Rückblick, es ist Ende April in Lübeck, Wahlkampfabschluss der AfD. In wenigen Tagen ist in Schleswig-Holstein Landtagswahl – bei der die AfD eine böse Überraschung erleben wird. Zum ersten Mal wird sie den Wiedereinzug in einen Landtag verpassen. Doch noch gibt man sich im Landesverband optimistisch: „Es steht mittlerweile eine große Anzahl stiller Bürger hinter uns, die sämtliche Hoffnung für ihre und die Zukunft unseres Landes in die AfD stecken.“
Dass es nicht gut läuft für die AfD im Norden wird an diesem Abend in Lübeck schnell klar, die Halle ist gerade mal zur Hälfte gefüllt. Obwohl mit Tino Chrupalla und anderen Bundesvorstandsmitgliedern prominente Wahlkampfhilfe aus Berlin angereist ist. Die alten Konflikte zwischen Ost und West kommen in der Rede des Parteichefs deutlich zur Sprache: „Ich will auch nicht mit Umfrageergebnissen aus dem Bundesland, wo ich herkomme, Sachsen, prahlen. Das habe ich nie gemacht, werde ich auch nicht machen, weil ich auch weiß, wie schwer ihr es hier habt.“
Das Jahr 2022 ist für die AfD nicht gut gelaufen. Darüber kann auch der Erfolg der AfD vor dem Bundesverfassungsgericht nicht hinwegtrösten. Als der FDP-Politiker Thomas Kemmerich 2020 in Thüringen auch mit AfD-Stimmen zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, hatte das Bundeskanzlerin Angela Merkel als unverzeihlich bewertet. Damit verstieß sie gegen ihre Neutralitätspflicht, so Karlsruhe und hat der AfD damit recht gegeben.
Die anderen Problemfelder der AfD
Doch die anderen Problemfelder der Partei sind größer: Anfang März bestätigte das Kölner Verwaltungsgericht die Einstufung als sogenannten rechtsextremen „Verdachtsfall“. Die Mitgliederzahlen der Partei stagnieren rund um die 30.000er-Marke. Die Ergebnisse bei den westdeutschen Landtagswahlen waren nicht nur in Schleswig-Holstein mau: Im Saarland schaffte es der zerstrittene Landesverband nur gerade so in den Landtag. Auch in Nordrhein-Westfalen war der Wiedereinzug mit 5,4 Prozent Mitte Mai denkbar knapp.
Einen Tag nach der NRW-Wahl bricht ein lange schwelender Konflikt dann endgültig aus – vor laufenden Kameras. Parteichef Tino Chrupalla muss in der Bundespressekonferenz in Berlin das magere Ergebnis in Nordrhein-Westfahlen erklären – und stellt einen Plan vor: Die AfD soll auch im Westen endlich wieder zweistellig werden: „Und deswegen habe ich auch gestern die ‚Initiative West‘, so habe ich es bezeichnet, auch vorangetrieben. Damit meine ich nicht, dass wir mit erhobenem Zeigefinger aus den Ostverbänden nach Westen schauen und darauf zeigen, wie gut wir da sind, sondern, dass wir die regionalen und lokalen Unterschiede auch anerkennen.“
Doch parallel zu dieser Pressekonferenz verschicken mehrere parteiinterne Kritiker und Kritikerinnen eine Pressemitteilung, die sich liest wie ein Frontalangriff.
Mit Chrupalla ende die Erfolgsgeschichte der AfD, er überzeuge nicht bei den Wählern, so die Beisitzerin im Bundesvorstand Joana Cotar, Mitinitiatorin der Pressemitteilung. Sie stand dem Kurs von Jörg Meuthen nahe. Meuthen hatte zumindest zum Schluss seiner Amtszeit als Co-Parteichef versucht, den radikalsten Kräften Einhalt zu gebieten. So musste der Rechtsaußen Andreas Kalbitz die Partei verlassen, einer der Ausgangspunkte für das Zerwürfnis mit Tino Chrupalla an der Parteispitze.
Unterschrieben wurde die Pressemitteilung auch von Alexander Wolf aus Hamburg, Mitglied des Bundesvorstands, dem Bundestagsabgeordneten Jürgen Braun und Frank-Christian Hansel aus Berlin.
