobachter sprechen von der Rede seines Lebens, die Guido Westerwelle in der Staatsoper halten müsse. Der 49-Jährige will Bundesvorsitzender bleiben, im Mai auf dem Bundesparteitag erneut kandidieren. Er weiß allerdings sehr wohl, dass die Wahlen in Hamburg, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und vor allem in Baden-Württemberg ausschlaggebend sein werden für seinen Verbleib an der Parteispitze. Noch gibt es für Westerwelle viel Rückendeckung aus der Parteiführung. Nach Generalsekretär Christian Lindner und Entwicklungsminister Dirk Niebel forderte auch Fraktionschefin Homburger: Schluss mit der Personaldebatte.
"Angesichts der Diskussionen in unserer Partei in den letzten Wochen hatte ich den Eindruck, dass der eine oder andere da auch Lust auf Selbstmord hat. Aber jetzt ist eine Situation, wo der Bundesvorsitzende klar erklärt hat, dass er das Deck nicht verlässt, wenn es stürmt. Wer jetzt die Debatte weiterführt, betreibt das Geschäft des politischen Gegners. Personaldiskussionen sind Gift und keine Medizin."
Dass seine Partei die richtige Medizin für Deutschland habe, wurde Guido Westerwelle nie müde zu betonen. Immer und immer wieder hatte er - seit Übernahme des Parteivorsitzes vor fast zehn Jahren - sein Credo gepredigt:
"Wir brauchen eine Steuerstrukturreform mit dem klaren Ziel: Mehr Netto vom Brutto! Und ich sage es Ihnen hier: Ich werde einen Koalitionsvertrag nur unterzeichnen, in dem ein niedrigeres, einfaches und gerechteres Steuersystem enthalten ist, weil die Netto-Frage die soziale Frage ist für die, die in Deutschland dieses Land tragen, für die, die den Karren ziehen, meine sehr geehrten Damen und Herren!"
Westerwelle musste viele Jahre warten, bis er im Oktober 2009 tatsächlich seine Unterschrift unter einen Koalitionsvertrag mit CDU und CSU setzen konnte. Ein Vertrag, in dem die FDP-Parolen zum Teil wörtlich Eingang fanden.
Die Regierungspraxis sah anders aus. Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das der Bundestag schon im Dezember 2009 im Eiltempo verabschiedete, wollten die Liberalen energisch mit der Umsetzung ihrer Wahlversprechen beginnen. Das Gesetz aber geriet zum Bumerang - vor allem die Senkung des Umsatzsteuersatzes für Hotels, Pensionen, Gasthöfe und Campingplätze von 19 auf nur noch 7 Prozent wurde für die Freien Demokraten zur Imagekatastrophe - auch wenn eigentlich die CSU die Reduzierung gefordert hatte.
"Klientelpolitik" lautet seitdem einer der Hauptvorwürfe an die Adresse der Liberalen - und an Guido Westerwelle. Hatte nicht er als Oppositionspolitiker gut bezahlte Vorträge auch bei Hotelkonzernen gehalten. Und waren nicht gerade aus dieser Ecke stets großzügige Spenden an die FDP geflossen?
Als das Wachstumsbeschleunigungsgesetz im Januar 2010 in Kraft trat, war Westerwelles Ansehen als Bundesaußenminister bereits lädiert. Er blamierte sich, noch bevor er seinen Amtseid abgelegt hatte, als er auf einer Pressekonferenz am Tag nach der Bundestagswahl einen BBC-Korrespondenten abbürstete, der ihn gebeten hatte, eine Frage auf Englisch zu beantworten:
"So wie es in Großbritannien üblich ist, dass man dort selbstverständlich Englisch spricht, so ist es in Deutschland üblich, dass man hier Deutsch spricht. (OK, wir werden übersetzen.)"
Immer wieder fühlte sich Westerwelle seitdem bemüßigt, seine durchaus passablen Englischkenntnisse öffentlich unter Beweis zu stellen. Es war nicht die einzige Peinlichkeit in den frühen Monaten seiner Amtszeit. In Paris bestaunte er während einer Pressekonferenz mit dem erstaunten Amtskollegen Kouchner wie ein kleiner Junge den Uhrensaal des Außenministeriums:
"Das ist schon, glaube ich, so mit einer der schönsten Säle, wo man überhaupt jemals in seinem Leben eine Pressekonferenz abhalten darf."
Und in Ankara versicherte er zur Gaudi seines türkischen Amtskollegen Davutoglu.
"Ich spreche hier für die deutsche Bundesregierung und nicht als Privatmann. Ich bin hier nicht als Tourist in kurzen Hosen unterwegs, sondern als deutscher Außenminister. Und das, was ich hier sage, das zählt!"
