"Nun freut euch, lieben Christengmein" aus dem Jahre 1523 gilt als eines der ältesten Kirchenlieder von Martin Luther. Er hat sowohl die Melodie komponiert, als auch den Text geschrieben, in dem er seine eigene Erfahrung christlicher Befreiung der Gemeinde in den Mund legt – nicht in der damals üblichen Liturgiesprache Latein, sondern allgemein verständlich auf Deutsch, erläutert der evangelische Theologe und Kirchenliedexperte Michel Heymel.
"Das ist im Grunde die wesentliche Neuerung, die die Reformation gebracht hat, dass die Gemeinde zum Subjekt und zum Träger des Gottesdienstes durch den volkssprachlichen, muttersprachlichen Gesang wurde. In dieser Form war die Gemeinde jetzt salopp gesagt, die Hauptakteurin des Gottesdienstes."
Da vor der Reformation im Gottesdienst der Gesang der Kirchengemeinde nicht vorgesehen war, suchte man nun neue Wege, um auch der Gemeinde im Gottesdienst "eine Stimme zu geben".
"Zum einen brauchte man deutsche Liedtexte, also für strophische Kirchenlieder gereimte, poetische Texte, die mussten erst mal geschaffen werden. Luther hat zum Teil selbst gedichtet, zum Teil hat er lateinische Hymnen, die er für brauchbar hielt, ins Deutsche übersetzt, das war das eine. Das andere war natürlich: für die Leute singbare Melodien und da ist es sicher ein großes Verdienst von Luther gewesen, dass er mit eigenen Ideen da behilflich war, er hat selber auch in begrenztem Umfang komponiert, aber er hat eben auch damals populäre Volksliedweisen für das geistliche Lied aufgenommen, das, was die Leute auf den Straßen, in den Häusern ohnehin gesungen haben, hat er mit geistlichen Texten verbunden. Auf diese Weise konnte die Reformation als Singbewegung Erfolg haben."
Auch das bis heute populäre Weihnachtslied ‘Vom Himmel hoch’ ist durch Martin Luther bekannt geworden und daran lässt sich seine Vorgehensweise gut veranschaulichen: Der Reformator hatte die Melodie einem Bänkellied entlehnt, einer volkstümlichen Weise, die bei weltlichen Festen als Spiel oder Trinklied angestimmt wurde. Den Text hat Luther neu gedichtet, damit ihn die Kinder zur Weihnachtszeit im Gottesdienst aufführen konnten. Bei ihm gehörten Sprachempfinden und musikalisches Gespür zusammen. Die Grundlagen dazu wurden ihm an der Universität vermittelt, denn Musik gehörte zu den sogenannten freien Künsten, den Artes Liberales, die Martin Luther in Erfurt studierte. Er war aber nicht nur ein musikalisch gebildeter Mensch, der vermutlich an der Laute, einem Vorgänger der Gitarre, komponierte, sondern ein am praktischen Musizieren und Singen interessierter Geistlicher. Und er nutzte die Möglichkeit, den Menschen über den deutschsprachigen Gesang die Botschaften der Bibel näher zu bringen, wie Michael Heymel an einem anderen Beispiel erläutert.
"Nehmen wir ein Lied von Luther, das vielleicht sein bekanntestes ist: Ein Feste Burg ist unser Gott. Das ist im Grunde ein Psalmenlied von der Form. Das heißt Luther greift den 46. Psalm auf und dichtet diesen Psalm, die Psalmen sind ja biblische Gebete und Lieder, und dichtet ihn nach, aber nicht ganz strenge am Inhalt des Psalms, sondern er verbindet mit der Nachdichtung auch eine Interpretation des Psalms. Denn da kommt Jesus Christus vor, von dem ist ja in den Psalmen noch gar nicht die Rede und überträgt damit den Psalm in einen christlichen Kontext."
Die Kompositionen von Martin Luther, viele sind übrigens in Variationen von Johann Sebastian Bach 200 Jahre später auch als Chorwerke mit Orgelbegleitung bekannt geworden, haben in den ersten lutherischen Gemeinden schnell kanonischen Rang erlangt. Die 37 Lieder, die eindeutig auf den Reformator zurückgeführt werden können, finden sich bis heute in den evangelischen Gesangsbüchern.
Die Verbreitung der Stücke vor rund 500 Jahren geschah übrigens größtenteils mündlich, was deshalb so gut funktioniert hat, weil es damals eine ausgeprägte Singkultur. Außerdem konnten viele Menschen weder lesen noch schreiben und waren noch nicht auf das Gedruckte fixiert.
Aber so wie es zwischen den Reformatoren schnell zu Unstimmigkeiten kam, so war auch der Umgang mit der Musik in den verschiedenen Regionen umstritten, da in dieser Frage die Meinung der unterschiedlichen Akteure der Reformation auseinander ging. Dem musikalischen Luther gefiel es zum Beispiel nicht, wie Thomas Müntzer mit dem Kirchenlied umging.
"Müntzer ... versuchte, lateinische Hymnen ins Deutsche zu bringen, etwas, das an sich ganz im Interesse Luthers gewesen ist, nur hat er dabei geglaubt, man könnte die Lieder, die im Lateinischen nach dem Muster der Gregorianik gebildet sind, so ins Deutsche übertragen, dass man einfach zu den gregorianischen Weisen deutsche Worte singen kann. Und das stößt sich mit der Betonung, die das deutsche hat, führt also zu ganz künstlichen Betonungen und darüber kam es zu einer Auseinandersetzungen mit Luther, in denen Luther Münzers Vertonungen von lateinischen Hymnen scharf kritisiert hat."
Die Unterschiede zu einem anderen Erneuerer kirchlicher Strukturen reduzieren sich gleichwohl nicht bloß auf Fragen der Betonung. Der Genfer Reformator Johannes Calvin folgte der Tradition des Augustinus und ordnete das Singen ausschließlich dem Beten zu. Auf Kirchenvater der Spätantike bezog sich zwar auch Luther, aber für ihn war der Gesang noch viel mehr, er diente der Verkündigung der Frohen Botschaft. Luther forderte seine Gemeinde auf: "So predigt Gott das Evangelium auch durch die Musik" und in einem Brief an Ludwig Senfl 1530 schrieb er: "Nach dem heiligen Wort Gottes ist nichts so billig und so hoch zu rühmen und zu loben, als eben die Musica."
Auch in der Musikauswahl unterschieden sich Luther und Calvin deutlich voneinander:
"Calvin hielt nur die biblischen Psalmen im Grunde für die Kirche singbar, als Form gesungenen Gebets, andere Muster hat er gar nicht gelten lassen und damit blieb für die Reformierten nur der Weg, man musste die Psalmen in eine muttersprachliche, poetische Form bringen, aber anderes konnte man nicht nehmen und man konnte auch keine Volksliedmelodien dafür nehmen."
Die Musikauffassung von Johannes Calvin hat in der Tradition der Kirchenlieder tiefe Spuren hinterlassen, auch wenn sie sich deutlich von Martin Luthers Vorstellung unterscheidet. Auf Calvin geht der Genfer Liedpsalter zurück, der ab 1556 in der französischen Fassung zur Grundlage des reformierten Kirchengesanges wurde und heute als eines der meist übersetzten Gesangsbücher der Welt gilt. Besonders populär wurde der Psalmengesang in der vierstimmigen Version des Komponisten Claude Goudimel. Solche Beispiele machen den Unterschied zwischen Luther und Calvin deutlich.
Und während nun die lutherischen Gesangbücher immer umfangreicher wurden und mit populären Melodien einen wichtigen Teil häuslicher Frömmigkeit ausmachten, blieb zwischen dem Liedgut der reformierten Kirche und den Gemeinde stets eine Kluft.
Da die Gottesdienstbesucher kaum in der Lage waren vierstimmig zu singen. Ihre musikalische Kraft konnten diese Gottesdienste deshalb nur mit einem Chor oder ein paar geübten Vorsängern entfalten. Was im Blick auf die Gottesdienste von heute auch so manchen Kirchengemeinden gut tun würde, meint der evangelische Theologe und Kirchenmusikexperte Michael Heymel:
"Das ist ein Problem, dass zu wenig im Blick ist, dass der Gemeindegesang gepflegt werden muss, es muss Menschen geben, die als Vorsänger oder als liturgischer Chor, die Gemeinde zum Singen anleiten und ihr Freude und Mut zum Singen machen ... Das heißt aber nicht, dass in manchen Gemeinden das Problem nicht auch schon früher bestanden hätte ... Es gibt auch überlieferte Klagen über den schlechten Gemeindegesang aus dem 17. Jahrhundert, das kannte man früher auch schon."