Es folgt prompt eine genervte und eigenwillige Replik des Parteichefs: „Das ist wie früher beim Camping. Ich vergleiche das immer so: Da haben sich dann immer diejenigen beschwert, dass es nass im Zelt ist, und das waren diejenigen, die auch ins Zelt hinein gepinkelt haben. Und das muss aufhören.“
Die Kritik an Chrupalla wird lauter
Die Kritiker legen nach und laden nur wenige Stunden später zu einem kurzfristig angesetzten Pressetermin ein.
In einem Seitenraum eines italienischen Restaurants in Berlin-Mitte, bei dem häufiger AfD-Runden zusammenkommen, nehmen Cotar und Co. kein Blatt vor den Mund. Der Raum ist voll, es ist unruhig am Tisch: „Wir brauchen einen Imagewechsel, wir brauchen einen neuen Umgang mit unseren Themen und vor allem einen sympathischen Auftritt. Weg von der Wutbürgerpartei, die selbst die nicht vor den Kopf stoßen will, die die krudesten Verschwörungstheorien verbreiten.“
In der Partei kursiert in diesen Tagen eine Grafik, die zeigt, wie viel Prozentpunkte die AfD in zehn aufeinanderfolgenden Wahlen eingebüßt hat. Sie wurde von innerparteilichen Gegnern munter an die Hauptstadt-Presse durchgestochen.
Auch der Bundestagsabgeordnete Jürgen Braun gehört zu dem Zirkel der Chrupalla-Kritiker: „Hier ist jemand überfordert und kommt bei kleinster Kritik sofort mit geschmacklosen Beispielen, geschmacklosen Vergleichen.“
Der Parteichef soll weichen, so das Ziel. Allerdings: Wie groß die Unterstützung für Cotar und Co. in der Partei wirklich ist, bleibt unklar.
Es ist der alte Konflikt, der die AfD wieder und wieder quält: Soll die Partei Regierungsverantwortung anstreben, bürgerliche Wählerschichten ansprechen und deshalb gemäßigter und professioneller auftreten? Oder soll sie sich laut und radikal geben, mit Demonstrationen auf Marktplätzen, mit Nähe zu den Querdenkern oder Pegida, den asylfeindlichen Demonstrationen in Dresden?
Oft wird dieser Konflikt – etwas vereinfacht – mit Politikkonzept West gegen Politikkonzept Ost in der AfD beschrieben.
„Eine Partei, die aus zwei Parteien besteht“
Im kommenden Jahr wird die AfD zehn Jahre alt, und noch immer ist der Kurs nicht klar. Viele strategische Fragen sind vor dem entscheidenden Parteitag in Riesa ungeklärt.
Der Politikberater und Autor Johannes Hillje beobachtet die AfD seit Jahren. Für ihn ist klar: „Eine Partei, die eigentlich mindestens aus zwei Parteien besteht, sucht nach einem gemeinsamen Weg. Und wir wissen von vergangenen Parteitagen, dass wichtige Zukunftsfragen bei der AfD auf offener Bühne und auch gerne in regelrechten Schlammschlachten ausgetragen werden.“
Hinzu kommt: Die Wählerbasis der AfD erodiert langsam, aber spürbar. Nach den drei Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen zeigt eine Auswertung der Konrad-Adenauer-Stiftung, dass die AfD vor allem an die Nichtwähler verloren hat.
Eine Studie nach der Bundestagswahl 2021 belegt, dass Wählerinnen und Wähler, die großen Wert auf Problemlösungskompetenzen legten, mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit für die AfD stimmten. Die Befragung zeigt, dass die Emotionen bei der Wahlentscheidung für die AfD eine große Rolle spielen.
„AfD ist das, was aus dem Bauch kommt“, so ein Zitat von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Und dieses Bauchgefühl kann die Partei im Moment nicht ansprechen.
Auch im Umfeld der AfD wird kritisch analysiert. So zeigt ein Papier zur NRW-Wahl aus dem Haus des neurechten Publizisten Götz Kubitschek, dass die AfD nur mit einem Thema, der Asyl-Politik, bei Wählern wahrgenommen wird. Doch damit komme man aus dem zyklischen Auf und Ab der Protestwähler nicht heraus.
Die Beobachtung der Gesamtpartei durch den Verfassungsschutz setzt die AfD seit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln Anfang März zusätzlich unter Druck. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, sieht die AfD als Teil eines mitunter verfassungsfeindlichen Milieus.
„Und die sogenannte Neue Rechte ist der Ideologiegeber für diese gesamte Szene, der geistige Nährboden. Hier spreche ich von der Identitären Bewegung Deutschlands, vom Institut für Staatspolitik, von der Bewegung ‚Ein Prozent‘ und dem Compact Magazin und seit wenigen Tagen spreche ich hier auch von der AfD als Gesamtpartei als Verdachtsfall“, so Haldenwang bei der Vorstellung des aktuellen Verfassungsschutzberichtes.
