Bestimmt nicht erst seit dem 11. September 2001 sieht sich die Welt mit einem Terrorismus von islamisch motivierten Selbstmordattentätern konfrontiert, wie Sigrid Weigel behauptet, die Herausgeberin des Bandes "Märtyrer-Portraits". Eine solche Entwicklung hatte längst zuvor eingesetzt und war auch schon ins Bewusstsein der Zeitgenossen getreten. Aber worauf der Band zu Recht aufmerksam macht, ist die vor allem christliche Herkunft des Märtyrer-Motivs. Nachdem der römische Kaiser Septimius Severus 201 den Übertritt zu Judentum und Christentum verboten hatte, breitete sich das christliche Märtyrertum aus.
Dabei darf man noch hinzufügen, dass das antike Rom religiös äußerst tolerant war und praktisch alle Kulte gewähren ließ, sofern sie sich nicht gegenseitig attackierten. Das Christentum aber entfaltete von Anfang an einen intensiven missionarischen Ehrgeiz und wollte alle anderen Kulte verdrängen. Es verstieß sozusagen gegen die Verfassung und brauchte sich über das Verbot eigentlich nicht zu wundern. Aber es entdeckte mit dem Märtyrer eine nachhaltige Waffe, um sich durchzusetzen.
Christliche Märtyrer halten wie Christus unverdrossen an ihrem Bekenntnis fest, an der angeblichen Wahrheit ihres Glaubens, auch wenn ihnen dadurch Verfolgung, Folterung und Ermordung drohen. Der Islam greift im 7. Jahrhundert das christliche Märtyrermotiv auf und überträgt es von Anfang an auf alle Kämpfer für den vermeintlich rechten Glauben. Das Christentum seinerseits übernimmt diese Erweiterung während der Kreuzzüge. Aus der Nachahmung Christi erwächst die Gestalt des Soldaten Christi.
Die andere Seite des Märtyrermotivs ist die Märtyrerverehrung, wie die grausamen Bilder in vielen christlichen Kirchen bezeugen. In manchen Epochen schwoll diese Variante der Anbetung schier epidemisch an und erreicht heute im Islam einen medialen Höhepunkt, der zugleich die Produktion von Märtyrern beschleunigt. Der Dichter Mahmut Darwish schreibt über den libanesischen Bürgerkrieg in den 1980er Jahren:
"Beirut war eine Posterfabrik, es war zweifellos die erste Stadt der Welt, die die Posterproduktion auf das Niveau einer Tageszeitung hob. Gesichter an den Wänden - Märtyrer, die frisch aus dem Leben, frisch aus der Druckerpresse kommen, ein Tod, der eine Reproduktion seiner selbst ist. Ein Märtyrer ersetzt das Gesicht eines anderen, nimmt seinen Platz an der Mauer ein, bis er wieder durch einen anderen ersetzt oder vom Regen weggespült wird."
Der umfängliche Band erinnert an ein Lexikon und subsumiert etwa 60 Artikel zum Teil renommierter Autoren unter 9 Schwerpunkte. Dabei geht es um Urszenen, Schauplätze, Leidens- und Todesarten, Erinnerungsformen. Die thematische Breite reicht vom Schierlingsbecher des Sokrates, über Husain, dessen Tod im Jahre 680 den schiitischen Islam auf den Weg bringt, in dem eine Märtyrer- und Selbstgeißelungstradition fortlebt, den serbischen Kosovo-Mythos von der Rettung des Abendlandes vor den Türken, die japanische Kamikaze, Jan Palach, der sich 1969 in Prag aus Protest gegen die Sowjets selbst verbrennt, den Märtyrer-Regisseur Pier Paolo Pasolini, bis zum Terroristen Holger Meins, der 1974 in Stammheim an den Folgen eines Hungerstreiks starb und unter den Anhängern der Rote-Armee-Fraktion als Märtyrer verehrt wurde.
Doch auch der technische Fortschritt kennt seine Märtyrer. Flugschauen um 1910 boten den begeisterten Zuschauern nicht nur technische Akrobatik, sondern sehr häufig auch dramatische Abstürze. Die um diese Zeit sehr populäre Literatur zur Luftfahrt verbindet implizit Hoffnungen auf die Erhebung in die Lüfte mit religiösen Vorstellungen der Himmelfahrt. Der verunglückte Pilot avanciert zum Märtyrer in einem Heilsgeschehen. So beschreibt der italienische Nationaldichter Gabriele d’Annunzio in seinem sehr erfolgreichen Roman "Vielleicht, vielleicht auch nicht" einen abgestürzten Helden:
"Der Hinterkopf klebte am Motorgehäuse derart, dass die sieben Zylinder mit ihren Kühlrippen eine Art von schauerlichem Strahlenkranz um sein Gesicht bildeten. Die lichtbraunen Augen waren starr geöffnet, der Mund ruhig und unverzerrt, im hellen, weichen Bart glänzten die reinen weißen Zähne."
