"Wir wollen auf der Wirksamkeitsagenda weiter arbeiten, weil in Zeiten knapper Kassen mit den vorhandenen Mitteln ein höchstmögliches Maß an Effizienz erzielt werden muss."
Berlin, Ende Juni: Bundesminister Dirk Niebel spricht über seine Ziele der Entwicklungspolitik. Vor vier Jahren kündigte der FDP-Politiker an, Pflöcke einschlagen zu wollen. Das begann schon bei der Wortwahl. Der Liberale damals im Deutschlandfunk:
"Nun erstens bin ich Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, so heißt das Ressort, was ein Unterschied ist zu einem Weltsozialamt, wie manche dieses Haus betrachtet haben in der Vergangenheit."
Niebel trat an mit dem Vorsatz, alles anders machen zu wollen als seine Vorgängerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. Damit hat er so manche Kontroverse ausgelöst. Als er 2009 das Entwicklungsressort übernahm, war Europa gerade vom Strudel der Finanzkrise erfasst worden. In den Entwicklungs- und Schwellenländern dagegen zog nach Jahren der Rezession die Konjunktur kräftig an. In den Bergbaugebieten Afrikas und Lateinamerikas kaufte sich China in großem Stil in die Rohstoffförderung ein.
Diese neuen Rahmenbedingungen machten sich vor vier Jahren auch im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP bemerkbar:
"Der Zugang zu Rohstoffen und deren verlässliche Verfügbarkeit sind […] unverzichtbare Ziele der Außenwirtschaftspolitik. […] Entwicklungspolitische Entscheidungen müssen die Interessen der deutschen Wirtschaft, insbesondere des Mittelstandes, angemessen berücksichtigen."
Dass öffentliche und private Träger unter der Bezeichnung Public Private Partnership - kurz PPP - zusammenarbeiten, gab es schon unter Niebels Vorgängerin. Die Sozialdemokratin Wieczorek-Zeul sah sich vor allem der Umsetzung der Millennium-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen verpflichtet - etwa der Halbierung der Zahl der weltweit Hungernden, Grundschulbildung für alle Kinder, Reduzierung der Müttersterblichkeit bis zum Jahr 2015. Völlig außer Acht ließ auch sie deutsche Wirtschaftsinteressen nicht - zum Beispiel beim Klimaschutz mithilfe Erneuerbarer Energien:
"Das ist hervorragend, denn das ist der Schwerpunkt, den eben auch Deutschland in seinen eigenen Exportchancen hat. Also es gibt ein gemeinsames Interesse. Es geht aber auch darum - das will ich hier auch sagen -, dass natürlich auch nachhaltige Investitionen in Afrika verwirklicht werden."
Dirk Niebel dagegen ist beseelt von der Überzeugung, gesellschaftlicher Wandel werde allein durch die Wirtschaft und auch durch ausländische Investoren angestoßen. Der Minister vergangenen April auf der Africa Business Week in Frankfurt:
"Alle Unternehmen, die sich gemeinsam mit uns in Entwicklungs- und Schwellenländern engagieren wollen, können sich seit 2010 direkt an unsere Servicestelle für die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft in meinem Ministerium wenden. Hier werden Sie nicht mehr - wie früher - vom Länderreferat durchs Sektorreferat ins Grundsatzreferat geschickt, sondern Sie kriegen einen Ansprechpartner, und selbst wenn es der falsche ist, kann er Sie so weit führen, bis Sie bei dem richtigen angekommen sind, um alles das in Anspruch zu nehmen, was wir geschaffen haben, damit Sie erfolgreich in unseren Partnerländern zu einer besseren Entwicklung beitragen können."
GIZ, Sequa, DEG oder CIM - die Abkürzungen stehen für staatliche oder halbstaatliche Institutionen, die seit vielen Jahren deutsche private Investoren in Entwicklungsländern unterstützen. Zusätzlich hat Niebels Ministerium mit den so genannten "EZ-Scouts" Spezialisten für Entwicklungszusammenarbeit in die hiesigen Industrie- und Handelskammern sowie an die Auslandskammern entsandt, um Unternehmen bei ihren Investitionen in Entwicklungsländern zu beraten. Er schuf neue Subventionstöpfe, aus denen kleine Mittelständler etwa Machbarkeitsstudien finanzieren können. Dies lobt Stefan Liebing, der Vorsitzende des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft:
"Wenn ich mit Wirtschaftsvertretern und Politikern in Afrika spreche, dann sagen die mir häufig: Liebe deutsche Unternehmen, kommt, sagt uns, wie wir Projekte machen können, und wir setzen die Rahmenbedingungen so, dass es funktionieren wird. Dann gehe ich zu den deutschen Unternehmen und der deutsche Unternehmer sagt, ich brauche aber erst einmal eine Machbarkeitsstudie und einen Ordner voller Unterlagen. Dieses Chicken-and-Egg-Problem müssen wir durchbrechen, weil sonst Projekte gar nicht erst anfangen zu entstehen."
Mit solchen Vorbehalten kämpfen vor allem sehr arme Entwicklungsländer mit schlechter Infrastruktur und schwacher Verwaltung. Schwellenländern wie Brasilien oder der Türkei fällt es dagegen leicht, Investoren anzuziehen und Jobs zu schaffen.
