In den Schwellenzeiten weltpolitischer Prozesse ist die römische Geschichte schon immer zur großen Projektionsfläche des verunsicherten Zeitgeistes geworden - und Althistoriker zu den heimlichen Stichwortgebern. Dafür ist die Geschichte des römischen Reiches umgekehrt aber auch niemals von Historikern geschrieben worden, ohne sie durch das Prisma der eigenen Gegenwart zu sehen. Das galt sogar schon für die römischen Historiker selbst, für Pollio, Sallust oder Tacitus, die sich als Zeitgenossen der römischen Republik oder der Kaiserzeit stets auf einem höchst gefährlichen Pflaster der Machtpolitik bewegten; und auf Historiker wie Gibbon, Niebuhr oder Mommsen traf das nicht weniger zu, die fast zweitausend Jahre später niemals völlig umhin konnten, in ihren großen Werken zur römischen Geschichte mehr oder weniger direkt auch Krisen und Konflikte der eigenen Zeit mitzubeschreiben.
Natürlich bildet auch "Die römische Revolution" von Ronald Syme keine Ausnahme von dieser untergründigen Gegenwartsnähe. Als dieses erste große Werk des Oxforder Historikers wenige Tage nach Beginn des 2. Weltkriegs erschien, ist es in der angelsächsischen Welt auch deshalb sehr schnell zu einem weit beachtetem Standardwerk geworden, weil es mit den Machtkämpfen beim Übergang der von Bürgerkriegen zerrissenen römischen Republik zum Prinzipat des Augustus und der römischen Kaiserzeit auch die ähnlich aufgeladene Atmosphäre im Europa der Vorkriegsjahre traf.
Wie hatte der 1903, also im Todesjahr von Theodor Mommsen geborene Neuseeländer, der sein gesamtes akademisches Leben in Oxford verbrachte, mit einer seiner feinen ironischen Spitzen gegen den ansonsten überaus geschätzten Mommsen doch die Zielrichtung seiner "römischen Revolution" angegeben?
Es ist eine unterhaltsame Beschäftigung, über die Feinheiten juristischer Theorie nachzusinnen oder von Zeitalter zu Zeitalter die Weitergabe ewiger Maximen politischer Weisheit zu verfolgen. Es ist aber lehrreicher, die Wesensgleichheit der Agenten und Diener der Macht in allen Zeiten und unter jedem Herrschaftssystem aufzudecken. Diese Aufgabe ist oft ignoriert oder umgangen worden.
Das war ein kräftiger Posaunenstoß gegen die Zitadellenmauern der römischen Geschichte Theodor Mommsens, mit dessen von einem Literaturnobelpreis gekrönten Erzählkünsten Ronald Syme zwar nicht wirklich konkurrieren konnte, ihn aber trotzdem vieles verband. Die römische Revolution sollte also ins Innere der Macht vordringen, dorthin, wo ihre "Agenten und Diener", also die herrschende Klasse, unentwegt ihre blutigen Machtkämpfe austrugen, und zwar wesensgleich "in allen Zeiten und unter jedem Herrschaftssystem". Ein bemerkenswertes Programm, diese filigrane Autopsie der herrschenden Klasse Roms im Moment einer tiefen Krise, oder seiner Elite, wie sie sich heute lieber nennen lässt, und außerdem ein Programm, das zu keiner Zeit ohne Brisanz ist, weil Eliten sich nie gerne auf die Finger sehen lassen, wenn hinter wechselnden politischen Fassaden die Macht zwischen ihren Agenten und Dienern aufgeteilt wird.
Was auch immer die Form und die Bezeichnung einer Regierung sein mag, Monarchie, Republik oder Demokratie, zu allen Zeiten lauert eine Oligarchie hinter der Fassade; und die römische Geschichte, die republikanische wie die der Kaiserzeit, ist die Geschichte einer herrschenden Klasse. Den Feldherren, Diplomaten und Finanziers der Revolution begegnet man in der Republik des Augustus wieder als Werkzeugen und Hoheitsträgern der Macht – denselben Männern, nur in anderem Kleide. Sie bilden die Regierung des Neuen Staats.
