So beginnt ein Kapitel in Antonio Lobo Antuness in diesem Herbst auf Deutsch erschienenen Roman "Die Rückkehr der Karavellen". Schon wieder ein Antunes, wird manch einer gesagt oder gedacht haben. Unterhält der in Lissabon lebende Schriftsteller etwa einen Autorenstab, der ihm zuarbeitet? Im Frühjahr ist doch erst der Roman "Der Tod des Carlos Gardel" erschienen, im vergangenen Herbst "Anweisungen an die Krokodile" und im Jahr zuvor "Portugals strahlende Größe". Umfangreiche, literarisch komplexe Titel allesamt. Aber das Geheimnis ist schnell gelüftet, das Mißtrauen leicht ausgeräumt. Wer ins copyright der Bücher hineinschaut, sieht, daß in diesem Jahr kein einziger wirklich neuer Antunes erschienen ist. Die jüngste deutschsprachige Publikation, "Die Rückkehr der Karavellen", ist im portugiesischen Original bereits vor 12 Jahren herausgekommen. Der deutsche Frühjahrstitel, "Der Tod des Carlos Gardel", liegt in Portugal seit 1995 vor. Dennoch hatte Luchterhandverleger Gerald Trageiser im Gewühl der Frankfurter Buchmesse alle Mühe, Irriationen wegen seiner Editionspolitik aus der Welt zu schaffen. Trageiser:
"Keine Strategie und keine großartigen Überlegungen, sondern eben daß wir mit dem Autor vereinbart haben, alle seine Werke ab "Das Handbuch der Inquisitoren" in Deutscher Sprache herauszubringen - und zwar auch die früheren. Und da er ja, wie wir wissen, Gottseidank sehr produktiv ist, dadurch in eineinhalb Jahren jeweils einen neuen Roman schreibt, sind wir parktisch ja gezwungen zwischen dem Erscheinen der neuen Romane die früheren einzuschieben. Wir hatten eigentlich vor im nächsten Frühjahr, weil da auch kein neuer Antunes vorgesehen war, "Fado Alexandrino" zu machen, und jetzt haben wir aber doch gemerkt, daß der Buchhandel, die Journalisten trotz aller Liebe zu Antunes ein bißchen Ermüdungserscheinungen zeigen oder auch überfordert sind, und da hab ich gesagt, dann machen wir den "Fado", der ja auch ein großartiges und bedeutendes Werk ist, lieber ein Jahr später, so daß wir im Frühjahr eine Lücke haben und im Herbst dann das Neue, das jetzt auf Portugiesisch erschienen ist."
Das neue Buch heißt "Nao entres tao depressa nessa noite escura" - "Geh nicht so schnell in diese dunkle Nacht" - und wird also im Herbst 2001 auf Deutsch publiziert, im Frühjahr und im Herbst 2002 kommen dann die beiden sehr frühen Werke: "Fado Alexandrino" und "Einblick in die Hölle". Soweit der bisherige Editionsplan.
"(D)och er lehnte es strikt ab, trotz der Befehle eines korpulenten Majors (Glauben Sie bloß nicht, daß sie dieses Dings da mitnehmen werden), sich von einem Sarg zu trennen, einer Totenlade mit ziselierten Griffen und einem Kruzifix auf dem Deckel."
Luís ist mit dem Leichnam seines Vaters nach Portugal unterwegs, in ein komplett neues Portugal, ins Portugal nach der Nelkenrevolution. Antonio Lobo Antuness Roman "Die Rückkehr der Karavellen" erzählt vom größten Umbruch in der portugiesischen Geschichte seit den Entdeckungsreisen der portugiesischen Seefahrer Magellan, Vasco da Gama und Alvares Cabral vor einem halben Jahrtausend. Das Umbruchsjahr ist das Jahr 1974, das Ereignis die sogenannte Nelkenrevolution, ein gewaltloser Militärputsch, der nicht nur der salazaristischen Rechtsdiktatur ein Ende setzte, sondern auch dem fünf Jahrhunderte alten Überseeimperium mit seinen Kolonien in Afrika und Indien, ein Imperium, das aber schon lange marode war und eigentlich nur noch als Illusion gepflegt wurde. (Als schöne Illusion jedoch bildete es das ideelle Rückrad portugiesischen Selbstbewußtseins. 1975, ein Jahr nach der Nelkenrevolution, die demokratische Verhältnisse einführte, kam es zu einem Massenexodus vor allem weißer Siedler aus den nun unabhängigen, aber von blutigen Bürgerkriegen beherrschten Kolonien. Hundertausende sogenannter Retornados, also Zurückgekehrter, drängten sich in Lissabons Gassen, Pensionen und Hotels.) Soweit die historischen Koordinaten, die auch Antuness "Rückkehr der Karavellen" bestimmen und die die literaturwissenschaftlerin Ilse Pollack in ihrem Vorwort einschließlich wichtiger Erläuterungen zum Roman klar darstellt. Ohne dieses Vorwort und ohne das Glossar am Ende des Buches wäre Antuness Arbeit auch nur schwer zu verstehen. Eine gewissenhaftere Editionspraxis ist kaum vorstellbar.