Rüdiger Schwarz, Geschäftsführer der Geotec Rohstoffe mit Sitz in Berlin, möchte die Trennung zwischen Außenwirtschaftsförderung und Entwicklungszusammenarbeit ganz aufheben:
"Ich glaube, weil in Zeiten der Globalisierung es Sinn macht und ein Erfordernis ist, wenn ein Land wie Deutschland seine Interessen in der Welt an verschiedenen Standorten durchsetzen möchte, dass man also diese beiden Instrumente zusammen bündelt auf ein konkretes Ziel oder Land oder ein konkretes Projekt hin."
So wie er denken viele Wirtschaftsvertreter. Schwarz war Ende April mit Niebels Parteifreund, Außenminister Westerwelle, in Mosambik. Dort möchte sein Unternehmen in großem Stil in die Kohleverarbeitung einsteigen.
Doch so wichtig Jobs für die Entwicklung eines Landes sind: Nicht alles, was sich Wirtschaftsvertreter und Politiker wünschen, ist auch sinnvolle Entwicklungszusammenarbeit, sagt Dirk Messner, der Direktor der Bonner Denkfabrik DIE. DIE steht für Deutsches Institut für Entwicklungspolitik:
"Die Außenpolitik hat zum Beispiel ein großes Interesse daran, dass wir mit möglichst vielen Ländern in der Entwicklungspolitik zusammenarbeiten. In der Entwicklungspolitik wissen wir aber, dass die Zusammenarbeit mit wenigen Ländern, in denen man konzentriert gemeinsam viele Dinge voranbringt, sinnvoller ist, als mit der Gießkanne über viele Länder hinwegzugehen."
Mehr Schaden als Nutzen richtete etwa die Lieferbindung an, die mit der Gewährung deutscher Entwicklungsgelder bis in die 90er-Jahre verknüpft war. Empfängerländer konnten deshalb nicht weltweit das beste Angebot wählen, sondern mussten deutsche Technik zu deutschen Preisen kaufen. So floss der Großteil der vergebenen Hilfsgelder wieder zurück nach Deutschland. Das hinterließ statt Entwicklung gestiegene Schuldenberge in den Empfängerländern.
Wissenschaftler Dirk Messner rät jedenfalls, Außenwirtschaftsförderung und Entwicklungszusammenarbeit weiter zu trennen.
"Die Außenwirtschaftspolitik hat ja als Ziel, deutsche Unternehmen zu stärken, und das ist sehr legitim. Und die Entwicklungspolitik hat zunächst mal als Ziel, die soziale, ökologische und wirtschaftliche Entwicklung in anderen Ländern zu unterstützen und zu stärken und das ist ein anderes Ziel. Manchmal gehen beide zusammen, aber wir sollten nicht außenwirtschaftliche Nutzeffekte zur Voraussetzung für Entwicklungskooperation machen."
Das wolle auch er mit seinen neuen Fördertöpfen nicht bezwecken, sagt Dirk Niebel:
"Wir geben nur was dazu, wenn wir einen entwicklungspolitischen Mehrwert haben, zum Beispiel eine deutlich höhere Ausbildungsquote, als man für das eigentliche Unternehmen benötigt. Und nur, um dem gängigen Vorwurf der Ökonomisierung der Entwicklungspolitik mal einen Riegel vorzuschieben: Wir haben 89 Millionen Euro in meinem Etat für die Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft. In einem 6,3-Milliarden-Etat ist das etwas über 1 Prozent. Man muss auch mal die Kirche im Dorf lassen."
Tatsächlich werden millionen- und milliardenschwere Aufträge, wie die zum Ausbau von Straßen- oder Stromkraftwerken, woanders vergeben: zum Beispiel von der Weltbank. Der jeweilige deutsche Entwicklungsminister ist dort einer der einflussreichen Gouverneure. Allerdings entschieden die schwarz-gelben Koalitionäre 2009, die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit sei zu vernachlässigen. Jetzt drängt die deutsche Wirtschaft darauf, die Ausschreibungskriterien der Weltbank so zu formulieren, dass deutsche Unternehmer bei der Auftragsvergabe besser zum Zuge kommen.
"Einen schönen guten Abend, meine Damen und Herren zu einem sehr aktuellen Thema. Acht Jahre lang wird die deutsche Sicherheit nun schon am Hindukusch verteidigt. Auf der großen Afghanistan-Konferenz in London hat Außenminister Westerwelle deshalb heute einen Strategiewechsel verkündet…"
Ohne Berührungsangst ging der ehemalige Fallschirmjäger Niebel die humanitär-militärische Zusammenarbeit in Afghanistan an. Die gab es schon vorher, wie Carl-Dieter Spranger - CSU und Niebels Vorvorgänger auf dem Ministerstuhl - jüngst in einem sehr Niebel-kritischen Leserbrief an die FAZ betonte. Neu war der indirekte Zwang: Einen Teil der Mittel für Afghanistan sollten die privaten Hilfsorganisationen nur erhalten, wenn sie dort direkt mit der Bundeswehr zusammenarbeiteten. Das lehnten fast alle ab, bilanziert Ulrich Post, der Vorsitzende von VENRO, dem Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen:
"Wir haben seitdem nichts mehr wieder davon gehört, uns unter das Prinzip der vernetzten Sicherheit unterzuordnen. Und wir möchten das auch nicht. Nicht, weil wir keinen Respekt vor Bundeswehrsoldaten in Afghanistan hätten, ganz im Gegenteil, aber das sind zwei unterschiedliche Dinge: Die Soldaten sind Partei in dem Konflikt, aber Hilfsorganisationen möchten nicht Partei sein in dem Konflikt."