In Deutschland freilich blieb sich der frischgebackene Außenminister treu und machte sich umgehend daran, seine Ankündigung vom Dreikönigtreffen 2009 umzusetzen:
"Die langen Linien, die großen Linien, darum geht es! Und deswegen wollen wir eine geistige, politische Wende in diesem Land, wir wollen eine Wende!"
In einem Gastbeitrag für die "Welt" erläuterte er, was er darunter unter anderem verstand.
"Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein. An einem solchen Denken kann Deutschland scheitern."
In der Öffentlichkeit brach ein Sturm der Entrüstung los, Westerwelles Warnung geriet für ihn und seine Partei zum kommunikativen Fiasko. Nicht als Wiederbelebung des Leistungsgedankens wurden seine Worte interpretiert, sondern als Frontalangriff auf den Sozialstaat, als Verhöhnung arbeitsloser Hartz-IV-Empfänger.
Anders als alle seine Amtsvorgänger gelang es Westerwelle nicht, den Amtsbonus eines Bundesaußenministers für seine persönlichen Beliebtheitswerte zu nutzen. Er wurde vielmehr rasch zu einem der unbeliebtesten Politiker der Koalition. Und während dann auch die Umfragewerte der FDP vor der wichtigen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen in den Keller zu fallen begannen, schoss der FDP-Chef das nächste Eigentor - diesmal wieder als Außenminister. Auf Reisen nach Asien und Lateinamerika zählten zu den jeweiligen Wirtschaftsdelegationen auch Geschäftspartner seines Bruders, seines Lebenspartners Michael Mronz und langjährige FDP-Spender. Die Opposition sprach von Vetternwirtschaft, und Westerwelle sah sich noch in Brasilien gezwungen, die Vorwürfe zurückzuweisen:
"Das ist eine sehr erfolgreiche Reise hier in Südamerika, die gut ist auch für Deutschland und die deutsche Außenpolitik. Und bei dieser Reise spielen diese parteipolitischen Kampagnen und durchsichtigen, auch verleumderischen Manöver aus Deutschland keine Rolle. Danke schön."
Das sah die deutsche Öffentlichkeit anders, die Medien hatten sich endgültig auf Westerwelle eingeschossen. Auf dem Landesparteitag der nordrhein-westfälischen FDP im März 2010 holte er zum Gegenschlag aus, wie so oft seit der verpatzten Pressekonferenz nach der Bundestagswahl garniert mit einer Demonstration seiner Englischkenntnisse:
"The published opinion is not always the public opinion! (Beifall) That's English! Oder, um es auf Deutsch zu sagen: Ihr kauft mir den Schneid nicht ab! Das verspreche ich euch"
Den Schneid kauften ihm stattdessen die Wählerinnen und Wähler in Nordrhein-Westfalen ab, die im Mai 2010 die schwarzgelbe Koalition in Düsseldorf abwählten - ausgerechnet im Bundesland mit dem größten FDP-Landesverband, aus dem auch Westerwelle stammt. Am Wahlabend musste er einräumen:
"Wir haben unsere Wahlziele nicht erreicht. Das ist ein Warnschuss natürlich auch für die Regierungsparteien. Und die Bürgerinnen und Bürger sollen wissen: Er ist auch gehört worden. Wir müssen uns anstrengen, das verloren gegangene Vertrauen durch harte und gute Arbeit zurückzugewinnen. Das ist jetzt unsere Aufgabe."
Die bis heute nicht gelöst wurde - im Gegenteil. In den Meinungsumfragen dümpelt die FDP bundesweit zwischen drei und fünf Prozent. Satte elf Prozentpunkte hat sie seit ihren 14,6-Prozent-Ergebnis bei der Bundestagswahl 2009 verloren. Der Absturz in der Wählergunst fiel drastisch aus, nachdem bis zur Sommerpause im vergangenen Jahr wüstes Gezänk zwischen den Koalitionspartnern vor allem in der Gesundheitspolitik das öffentliche Erscheinungsbild bestimmt hatte. Und auch die nach der Sommerpause getroffenen Entscheidungen der schwarzgelben Koalition zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung und in der Energiepolitik waren ebenso wenig geeignet, das Ansehen der Liberalen zu verbessern. Die Aussetzung der Wehrpflicht, eine alte Forderung der Freien Demokraten, verbuchte schließlich der CSU-Verteidigungsminister zu Guttenberg als Erfolg. Westerwelles einziger größerer Erfolg als Außenminister, Deutschlands nicht-ständiger Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, geriet darüber schnell in Vergessenheit.