Auch hier ist ein auf Symes Gegenwart der 30er Jahre gerichtetes Augenblinzeln nicht zu verkennen, auf die Revolutionen im alten Europa nach dem Ersten Weltkrieg, die unter faschistischen oder nationalen Vorzeichen stattfanden. Sie hatten manches mit dem zentralen Problem von Octavian, dem späteren Augustus, gemein: wie schafft man es, sich als Parteiführer in einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg, der nur durch die Diktatur Ceasars unterbrochen war, schließlich als unangefochtener Machthaber in einem Neuen Staat zu etablieren, der plötzlich über allen Parteiungen der Bürgerkriegszeit zu stehen scheint? Für Caesars Erben Octavian war das die kardinale Frage gewesen, und dass er sie im Neuen Staat seines Prinzipats hatte lösen können, ist der eigentliche Glutkern des seither niemals erlahmten Interesses an diesem skrupellosen Strategen des großen Machtspiels geblieben.
Zwei Jahre nach den Iden des März, als Julius Caesar von den republikanischen Verschwörern im römischen Senat beseitigt worden war, hatte Octavian im Bündnis mit dem Caesarianer Antonius die Heere der Republikaner Brutus und Cassius bei Philippi geschlagen und das folgende Triumvirat schließlich solange unterminiert, bis er 32 v. Chr. auch seinen gefährlichsten Konkurrenten Antonius bei Actium vernichten konnte. Aber Octavian war in erster Linie ein Meister der Propaganda und vor allem der Bündnisse gewesen – noch bevor es in Actium zur Schlacht kam, hatte er die meisten Mitglieder der römischen Elite auf seine Seite gezogen, so dass Ronald Syme schreibt:
Die Schlacht von Actium war entschieden, bevor sie geschlagen wurde. (...) Actium war eine schäbige Affäre, würdiger Höhepunkt der unrühmlichen Propaganda gegen Kleopatra und der beschworenen heiligen Allianz ganz Italiens.
Auch für Mussolini und Hitler sind Propaganda, solche schäbigen Coups und vor allem taktisch geschickte Bündnisse mit den Eliten entscheidende Mittel ihres Aufstiegs gewesen. In Symes Römischer Revolution kann man Kapitel mit Überschriften wie "Der erste Marsch auf Rom", "Das nationale Programm" oder "Die Organisierung der öffentlichen Meinung" immer auch als Kommentare zur europäischen Machtpolitik vor dem 2. Weltkrieg verstehen.
Wie brisant die Methode eines Historikers wie Ronald Syme sein kann, der nie davon abließ, die Oligarchien durch die minutiöse Personengeschichte ihrer Akteure zu durchleuchten, kann man sich vor Augen führen, wenn man diese prosopographische Methode einmal auf neuere Epochen übertragen denkt. In seiner Römischen Revolution hat Syme verfolgt, wie Augustus die Machtkartelle der römischen Elite gewissermaßen so umgruppierte und auf sich einschwor, dass sein monokratisches Herrschaftssystem des Prinzipats langfristig stabil bleiben konnte – und das nicht zuletzt, weil er ihr Anteile an der reichen Beute des bis zu seinem Tod im Jahre 14 n. Chr. in Afrika, Asien und Europa noch erweiterten römischen Imperiums sicherte.
Würde man eine ähnliche Autopsie der deutschen Eliten etwa an den Übergängen von Weimarer Republik, Drittem Reich und Bundesrepublik vornehmen, ergäbe sich vermutlich ein ähnlich überraschendes Bild von Kontinuitäten hinter den Fassaden der Regierungsformen wie zur Zeit des Augustus – mit einem gravierenden Unterschied allerdings: der jüdische Teil der Elite ist, anders als der römische Adel, nicht nur vollständig entmachtet, sondern zum größten Teil vernichtet worden.
Über die prekäre Lage der Historiker auf einem solchen Terrain hat Syme wenig Zweifel gelassen. Sie blitzt etwa auf, wenn er von Pollio – neben Sallust und vor allem Tacitus, dem später Symes Hauptwerk galt, sein wichtigster Bezugspunkt in der römischen Geschichtsschreibung – ein gestochen scharfes Portrait gibt.
Pollio war ein Zeitgenosse der Ereignisse, von denen er erzählte, und nahm als Armeeführer und geschickter Vermittler in nicht geringem Maße daran teil. Er starb ungefähr zehn Jahre vor Augustus. Charakter und Neigungen hätten ihn während des Kampfes zwischen Caesar und Pompeius zu einer neutralen Haltung veranlasst, wenn dies möglich gewesen wäre. Pollio hatte in beiden Lagern mächtige Feinde. Um seiner Sicherheit willen zu einer Entscheidung gezwungen, entschied er sich für Caesar, seinen persönlichen Freund, und begleitete ihn durch alle Kriege von der Überquerung des Rubikon bis zur letzten Schlacht in Spanien. Dann folgte er Antonius fünf Jahre lang. Caesar treu ergeben und stolz auf seine Treue, bekannte er dennoch zugleich seine Anhänglichkeit an freie Institutionen – ein Bekenntnis, das durch seine leidenschaftliche und sprichwörtliche Unabhängigkeit in Rede und Gewohnheiten durchaus glaubhaft erscheint.