Wie viele Hilfsorganisationen überhaupt mit der Bundeswehr zusammenarbeiteten, weiß selbst Niebel nicht. Er verweist lieber auf seine Reformerfolge: Unter ihm wurde die in mehrere Organisationen zersplitterte staatliche Zusammenarbeit unter dem Dach der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) zusammengefasst und in GIZ umbenannt: Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Außerdem gründete Niebel ein unabhängiges Evaluierungsinstitut, ein Novum in der deutschen Entwicklungspolitik. Und er habe die Zivilgesellschaft gestärkt, betont der Liberale …
"…mit der Zusammenführung von vier anderen Organisationen zu einer Servicestelle der Zivilgesellschaft "Engagement Global", weil wir wissen, dass diese beiden Partner - Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft - von herausragender Bedeutung für gute Entwicklungsergebnisse sind."
Ausgerechnet diese Zivilgesellschaft stellt Niebel ein nur mäßiges Zeugnis aus. Er habe der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit von Regierung zu Regierung am meisten Geld zugeschlagen, klagt Ulrich Post von VENRO. Und wirklich beteiligt fühlen sich die Nichtregierungsorganisationen unter Niebel nicht:
"Wir haben oft das Gefühl als Zivilgesellschaft, dass bestimmte Aufgaben, von denen wir eigentlich annehmen, dass es unsere sind, vom Staat übernommen werden. Das Beispiel ist "Engagement Global", die eigentlich sinnvolle Zusammenlegung von vielen unterschiedlichen Beratungsangeboten, staatlichen und zivilgesellschaftlichen. Das ist eine rein staatliche Institution geworden, was ein bisschen widersinnig ist, weil es eigentlich zivilgesellschaftliches oder bürgerschaftliches Engagement fördern soll."
Mit seiner Wortwahl zog Niebel weiteres Misstrauen auf sich. Hirseschüsselpolitik, linke Kuschelecke, Schlabberpulli-Entwicklungshelfer: Solche Äußerungen dürften nicht nur seine Vorgänger Spranger, Wieczorek-Zeul und Mitarbeiter seines Ministeriums - das im Behördenjargon kurz als BMZ genannt wird - als Verunglimpfung ihrer Arbeit empfunden haben. In Niebels Augen dagegen handelt es sich um notwendige Formen der Öffentlichkeitsarbeit:
"Ich bin fest davon überzeugt, dass das Bild der Entwicklungszusammenarbeit bei vielen Menschen in Deutschland verzerrt ist. Viele stellen sich vor: Großer weißer Mann kommt nach Afrika, baut Schule und beschult kleine schwarze Kinder. Das ist Hirseschüsselpolitik, das ist das, was viele am Stammtisch denken und das ist genau das, was wir nicht machen."
Er beschädige das Ansehen der Entwicklungspolitik, wirft VENRO dem Minister vor. Andererseits fragt auch Ulrich Post selbstkritisch, ob sich die NGO-Szene durch einen gewissen Wohltätigkeitsjargon in eine Nische manövriert habe, und:
"Ich finde das gut, dass Entwicklungspolitik - wie das BMZ immer sagt - mehr in die Mitte der Gesellschaft versucht worden ist zu schieben. Ob das immer so gelungen ist, wie das vielleicht beabsichtigt war, glaube ich nicht, weil es leider dann oft dazu kam, dass sich die BMZ-Leitung nur ins rechte Licht rücken wollte und Politik inszeniert hat, aber nicht gemacht hat."
Die Investitionen der letzten Jahre in Grundschulkinder und Müttergesundheit, die Auflagen "Schuldenerlass gegen Armutsbekämpfungsprogramm" können aber nicht nur falsch gewesen sein. Minister Niebel weist selbst auf deutliche Fortschritte in afrikanischen Staaten wie Ghana hin. Eine Rolle spielen auch die gestiegenen Rohstoffpreise. Sambias Botschafter in Deutschland, Bwalya Chiti:
"Wenn die Kupferpreise hoch sind wie in den letzten zwei Jahren, dann sind wir glücklich und es entwickelt sich auch viel, wie beim Ausbau der Infrastruktur, von Straßen. Aber sobald die Kupferpreise fallen, bekommen wir Probleme, deshalb möchte unsere Regierung die Wirtschaft stärker diversifizieren, zum Beispiel durch den Ausbau der Landwirtschaft."
Dabei ist die Zusammenarbeit mit reicheren Entwicklungsländern für Deutschland offenbar attraktiver als mit ärmeren. Die von U2-Sänger Bono gegründete Entwicklungsorganisation ONE identifiziert unter den Top-Ten-Empfängern deutscher Entwicklungsgelder fünf Staaten aus dem Kreis der eher reichen G-20-Schwellenländer und nur ein afrikanisches Land, und zwar das vergleichsweise wohlhabende Kenia. Ein Trend, den Entwicklungsexperten schon unter Wieczorek-Zeul kritisiert hatten.
Minister Niebel betont - wie schon seine Amtsvorgängerin - die Bedeutung von Good Governance, von guter Regierungsführung. Aber er tut das mehr im Sinne eines verlässlichen Rechtsrahmens für Unternehmen. Der Begriff Armutsbekämpfung taucht in den Konzepten seines Ministeriums seltener als früher auf. Der frühere Arbeitsmarktexperte setzt auf Berufsausbildung:
"Es geht nichts über vernünftige berufliche Qualifikation. Auch übrigens, wenn ich einen Mittelstand aufbauen will."