Stattdessen ein weiterer Rückschlag für Westerwelle. Die WikiLeaks-Veröffentlichungen vertraulicher US-amerikanischer Diplomatenpost bescherte ihm Anfang Dezember die sogenannte "Maulwurfsaffäre", als sich herausstellte, dass ausgerechnet sein Büroleiter in der FDP-Zentrale jahrelang als Informant der US-Botschaft in Berlin aktiv gewesen war. Über eine Woche zögerte Westerwelle, bis er sich von seinem Mitarbeiter trennte. Nun aber brachen in der FDP alle Dämme. Was vorher allenfalls hinter vorgehaltener Hand zu hören gewesen war, wurde aus den Landesverbänden, die im Frühjahr schwierige Wahlen zu bestehen haben, nun öffentlich thematisiert: Westerwelle soll auf den Parteivorsitz verzichten. Der Spitzenkandidat der rheinland-pfälzischen FDP, Herbert Mertin, bezeichnete Westerwelle als Zitat "Klotz am Bein". In Baden-Württemberg forderten ihn mehrere FDPler auf, sich auf das Amt als Außenminister zu konzentrieren.
Den Vogel allerdings schoss der FDP-Fraktionschef im schleswig-holsteinischen Landtag, Wolfgang Kubicki, ab: In einem "Spiegel"-Interview übte er grundsätzliche Kritik am Erscheinungsbild der FDP, für das er auch die Fraktionschefin im Bundestag, Birgit Homburger, mitverantwortlich machte. Guido Westerwelle forderte er indirekt zum Rücktritt als Parteichef auf, sollten die Landtagswahlen in Hamburg, Rheinland-Pfalz, vor allem aber Baden-Württemberg für die Liberalen verloren gehen. In einem Fernsehinterview wiederholte Kubicki:
"Wenn wir nicht schnellstmöglich aus dem Tal des Jammers der schlechten Meinungsumfragen herauskommen, dann werden wir eine Partei ohne Unterleib sein, und das ist nicht überlebensfähig. Wir kämpfen alle dafür, dass wir siegreich sind, aber sollte dieser Super-GAU eintreten, dann kann ich mir in der Tat nicht vorstellen, dass der Bundesparteitag im Mai ein Parteitag der Harmonie werden wird, sondern dann wird Guido Westerwelle für sich selbst die Konsequenzen ziehen."
Der Liberale aus dem hohen Norden provoziert gern - und manchmal, das räumt er durchaus ein, schießt er dabei über das Ziel hinaus. Wie kaum ein anderer FDP-Politiker polarisiert er. Weil Kubicki im "Spiegel" von Auflösungserscheinungen seiner Partei sprach und deren Situation mit der Spätphase der DDR verglich, hagelte es aus der Berliner Parteiführung nur so an Kritik. Als Quertreiber und Selbstdarsteller, der aus persönlicher Eitelkeit gehandelt habe, wurde der 58-Jährige bezeichnet.
"Also, dass ich ein eitler Selbstdarsteller bin, das weiß ich alleine", "
scherzte Kubicki vor Journalisten. Und auf die Frage, was ihn denn erwarte, wenn er wieder auf seine Kollegen im Bundesvorstand trifft, antwortete er gewohnt schlagfertig:
" "In der Frage steckt ja: Erwarten Sie, dass Sie einen Kopf kürzer gemacht werden? Nein! Erwarten Sie, dass Guido Westerwelle zurücktritt? Nein! Erwarten Sie eine Palastrevolution? Nein! Ich erwarte einen offenen Meinungsaustausch."
Eigene Ambitionen verneinte Kubicki stets. Er erwartet stattdessen, dass sein Weckruf, wie er sein Spiegel-Interview nennt, gehört wird. Nur wenn die FDP in der Bundesregierung endlich Profil zeige, könne sie, davon ist er überzeugt, bei den Landtagswahlen in diesem Jahr bestehen.
"Ich möchte mit Westerwelle weitermachen, aber ich möchte nicht so weitermachen wie im letzten Jahr, als die FDP sich insgesamt kleiner machte, als sie ist. Wir werden von CDU und CSU mittlerweile wieder so behandelt wie in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts, als Mehrheitsbeschaffer und nicht mehr als gestaltende politische Kraft. Aber 15 Prozent der Menschen dieses Landes haben die FDP gewählt, weil sie sehen wollen, dass sich was verändert. Und wenn sie das Gefühl haben, es bleibt alles, wie es ist, oder es ist sogar noch schlimmer geworden, dann verstehe ich, dass diese Menschen sich von der FDP abwenden."
Wolfgang Kubicki kann sich eigenen Angaben nach vor Einladungen zu Wahlkampfauftritten übrigens kaum retten. Wo und wie oft Westerwelle seinen Wahlkämpfern zur Seite springen wird, gibt sein Büro nicht bekannt. Nur eine Botschaft des Parteichefs an seine Kritiker klingt unmissverständlich: Westerwelle will das Feld nicht kampflos räumen.