Pollio, der Parteigänger des Caesar und des Antonius, war ein pessimistischer Republikaner und ein ehrenwerter Mann. Von zähem italischen Schlag, jeglichem Pomp und Getue abhold, schrieb er über die Revolution, wie dieses schlimme Thema es erforderte, in einem einfachen, herben Stil. Man muss sehr bedauern, dass er seine "Geschichte der Bürgerkriege" nicht über die Zeit des Triumvirats hinaus bis zur Schlacht bei Actium und zum Prinzipat des Augustus fortführte; sein Werk scheint mit dem Untergang der Republik bei Philippi geendet zu haben. Es ist leicht zu begreifen, warum Pollio es vorzog, nicht weiterzuschreiben. Wie die Dinge lagen, war sein Weg gefährlich, die Lava unter der Oberfläche noch flüssig. Als Gegner des Octavianus hatte sich Pollio bald nach 40 v. Chr. vom politischen Leben zurückgezogen und blieb eifersüchtig auf seine Unabhängigkeit bedacht. Die Wahrheit zu erzählen wäre tollkühn gewesen, aber Schmeichelei widerstrebte seinem Charakter.
Dieses Portrait eines seiner historischen Vorbilder zeigt sehr schön die Klarheit von Symes Stil, der in der gründlich revidierten und außerdem erstmals vollständigen Übersetzung der lange vergriffenen Römischen Revolution jetzt besser zur Geltung kommt. Doch für die heutige Zeit ist an Symes großartigem Werk auch die analytische Schärfe vorbildlich, mit der er die Innenarchitektur des in der Schwebe zwischen Republik und Monarchie gelassenen Herrschaftssystems des Augustus von dessen eigenen und vielen späteren Verklärungen befreite. Man kann es auch eine Ideologiekritik dieses Herrschaftssystems mit seinen "moderneren und tödlicheren Machttechniken" nennen - ein unerlässliches Projekt, weil sich an einem damaligen Historiker wie Pollio schon die bis heute fatale Paradoxie zeigt, dass es für Historiker, die das Innere solcher Herrschaftssysteme kennen, weil sie ihm selbst angehört haben, zu gefährlich ist, darüber zu schreiben, während man bei veröffentlichten Werken besser davon ausgeht, dass sie von gefährlichen Wahrheiten von vornherein sorgfältig befreit sind. Würde es sich nicht um eine Untersuchung über die römische Zeit, sondern von Herrschaftssystemen moderner Demokratien handeln, könnte man sicher sein, dass sofort der Vorwurf der "Verschwörungstheorie" erhoben würde. Denn Syme schreibt etwa:
Die beste Partei ist nichts als eine Art Verschwörung gegen den Staat. Die Gefolgschaft des Octavianus konnte nicht einmal den Anschein erwecken, eine richtige Partei zu sein. In Wahrheit war sie, wie man oft verunglimpfend die großartigsten Bewegungen genannt hatte, eine Clique; ihre Aktionen bewegten sich außerhalb der Verfassung und der Gesetze.
Das heißt keineswegs, dass Syme die Errungenschaften des Prinzipat ignorierte. Augustus hatte den Bürgerkrieg gebändigt, indem er die mächtigen Akteure vor allem aus dem römischen Adel daran hinderte, sich weiter private Armeen zu halten; er hat den drohenden Niedergang des römischen Imperiums aufgehalten, indem er die besitzende Klasse der italischen Städte in die Elite einband und den Einfluss des römischen Adels zurückdrängte; mit dem Sieg über Antonius hat er noch einmal den aufbrechenden Konflikt zwischen dem Osten und Westen des römischen Reiches gezähmt und so dafür gesorgt, dass dieser Antagonismus das römische Reich erst Jahrhunderte später zerfallen ließ; und natürlich war die Ausbreitung des römischen Rechtssystems über die Provinzen ein Fortschritt etwa gegenüber dem orientalischen Despotismus, so anders die versklavten Völker das auch gesehen haben mögen.