Der Minister erhält auch Lob durch VENRO, dem Verband der privaten Entwicklungsorganisationen - zum Beispiel für das Menschenrechtskonzept seines Hauses. Noch fehlt jedoch die Bewährung im Praxistest - zum Beispiel bei den Rohstoff-Partnerschaften und -kooperationen, die die Bundesregierung mit der Mongolei und Kasachstan geschlossen hat und die sie mit Peru, Chile oder auch Afghanistan bereits verhandelt oder anstrebt.
Für den Liberalen sind deutsche Unternehmen zudem per se gute Arbeitgeber, die Rücksicht auf das jeweilige Umfeld nehmen würden:
"Deutsche Unternehmen kommen mit höheren Standards als sie oft ortsüblich gefordert werden, mindestens aber mit den internationalen Kernarbeitsnormen, auch das kann schon Vorbildfunktion haben."
Susanne Friess, Expertin für Bergbaufolgen bei der katholischen Hilfsorganisation Misereor, will Unternehmen den guten Willen nicht grundsätzlich absprechen. Aber von den von Niebel beschworenen Umwelt- und Sozialstandards hält sie nicht viel…
"…weil sie kein rechtlich bindender Mechanismus sind. Da werden keine Sanktionen verhangen, da werden keine rechtlich bindenden Urteile gesprochen, sondern es mündet im besten Fall in einen Dialogprozess, wo versucht wird, die Konfliktparteien an einen Tisch zu kriegen und dann einen Kompromiss auszuhandeln."
Dass eine indigene Gemeinde den Bergbau in ihrer Region ganz ablehnt, ist im Schlichtungsverfahren erst gar nicht vorgesehen.
Ähnliche Widersprüche im Bereich "Ländliche Entwicklung": Dort bescheinigt VENRO dem Entwicklungsministerium ein gutes Konzept, das erstmals einvernehmlich mit dem Bundeslandwirtschaftsministerium die Abschaffung der Agrarexportsubventionen fordert. Gleichzeitig hätten sich Niebel und Ilse Aigner jedoch auf bedenkliche Allianzen mit Agrarmultis eingelassen, warnt Ulrich Post:
"Aus den bisherigen Erfahrungen mit einigen dieser Firmen glauben wir, dass sie eine Strategie verfolgen, die für eine nachhaltige Landwirtschaft nicht vernünftig ist. Das wird auch von Umweltexperten heftig kritisiert, weil sie glauben, dass die Biodiversität durch große Monokulturen leiden wird. Und wir glauben nach aller Erfahrung auch nicht, dass es hilfreich sein wird, viele Menschen in Arbeit zu bringen und aus der Armut heraus zu holen."
Auch die Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung lasse an Kohärenz vermissen. Das gleiche gilt für die ODA-Quote: Eigentlich hatte Schwarz-Gelb versprochen, den Anteil der Entwicklungshilfe gemessen am Bruttoinlandsprodukt Deutschlands bis 2015 auf 0,7 Prozent zu steigern. Niebels Etat stagniert bei 0,38 Prozent, die ODA-Quote wird mit den gleichen Tricks aufgehübscht wie schon unter seiner Vorgängerin.
Und das Ministerium selbst? Nachdem die Mitspracherechte des Personalrats beschnitten wurden, seien viele Stellen weit über das übliche Maß hinaus mit Parteifreunden von außen besetzt worden, klagt der Verband der Bediensteten der obersten Bundesbehörden (VBOB). Niebel weist dies zurück. An Zufall mögen die zahlreichen Kritiker aber nicht glauben, weil ein FDP-internes Strategiepapier dieses Ziel kurz vor der Bundestagswahl 2009 propagierte. Der VENRO-Vorsitzende Ulrich Post ist nicht der einzige, der sagt, unter Niebel seien gute Ansätze liberaler Entwicklungspolitik durch parteipolitische Polarisierung geschwächt worden.
Ob es Dirk Niebel gelungen ist, mehr Investoren mit "guten" Arbeitsplätzen in bitterarme Entwicklungsländer zu locken, lässt sich jetzt noch nicht abschließend beurteilen. Ideen für die nächste Wahlperiode hat der Liberale auch schon: Dann müssten die Vereinten Nationen und die Weltbank reformiert werden. Außerdem möchte Niebel künftig mit den BRICS, großen Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien, gemeinsam Entwicklungshilfe leisten:
"Wir können viel profitieren von den gemachten Erfahrungen dieser Staaten im eigenen Entwicklungsprozess. Sie können viel profitieren von unseren jahrzehntelangen Erfahrungen, beides nützt unseren Partnern, die noch nicht so weit sind wie diese BRICS."
Ulrich Post von VENRO setzt dagegen andere Prioritäten:
"Reiche Länder haben anzuerkennen, dass sie selber bis zu einem bestimmten Grad Entwicklungsländer sind und sie sich auch, was die Energieproduktion angeht, aber auch was den Lebensstil angeht, weiterentwickeln müssen, und zwar dringend."
Und der Wissenschaftler Dirk Messner? Er weist dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das Dirk Niebel einst abschaffen wollte, eine besondere Rolle zu:
"Ich glaube, dass es eine wichtige Aufgabe der Entwicklungspolitik war und ist, dass wir am Kabinettstisch einen Akteur haben, der die Entwicklung der Welt nicht nur durch die nationale oder europäische Brille sieht, sondern auch die Interessen und Dynamiken in vielen anderen Ländern zumindest mit vor Augen hat. Also: Die Welt gut zu kennen, ist die Bedingung, um gute Politik unter den Bedingungen der Globalisierung zu machen."