"Das ist im Grunde die wesentliche Neuerung, die die Reformation gebracht hat, dass die Gemeinde zum Subjekt und zum Träger des Gottesdienstes durch den volkssprachlichen, muttersprachlichen Gesang wurde. In dieser Form war die Gemeinde jetzt salopp gesagt, die Hauptakteurin des Gottesdienstes."
Da vor der Reformation im Gottesdienst der Gesang der Kirchengemeinde nicht vorgesehen war, suchte man nun neue Wege, um auch der Gemeinde im Gottesdienst "eine Stimme zu geben".
"Zum einen brauchte man deutsche Liedtexte, also für strophische Kirchenlieder gereimte, poetische Texte, die mussten erst mal geschaffen werden. Luther hat zum Teil selbst gedichtet, zum Teil hat er lateinische Hymnen, die er für brauchbar hielt, ins Deutsche übersetzt, das war das eine. Das andere war natürlich: für die Leute singbare Melodien und da ist es sicher ein großes Verdienst von Luther gewesen, dass er mit eigenen Ideen da behilflich war, er hat selber auch in begrenztem Umfang komponiert, aber er hat eben auch damals populäre Volksliedweisen für das geistliche Lied aufgenommen, das, was die Leute auf den Straßen, in den Häusern ohnehin gesungen haben, hat er mit geistlichen Texten verbunden. Auf diese Weise konnte die Reformation als Singbewegung Erfolg haben."
Auch das bis heute populäre Weihnachtslied ‘Vom Himmel hoch’ ist durch Martin Luther bekannt geworden und daran lässt sich seine Vorgehensweise gut veranschaulichen: Der Reformator hatte die Melodie einem Bänkellied entlehnt, einer volkstümlichen Weise, die bei weltlichen Festen als Spiel oder Trinklied angestimmt wurde. Den Text hat Luther neu gedichtet, damit ihn die Kinder zur Weihnachtszeit im Gottesdienst aufführen konnten. Bei ihm gehörten Sprachempfinden und musikalisches Gespür zusammen. Die Grundlagen dazu wurden ihm an der Universität vermittelt, denn Musik gehörte zu den sogenannten freien Künsten, den Artes Liberales, die Martin Luther in Erfurt studierte. Er war aber nicht nur ein musikalisch gebildeter Mensch, der vermutlich an der Laute, einem Vorgänger der Gitarre, komponierte, sondern ein am praktischen Musizieren und Singen interessierter Geistlicher. Und er nutzte die Möglichkeit, den Menschen über den deutschsprachigen Gesang die Botschaften der Bibel näher zu bringen, wie Michael Heymel an einem anderen Beispiel erläutert.
"Nehmen wir ein Lied von Luther, das vielleicht sein bekanntestes ist: Ein Feste Burg ist unser Gott. Das ist im Grunde ein Psalmenlied von der Form. Das heißt Luther greift den 46. Psalm auf und dichtet diesen Psalm, die Psalmen sind ja biblische Gebete und Lieder, und dichtet ihn nach, aber nicht ganz strenge am Inhalt des Psalms, sondern er verbindet mit der Nachdichtung auch eine Interpretation des Psalms. Denn da kommt Jesus Christus vor, von dem ist ja in den Psalmen noch gar nicht die Rede und überträgt damit den Psalm in einen christlichen Kontext."
Die Kompositionen von Martin Luther, viele sind übrigens in Variationen von Johann Sebastian Bach 200 Jahre später auch als Chorwerke mit Orgelbegleitung bekannt geworden, haben in den ersten lutherischen Gemeinden schnell kanonischen Rang erlangt. Die 37 Lieder, die eindeutig auf den Reformator zurückgeführt werden können, finden sich bis heute in den evangelischen Gesangsbüchern.
Die Verbreitung der Stücke vor rund 500 Jahren geschah übrigens größtenteils mündlich, was deshalb so gut funktioniert hat, weil es damals eine ausgeprägte Singkultur. Außerdem konnten viele Menschen weder lesen noch schreiben und waren noch nicht auf das Gedruckte fixiert.