Doch das ändert letztlich nichts daran, dass Augustus der Prototyp vieler späterer Machtfiguren gewesen ist, denen die Legalität ebenfalls nur eine nützliche Kulisse war, um das eigene Herrschaftssystem abzusichern. Hinter den Kulissen jener römischen Republik, die Augustus niemals offen abgeschafft hat, sondern nur wiederherzustellen vorgab, agierte seine neuformierte Elite jedenfalls nicht weniger ungehindert als die der republikanischen Zeit. Natürlich darf man sich keine großen Illusionen machen, was der Titel "Republik" zu allen diesen Zeiten eigentlich besagte.
Die Wirklichkeit der römischen Politik war mit einer doppelten Schicht von Täuschungen überzogen, einer demokratischen und einer aristokratischen. In der Theorie war das Volk letzten Endes souverän, aber den Geist der Verfassung betrachtete man als aristokratisch. Tatsächlich herrschte die Oligarchie aufgrund von Konsens und Tradition. Die Verteidiger der Herrschaft und der Vorrechte des Senates waren zwar nicht nur eine begrenzte Clique brutaler und unaufgeklärter Oligarchen. Es sei nochmals gesagt, dass unter den Verfechtern der Rechte des Volkes rechtschaffene Männer und ehrliche Reformer zu finden waren. Aber kaum jemand glaubte oder war davon überzeugt, dass die Souveränität des Volkes etwas Gutes an sich sei. Einmal an die Macht gelangt, tat der popularis , ob er nun Pompeius oder Caesar hieß, sein Bestes, um die gefährlichen und anachronistischen Freiheiten des Volkes einzuschränken. Das war die erste Pflicht jedes römischen Staatsmannes.
Auch der Caesar Augustus ist ein solcher Staatsmann gewesen, dessen Aufstieg als Revolutionsführer begann.
Die römische Plebs war Caesars ererbte clientela . Er ernährte sie durch Spenden, unterhielt sie mit Spielen und behauptete, ihr Beschützer gegen Unterdrückung zu sein. Freie Wahlen kehrten wieder – das heißt, ein dankbares Volk würde unfehlbar die Kandidaten wählen, die Caesar in seiner Weisheit ausgewählt hatte.
Das alles klingt auch heute nicht ganz unvertraut, da das Schlagwort der Demokratie an die Stelle von dem der Republik getreten ist; und auch der Kommentar von Syme zur Neuordnung der Jahre 28 und 27 v. Chr. wirkt keineswegs völlig gegenwartsfern, als Augustus nach dem Ende des Triumvirats die Republik in einer geschickt eingefädelten Farce zu erneuern schien, obwohl vielen Zeitgenossen eher die damals in Rom verhängnisvollen Bezeichnungen Diktatur oder Monarchie auf der Zunge gelegen haben dürften:
Auf allen Seiten herrschte eine Verschwörung angemessenen Schweigens über die Kluft zwischen Wirklichkeit und Theorie; es war allen klar, dass es keinen Nutzen, sondern nur Gefahr bringen würde, darüber zu reden. Der Prinzipat entzieht sich jeder Definition.
Wenn Ronald Symes brillante Analyse der herrschenden Klasse, auf die Augustus sich stützte, heute keineswegs nur für Althistoriker aufschlussreich ist, sondern gleichzeitig Licht auf die Gegenwart wirft, so hängt das damit zusammen, dass auch hinter den Fassaden moderner Demokratien eine Oligarchie lauert, über die selbst in den Mediendemokratien oft auf allen Seiten eine seltsame "Verschwörung angemessenen Schweigens" zu beobachten ist. Kein Wunder, wenn man etwa ins Italien des Silvio Berlusconi blickt, der über diese Medien womöglich noch effektiver gebietet als Augustus über die seiner Zeit – und dessen frei gewähltes Regime auch darin Züge von dem des Augustus besitzt, dass er – um es mit Ronald Syme zu sagen –
die Verfassungsform (ändert), um sie seiner Politik anzupassen, und seine Politik, damit sie mit den römischen Anschauungen übereinstimmt.
Natürlich kann man den Blick auch auf die USA richten, die inzwischen oft als das "neue Rom" betrachtet werden. Wenn deren amtierender Präsident wieder einmal einen seiner Kreuzzüge mit dem wohltönenden Begriff der Freiheit ankündigt, mag man an Ronald Symes Worte denken:
In Rom verehrte jeder die 'libertas', man glaubte darin eine ungefähre Entsprechung zum Geist und zur Praxis der republikanischen Regierung zu erblicken. Was aber der republikanischen Verfassung genau entsprach, war keine Frage der rechtsgültigen Definition, sondern parteiischer Ausdeutungen. Libertas ist ein vager und negierender Begriff – Freiheit von der Herrschaft eines Tyrannen oder einer Partei. Daraus folgt, dass 'libertas' ein willkommener Ausdruck für politischen Betrug ist. Von Individuen oder Klassen, die sich der Macht und des Reichtums erfreuten, wurde die 'libertas' am häufigsten zur Verteidigung der bestehenden Ordnung beschworen. Die 'libertas' des römischen Aristokraten bedeutete die Herrschaft einer Klasse und die Verewigung von Vorrechten.