Vom Arbeitsmarkt bis zum Strompreis - Bundestagswahl 2013: Eine Analyse zentraler Wahlkampfthemen
Berlin, Ende Juni: Bundesminister Dirk Niebel spricht über seine Ziele der Entwicklungspolitik. Vor vier Jahren kündigte der FDP-Politiker an, Pflöcke einschlagen zu wollen. Das begann schon bei der Wortwahl. Der Liberale damals im Deutschlandfunk:
"Nun erstens bin ich Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, so heißt das Ressort, was ein Unterschied ist zu einem Weltsozialamt, wie manche dieses Haus betrachtet haben in der Vergangenheit."
Niebel trat an mit dem Vorsatz, alles anders machen zu wollen als seine Vorgängerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. Damit hat er so manche Kontroverse ausgelöst. Als er 2009 das Entwicklungsressort übernahm, war Europa gerade vom Strudel der Finanzkrise erfasst worden. In den Entwicklungs- und Schwellenländern dagegen zog nach Jahren der Rezession die Konjunktur kräftig an. In den Bergbaugebieten Afrikas und Lateinamerikas kaufte sich China in großem Stil in die Rohstoffförderung ein.
Diese neuen Rahmenbedingungen machten sich vor vier Jahren auch im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP bemerkbar:
"Der Zugang zu Rohstoffen und deren verlässliche Verfügbarkeit sind […] unverzichtbare Ziele der Außenwirtschaftspolitik. […] Entwicklungspolitische Entscheidungen müssen die Interessen der deutschen Wirtschaft, insbesondere des Mittelstandes, angemessen berücksichtigen."
Dass öffentliche und private Träger unter der Bezeichnung Public Private Partnership - kurz PPP - zusammenarbeiten, gab es schon unter Niebels Vorgängerin. Die Sozialdemokratin Wieczorek-Zeul sah sich vor allem der Umsetzung der Millennium-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen verpflichtet - etwa der Halbierung der Zahl der weltweit Hungernden, Grundschulbildung für alle Kinder, Reduzierung der Müttersterblichkeit bis zum Jahr 2015. Völlig außer Acht ließ auch sie deutsche Wirtschaftsinteressen nicht - zum Beispiel beim Klimaschutz mithilfe Erneuerbarer Energien:
"Das ist hervorragend, denn das ist der Schwerpunkt, den eben auch Deutschland in seinen eigenen Exportchancen hat. Also es gibt ein gemeinsames Interesse. Es geht aber auch darum - das will ich hier auch sagen -, dass natürlich auch nachhaltige Investitionen in Afrika verwirklicht werden."
Dirk Niebel dagegen ist beseelt von der Überzeugung, gesellschaftlicher Wandel werde allein durch die Wirtschaft und auch durch ausländische Investoren angestoßen. Der Minister vergangenen April auf der Africa Business Week in Frankfurt:
"Alle Unternehmen, die sich gemeinsam mit uns in Entwicklungs- und Schwellenländern engagieren wollen, können sich seit 2010 direkt an unsere Servicestelle für die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft in meinem Ministerium wenden. Hier werden Sie nicht mehr - wie früher - vom Länderreferat durchs Sektorreferat ins Grundsatzreferat geschickt, sondern Sie kriegen einen Ansprechpartner, und selbst wenn es der falsche ist, kann er Sie so weit führen, bis Sie bei dem richtigen angekommen sind, um alles das in Anspruch zu nehmen, was wir geschaffen haben, damit Sie erfolgreich in unseren Partnerländern zu einer besseren Entwicklung beitragen können."
GIZ, Sequa, DEG oder CIM - die Abkürzungen stehen für staatliche oder halbstaatliche Institutionen, die seit vielen Jahren deutsche private Investoren in Entwicklungsländern unterstützen. Zusätzlich hat Niebels Ministerium mit den so genannten "EZ-Scouts" Spezialisten für Entwicklungszusammenarbeit in die hiesigen Industrie- und Handelskammern sowie an die Auslandskammern entsandt, um Unternehmen bei ihren Investitionen in Entwicklungsländern zu beraten. Er schuf neue Subventionstöpfe, aus denen kleine Mittelständler etwa Machbarkeitsstudien finanzieren können. Dies lobt Stefan Liebing, der Vorsitzende des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft:
"Wenn ich mit Wirtschaftsvertretern und Politikern in Afrika spreche, dann sagen die mir häufig: Liebe deutsche Unternehmen, kommt, sagt uns, wie wir Projekte machen können, und wir setzen die Rahmenbedingungen so, dass es funktionieren wird. Dann gehe ich zu den deutschen Unternehmen und der deutsche Unternehmer sagt, ich brauche aber erst einmal eine Machbarkeitsstudie und einen Ordner voller Unterlagen. Dieses Chicken-and-Egg-Problem müssen wir durchbrechen, weil sonst Projekte gar nicht erst anfangen zu entstehen."
Mit solchen Vorbehalten kämpfen vor allem sehr arme Entwicklungsländer mit schlechter Infrastruktur und schwacher Verwaltung. Schwellenländern wie Brasilien oder der Türkei fällt es dagegen leicht, Investoren anzuziehen und Jobs zu schaffen.
Rüdiger Schwarz, Geschäftsführer der Geotec Rohstoffe mit Sitz in Berlin, möchte die Trennung zwischen Außenwirtschaftsförderung und Entwicklungszusammenarbeit ganz aufheben:
"Ich glaube, weil in Zeiten der Globalisierung es Sinn macht und ein Erfordernis ist, wenn ein Land wie Deutschland seine Interessen in der Welt an verschiedenen Standorten durchsetzen möchte, dass man also diese beiden Instrumente zusammen bündelt auf ein konkretes Ziel oder Land oder ein konkretes Projekt hin."