Streit gibt es nicht nur über den langfristigen Kurs, sondern auch über aktuelle Themen. Partei- und Fraktionschef Tino Chrupalla steht kräftig unter Druck in diesen Wochen. Und dafür hat er auch selbst gesorgt.
Der Umgang mit dem Ukraine-Krieg
Ein Auslöser war der Krieg Russlands gegen die Ukraine.
Gut sechs Minuten dauert seine Rede bei dieser Sondersitzung des Bundestags am 27. Februar. Der Überfall Russlands auf die Ukraine liegt gerade drei Tage zurück. Vor wenigen Minuten hat Bundeskanzler Olaf Scholz das 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr angekündigt. Für Chrupalla ein Unding: „Ein neues Wettrüsten lehnen wir ab, und deswegen, diese 100 Milliarden Herr Scholz, das ist wirklich irre.“
Obwohl Chrupalla den Angriff auf die Ukraine verurteilt, lobt er im gleichen Atemzug Russland für seine historischen Verdienste bei der deutschen Wiedervereinigung: „Wir dürfen gerade in diesen Tagen Russlands Beitrag für Deutschland und Europa eben nicht vergessen. Auch dadurch wurde vor 32 Jahren die deutsche Einheit ermöglicht, untermauert durch den Abzug russischer Truppen im Jahr 1994, dem müssen wir Respekt zollen und das sage ich auch ganz bewusst als Ostdeutscher. Wir danken Russland bis heute dafür.“
Es sind vor allem diese zwei Sätze, mit denen er Teile der Fraktion und der Partei gegen sich aufbringt.
Öffentliche Kritik kommt vom verteidigungspolitischen Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Rüdiger Lucassen, im ZDF: „Ich beklage von Anfang an, dass viele Äußerungen aus unserer Partei dazu geeignet sind, die russische Aggression in irgendeiner Form zu erklären, bis hin sogar zu entschuldigen. Und das geht gar nicht.“
Es dauert bis Mitte März, der Klausurtagung der Fraktion im thüringischen Oberhof, bis sich die Bundestagsabgeordneten auf eine gemeinsame Position einigen: Sie verurteilen den russischen Angriffskrieg, wollen aber die Folgen für Russland abmildern. Die AfD-Abgeordneten sprechen sich gegen deutsche Waffenlieferungen und gegen Wirtschaftssanktionen aus.
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine birgt ein hohes Spaltungspotential für die AfD. Nur 43 Prozent der AfD-Wähler in Nordrhein-Westfalen gaben an, die verständnisvolle Position gegenüber Russland zu unterstützen.
"Gemeinsame Position liest sich wie ein Formelkompromiss"
David Begrich beobachtet die AfD seit Jahren. Er arbeitet in Magdeburg für Miteinander e.V., ist Experte für rechte Strömungen, ob in den Parlamenten oder auf der Straße: „Das ist sicher ein wesentliches Konfliktfeld, wie das in der Partei zu bewerten ist. Ich glaube vor Ort gibt es da ein breites Meinungsspektrum.“
Transatlantiker, Nato-Befürworter westdeutscher Prägung würden in der AfD auf ostdeutsch sozialisierte „Putin-Versteher“ treffen, so Begrich. So reiste der sächsische AfD-Chef Chrupalla mehrfach nach Moskau, traf dort auch den russischen Außenminister Sergej Lawrow.
Ähnlich sieht es Kommunikations- und Politikberater Johannes Hillje: „Auch jetzt in Bezug auf den Umgang mit Russlands Angriffskrieg gibt es zwar eine gemeinsame Position, aber die liest sich dann in erster Linie wie ein Formelkompromiss. Also auch da ist nicht ganz klar, wofür die Partei eigentlich wirklich steht.“
Die AfD versuche deshalb den Diskurs zu verschieben, hin zu einer Ablehnung der Wirtschaftssanktionen und Waffenlieferungen, so Begrich: „Es geht auch darum, sich so eine pseudo-pazifistische Rhetorik anzueignen. Aber die Frage ist, ob das verfängt und wenn ja, bei wem.“
Björn Höcke, der vom Verfassungsschutz als Rechtsextremist eingestuft wurde, machte sich erst kürzlich auf seinen Social-Media-Profilen den alten Leitspruch der linken Friedensbewegung zu Eigen: „Frieden schaffen ohne Waffen“.
Genau dieser Zungenschlag in der Russland-Politik wird auch auf dem anstehenden Parteitag in Riesa eine Rolle spielen. Einer der Anträge fordert, die Ukraine solle künftig ein blockfreier und neutraler Brückenstaat sein, ohne Nato-Zugehörigkeit, und ein Ausgleich mit Russland solle angestrebt werden.
Im Mittelpunkt auf dem Parteitag wird jedoch die Neuwahl des gesamten Bundesvorstands stehen. Von den Spitzenposten über den Kassenwart bis hin zu den Beisitzern werden alle Posten neu bestimmt. Nur wenige Tage vor dem AfD-Bundesparteitag zeichnet sich inzwischen ein offener Machtkampf ab.
So haben sich in der vergangenen Woche zwei Konkurrenten von Parteichef Chrupalla aus der Deckung gewagt und ihr Interesse öffentlich bekundet.
Kleinwächter will Bundessprecher werden
Einer davon ist Norbert Kleinwächter, 36 Jahre alt, geboren in Augsburg. Er sitzt für den Landesverband Brandenburg seit 2017 im Bundestag, ist dort stellvertretender Fraktionsvorsitzender, sein Schwerpunkt ist die Europapolitik.
Jetzt will er Bundessprecher werden – in seinem Bewerbungsvideo steht er in Anzug und Krawatte vor dem Bundestag: „Die Krise, die wir als Partei haben, die war nicht nur Führungskrise, sie ist insbesondere eine Identitätskrise. Weil viele Mitglieder, aber viele Wähler, gar nicht mehr wissen, wofür die AfD eigentlich steht.“
Kleinwächter zählt sich zum sogenannten gemäßigten Parteiflügel. Ihm werden allerdings nur Außenseiter-Chancen zugerechnet. Selbst aus seinem Brandenburger Landesverband kommen ablehnende Signale.
Der andere Gegenkandidat kommt ebenfalls aus dem Lager, das sich als gemäßigt versteht: Es ist Nicolaus Fest. 59 Jahre alt, Europaabgeordneter und ehemaliger Vize-Chefredakteur der „Bild am Sonntag“. Er sagt zum Zustand der Partei: „Die letzten Wahlen waren eine Warnung. Wenn wir so weitermachen, sind wir in wenigen Jahren im Westen am Ende. Und der Osten ist dann ohne Bedeutung und Deutschland ist kaputt.“
Der frühere Landeschef der AfD war zuletzt im Januar damit aufgefallen, dass er den verstorbenen Präsidenten des EU-Parlaments David Sassoli verunglimpft hatte.
Ob Höcke antritt bleibt offen
Auch Björn Höcke, Thüringer Landeschef und Rechtsaußen in der Partei hatte öffentlich über seine Kandidatur nachgedacht, unter dem Applaus seiner Anhänger beim Landesparteitag in Pfiffelbach im Mai: „Und vielleicht ist es jetzt an der Zeit, Stephan Brandner im Bundesvorstand auch Gesellschaft zu leisten in der nächsten Legislatur, vielleicht die Parteiführung auf Bundesebene auch mitzuprägen. Dafür brauche ich eure Stimme!“
Ob er wirklich antritt, ist offen. Es könnte sein, dass er an anderer Stelle den Kurs der Partei mitbestimmen kann. Denn Höcke schlägt in einem Antrag für den Parteitag eine „Kommission für die Reform der Parteistrukturen vor“, dessen Mitglied, vielleicht sogar Chef, Höcke werden könnte.
Kommunikationsberater Hillje sagt über Höckes Motiv: „Wir erleben die übliche Höcke-PR-Show vor einem Parteitag, die aber für ihn eine wichtige machtpolitische Funktion nach innen hat. Indem er öffentlich mit einer Kandidatur liebäugelt, erhöht er in die Partei hinein den Preis, der ihm geboten werden muss, damit er nicht kandidiert.“
Das „Team Zukunft“
Der 47-jährige Tino Chrupalla, der die Partei seit dem Weggang von Jörg Meuthen alleine führt und weiterführen will, versucht unterdessen trotz innerparteilicher Kritik seine Machtbasis auszubauen. Erst vergangene Woche hat er eine Liste für seinen Wunschvorstand, das sogenannte „Team Zukunft“, vorgestellt: „Wir brauchen einen Bundesvorstand, der vorangeht, der alle Strömungen der Partei abdeckt, der einen Neuanfang bringt. Der letzte Bundesvorstand war hauptsächlich von Lagerkämpfen überschattet.“
Chrupalla spielt damit auf die Zeit mit seinem ehemaligen Co-Sprecher Jörg Meuthen an, aber auch nach dessen Weggang hörten die Konflikte über den Kurs der Partei nicht auf. Zu Chrupallas Liste gehört auch die Fraktionsvorsitzende Alice Weidel. Ihr Umfeld bestätigt Überlegungen, dass sie Teil einer Doppelspitze mit Chrupalla werden könnte.