"Am späten Nachmittag zogen sie den Sarg unter der Koje hervor und knallten abgeleckte Trümpfe auf den gelackten Deckel, wobei sie alldings vermieden, das Kruzifix zu berühren, weil das Unglück beim Stich bringt und die Spielkarten verändert, und immer die Schnallenschuhe anhoben, wenn das Schaukeln des Schiffes das Erbrochene ihrer Nachbarn in ihre Richtung schwappen ließ, das eine handbreit Höhe erreichte und sie zwang, sich, die Strümpfe durchweicht, an den Griffen festzuklammern, damit der Leichnam ihnen nicht entwischte."
Antuness Retornados heißen also Luís, der den Sarg seines Vaters ins Mutterland befördert, Vasco, Manoel und Francisco. Francisco ist eigentlich Inder, kommt aber jetzt aus Mosambik, hat dort seine junge Frau an einen Tattergreis verschachert, um an das nötige Kleingeld für das Flugticket nach Portugal zu kommen. (Nichts ist diesen Retornados geblieben außer diesem vielleicht eine Nähmaschine, die, Zitat, "die Wunden der Zeit nähte", oder jenem eine Packung "Beruhigungspillen, die der Arzt der Füseliere gegen die Migräne der Alpträume verschrieben hatte".) Traurige, verlorene und zwielichtige Gestalten sind sie fast alle. Jahrhunderte alt obendrein. Denn hinter ihren Namen verbergen sich zentrale Figuren der portugiesischen Entdeckungsreisen und deren Barden. Mit jenem aus Indien stammenden Zuhälter Francisco etwa verweist der Text auf den Jesuitenpater Francisco Xavier, der Anfang 1500 in Indien und Japan missionierte. Hinter jenem Vasco steckt natürlich der Indienfahrer Vasco da Gama. Und mit jenem Luíz, jener elenden einäugigen Kreatur, die verloren durch die Elendsviertel Lissabons streift und ein großes Poem über die portugieschen Entdecker zu schreiben beginnt, mit diesem Luis ist der portugiesische Nationaldichter Luís des Camoes gemeint. Camoes, selbst Seereisender, verfaßte sein nationales Heldenepos "Die Lusiaden" Mitte des 16. Jahrhunderts.
"Gott weiß, daß ich es nicht wollte. Gott kennt das Innerste meines Fleisches, den Grund meiner Sünden und das Labyrinth meiner Absichten. Gott hatte mich seit Indien begleitet, wo mein Vater mit einem Schiffchen auf dem Kopf als Bote beim Hafenzoll arbeitete und meine Mutter im Schuppen unter dem Regen die Schildkröte fürs Mittagessen kochte."
(Einst sind sie als Abenteurer und Entdecker von Lissabon, auf Portugiesisch Lisboa, hinaus in die Welt geschickt worden, jetzt, fünfhundert Jahre später, werden sie bei Antunes vom Mülleimer Lixboa verschluckt, Lixboa, nicht wie üblich mit "s" geschrieben, sondern mit x, wie auch das Wort lixo, was Müll bedeutet. So vergeht der Welten Ruhm. Antunes hat das letzte Kapitel des alten Portugal geschrieben, das Mitte der 70er wirklich im Eimer war.) Mit der Verschränkung der Jahrhunderte schafft der Autor einen halluzinatorischen Raum, den seine Wortakrobatik surreal dehnt. Mit einer ungeheuren Sprachanstrengung rückt er den Chimären der portugiesischen Geschichte zu Leibe. Antuness Roman "Die Rückkehr der Karavellen" ist ein Sprachreaktor. Die Sätze entstehen in einer ästhetisch-atomaren Kettenreaktion. Die Materie verändert ihre Substanz. So kühn und atemberaubend Antuness Sprachdelirium oft ist, so kippt der Ausdruckswille doch häufig in Gespreiztheiten um. Solch anabolikaschwere Muskelshow ist man von Antunes eigentlich gar nicht gewohnt. Der Autor ist sich der Problematik dieser Arbeit durchaus bewußt, wie er im Tumult der Buchmesse vernehmen ließ. O-Ton Antunes:
"Ich erinnere mich an die Zeit, als ich das Buch geschrieben habe. Denn ich habe drei Jahre meines Lebens in dieses Buch investiert. Es war eine sehr schwierige Arbeit. Veröffentlicht wurde auch nur ein Teil eines viel umfangreicheren Projekts. Ich hatte ein komplettes Epos schreiben wollen, gewissermaßen eine Anti-Lusiade. Doch ich hatte irgendwann den Eindruck, ich würde die Lusiaden lediglich wiederholen. Darum habe ich nur den ersten Teil dieses Projekts publiziert, alles übrige aber vernichtet. Ich hatte wirklich die ganze portugiesische Geschichte bis in die Gegenwart im Blick gehabt, was aber nicht umzusetzten war. Ich habe immer mehr kürzen müssen, damit überhaupt etwas dabei herauskommen konnte. In technischer Hinsicht war das äußerst kompliziert."