Man sollte es kaum für möglich halten, wo sich überall Wegbereiter für Mohammed Atta und den 11. September finden lassen, der sich dadurch als ein Ereignis unter vielen in einer langen Tradition präsentiert.
Sigrid Weigel (Hrsg.): Märtyrer-Portraits
Von Opfertod, Blutzeugen und heiligen Kriegern
Wilhelm Fink Verlag, München 2007
319 Seiten
Dabei darf man noch hinzufügen, dass das antike Rom religiös äußerst tolerant war und praktisch alle Kulte gewähren ließ, sofern sie sich nicht gegenseitig attackierten. Das Christentum aber entfaltete von Anfang an einen intensiven missionarischen Ehrgeiz und wollte alle anderen Kulte verdrängen. Es verstieß sozusagen gegen die Verfassung und brauchte sich über das Verbot eigentlich nicht zu wundern. Aber es entdeckte mit dem Märtyrer eine nachhaltige Waffe, um sich durchzusetzen.
Christliche Märtyrer halten wie Christus unverdrossen an ihrem Bekenntnis fest, an der angeblichen Wahrheit ihres Glaubens, auch wenn ihnen dadurch Verfolgung, Folterung und Ermordung drohen. Der Islam greift im 7. Jahrhundert das christliche Märtyrermotiv auf und überträgt es von Anfang an auf alle Kämpfer für den vermeintlich rechten Glauben. Das Christentum seinerseits übernimmt diese Erweiterung während der Kreuzzüge. Aus der Nachahmung Christi erwächst die Gestalt des Soldaten Christi.
Die andere Seite des Märtyrermotivs ist die Märtyrerverehrung, wie die grausamen Bilder in vielen christlichen Kirchen bezeugen. In manchen Epochen schwoll diese Variante der Anbetung schier epidemisch an und erreicht heute im Islam einen medialen Höhepunkt, der zugleich die Produktion von Märtyrern beschleunigt. Der Dichter Mahmut Darwish schreibt über den libanesischen Bürgerkrieg in den 1980er Jahren:
"Beirut war eine Posterfabrik, es war zweifellos die erste Stadt der Welt, die die Posterproduktion auf das Niveau einer Tageszeitung hob. Gesichter an den Wänden - Märtyrer, die frisch aus dem Leben, frisch aus der Druckerpresse kommen, ein Tod, der eine Reproduktion seiner selbst ist. Ein Märtyrer ersetzt das Gesicht eines anderen, nimmt seinen Platz an der Mauer ein, bis er wieder durch einen anderen ersetzt oder vom Regen weggespült wird."
Der umfängliche Band erinnert an ein Lexikon und subsumiert etwa 60 Artikel zum Teil renommierter Autoren unter 9 Schwerpunkte. Dabei geht es um Urszenen, Schauplätze, Leidens- und Todesarten, Erinnerungsformen. Die thematische Breite reicht vom Schierlingsbecher des Sokrates, über Husain, dessen Tod im Jahre 680 den schiitischen Islam auf den Weg bringt, in dem eine Märtyrer- und Selbstgeißelungstradition fortlebt, den serbischen Kosovo-Mythos von der Rettung des Abendlandes vor den Türken, die japanische Kamikaze, Jan Palach, der sich 1969 in Prag aus Protest gegen die Sowjets selbst verbrennt, den Märtyrer-Regisseur Pier Paolo Pasolini, bis zum Terroristen Holger Meins, der 1974 in Stammheim an den Folgen eines Hungerstreiks starb und unter den Anhängern der Rote-Armee-Fraktion als Märtyrer verehrt wurde.
Doch auch der technische Fortschritt kennt seine Märtyrer. Flugschauen um 1910 boten den begeisterten Zuschauern nicht nur technische Akrobatik, sondern sehr häufig auch dramatische Abstürze. Die um diese Zeit sehr populäre Literatur zur Luftfahrt verbindet implizit Hoffnungen auf die Erhebung in die Lüfte mit religiösen Vorstellungen der Himmelfahrt. Der verunglückte Pilot avanciert zum Märtyrer in einem Heilsgeschehen. So beschreibt der italienische Nationaldichter Gabriele d’Annunzio in seinem sehr erfolgreichen Roman "Vielleicht, vielleicht auch nicht" einen abgestürzten Helden:
"Der Hinterkopf klebte am Motorgehäuse derart, dass die sieben Zylinder mit ihren Kühlrippen eine Art von schauerlichem Strahlenkranz um sein Gesicht bildeten. Die lichtbraunen Augen waren starr geöffnet, der Mund ruhig und unverzerrt, im hellen, weichen Bart glänzten die reinen weißen Zähne."
Man sollte es kaum für möglich halten, wo sich überall Wegbereiter für Mohammed Atta und den 11. September finden lassen, der sich dadurch als ein Ereignis unter vielen in einer langen Tradition präsentiert.
Sigrid Weigel (Hrsg.): Märtyrer-Portraits
Von Opfertod, Blutzeugen und heiligen Kriegern
Wilhelm Fink Verlag, München 2007
319 Seiten