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Die Regierungskrisen in Osteuropa - kommt nach der Erweiterung die Stunde der Populisten?

Die polnische Regierungspartei SLD hat das Vertrauen der Wähler vollkommen verspielt. In den Umfragen kommt das demokratische Linksbündnis nur noch auf 9 Prozent, bei Neuwahlen droht der SLD somit das gleiche Schicksal wie der konservativen Wahlaktion Solidarnosc, die bei den letzten Parlamentswahlen aus der Regierungsverantwortung in die politische Bedeutungslosigkeit abgerutscht war.

Von Bernd Musch-Borowska | 04.06.2004
    Die Polen sind enttäuscht von den großen Parteien, sowohl von den linken als auch von den rechten. Das Feld beherrscht inzwischen der Populist Andrzej Lepper.

    Der Chef der Bauernorganisation mit dem martialischen Namen Samoobrona, Selbstverteidigung, hat in den Umfragen mehr als 29 Prozent erreicht und ist damit zur stärksten politischen Kraft aufgestiegen. Noch vor der seriösen Oppositionspartei Bürgerplattform. Mindestens ebenso viele Polen befürchten aber auch, dass Lepper zu viel Macht bekommen könnte. Sein Demokratieverständnis ist eher unterentwickelt. Andrzej Lepper ist Anhänger eines starken Staates, mit sich selbst in der Rolle des Diktators:

    In unserem Programm wollen wir als Samobrona, dass es in Polen ein Präsidialsystem gibt. Damit der Präsident regiert und die Verantwortung trägt. Es kann nicht so sein, wie es jetzt ist, dass es in Polen drei Machtzentren gibt, und man weiß nicht, wer regiert und niemand ist verantwortlich. Die Regierung schiebt es auf den Präsidenten, der Präsident auf die Regierung, und Regierung wieder aufs Parlament, und es gibt nur Streit. Es muss endlich die Klarheit geben: Ich regiere und ich bin verantwortlich dafür, was ich mache. Also für so ein System sind wir.

    Der Abschaum strebt an die Macht, titelten die Tageszeitungen angesichts der Stimmenzuwächse für die Samoobrona. Andrzej Lepper lässt keinen Zweifel daran, dass er ein einflussreiches Staatsamt anstrebt. Stellvertretender Sejm-Marschall, also Parlamentspräsident war er schon mal, aber nur kurze Zeit. Wegen unparlamentarischen Verhaltens wurde er ganz schnell wieder aus dem Amt entfernt.

    Lepper hat in den vergangenen Jahren eine bemerkenswerte Wandlung vollzogen. Vom Straßenblockierer in Bauernkluft zum ernsthaften Politiker im dunklen Anzug und mit staatsmännischem Auftreten:

    Ich war immer ernsthaft, ob ich Straßen blockiert habe, oder Demonstrationen organisiert. Wir haben das immer mit großem Ernst und zum Wohle des Landes gemacht. Die Formen des Protestes sind immer der Situation angemessen. Wir haben im Sejm das Rednerpult blockiert, wir haben unseren eigenen Lautsprecher mitgebracht, wir haben auch im Parlament gezeigt, dass wir entschlossen sind, die Interessen derjenigen zu verteidigen, die uns gewählt haben. Und wenn es nötig ist, gehen wir mit den Leuten auf die Straße. Vor nicht so langer Zeit gab es Proteste, bei denen ich persönlich dabei war.

    Lepper ist gegen die Privatisierung der polnischen Staatsbetriebe und tritt für ein staatsgelenktes Wirtschaftssystem ein. Den EU-Beitritt lehnt er ab, zumindest nach den jetzigen Bedingungen. Polen habe das ganze sowjetische System zum Einsturz gebracht, sagt er. Das könne auch mit der Europäischen Union passieren:

    Wenn Polen nicht nach partnerschaftlichen, gleichen Prinzipien aufgenommen wird, wenn die Polen feststellen, dass sie betrogen wurden, und nur deshalb in die EU aufgenommen wurden, um zum Absatzmarkt für die Produktionsüberschüsse aus dem Westen zu werden, dann möchte ich daran erinnern, die Polen haben sich als die erste dem Faschismus aktiv entgegengesetzt. Die Polen haben als erste den Kommunismus gestützt, der Fall der Berliner Mauer ist auch unser Verdienst, und ich sage, wenn keine Partnerschaft gibt, dann kann die Aufnahme Polens in die EU der Anfang vom Ende der Europäischen Union sein.

    Andrzej Lepper und seine Samoobrona sind in Polen zum Sammelbecken der Unzufriedenen geworden. Längst hat der Bauernführer seine Anhänger auch in den Städten. Solange keine ernsthafte linke Alternative zur Regierungspartei SLD entstanden ist, könnten immer mehr linke Protestwähler dem Populisten hinterherlaufen.