Natürlich bildet auch "Die römische Revolution" von Ronald Syme keine Ausnahme von dieser untergründigen Gegenwartsnähe. Als dieses erste große Werk des Oxforder Historikers wenige Tage nach Beginn des 2. Weltkriegs erschien, ist es in der angelsächsischen Welt auch deshalb sehr schnell zu einem weit beachtetem Standardwerk geworden, weil es mit den Machtkämpfen beim Übergang der von Bürgerkriegen zerrissenen römischen Republik zum Prinzipat des Augustus und der römischen Kaiserzeit auch die ähnlich aufgeladene Atmosphäre im Europa der Vorkriegsjahre traf.
Wie hatte der 1903, also im Todesjahr von Theodor Mommsen geborene Neuseeländer, der sein gesamtes akademisches Leben in Oxford verbrachte, mit einer seiner feinen ironischen Spitzen gegen den ansonsten überaus geschätzten Mommsen doch die Zielrichtung seiner "römischen Revolution" angegeben?
Es ist eine unterhaltsame Beschäftigung, über die Feinheiten juristischer Theorie nachzusinnen oder von Zeitalter zu Zeitalter die Weitergabe ewiger Maximen politischer Weisheit zu verfolgen. Es ist aber lehrreicher, die Wesensgleichheit der Agenten und Diener der Macht in allen Zeiten und unter jedem Herrschaftssystem aufzudecken. Diese Aufgabe ist oft ignoriert oder umgangen worden.
Das war ein kräftiger Posaunenstoß gegen die Zitadellenmauern der römischen Geschichte Theodor Mommsens, mit dessen von einem Literaturnobelpreis gekrönten Erzählkünsten Ronald Syme zwar nicht wirklich konkurrieren konnte, ihn aber trotzdem vieles verband. Die römische Revolution sollte also ins Innere der Macht vordringen, dorthin, wo ihre "Agenten und Diener", also die herrschende Klasse, unentwegt ihre blutigen Machtkämpfe austrugen, und zwar wesensgleich "in allen Zeiten und unter jedem Herrschaftssystem". Ein bemerkenswertes Programm, diese filigrane Autopsie der herrschenden Klasse Roms im Moment einer tiefen Krise, oder seiner Elite, wie sie sich heute lieber nennen lässt, und außerdem ein Programm, das zu keiner Zeit ohne Brisanz ist, weil Eliten sich nie gerne auf die Finger sehen lassen, wenn hinter wechselnden politischen Fassaden die Macht zwischen ihren Agenten und Dienern aufgeteilt wird.
Was auch immer die Form und die Bezeichnung einer Regierung sein mag, Monarchie, Republik oder Demokratie, zu allen Zeiten lauert eine Oligarchie hinter der Fassade; und die römische Geschichte, die republikanische wie die der Kaiserzeit, ist die Geschichte einer herrschenden Klasse. Den Feldherren, Diplomaten und Finanziers der Revolution begegnet man in der Republik des Augustus wieder als Werkzeugen und Hoheitsträgern der Macht – denselben Männern, nur in anderem Kleide. Sie bilden die Regierung des Neuen Staats.
Auch hier ist ein auf Symes Gegenwart der 30er Jahre gerichtetes Augenblinzeln nicht zu verkennen, auf die Revolutionen im alten Europa nach dem Ersten Weltkrieg, die unter faschistischen oder nationalen Vorzeichen stattfanden. Sie hatten manches mit dem zentralen Problem von Octavian, dem späteren Augustus, gemein: wie schafft man es, sich als Parteiführer in einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg, der nur durch die Diktatur Ceasars unterbrochen war, schließlich als unangefochtener Machthaber in einem Neuen Staat zu etablieren, der plötzlich über allen Parteiungen der Bürgerkriegszeit zu stehen scheint? Für Caesars Erben Octavian war das die kardinale Frage gewesen, und dass er sie im Neuen Staat seines Prinzipats hatte lösen können, ist der eigentliche Glutkern des seither niemals erlahmten Interesses an diesem skrupellosen Strategen des großen Machtspiels geblieben.
