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Die Reste der Anderen

Der Urlaub steht bevor, aber der Kühlschrank ist noch voll: Statt übrige Lebensmittel in den Müll zu werfen, kann man sie jetzt über die Internetplattform foodsharing.de verschenken. Die Initiatoren der Website wollen damit auch einen Sinneswandel der Verbraucher erreichen.

Von Britta Fecke |
    Was dem einen nicht mehr schmeckt, macht den anderen vielleicht noch satt. Was der eine Nachbar vor der Reise wegwirft, fehlt dem anderen womöglich noch als Zutat für den Sonntagsbraten. Nicht wegschmeißen - weitergeben, so könnte die Idee der Internetplattform foodsharing.de zusammengefasst werden.

    Die Köpfe hinter dieser Initiative sind unter anderem Stefan Kreutzberger(*), Autor des Buches "Die Essensvernichter" und der Filmemacher Valentin Thurn. Sein Film "Taste the waste" war vor kurzem noch in den Kinos zu sehen. Der Filmemacher hofft, mit dieser Website die Lebensmittelverschwendung in Deutschland einzudämmen, und nicht nur das:

    "Das war der Grundgedanke bei Foodsharing, jetzt nicht nur die Salatköpfe zu retten, sondern auch die Köpfe der Menschen zu ändern."

    Foodsharing.de soll wieder ein Bewusstsein für den Wert der Lebensmittel schaffen, den ethischen Wert und auch den monetären: Rund elf Millionen Tonnen Lebensmittel werden in Deutschland jedes Jahr weggeschmissen. Ein großer Teil dieser Verschwendung passiert in privaten Haushalten.

    Durchschnittlich landen 82 Kilogramm pro Person nicht im Topf oder auf dem Teller, sondern in der Tonne. Deutsche Haushalte werfen jährlich Speisen im Wert von 22 Milliarden Euro in den Müll, so rechnet Valentin Thurn vor. Eine Verschwendung, die vermieden werden kann, auch mit Hilfe dieser gemeinnützigen Website, die als Plattform für teilfreudige Nachbarn dient:

    "Ich hab was übrig, geb das weiter, einem anderen fehlt das, der kann das umsonst haben, weil ich hätte es ja weggeworfen. Also kann ich dafür auch kein Geld verlangen. Aber über diesen Prozess des Teilens kommt eine Wertschätzung des Essens zurück. Das ist nämlich mehr wert als der eigentliche monetäre Wert. Wir wollen es nicht wegwerfen, weil es die Basis unseres Lebens ist. Und überhaupt ist es auch schön für die Nachbarschaft und für die Beziehungen etwas zu teilen, und Essen ist die nobelste Sache. Das war auch traditionell in der Kultur immer so, dass Essen umsonst weitergegeben wurde, wenn man zu viel davon hatte."

    Auf der Seite kann sich zum Beispiel der Besitzer eines übervollen Kühlschrankes melden, wenn er am nächsten Tag für vier Wochen in den Urlaub fliegt. Nutzer von foodsharing.de können dann auf der Deutschlandkarte erkennen, welche Angebote in ihrer Nähe zur Verfügung stehen: Da gibt es eine halbe Kiste Bier in der Nordstadt oder zwei Straßen weiter den vollen Apfelbaum. Ein Klick weiter und der Nutzer erfährt die genaue Adresse und den Zeitraum, in dem das Essen abgeholt werden kann.

    Um Zeiträume in Bezug auf Lebensmittelverschwendung kümmerte sich in diesem Jahr auch Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner, CSU:

    "Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist kein Wegwerfdatum. In der Regel ist das Produkt auch nach Ablauf dieses Mindesthaltbarkeitsdatums noch genießbar. Hier heißt es dann, seine eigenen Sinne einfach einschalten: riechen, schmecken und auch ansehen kann man dann verwenden, um zu sehen, ob das Produkt noch gut ist. Es ist eine Orientierungshilfe, die eine Güteklasse sozusagen auch beschreibt und deshalb ist das Produkt durchaus noch verwendbar."

    Auch Ilse Aigner will das Bewusstsein der Bürger für den Wert der Lebensmittel schärfen. Eine Initiative, die bei Umwelt- und Verbraucherschützern zwar gut ankommt. Doch greift sie viel zu kurz. Denn Lebensmittelverschwendung beginnt nicht erst im privaten Vorratsschrank, sondern schon auf dem Acker.

    So wird beispielsweise rund ein Drittel der Kartoffeln gar nicht erst geerntet, weil die Früchte in Form oder Größe nicht der EU-Norm entsprechen. Eine Verschwendung, auf die der Verbraucher nur schwer Einfluss nehmen kann, denn wie soll er mit seinem Kaufverhalten entscheiden, wenn kleine Kartoffeln und verwachsene Äpfel gar nicht erst in den Handel gelangen? Valentin Thurn:

    "Mir geht es in der Tat auch gehörig auf die Nerven, dass das Bundesverbraucherschutzministerium den Fokus so stark auf den Verbraucher hat. Der ist verantwortlich für einen großen Teil des Lebensmittelmülls, aber wenn man nur den einen Schuldigen im Fokus hat und die anderen Schuldigen dabei vergisst - Landwirtschaft, Industrie, Handel -, dann wird man auch unglaubwürdig, dann fragt sich zum Schluss der Verbraucher: Ja warum denn ich nur?"

    Es sei Aufgabe der Politik, die Lebensmittelverschwender am Anfang der Produktionskette zu erreichen:

    "Hinzu kommt, dass das Ministerium, wie ich finde, eine unzulässige Zusammenfassung dieser Studie veröffentlicht hat, indem sie sagt: Zu 61 Prozent ist der Verbraucher verantwortlich! Ja wenn man vorher aus der Studie die ganze Landwirtschaft ausklammert, kein Wunder dass man auf so eine Zahl kommt. Sie ist so nicht richtig!"

    Und deshalb haben die Initiatoren mit ihrer Internetplattform auch etwas weiter gedacht. Valentin Thurn:

    "Wir haben versucht alle in der Kette zu erreichen, also Landwirte und Händler, die können mitmachen. Und tatsächlich haben wir auch 'ne kleine Supermarktkette, die sich bereit erklärt hat, die Reste zu liefern."

    Geben, nehmen, teilen - mit diesem Slogan ist die Website nun seit zwei Wochen geschaltet. Und vom allein stehenden Nachbarn bis zum Cateringservice wird seitdem getauscht und verschenkt. Das verhindert nicht nur Lebensmittelverschwendungen, sondern fördert auch das Miteinander: Über foodsharing.de haben sich bereits spontane Kochgemeinschaften gefunden.

    (*) Anm. d. Red.: Das gesendete Manuskript weicht in dieser Passage aufgrund einer Autorenkorrektur von der Sendefassung ab.