So wie er denken viele Wirtschaftsvertreter. Schwarz war Ende April mit Niebels Parteifreund, Außenminister Westerwelle, in Mosambik. Dort möchte sein Unternehmen in großem Stil in die Kohleverarbeitung einsteigen.
Doch so wichtig Jobs für die Entwicklung eines Landes sind: Nicht alles, was sich Wirtschaftsvertreter und Politiker wünschen, ist auch sinnvolle Entwicklungszusammenarbeit, sagt Dirk Messner, der Direktor der Bonner Denkfabrik DIE. DIE steht für Deutsches Institut für Entwicklungspolitik:
"Die Außenpolitik hat zum Beispiel ein großes Interesse daran, dass wir mit möglichst vielen Ländern in der Entwicklungspolitik zusammenarbeiten. In der Entwicklungspolitik wissen wir aber, dass die Zusammenarbeit mit wenigen Ländern, in denen man konzentriert gemeinsam viele Dinge voranbringt, sinnvoller ist, als mit der Gießkanne über viele Länder hinwegzugehen."
Mehr Schaden als Nutzen richtete etwa die Lieferbindung an, die mit der Gewährung deutscher Entwicklungsgelder bis in die 90er-Jahre verknüpft war. Empfängerländer konnten deshalb nicht weltweit das beste Angebot wählen, sondern mussten deutsche Technik zu deutschen Preisen kaufen. So floss der Großteil der vergebenen Hilfsgelder wieder zurück nach Deutschland. Das hinterließ statt Entwicklung gestiegene Schuldenberge in den Empfängerländern.
Wissenschaftler Dirk Messner rät jedenfalls, Außenwirtschaftsförderung und Entwicklungszusammenarbeit weiter zu trennen.
"Die Außenwirtschaftspolitik hat ja als Ziel, deutsche Unternehmen zu stärken, und das ist sehr legitim. Und die Entwicklungspolitik hat zunächst mal als Ziel, die soziale, ökologische und wirtschaftliche Entwicklung in anderen Ländern zu unterstützen und zu stärken und das ist ein anderes Ziel. Manchmal gehen beide zusammen, aber wir sollten nicht außenwirtschaftliche Nutzeffekte zur Voraussetzung für Entwicklungskooperation machen."
Das wolle auch er mit seinen neuen Fördertöpfen nicht bezwecken, sagt Dirk Niebel:
"Wir geben nur was dazu, wenn wir einen entwicklungspolitischen Mehrwert haben, zum Beispiel eine deutlich höhere Ausbildungsquote, als man für das eigentliche Unternehmen benötigt. Und nur, um dem gängigen Vorwurf der Ökonomisierung der Entwicklungspolitik mal einen Riegel vorzuschieben: Wir haben 89 Millionen Euro in meinem Etat für die Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft. In einem 6,3-Milliarden-Etat ist das etwas über 1 Prozent. Man muss auch mal die Kirche im Dorf lassen."
Tatsächlich werden millionen- und milliardenschwere Aufträge, wie die zum Ausbau von Straßen- oder Stromkraftwerken, woanders vergeben: zum Beispiel von der Weltbank. Der jeweilige deutsche Entwicklungsminister ist dort einer der einflussreichen Gouverneure. Allerdings entschieden die schwarz-gelben Koalitionäre 2009, die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit sei zu vernachlässigen. Jetzt drängt die deutsche Wirtschaft darauf, die Ausschreibungskriterien der Weltbank so zu formulieren, dass deutsche Unternehmer bei der Auftragsvergabe besser zum Zuge kommen.
"Einen schönen guten Abend, meine Damen und Herren zu einem sehr aktuellen Thema. Acht Jahre lang wird die deutsche Sicherheit nun schon am Hindukusch verteidigt. Auf der großen Afghanistan-Konferenz in London hat Außenminister Westerwelle deshalb heute einen Strategiewechsel verkündet…"
Ohne Berührungsangst ging der ehemalige Fallschirmjäger Niebel die humanitär-militärische Zusammenarbeit in Afghanistan an. Die gab es schon vorher, wie Carl-Dieter Spranger - CSU und Niebels Vorvorgänger auf dem Ministerstuhl - jüngst in einem sehr Niebel-kritischen Leserbrief an die FAZ betonte. Neu war der indirekte Zwang: Einen Teil der Mittel für Afghanistan sollten die privaten Hilfsorganisationen nur erhalten, wenn sie dort direkt mit der Bundeswehr zusammenarbeiteten. Das lehnten fast alle ab, bilanziert Ulrich Post, der Vorsitzende von VENRO, dem Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen:
"Wir haben seitdem nichts mehr wieder davon gehört, uns unter das Prinzip der vernetzten Sicherheit unterzuordnen. Und wir möchten das auch nicht. Nicht, weil wir keinen Respekt vor Bundeswehrsoldaten in Afghanistan hätten, ganz im Gegenteil, aber das sind zwei unterschiedliche Dinge: Die Soldaten sind Partei in dem Konflikt, aber Hilfsorganisationen möchten nicht Partei sein in dem Konflikt."
