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Die russische Datscha (4/5)
Sommerschlösser im Moskauer Umland

Schlösser, Villen und prunkvolle Häuser - viele wohlhabende Moskauer lassen sich große Datschas im Umland der russischen Hauptstadt bauen. Aber die neuen Russen schotten sich ab. Das verändert das Leben in den Datschensiedlungen und gefällt nicht jedem.

Von Gesine Dornblüth |
In den chaotischen 90er-Jahren baute in Russland jeder, wie er lustig war. Aus dieser Zeit stammt etwa diese schlossartige Datscha in Aleksanders Nachbarschaft
In den 90er-Jahren baute in Russland jeder, wie er wollte. Aus dieser Zeit stammt diese schlossartige Datscha (Deutschlandradio / Gesine Dornblüth)
Aleksandr Kazalap ist auf dem Weg nach Hause. Der Verkehr fließt stadtauswärts. Aleksandr ist Künstler und lebt in einer Datschensiedlung jenseits des Moskauer Autobahnrings. Nebenbei arbeitet er im Stadtzentrum. Das sei gar so nicht weit weg, beteuert er:
"Von meinem Häuschen bis zur Metro fahre ich 20 Minuten mit dem Auto. Dann sitze ich 35 Minuten in der Metro, und dann gehe ich noch zehn Minuten zu Fuß. Insgesamt bin ich eine Stunde unterwegs."
Das ging nicht immer so schnell. Bis vor kurzem war die Fahrt hinaus eine Qual, oft ging es nur im Schneckentempo voran über holprige Straßen. Vor einigen Jahren hat Moskau das Gebiet eingemeindet. Seitdem wurde die Metrolinie verlängert, eine Autobahn gebaut.
"Und für mich als Alteingesessenen ist das die Hauptsache: gute Straßen."
"Zäune sind ein Symbol Russlands"
Aleksandr lässt die letzten Hochhäuser hinter sich und fährt von der Autobahn ab. Es gießt in Strömen.
Die Siedlung liegt hinter einer Schranke an einem Wald. Letowo heißt sie, auf Deutsch in etwa Sommerdorf. Die Straßen sind asphaltiert. Links und rechts hohe Mauern und Zäune: "Zäune - die sind ein Symbol Russlands."
Aleksandr hält vor einem unscheinbaren Tor. "Dieses kleine Häuschen ist meins. Sekunde, ich fahre das Auto auf das Grundstück."
Das kleine Häuschen, von dem Aleksandr spricht, ist aus Ziegelstein, schmal, aber drei Stockwerke hoch. Es regnet immer noch. Deshalb bietet er erst einmal Tee an. Dielen, schwere Holzstühle, ein Kamin. Eine Vitrine mit antikem Porzellan. Die Wände hängen voller Gemälde.
Den Künstler beschäftigt seine Datscha
"Ich war einer der ersten, die hier gebaut haben. Damals war das ein großes Problem, denn es gab praktisch kein Baumaterial. Das Dach mussten wir mit Metallplatten decken. Das war Mitte der 90er Jahre, die Sowjetunion war gerade auseinandergebrochen, und es gab praktisch nichts. Deshalb haben wir sehr viele Fehler beim Bau in Kauf genommen."
Der Künstler Aleksandr in seiner Datscha, in der er wohnt und arbeitet
Der Künstler Aleksandr plante die Datscha für seine Familie. Aber dann kam die Scheidung. (Deutschlandradio / Gesine Dornblüth)
Aleksandr plante das Häuschen als Wochenend-Datscha für seine Familie. Als es endlich fertig war, ließ er sich scheiden. Frau und Tochter blieben in der Stadtwohnung in Moskau, er zog hinaus ins Grüne. Zum Garten hinaus hat er sich ein Atelier eingerichtet. Derzeit malt er vor allem Mauern und Zäune.
"Seit etwa 2011 beschäftigt mich ein Thema: 'Mein Territorium'. Das bezieht sich auf den Ort, an dem ich wohne, auf diese Datscha. Hier fühle ich mich frei und sicher. Und es gibt hier alles: Gras, Bäume, Sterne, die Sonne. Als Künstler kann ich hier ewig darüber reflektieren."
In den 90er-Jahren baute jeder, wie er wollte
Die Sonne kommt heraus. Aleksandr schlägt einen Spaziergang durch die Siedlung vor. Die Luft ist frisch nach dem Regen.
"An heißen Sommertagen, wenn in Moskau der Asphalt schmilzt und dampft, wenn die Autos im Stau stehen und sich alles mit den Abgasen vermengt, dann kriege ich dort keine Luft mehr."
Die Siedlung wirkt wie ausgestorben. Am Ende der Straße steht eine hohe weiße Mauer, von Efeu überwuchert. Dahinter ragt ein Haus auf, weiß mit Spitzdach, runden Ecktürmchen und Zinnen – ein richtiges kleines Schloss.
"Wenn ich Besuch bekomme, höre ich immer: Wie kommt das denn hier her, das sieht ja aus wie im Disneyland. Der Mann, der das gebaut hat, hat wahrscheinlich von klein auf davon geträumt, irgendwann in einem Schloss zu leben. Das Haus ist riesig."
Auch das Gebäude gegenüber ist imposant: ein Fachwerkhaus im Schwarzwaldstil. In den 90er-Jahren gab es in Russland kaum Regeln. Jeder baute, wie er wollte.
Die Datschen um Moskau haben sich verändert
"Die beiden Häuser gehörten zwei Brüdern. Sie haben in den 90er-Jahren irgendwelche Märkte kontrolliert. Damit sind sie reich geworden. Der Mann mit dem Schloss ist manchmal dort vorn auf dem Feld geritten. Dabei wurde er mit einem Sturmgewehr erschossen. Damals gab es ja ständig Bandenkriege und Schießereien."
Das Schloss steht heute leer, das Fachwerkhaus ist bewohnt, von wem, weiß Aleksandr nicht.
"Vor 20 Jahren haben die Leute hier noch miteinander geredet, das Verhältnis war enger. Heute kennt man seine Nachbarn eigentlich gar nicht mehr. Für einen Schwatz mit dem Nachbarn ist einfach keine Zeit. Und die Leute haben auch keine Lust. Sie entdecken lieber Neues, als ihr kleines Leben zu leben."
Die Datscha, sagt Aleksandr, verliere langsam ihre ursprüngliche Bedeutung, zumindest im reichen Moskauer Umland. Niemand ziehe mehr Befriedigung daraus, wie zu Sowjetzeiten im Garten zu schuften und abends das Tagwerk zu betrachten. Immerhin: Ein kleines Gemüsebeet mit Kräutern hat er für sich angelegt.
"Morgens aufstehen, den Frühstücksbrei Kascha kochen, aus dem Garten frische Petersilie holen und wissen, dass sie ökologisch einwandfrei ist – das hat was. Zumal es schnell geht. Da habe ich doch noch etwas von einem klassischen Datschenbewohner."