"Die Rückkehr der Karavellen" ist das siebte von bis heute 15 Büchern. Somit scheint dieser Roman eine Art stilistischer Fitnessraum für die späteren Arbeiten eines Autors zu sein, der derzeit sicherlich zu den bedeutendsten europäischen Romanciers gehört. (Meisterlich handhabt er in seinen späteren Werken das barock-surreale Pandämonium des protugiesischen Verfalls. Doch während die neueren Romane von Geschichte und Geschichten bewegt sind, wirkt in "Die Rückkehr der Karavellen" alles eher statisch, als habe der Autor nur eine Kulisse entworfen, vergleichbar einem zerfransten Gobelin, auf dem der historische Moment förmlich erstarrt ist. Das mag auch an der Übermacht der politischen Ereignisse Mitte der 70er Jahre liegen und an jenem uralten portugiesischen Wahn einstiger Weltherrschaft, dessen Schatten sich noch in die 80er Jahre hinein erstreckte, als Antunes an den "Karavellen" arbeitete. Mit allem ihm zur Verfügung stehenden Furor hat Antunes tabula rasa machen wollen und sich damit offensichtlich überfordert. Und während seine späteren Romane nicht nur Porträts des nachrevolutionären Portugal bieten, sondern immer auch Fabeln über die Machtgier und die Vergeblichkeit menschlichen Wirkens, so gelingt den "Karavellen" der Sprung ins Allgemeine nicht. Sie bleiben eine Lissaboner Angelegenheit.) Mit der nachgeholten deutschen Übersetzung wird der Verlag kaum neue Antunes-Leser gewinnen können. Doch Lesern, die Antuness große Kunst kennen und schätzen, wird der jetzt veröffentlichte Roman einen interessanten Einblick in die literarische Entwicklung des portugiesischen Autors geben.
"Wenn die Herren den Sarg wieder zunageln würden, wäre ich Ihnen dankbar; denn ich habe sonst nichts, worauf ich mich auf den Kai setzten kann, bis das Schiff kommt."
"Keine Strategie und keine großartigen Überlegungen, sondern eben daß wir mit dem Autor vereinbart haben, alle seine Werke ab "Das Handbuch der Inquisitoren" in Deutscher Sprache herauszubringen - und zwar auch die früheren. Und da er ja, wie wir wissen, Gottseidank sehr produktiv ist, dadurch in eineinhalb Jahren jeweils einen neuen Roman schreibt, sind wir parktisch ja gezwungen zwischen dem Erscheinen der neuen Romane die früheren einzuschieben. Wir hatten eigentlich vor im nächsten Frühjahr, weil da auch kein neuer Antunes vorgesehen war, "Fado Alexandrino" zu machen, und jetzt haben wir aber doch gemerkt, daß der Buchhandel, die Journalisten trotz aller Liebe zu Antunes ein bißchen Ermüdungserscheinungen zeigen oder auch überfordert sind, und da hab ich gesagt, dann machen wir den "Fado", der ja auch ein großartiges und bedeutendes Werk ist, lieber ein Jahr später, so daß wir im Frühjahr eine Lücke haben und im Herbst dann das Neue, das jetzt auf Portugiesisch erschienen ist."
Das neue Buch heißt "Nao entres tao depressa nessa noite escura" - "Geh nicht so schnell in diese dunkle Nacht" - und wird also im Herbst 2001 auf Deutsch publiziert, im Frühjahr und im Herbst 2002 kommen dann die beiden sehr frühen Werke: "Fado Alexandrino" und "Einblick in die Hölle". Soweit der bisherige Editionsplan.