Wie viele Hilfsorganisationen überhaupt mit der Bundeswehr zusammenarbeiteten, weiß selbst Niebel nicht. Er verweist lieber auf seine Reformerfolge: Unter ihm wurde die in mehrere Organisationen zersplitterte staatliche Zusammenarbeit unter dem Dach der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) zusammengefasst und in GIZ umbenannt: Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Außerdem gründete Niebel ein unabhängiges Evaluierungsinstitut, ein Novum in der deutschen Entwicklungspolitik. Und er habe die Zivilgesellschaft gestärkt, betont der Liberale …
"…mit der Zusammenführung von vier anderen Organisationen zu einer Servicestelle der Zivilgesellschaft "Engagement Global", weil wir wissen, dass diese beiden Partner - Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft - von herausragender Bedeutung für gute Entwicklungsergebnisse sind."
Ausgerechnet diese Zivilgesellschaft stellt Niebel ein nur mäßiges Zeugnis aus. Er habe der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit von Regierung zu Regierung am meisten Geld zugeschlagen, klagt Ulrich Post von VENRO. Und wirklich beteiligt fühlen sich die Nichtregierungsorganisationen unter Niebel nicht:
"Wir haben oft das Gefühl als Zivilgesellschaft, dass bestimmte Aufgaben, von denen wir eigentlich annehmen, dass es unsere sind, vom Staat übernommen werden. Das Beispiel ist "Engagement Global", die eigentlich sinnvolle Zusammenlegung von vielen unterschiedlichen Beratungsangeboten, staatlichen und zivilgesellschaftlichen. Das ist eine rein staatliche Institution geworden, was ein bisschen widersinnig ist, weil es eigentlich zivilgesellschaftliches oder bürgerschaftliches Engagement fördern soll."
Mit seiner Wortwahl zog Niebel weiteres Misstrauen auf sich. Hirseschüsselpolitik, linke Kuschelecke, Schlabberpulli-Entwicklungshelfer: Solche Äußerungen dürften nicht nur seine Vorgänger Spranger, Wieczorek-Zeul und Mitarbeiter seines Ministeriums - das im Behördenjargon kurz als BMZ genannt wird - als Verunglimpfung ihrer Arbeit empfunden haben. In Niebels Augen dagegen handelt es sich um notwendige Formen der Öffentlichkeitsarbeit:
"Ich bin fest davon überzeugt, dass das Bild der Entwicklungszusammenarbeit bei vielen Menschen in Deutschland verzerrt ist. Viele stellen sich vor: Großer weißer Mann kommt nach Afrika, baut Schule und beschult kleine schwarze Kinder. Das ist Hirseschüsselpolitik, das ist das, was viele am Stammtisch denken und das ist genau das, was wir nicht machen."
Er beschädige das Ansehen der Entwicklungspolitik, wirft VENRO dem Minister vor. Andererseits fragt auch Ulrich Post selbstkritisch, ob sich die NGO-Szene durch einen gewissen Wohltätigkeitsjargon in eine Nische manövriert habe, und:
"Ich finde das gut, dass Entwicklungspolitik - wie das BMZ immer sagt - mehr in die Mitte der Gesellschaft versucht worden ist zu schieben. Ob das immer so gelungen ist, wie das vielleicht beabsichtigt war, glaube ich nicht, weil es leider dann oft dazu kam, dass sich die BMZ-Leitung nur ins rechte Licht rücken wollte und Politik inszeniert hat, aber nicht gemacht hat."
Die Investitionen der letzten Jahre in Grundschulkinder und Müttergesundheit, die Auflagen "Schuldenerlass gegen Armutsbekämpfungsprogramm" können aber nicht nur falsch gewesen sein. Minister Niebel weist selbst auf deutliche Fortschritte in afrikanischen Staaten wie Ghana hin. Eine Rolle spielen auch die gestiegenen Rohstoffpreise. Sambias Botschafter in Deutschland, Bwalya Chiti:
"Wenn die Kupferpreise hoch sind wie in den letzten zwei Jahren, dann sind wir glücklich und es entwickelt sich auch viel, wie beim Ausbau der Infrastruktur, von Straßen. Aber sobald die Kupferpreise fallen, bekommen wir Probleme, deshalb möchte unsere Regierung die Wirtschaft stärker diversifizieren, zum Beispiel durch den Ausbau der Landwirtschaft."
Dabei ist die Zusammenarbeit mit reicheren Entwicklungsländern für Deutschland offenbar attraktiver als mit ärmeren. Die von U2-Sänger Bono gegründete Entwicklungsorganisation ONE identifiziert unter den Top-Ten-Empfängern deutscher Entwicklungsgelder fünf Staaten aus dem Kreis der eher reichen G-20-Schwellenländer und nur ein afrikanisches Land, und zwar das vergleichsweise wohlhabende Kenia. Ein Trend, den Entwicklungsexperten schon unter Wieczorek-Zeul kritisiert hatten.
Minister Niebel betont - wie schon seine Amtsvorgängerin - die Bedeutung von Good Governance, von guter Regierungsführung. Aber er tut das mehr im Sinne eines verlässlichen Rechtsrahmens für Unternehmen. Der Begriff Armutsbekämpfung taucht in den Konzepten seines Ministeriums seltener als früher auf. Der frühere Arbeitsmarktexperte setzt auf Berufsausbildung:
"Es geht nichts über vernünftige berufliche Qualifikation. Auch übrigens, wenn ich einen Mittelstand aufbauen will."
