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"Die Sache mit der Bildung"

Non vitae, set scholae discimus: Nicht für das Leben, für die Schule lernen wir. In bester humoristischer Manier ging der Frankfurter Kulturdezernent Hans Bernhard Nordhoff in seiner Eröffnungsrede der ursprünglichen Bedeutung jener antiken Bildungsparole nach, der zufolge das Lernen nicht im Dienst des Lebens, sondern dem der Schule steht – ein Verhältnis, das erst gewiefte neuzeitliche Pädagogen in ihr Gegenteil verkehrt hätten. Dass man indes nicht für das Leben, sondern für die Schule lerne, diese alte Bildungseinsicht scheint unter der Hand indes immer noch zu gelten. Jedenfalls würde sie schlüssig den bildungspolitischen Traum von deutschen Eliteuniversitäten erklären: Denn hier wäre, wie in der Schule, das Wissen endlich mess- und vor allem vorzeigbar. Doch es bleibt wohl beim Traum. Der Vorstellung deutscher Eliteuniversitäten jedenfalls hielt der Philosoph Jürgen Mittelstrass ein paar nüchterne Überlegungen entgegen.

Von Kersten Knipp | 14.11.2004
    Es scheint ja ein bisschen der Irrtum zu herrschen, es gäbe Eliteeinrichtungen gewissermaßen auf Dauer gestellt. Harvard wird dann genannt, und andere Plätze. Auch Harvard hat seine Schwächen. Was Harvard auszeichnet, ist, diese Schwächen zu kennen und gewissermaßen an der Beseitigung zu arbeiten. Auch Exzellenz kommt und geht, wir können uns die exzellenten Forscher nicht backen. Und wenn man mal genau hinsieht, wird man sehen, dass diese Einrichtungen in der Welt, die wir als große Vorbilder predigen, so etwa 200 Jahre gebraucht haben Und soviel Zeit müssen wir uns auch nehmen.

    Doch man bräuchte nicht nur Zeit. Die diesjährigen Römerberggespräche präsentierten sich als nachdrückliches Plädoyer für das, was die wohl vornehmste Grundlage aller Bildung ausmacht: die Begeisterung für die Sache, die Lust am Lernen. Der Dramaturg und Historiker Ivan Nagel beschwor all jene, die den Gang durch die Bildungseinrichtungen noch vor sich haben, bei der Wahl ihrer Fächer nicht Karriereaussichten, sondern der eigenen Neigung zu folgen. Nur sie garantiere auf Dauer die derzeit so inbrünstig beschworene Exzellenz. Außerdem, die Scharen entlassener Banker und nicht zugelassener Ärzte bestätigen es, ist die Überzeugung, das arbeitsmarktpolitisch "richtige" Fach zu studieren, eine nicht mal mehr schöne Illusion. In Zeiten einknickender Institutionen sollte man dem Herzen folgen – und mit dem Lernen möglichst früh beginnen. So sah es die an der Universität Magdeburg lehrende Biologin Anna Katharina Braun, die dem Zusammenhang zwischen Lernen und Lust seit langem auf der Spur ist.

    Ja also man muss ganz klar sagen, dass die Emotionen untrennbar mit dem Lernen verbunden sind. Und das ist kein Zufall, sondern das liegt daran, dass die Zentren, in denen wir Emotionen wahrnehmen und selber erzeugen, die gleichen sind, in denen wir lernen und im Gedächtnis abspeichern. (…). Und das liegt an der Chemie, die bei diesen emotionalen Prozessen im Gehirn sozusagen als Verstärker ausgeschüttet werden und dadurch (sozusagen) das Lernen erleichtern oder auch nur ermöglichen. Das ist zum Beispiel eben das Dopamin oder auch andere Stimmungsdrogen, die das Gehirn ja selber produziert und dann auch ganz bezielt in den bestimmten Lernaufgaben einsetzt.

    Glück ist ein zeitlos. Eben darum sollte man es noch mehr als bislang den jüngsten Menschen schenken – indem man sie lernen lässt. Kinder, so Braun, hätten schon in jüngsten Jahren hoch entwickelte geistige Fähigkeiten. Sie sollte man bedienen - und zwar ab dem zartesten Alter.

    Man sollte wirklich versuchen, in das Zeitfenster mit dem Sprachenlernen zu kommen, wenn die Kinder sowieso gerade ihre Muttersprache lernen. Warum nicht gleich zwei Sprachen? Machen die Kinder ohne weiters, weil das Gehirn genau in der Zeit, wo die Muttersprache erlernt sozusagen optimal geeignet ist dafür. Und so geht das auch mit anderen Lerninhalten.

    Früh Erlerntes vergisst man nicht. Hoffentlich auch in unserer Vergessensgesellschaft nicht, deren Mechanismen der ehemalige Generalsekretär der Humboldt-Stiftung, Manfred Osten, diagnostizierte. Angesichts steigender Informationsmengen mit immer größerer Halbwertzeit könnten die Menschen sich Dinge immer schlechter merken. Was gefährliche Folgen haben kann, wie Osten am Beispiel der Geschichtsvernichtungsversuche der Französischen Revolution – das Jahr 1 im Jahre 1792 – ausführte.

    Das heißt, das Gedächtnis ist bereits ganz früh - möchte ich sagen – metaphorisch ausgelöscht worden, und die Gedächtnisinhalte, die man damals memoriert hat, waren eben nicht Inhalte bei denen man rekurrierte auf christliche oder humanistische Inhalte, zumindest nicht geeignet offenbar, um ausreichende Vorstellungen zu entwickeln der Humanität gegenüber anderen Personen. So dass also meines Erachtens wir hier also auch große Gefahr laufen, in eine gedächtnislose Barbarei hineinzukommen, von der Goethe ja gesagt hat: "Nichts Entsetzlicheres als tätige Unwissenheit."

    Bildung bannt Schrecken. Das ist viel, wäre am Ende aber doch wenig. Sie setzt auch Glücksgefühle frei. Kein Ruck ging deshalb von Frankfurt aus, sondern ein sanfter, betörender Schwung.