Zwei Jahre nach den Iden des März, als Julius Caesar von den republikanischen Verschwörern im römischen Senat beseitigt worden war, hatte Octavian im Bündnis mit dem Caesarianer Antonius die Heere der Republikaner Brutus und Cassius bei Philippi geschlagen und das folgende Triumvirat schließlich solange unterminiert, bis er 32 v. Chr. auch seinen gefährlichsten Konkurrenten Antonius bei Actium vernichten konnte. Aber Octavian war in erster Linie ein Meister der Propaganda und vor allem der Bündnisse gewesen – noch bevor es in Actium zur Schlacht kam, hatte er die meisten Mitglieder der römischen Elite auf seine Seite gezogen, so dass Ronald Syme schreibt:
Die Schlacht von Actium war entschieden, bevor sie geschlagen wurde. (...) Actium war eine schäbige Affäre, würdiger Höhepunkt der unrühmlichen Propaganda gegen Kleopatra und der beschworenen heiligen Allianz ganz Italiens.
Auch für Mussolini und Hitler sind Propaganda, solche schäbigen Coups und vor allem taktisch geschickte Bündnisse mit den Eliten entscheidende Mittel ihres Aufstiegs gewesen. In Symes Römischer Revolution kann man Kapitel mit Überschriften wie "Der erste Marsch auf Rom", "Das nationale Programm" oder "Die Organisierung der öffentlichen Meinung" immer auch als Kommentare zur europäischen Machtpolitik vor dem 2. Weltkrieg verstehen.
Wie brisant die Methode eines Historikers wie Ronald Syme sein kann, der nie davon abließ, die Oligarchien durch die minutiöse Personengeschichte ihrer Akteure zu durchleuchten, kann man sich vor Augen führen, wenn man diese prosopographische Methode einmal auf neuere Epochen übertragen denkt. In seiner Römischen Revolution hat Syme verfolgt, wie Augustus die Machtkartelle der römischen Elite gewissermaßen so umgruppierte und auf sich einschwor, dass sein monokratisches Herrschaftssystem des Prinzipats langfristig stabil bleiben konnte – und das nicht zuletzt, weil er ihr Anteile an der reichen Beute des bis zu seinem Tod im Jahre 14 n. Chr. in Afrika, Asien und Europa noch erweiterten römischen Imperiums sicherte.
Würde man eine ähnliche Autopsie der deutschen Eliten etwa an den Übergängen von Weimarer Republik, Drittem Reich und Bundesrepublik vornehmen, ergäbe sich vermutlich ein ähnlich überraschendes Bild von Kontinuitäten hinter den Fassaden der Regierungsformen wie zur Zeit des Augustus – mit einem gravierenden Unterschied allerdings: der jüdische Teil der Elite ist, anders als der römische Adel, nicht nur vollständig entmachtet, sondern zum größten Teil vernichtet worden.
Über die prekäre Lage der Historiker auf einem solchen Terrain hat Syme wenig Zweifel gelassen. Sie blitzt etwa auf, wenn er von Pollio – neben Sallust und vor allem Tacitus, dem später Symes Hauptwerk galt, sein wichtigster Bezugspunkt in der römischen Geschichtsschreibung – ein gestochen scharfes Portrait gibt.
Pollio war ein Zeitgenosse der Ereignisse, von denen er erzählte, und nahm als Armeeführer und geschickter Vermittler in nicht geringem Maße daran teil. Er starb ungefähr zehn Jahre vor Augustus. Charakter und Neigungen hätten ihn während des Kampfes zwischen Caesar und Pompeius zu einer neutralen Haltung veranlasst, wenn dies möglich gewesen wäre. Pollio hatte in beiden Lagern mächtige Feinde. Um seiner Sicherheit willen zu einer Entscheidung gezwungen, entschied er sich für Caesar, seinen persönlichen Freund, und begleitete ihn durch alle Kriege von der Überquerung des Rubikon bis zur letzten Schlacht in Spanien. Dann folgte er Antonius fünf Jahre lang. Caesar treu ergeben und stolz auf seine Treue, bekannte er dennoch zugleich seine Anhänglichkeit an freie Institutionen – ein Bekenntnis, das durch seine leidenschaftliche und sprichwörtliche Unabhängigkeit in Rede und Gewohnheiten durchaus glaubhaft erscheint.