Der Minister erhält auch Lob durch VENRO, dem Verband der privaten Entwicklungsorganisationen - zum Beispiel für das Menschenrechtskonzept seines Hauses. Noch fehlt jedoch die Bewährung im Praxistest - zum Beispiel bei den Rohstoff-Partnerschaften und -kooperationen, die die Bundesregierung mit der Mongolei und Kasachstan geschlossen hat und die sie mit Peru, Chile oder auch Afghanistan bereits verhandelt oder anstrebt.
Für den Liberalen sind deutsche Unternehmen zudem per se gute Arbeitgeber, die Rücksicht auf das jeweilige Umfeld nehmen würden:
"Deutsche Unternehmen kommen mit höheren Standards als sie oft ortsüblich gefordert werden, mindestens aber mit den internationalen Kernarbeitsnormen, auch das kann schon Vorbildfunktion haben."
Susanne Friess, Expertin für Bergbaufolgen bei der katholischen Hilfsorganisation Misereor, will Unternehmen den guten Willen nicht grundsätzlich absprechen. Aber von den von Niebel beschworenen Umwelt- und Sozialstandards hält sie nicht viel…
"…weil sie kein rechtlich bindender Mechanismus sind. Da werden keine Sanktionen verhangen, da werden keine rechtlich bindenden Urteile gesprochen, sondern es mündet im besten Fall in einen Dialogprozess, wo versucht wird, die Konfliktparteien an einen Tisch zu kriegen und dann einen Kompromiss auszuhandeln."
Dass eine indigene Gemeinde den Bergbau in ihrer Region ganz ablehnt, ist im Schlichtungsverfahren erst gar nicht vorgesehen.
Ähnliche Widersprüche im Bereich "Ländliche Entwicklung": Dort bescheinigt VENRO dem Entwicklungsministerium ein gutes Konzept, das erstmals einvernehmlich mit dem Bundeslandwirtschaftsministerium die Abschaffung der Agrarexportsubventionen fordert. Gleichzeitig hätten sich Niebel und Ilse Aigner jedoch auf bedenkliche Allianzen mit Agrarmultis eingelassen, warnt Ulrich Post:
"Aus den bisherigen Erfahrungen mit einigen dieser Firmen glauben wir, dass sie eine Strategie verfolgen, die für eine nachhaltige Landwirtschaft nicht vernünftig ist. Das wird auch von Umweltexperten heftig kritisiert, weil sie glauben, dass die Biodiversität durch große Monokulturen leiden wird. Und wir glauben nach aller Erfahrung auch nicht, dass es hilfreich sein wird, viele Menschen in Arbeit zu bringen und aus der Armut heraus zu holen."
Auch die Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung lasse an Kohärenz vermissen. Das gleiche gilt für die ODA-Quote: Eigentlich hatte Schwarz-Gelb versprochen, den Anteil der Entwicklungshilfe gemessen am Bruttoinlandsprodukt Deutschlands bis 2015 auf 0,7 Prozent zu steigern. Niebels Etat stagniert bei 0,38 Prozent, die ODA-Quote wird mit den gleichen Tricks aufgehübscht wie schon unter seiner Vorgängerin.
Und das Ministerium selbst? Nachdem die Mitspracherechte des Personalrats beschnitten wurden, seien viele Stellen weit über das übliche Maß hinaus mit Parteifreunden von außen besetzt worden, klagt der Verband der Bediensteten der obersten Bundesbehörden (VBOB). Niebel weist dies zurück. An Zufall mögen die zahlreichen Kritiker aber nicht glauben, weil ein FDP-internes Strategiepapier dieses Ziel kurz vor der Bundestagswahl 2009 propagierte. Der VENRO-Vorsitzende Ulrich Post ist nicht der einzige, der sagt, unter Niebel seien gute Ansätze liberaler Entwicklungspolitik durch parteipolitische Polarisierung geschwächt worden.
Ob es Dirk Niebel gelungen ist, mehr Investoren mit "guten" Arbeitsplätzen in bitterarme Entwicklungsländer zu locken, lässt sich jetzt noch nicht abschließend beurteilen. Ideen für die nächste Wahlperiode hat der Liberale auch schon: Dann müssten die Vereinten Nationen und die Weltbank reformiert werden. Außerdem möchte Niebel künftig mit den BRICS, großen Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien, gemeinsam Entwicklungshilfe leisten:
"Wir können viel profitieren von den gemachten Erfahrungen dieser Staaten im eigenen Entwicklungsprozess. Sie können viel profitieren von unseren jahrzehntelangen Erfahrungen, beides nützt unseren Partnern, die noch nicht so weit sind wie diese BRICS."
Ulrich Post von VENRO setzt dagegen andere Prioritäten:
"Reiche Länder haben anzuerkennen, dass sie selber bis zu einem bestimmten Grad Entwicklungsländer sind und sie sich auch, was die Energieproduktion angeht, aber auch was den Lebensstil angeht, weiterentwickeln müssen, und zwar dringend."
Und der Wissenschaftler Dirk Messner? Er weist dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das Dirk Niebel einst abschaffen wollte, eine besondere Rolle zu:
"Ich glaube, dass es eine wichtige Aufgabe der Entwicklungspolitik war und ist, dass wir am Kabinettstisch einen Akteur haben, der die Entwicklung der Welt nicht nur durch die nationale oder europäische Brille sieht, sondern auch die Interessen und Dynamiken in vielen anderen Ländern zumindest mit vor Augen hat. Also: Die Welt gut zu kennen, ist die Bedingung, um gute Politik unter den Bedingungen der Globalisierung zu machen."
Vom Arbeitsmarkt bis zum Strompreis - Bundestagswahl 2013: Eine Analyse zentraler Wahlkampfthemen