Aber so wie es zwischen den Reformatoren schnell zu Unstimmigkeiten kam, so war auch der Umgang mit der Musik in den verschiedenen Regionen umstritten, da in dieser Frage die Meinung der unterschiedlichen Akteure der Reformation auseinander ging. Dem musikalischen Luther gefiel es zum Beispiel nicht, wie Thomas Müntzer mit dem Kirchenlied umging.
"Müntzer ... versuchte, lateinische Hymnen ins Deutsche zu bringen, etwas, das an sich ganz im Interesse Luthers gewesen ist, nur hat er dabei geglaubt, man könnte die Lieder, die im Lateinischen nach dem Muster der Gregorianik gebildet sind, so ins Deutsche übertragen, dass man einfach zu den gregorianischen Weisen deutsche Worte singen kann. Und das stößt sich mit der Betonung, die das deutsche hat, führt also zu ganz künstlichen Betonungen und darüber kam es zu einer Auseinandersetzungen mit Luther, in denen Luther Münzers Vertonungen von lateinischen Hymnen scharf kritisiert hat."
Die Unterschiede zu einem anderen Erneuerer kirchlicher Strukturen reduzieren sich gleichwohl nicht bloß auf Fragen der Betonung. Der Genfer Reformator Johannes Calvin folgte der Tradition des Augustinus und ordnete das Singen ausschließlich dem Beten zu. Auf Kirchenvater der Spätantike bezog sich zwar auch Luther, aber für ihn war der Gesang noch viel mehr, er diente der Verkündigung der Frohen Botschaft. Luther forderte seine Gemeinde auf: "So predigt Gott das Evangelium auch durch die Musik" und in einem Brief an Ludwig Senfl 1530 schrieb er: "Nach dem heiligen Wort Gottes ist nichts so billig und so hoch zu rühmen und zu loben, als eben die Musica."
Auch in der Musikauswahl unterschieden sich Luther und Calvin deutlich voneinander:
"Calvin hielt nur die biblischen Psalmen im Grunde für die Kirche singbar, als Form gesungenen Gebets, andere Muster hat er gar nicht gelten lassen und damit blieb für die Reformierten nur der Weg, man musste die Psalmen in eine muttersprachliche, poetische Form bringen, aber anderes konnte man nicht nehmen und man konnte auch keine Volksliedmelodien dafür nehmen."
Die Musikauffassung von Johannes Calvin hat in der Tradition der Kirchenlieder tiefe Spuren hinterlassen, auch wenn sie sich deutlich von Martin Luthers Vorstellung unterscheidet. Auf Calvin geht der Genfer Liedpsalter zurück, der ab 1556 in der französischen Fassung zur Grundlage des reformierten Kirchengesanges wurde und heute als eines der meist übersetzten Gesangsbücher der Welt gilt. Besonders populär wurde der Psalmengesang in der vierstimmigen Version des Komponisten Claude Goudimel. Solche Beispiele machen den Unterschied zwischen Luther und Calvin deutlich.
Und während nun die lutherischen Gesangbücher immer umfangreicher wurden und mit populären Melodien einen wichtigen Teil häuslicher Frömmigkeit ausmachten, blieb zwischen dem Liedgut der reformierten Kirche und den Gemeinde stets eine Kluft.
Da die Gottesdienstbesucher kaum in der Lage waren vierstimmig zu singen. Ihre musikalische Kraft konnten diese Gottesdienste deshalb nur mit einem Chor oder ein paar geübten Vorsängern entfalten. Was im Blick auf die Gottesdienste von heute auch so manchen Kirchengemeinden gut tun würde, meint der evangelische Theologe und Kirchenmusikexperte Michael Heymel:
"Das ist ein Problem, dass zu wenig im Blick ist, dass der Gemeindegesang gepflegt werden muss, es muss Menschen geben, die als Vorsänger oder als liturgischer Chor, die Gemeinde zum Singen anleiten und ihr Freude und Mut zum Singen machen ... Das heißt aber nicht, dass in manchen Gemeinden das Problem nicht auch schon früher bestanden hätte ... Es gibt auch überlieferte Klagen über den schlechten Gemeindegesang aus dem 17. Jahrhundert, das kannte man früher auch schon."