Pollio, der Parteigänger des Caesar und des Antonius, war ein pessimistischer Republikaner und ein ehrenwerter Mann. Von zähem italischen Schlag, jeglichem Pomp und Getue abhold, schrieb er über die Revolution, wie dieses schlimme Thema es erforderte, in einem einfachen, herben Stil. Man muss sehr bedauern, dass er seine "Geschichte der Bürgerkriege" nicht über die Zeit des Triumvirats hinaus bis zur Schlacht bei Actium und zum Prinzipat des Augustus fortführte; sein Werk scheint mit dem Untergang der Republik bei Philippi geendet zu haben. Es ist leicht zu begreifen, warum Pollio es vorzog, nicht weiterzuschreiben. Wie die Dinge lagen, war sein Weg gefährlich, die Lava unter der Oberfläche noch flüssig. Als Gegner des Octavianus hatte sich Pollio bald nach 40 v. Chr. vom politischen Leben zurückgezogen und blieb eifersüchtig auf seine Unabhängigkeit bedacht. Die Wahrheit zu erzählen wäre tollkühn gewesen, aber Schmeichelei widerstrebte seinem Charakter.
Dieses Portrait eines seiner historischen Vorbilder zeigt sehr schön die Klarheit von Symes Stil, der in der gründlich revidierten und außerdem erstmals vollständigen Übersetzung der lange vergriffenen Römischen Revolution jetzt besser zur Geltung kommt. Doch für die heutige Zeit ist an Symes großartigem Werk auch die analytische Schärfe vorbildlich, mit der er die Innenarchitektur des in der Schwebe zwischen Republik und Monarchie gelassenen Herrschaftssystems des Augustus von dessen eigenen und vielen späteren Verklärungen befreite. Man kann es auch eine Ideologiekritik dieses Herrschaftssystems mit seinen "moderneren und tödlicheren Machttechniken" nennen - ein unerlässliches Projekt, weil sich an einem damaligen Historiker wie Pollio schon die bis heute fatale Paradoxie zeigt, dass es für Historiker, die das Innere solcher Herrschaftssysteme kennen, weil sie ihm selbst angehört haben, zu gefährlich ist, darüber zu schreiben, während man bei veröffentlichten Werken besser davon ausgeht, dass sie von gefährlichen Wahrheiten von vornherein sorgfältig befreit sind. Würde es sich nicht um eine Untersuchung über die römische Zeit, sondern von Herrschaftssystemen moderner Demokratien handeln, könnte man sicher sein, dass sofort der Vorwurf der "Verschwörungstheorie" erhoben würde. Denn Syme schreibt etwa:
Die beste Partei ist nichts als eine Art Verschwörung gegen den Staat. Die Gefolgschaft des Octavianus konnte nicht einmal den Anschein erwecken, eine richtige Partei zu sein. In Wahrheit war sie, wie man oft verunglimpfend die großartigsten Bewegungen genannt hatte, eine Clique; ihre Aktionen bewegten sich außerhalb der Verfassung und der Gesetze.
Das heißt keineswegs, dass Syme die Errungenschaften des Prinzipat ignorierte. Augustus hatte den Bürgerkrieg gebändigt, indem er die mächtigen Akteure vor allem aus dem römischen Adel daran hinderte, sich weiter private Armeen zu halten; er hat den drohenden Niedergang des römischen Imperiums aufgehalten, indem er die besitzende Klasse der italischen Städte in die Elite einband und den Einfluss des römischen Adels zurückdrängte; mit dem Sieg über Antonius hat er noch einmal den aufbrechenden Konflikt zwischen dem Osten und Westen des römischen Reiches gezähmt und so dafür gesorgt, dass dieser Antagonismus das römische Reich erst Jahrhunderte später zerfallen ließ; und natürlich war die Ausbreitung des römischen Rechtssystems über die Provinzen ein Fortschritt etwa gegenüber dem orientalischen Despotismus, so anders die versklavten Völker das auch gesehen haben mögen.
Doch das ändert letztlich nichts daran, dass Augustus der Prototyp vieler späterer Machtfiguren gewesen ist, denen die Legalität ebenfalls nur eine nützliche Kulisse war, um das eigene Herrschaftssystem abzusichern. Hinter den Kulissen jener römischen Republik, die Augustus niemals offen abgeschafft hat, sondern nur wiederherzustellen vorgab, agierte seine neuformierte Elite jedenfalls nicht weniger ungehindert als die der republikanischen Zeit. Natürlich darf man sich keine großen Illusionen machen, was der Titel "Republik" zu allen diesen Zeiten eigentlich besagte.