"(D)och er lehnte es strikt ab, trotz der Befehle eines korpulenten Majors (Glauben Sie bloß nicht, daß sie dieses Dings da mitnehmen werden), sich von einem Sarg zu trennen, einer Totenlade mit ziselierten Griffen und einem Kruzifix auf dem Deckel."
Luís ist mit dem Leichnam seines Vaters nach Portugal unterwegs, in ein komplett neues Portugal, ins Portugal nach der Nelkenrevolution. Antonio Lobo Antuness Roman "Die Rückkehr der Karavellen" erzählt vom größten Umbruch in der portugiesischen Geschichte seit den Entdeckungsreisen der portugiesischen Seefahrer Magellan, Vasco da Gama und Alvares Cabral vor einem halben Jahrtausend. Das Umbruchsjahr ist das Jahr 1974, das Ereignis die sogenannte Nelkenrevolution, ein gewaltloser Militärputsch, der nicht nur der salazaristischen Rechtsdiktatur ein Ende setzte, sondern auch dem fünf Jahrhunderte alten Überseeimperium mit seinen Kolonien in Afrika und Indien, ein Imperium, das aber schon lange marode war und eigentlich nur noch als Illusion gepflegt wurde. (Als schöne Illusion jedoch bildete es das ideelle Rückrad portugiesischen Selbstbewußtseins. 1975, ein Jahr nach der Nelkenrevolution, die demokratische Verhältnisse einführte, kam es zu einem Massenexodus vor allem weißer Siedler aus den nun unabhängigen, aber von blutigen Bürgerkriegen beherrschten Kolonien. Hundertausende sogenannter Retornados, also Zurückgekehrter, drängten sich in Lissabons Gassen, Pensionen und Hotels.) Soweit die historischen Koordinaten, die auch Antuness "Rückkehr der Karavellen" bestimmen und die die literaturwissenschaftlerin Ilse Pollack in ihrem Vorwort einschließlich wichtiger Erläuterungen zum Roman klar darstellt. Ohne dieses Vorwort und ohne das Glossar am Ende des Buches wäre Antuness Arbeit auch nur schwer zu verstehen. Eine gewissenhaftere Editionspraxis ist kaum vorstellbar.
"Am späten Nachmittag zogen sie den Sarg unter der Koje hervor und knallten abgeleckte Trümpfe auf den gelackten Deckel, wobei sie alldings vermieden, das Kruzifix zu berühren, weil das Unglück beim Stich bringt und die Spielkarten verändert, und immer die Schnallenschuhe anhoben, wenn das Schaukeln des Schiffes das Erbrochene ihrer Nachbarn in ihre Richtung schwappen ließ, das eine handbreit Höhe erreichte und sie zwang, sich, die Strümpfe durchweicht, an den Griffen festzuklammern, damit der Leichnam ihnen nicht entwischte."
Antuness Retornados heißen also Luís, der den Sarg seines Vaters ins Mutterland befördert, Vasco, Manoel und Francisco. Francisco ist eigentlich Inder, kommt aber jetzt aus Mosambik, hat dort seine junge Frau an einen Tattergreis verschachert, um an das nötige Kleingeld für das Flugticket nach Portugal zu kommen. (Nichts ist diesen Retornados geblieben außer diesem vielleicht eine Nähmaschine, die, Zitat, "die Wunden der Zeit nähte", oder jenem eine Packung "Beruhigungspillen, die der Arzt der Füseliere gegen die Migräne der Alpträume verschrieben hatte".) Traurige, verlorene und zwielichtige Gestalten sind sie fast alle. Jahrhunderte alt obendrein. Denn hinter ihren Namen verbergen sich zentrale Figuren der portugiesischen Entdeckungsreisen und deren Barden. Mit jenem aus Indien stammenden Zuhälter Francisco etwa verweist der Text auf den Jesuitenpater Francisco Xavier, der Anfang 1500 in Indien und Japan missionierte. Hinter jenem Vasco steckt natürlich der Indienfahrer Vasco da Gama. Und mit jenem Luíz, jener elenden einäugigen Kreatur, die verloren durch die Elendsviertel Lissabons streift und ein großes Poem über die portugieschen Entdecker zu schreiben beginnt, mit diesem Luis ist der portugiesische Nationaldichter Luís des Camoes gemeint. Camoes, selbst Seereisender, verfaßte sein nationales Heldenepos "Die Lusiaden" Mitte des 16. Jahrhunderts.