Zu den weiteren Kandidaten rund um Chrupallas „Team Zukunft“ gehören unter anderem der Thüringer Bundestagsabgeordnete und Höcke-Vertraute Stephan Brandner, der bayerische Bundestagsabgeordnete Peter Boehringer, Kay Gottschalk aus Nordrhein-Westfalen, der vor einigen Jahren schon mal aus dem Vorstand abgewählt wurde, und Martin Reichardt aus Sachsen-Anhalt, der als Flügel-nah gilt. Bis zur Auflösung hatten sich im Flügel die radikalen Kräfte rund um Björn Höcke versammelt, viele Verbindungen bestehen allerdings informell weiter. Alle Kandidaten hätten die Rückendeckung ihrer Landesverbände. Doch ob sich Chrupalla damit durchsetzen kann, ist unklar. Seine Gegner befürchten, dass aus diesem Team zu wenig Gegenwind gegen die extrem Rechten in der Partei zu erwarten wäre.
Die AfD als „Freiheitspartei“
Und: Das Bewerberfeld kann sich beim Parteitag in Riesa noch vergrößern, Spontankandidaturen sind laut Satzung zulässig. Auffällig ist, wie häufig Chrupalla in diesen Tagen die Worte Hierarchie und Disziplin betont. Das deutet darauf hin, dass er seinen Machtanspruch festigen will: „Und wenn ich von Disziplinierung gesprochen habe, heißt es dann auch, dass sich auch Bundesvorstandsmitglieder dieser Positionierung einreihen. Und wenn sie eine andere Meinung haben, diese für sich behalten.“ So der Parteichef Mitte Mai.
Chrupalla betont zudem, dass er die AfD künftig als „Freiheitspartei“ positionieren will, mit Fokus auf wirtschaftspolitischen Themen wie der Inflation, den hohen Energie- und Kraftstoffpreisen, weniger Corona-Einschränkungen.
Politikberater Hillje: „Das Verbindende zwischen der vermeintlichen Freiheitsagenda in der Corona-Debatte und dieser Positionierung in der Inflations-Debatte, das verbindende Argument ist eigentlich eine Staatsskepsis. Bei Corona: ‚Der Staat will die Freiheiten der Bürger einschränken‘ und bei der Inflation: ‚Der Staat macht nichts gegen den Kaufkraftverlust der Bürgerinnen und Bürger, er befördert ihn sogar noch, er lässt eigentlich die ‚normalen‘ Bürger im Regen stehen‘.“
600 Delegierte aus allen Landesverbänden werden in Riesa über den künftigen Kurs der Partei entscheiden. Wie hier die Kräfteverhältnisse zwischen dem selbst erklärten liberalen Lager und dem Flügel beziehungsweise Ex-Flügel-Lager ganz rechts verteilt sind, lässt sich im Vorfeld schwer einschätzen. Die fünf ostdeutschen Landesverbände ohne Berlin stellen ein knappes Viertel der Parteimitglieder, 7.000 von rund 30.000 und damit auch ein Viertel der Delegierten.
Offen ist bislang auch, ob die Partei künftig von einer Einzelspitze geführt werden kann. Bislang sieht die Satzung zwei oder drei Sprecher vor. Björn Höcke hatte sich im Vorfeld für eine Einzelspitze ausgesprochen. Warum, erklärt Experte David Begrich, um „eine Verengung und gleichzeitig eine politische Zuspitzung in der AfD herbei zu führen. Aus dem schlicht und ergreifenden Grund, dass man natürlich verhindern will, dass erneut eine Situation entsteht mit einer Doppelspitze, die ja in den zurückliegenden Jahren für die AfD so charakteristisch war, nämlich, dass es in der Doppelspitze immer politische und persönliche Reibungsverluste gegeben hat.“
Drei Tage und damit einen Tag länger als üblich soll der Parteitag von Riesa dauern. Es wird eine Richtungsentscheidung für die AfD. Wieder einmal.