Die Wirklichkeit der römischen Politik war mit einer doppelten Schicht von Täuschungen überzogen, einer demokratischen und einer aristokratischen. In der Theorie war das Volk letzten Endes souverän, aber den Geist der Verfassung betrachtete man als aristokratisch. Tatsächlich herrschte die Oligarchie aufgrund von Konsens und Tradition. Die Verteidiger der Herrschaft und der Vorrechte des Senates waren zwar nicht nur eine begrenzte Clique brutaler und unaufgeklärter Oligarchen. Es sei nochmals gesagt, dass unter den Verfechtern der Rechte des Volkes rechtschaffene Männer und ehrliche Reformer zu finden waren. Aber kaum jemand glaubte oder war davon überzeugt, dass die Souveränität des Volkes etwas Gutes an sich sei. Einmal an die Macht gelangt, tat der popularis , ob er nun Pompeius oder Caesar hieß, sein Bestes, um die gefährlichen und anachronistischen Freiheiten des Volkes einzuschränken. Das war die erste Pflicht jedes römischen Staatsmannes.
Auch der Caesar Augustus ist ein solcher Staatsmann gewesen, dessen Aufstieg als Revolutionsführer begann.
Die römische Plebs war Caesars ererbte clientela . Er ernährte sie durch Spenden, unterhielt sie mit Spielen und behauptete, ihr Beschützer gegen Unterdrückung zu sein. Freie Wahlen kehrten wieder – das heißt, ein dankbares Volk würde unfehlbar die Kandidaten wählen, die Caesar in seiner Weisheit ausgewählt hatte.
Das alles klingt auch heute nicht ganz unvertraut, da das Schlagwort der Demokratie an die Stelle von dem der Republik getreten ist; und auch der Kommentar von Syme zur Neuordnung der Jahre 28 und 27 v. Chr. wirkt keineswegs völlig gegenwartsfern, als Augustus nach dem Ende des Triumvirats die Republik in einer geschickt eingefädelten Farce zu erneuern schien, obwohl vielen Zeitgenossen eher die damals in Rom verhängnisvollen Bezeichnungen Diktatur oder Monarchie auf der Zunge gelegen haben dürften:
Auf allen Seiten herrschte eine Verschwörung angemessenen Schweigens über die Kluft zwischen Wirklichkeit und Theorie; es war allen klar, dass es keinen Nutzen, sondern nur Gefahr bringen würde, darüber zu reden. Der Prinzipat entzieht sich jeder Definition.
Wenn Ronald Symes brillante Analyse der herrschenden Klasse, auf die Augustus sich stützte, heute keineswegs nur für Althistoriker aufschlussreich ist, sondern gleichzeitig Licht auf die Gegenwart wirft, so hängt das damit zusammen, dass auch hinter den Fassaden moderner Demokratien eine Oligarchie lauert, über die selbst in den Mediendemokratien oft auf allen Seiten eine seltsame "Verschwörung angemessenen Schweigens" zu beobachten ist. Kein Wunder, wenn man etwa ins Italien des Silvio Berlusconi blickt, der über diese Medien womöglich noch effektiver gebietet als Augustus über die seiner Zeit – und dessen frei gewähltes Regime auch darin Züge von dem des Augustus besitzt, dass er – um es mit Ronald Syme zu sagen –
die Verfassungsform (ändert), um sie seiner Politik anzupassen, und seine Politik, damit sie mit den römischen Anschauungen übereinstimmt.
Natürlich kann man den Blick auch auf die USA richten, die inzwischen oft als das "neue Rom" betrachtet werden. Wenn deren amtierender Präsident wieder einmal einen seiner Kreuzzüge mit dem wohltönenden Begriff der Freiheit ankündigt, mag man an Ronald Symes Worte denken:
In Rom verehrte jeder die 'libertas', man glaubte darin eine ungefähre Entsprechung zum Geist und zur Praxis der republikanischen Regierung zu erblicken. Was aber der republikanischen Verfassung genau entsprach, war keine Frage der rechtsgültigen Definition, sondern parteiischer Ausdeutungen. Libertas ist ein vager und negierender Begriff – Freiheit von der Herrschaft eines Tyrannen oder einer Partei. Daraus folgt, dass 'libertas' ein willkommener Ausdruck für politischen Betrug ist. Von Individuen oder Klassen, die sich der Macht und des Reichtums erfreuten, wurde die 'libertas' am häufigsten zur Verteidigung der bestehenden Ordnung beschworen. Die 'libertas' des römischen Aristokraten bedeutete die Herrschaft einer Klasse und die Verewigung von Vorrechten.