"Gott weiß, daß ich es nicht wollte. Gott kennt das Innerste meines Fleisches, den Grund meiner Sünden und das Labyrinth meiner Absichten. Gott hatte mich seit Indien begleitet, wo mein Vater mit einem Schiffchen auf dem Kopf als Bote beim Hafenzoll arbeitete und meine Mutter im Schuppen unter dem Regen die Schildkröte fürs Mittagessen kochte."
(Einst sind sie als Abenteurer und Entdecker von Lissabon, auf Portugiesisch Lisboa, hinaus in die Welt geschickt worden, jetzt, fünfhundert Jahre später, werden sie bei Antunes vom Mülleimer Lixboa verschluckt, Lixboa, nicht wie üblich mit "s" geschrieben, sondern mit x, wie auch das Wort lixo, was Müll bedeutet. So vergeht der Welten Ruhm. Antunes hat das letzte Kapitel des alten Portugal geschrieben, das Mitte der 70er wirklich im Eimer war.) Mit der Verschränkung der Jahrhunderte schafft der Autor einen halluzinatorischen Raum, den seine Wortakrobatik surreal dehnt. Mit einer ungeheuren Sprachanstrengung rückt er den Chimären der portugiesischen Geschichte zu Leibe. Antuness Roman "Die Rückkehr der Karavellen" ist ein Sprachreaktor. Die Sätze entstehen in einer ästhetisch-atomaren Kettenreaktion. Die Materie verändert ihre Substanz. So kühn und atemberaubend Antuness Sprachdelirium oft ist, so kippt der Ausdruckswille doch häufig in Gespreiztheiten um. Solch anabolikaschwere Muskelshow ist man von Antunes eigentlich gar nicht gewohnt. Der Autor ist sich der Problematik dieser Arbeit durchaus bewußt, wie er im Tumult der Buchmesse vernehmen ließ. O-Ton Antunes:
"Ich erinnere mich an die Zeit, als ich das Buch geschrieben habe. Denn ich habe drei Jahre meines Lebens in dieses Buch investiert. Es war eine sehr schwierige Arbeit. Veröffentlicht wurde auch nur ein Teil eines viel umfangreicheren Projekts. Ich hatte ein komplettes Epos schreiben wollen, gewissermaßen eine Anti-Lusiade. Doch ich hatte irgendwann den Eindruck, ich würde die Lusiaden lediglich wiederholen. Darum habe ich nur den ersten Teil dieses Projekts publiziert, alles übrige aber vernichtet. Ich hatte wirklich die ganze portugiesische Geschichte bis in die Gegenwart im Blick gehabt, was aber nicht umzusetzten war. Ich habe immer mehr kürzen müssen, damit überhaupt etwas dabei herauskommen konnte. In technischer Hinsicht war das äußerst kompliziert."
"Die Rückkehr der Karavellen" ist das siebte von bis heute 15 Büchern. Somit scheint dieser Roman eine Art stilistischer Fitnessraum für die späteren Arbeiten eines Autors zu sein, der derzeit sicherlich zu den bedeutendsten europäischen Romanciers gehört. (Meisterlich handhabt er in seinen späteren Werken das barock-surreale Pandämonium des protugiesischen Verfalls. Doch während die neueren Romane von Geschichte und Geschichten bewegt sind, wirkt in "Die Rückkehr der Karavellen" alles eher statisch, als habe der Autor nur eine Kulisse entworfen, vergleichbar einem zerfransten Gobelin, auf dem der historische Moment förmlich erstarrt ist. Das mag auch an der Übermacht der politischen Ereignisse Mitte der 70er Jahre liegen und an jenem uralten portugiesischen Wahn einstiger Weltherrschaft, dessen Schatten sich noch in die 80er Jahre hinein erstreckte, als Antunes an den "Karavellen" arbeitete. Mit allem ihm zur Verfügung stehenden Furor hat Antunes tabula rasa machen wollen und sich damit offensichtlich überfordert. Und während seine späteren Romane nicht nur Porträts des nachrevolutionären Portugal bieten, sondern immer auch Fabeln über die Machtgier und die Vergeblichkeit menschlichen Wirkens, so gelingt den "Karavellen" der Sprung ins Allgemeine nicht. Sie bleiben eine Lissaboner Angelegenheit.) Mit der nachgeholten deutschen Übersetzung wird der Verlag kaum neue Antunes-Leser gewinnen können. Doch Lesern, die Antuness große Kunst kennen und schätzen, wird der jetzt veröffentlichte Roman einen interessanten Einblick in die literarische Entwicklung des portugiesischen Autors geben.
"Wenn die Herren den Sarg wieder zunageln würden, wäre ich Ihnen dankbar; denn ich habe sonst nichts, worauf ich mich auf den Kai setzten kann, bis das Schiff kommt."