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Die Rolle der Gewerkschaften in Deutschland

    Durak : Beim Deutschen Gewerkschaftsbund gibt es eine Wachablösung. Ein neuer Chef wird gesucht, und wer auch immer diese Aufgabe übernehmen wird, der hat eine große Aufgabe vor sich, nämlich den DGB als Dachverband so zu reformieren und modernisieren, dass er seine Existenzberechtigung erhält und ausbaut. Zum Einen im Verhältnis zu seinen Einzelgewerkschaften, zum Anderen angesichts des fortschreitenden Mitgliederschwunds. Darüber will ich mit Prof. Bodo Zeuner sprechen. Er ist Politikwissenschaftler an der Freien Universität in Berlin und nun am Telefon. Herr Zeuner, die ursprüngliche Aufgabe des DGB, die Interessen aller Einzelgewerkschaften zu bündeln und erfolgreich zu vertreten, verflüchtigt sich in dem Maße, da einige Gewerkschaften durch Fusion immer größer und mächtiger werden. Bleiben dem DGB allein die kleinen Einzelgewerkschaften?

    Zeuner : Ja, diese Gefahr besteht, obwohl es auch zwischen den großen Gewerkschaften, die aus Fusionen entstanden sind, weiterhin beispielsweise Schlichtungsprobleme gibt. Sie tragen manchmal geradezu Grenzkriege aus, und manchmal gehen sie damit schon vor das Bundesarbeitsgericht, statt den Dachverband entscheiden zu lassen, wie es eigentlich sein sollte, wer z.B. in welchem Betrieb die zuständige Gewerkschaft sein soll. Und die Vertretung gegenüber der Politik bleibt auch eine Aufgabe. Natürlich können die deutschen Gewerkschaften entscheiden, dass in allen Fragen - sagen wir mal - von Biotechnologie nicht mehr der DGB, sondern die IGBCE für alle Gewerkschaften sprechen soll, aber das ist nicht sehr vernünftig. Also bleiben da durchaus noch Aufgaben, abgesehen davon, dass die ureigenen Aufgaben der Einzelgewerkschaften, etwa die Tarifpolitik, ein wenig mehr koordiniert werden müssen. Und schließlich die Debatte über die Zukunft der Gewerkschaften, die in den Einzelgewerkschaften geführt wird. Die IG-Metall hat vor einem Jahr aufgefordert, dass über die Zukunft der Gewerkschaften debattiert wird, sie hat dazu Wissenschaftler beauftragt und Umfragen gemacht. Auch dieses könnte ja auch eine Aufgabe des DGB sein.

    Durak : Wissen Sie, was Sie gerade getan haben? Sie beschreiben die de facto Entmachtung des DGB. Zum Einen die direkten politischen Gespräche, die Sie angesprochen haben, die von den großen Einzelgewerkschaften selbst geführt werden. Zum Anderen führen sie auch die Diskussion über die Zukunft der Gewerkschaften selbst. Wozu also ein solcher Dachverband?

    Zeuner : Ich denke, das ist eine suboptimale Lösung, auch von den Zielen der Gewerkschaften selber her. Nehmen wir z.B. die Sprecherrolle einer interessierten Einzelgewerkschaft, die der IGBCE in Fragen der Energiepolitik oder in politischen Grundsatzfragen, etwa zur Biotechnologie oder zur Humangenetik. Wenn die Gewerkschaften eine politische Rolle beanspruchen, dann wäre es für sie wichtig, dass für alle Mitglieder der Gewerkschaften gesprochen werden kann, und nicht nur für die, die in besonderer Weise Interessen haben und auch mit anderen Interessen verflochten sind. Eigentlich wäre es wünschenswert, wenn die Gewerkschaften, sofern sie mehr sein wollen als nur eine enge ökonomische Interessenvertretung, sofern sie auch einen politischen Anspruch haben - und den haben die deutschen Gewerkschaften immer erhoben -, dass sie dann auch so organisiert sind, dass ihr Dachverband für alle Gewerkschaften sprechen kann.

    Durak : Liegt es daran, dass bestimmte Einzelgewerkschaften große Führungspersönlichkeiten haben, die bestimmte Dinge ganz einfach selbst in die Hand nehmen, dass der DGB im Grunde so schwach ist, oder liegt es an der Struktur des DGB, an falschen Konzepten, oder woran?

    Zeuner : Es liegt im Wesentlichen daran, dass die Einzelgewerkschaften, egal wie stark die Personen an ihrer Spitze sind, einfach sehr viel mehr Gewicht haben, beispielsweise mehr Geld als der DGB haben. Dass sie bei den Alltagsaufgaben der Gewerkschaften, Tarifpolitik, Betreuung der Betriebsräte, viel näher an der Basis sind, dass der DGB hier so abgehoben ist, wird man bei einem Dachverband nicht sehr ändern können. Allerdings sind die Strukturen auch so gebaut, dass der DGB wenig Eigenidentität und wenig Eigengewicht gewinnen kann. Auf fast allen Ebenen setzen sich seine Organe wiederum aus Delegierten der Einzelgewerkschaften zusammen. Es gibt kaum eine ununterbrochene Delegationskette auf DGB-Ebene von unten nach oben, so dass augrund der organisatorischen Konstruktion die Abhängigkeit der DGB-Vertreter, Funktionäre, Vorstandsmitglieder, von den Einzelgewerkschaften sehr groß ist.

    Durak : Nun sucht man ja einen neuen Vorsitzenden. Es gab ja mal vor einiger Zeit den Vorschlag, angelehnt an dem grünen Rotationsmodell, die Vorsitzenden der großen Einzelgewerkschaften könnten ja turnusmäßig den Vorsitz übernehmen. Wäre das eine Lösung gewesen?

    Zeuner : Das wäre das Generalsekretärsmodell, bei dem es einen Generalsekretär gibt, der sozusagen eine Art Büroleiter ist, für die laufenden Geschäfte des DGB verantwortlich ist, aber weniger politische Legitimation hat. Und die formale Präsidentschaft wäre dann eher ein symbolischer Akt, und die kann man unter den einzelnen Gewerkschaftsführern rotieren lassen. Nein, das wäre eher ein Modell, das eigentlich zur weiteren Schwächung des DGB führen würde. Die einzige Möglichkeit, die ich sehe, den DGB wieder in eine angemessene Rolle zu bringen, ist in der Tat, dass starke Personen, die es auch schaffen, gegenüber den Einzelgewerkschaften sich Gewicht zu verschaffen, diese Sprecherrolle einfach annehmen und ausführen. Da hätte auch Herr Schulte einfach mehr tun können als bisher. Niemand hätte ihm verboten, diese Zukunftsdebatte, die die IG-Metall bisher für sich führt, auch stärker zu einer Sache des DGB zu machen.

    Durak : Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio