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Die Satelliten tanzen lassen

Satelliten durch das Weltall steuern, die Sonnenflügel aufklappen, den Parabolspiegel ausrichten: Die Physiker an der Europäischen Weltraum Agentur (ESA) tragen dafür Sorge, dass alle Raumfahrt-Projekte reibungslos ablaufen. Die Jobs sind gut bezahlt und heiß begehrt.

Von Michael Engel |
    Als Frank Jürgen Dieckmann noch ein kleiner Junge war, lag er stundenlang auf einer Wiese und schaute sich die Wolken an, wie sie über ihn hinweg zogen: Wetter, das faszinierte ihn. Dieckmann studierte Physik, machte sein Diplom in Meteorologie, doch dann kam vieles anders. Heute schaut er zwar immer noch nach oben, doch sein Interesse gilt den Satelliten der ESA - der Europäischen Weltraum Agentur.

    Sobald die Trägerrakete einen Satelliten im Weltall absetzt, beginnt viele Tausend Kilometer vom Startplatz entfernt, im Raumfahrtkontrollzentrum Darmstadt, die heiße Phase. Frank Jürgen Dieckmann ist dort "Flugleiter" und von nun an für die Satelliten zuständig: 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr steuern er und sein Team ausschließlich die beiden Fernerkundungssatelliten "Envisat" und "ERS".

    "Ja wir haben ein Kontrollteam, und die sitzen vor Computermonitoren, wo Kommandos aufgerufen werden können als Befehlszeilen, die dann von hier aus über unsere Bodenstationen in Nordschweden direkt zum Satelliten geschickt werden können. Wir müssen die ersten Funktionen an Bord des Satelliten aktivieren, wir müssen den Satelliten kalibrieren, eichen, und obwohl man lange darauf vorbereitet und trainiert wird, ist dann die Aufregung in einem solchen Moment besonders groß, und da muss man auch durch, aber das macht die Arbeit auch spannend hier."

    Mit "hier" meint Frank Jürgen Dieckmann den Kontrollraum bei der ESA in Darmstadt. Mehr als hundert Computermonitore sind im Halbrund angeordnet. Einige der Mitarbeiter telefonieren, andere tippen Befehle in die Tastatur, eine Dreiergruppe diskutiert leise mit Blick auf einen der Bildschirme. Es herrscht eine gedämpfte Atmosphäre. Meist sind es Physiker, die diesen verantwortungsvollen Job machen, sagt Frank Danesy, der Personalchef. Er ist für die Einstellung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verantwortlich.

    "Wir stellen auch in unserer Organisation fest, dass ein doch beträchtlicher Anteil derjenigen, die letztlich Systemverantwortung für ein Raumschiff bekommen oder für eine Bodenstation bekommen, ihren Hintergrund im Bereich Physik haben. Gerade eben aufgrund der Tatsache, dass man als Physiker in der Lage ist, einerseits mechanische Phänomene zu verstehen, andererseits elektrische Phänomene zu verstehen, genauso aber optische und andere relevante Phänomene, das ist nämlich genau das, womit sich ein Physiker während seines Studiums beschäftigt."
    Dabei sieht es so einfach aus - jedenfalls in den Werbefilmen von ESA-TV: Raketen schweben wie in Zeitlupe um die Erde. Es öffnet sich der Kopf der Rakete, ein Satellit kommt zum Vorschein, dreht sich, Sonnenflügel klappen auf, ein Parabolspiegel richtet sich zur Bodenstation aus. Was wie von Geisterhand gesteuert erscheint, ist allerdings das Ergebnis jahrelanger Arbeit, sagt Julia Schwartz. Die 30-Jährige ist mitverantwortlich für die Flugdynamik von Satelliten.

    "Also die Flugdynamik kümmert sich darum, dass der Satellit im All ist, dort wo er sein soll, und dass er auch so ausgerichtet ist, wie er sein soll. Unsere Abteilung beschäftigt sich eher mit der Lage des Satelliten. Also wie ist der Satellit im Raum orientiert. Man kann sich ja vorstellen, da gibt's Vorgaben. Mal soll die Antenne zum Boden zeigen oder das Teleskop soll in eine bestimmte Richtung zeigen. Die Sonnensegel sollen zur Sonne zeigen. All diese Dinge müssen ja vorherbestimmt werden. Der Satellit muss so manövriert werden, dass das dann auch tatsächlich eintritt. Und darum kümmert sich meine Abteilung hauptsächlich."

    Ihr Büro ist nicht gerade ein Traum: Acht Quadratmeter klein, ein Fenster mit Blick auf Nebengebäude, auf dem Computerbildschirm Zahlen über Zahlen. Sie schreibt gerade ein Programm zur Steuerung eines Satelliten, der erst in fünf Jahren gestartet werden soll. Für Julia Schwartz ein Traumjob - wenn auch mit großer Verantwortung.

    "Das was ich hier rechne, muss letztendlich stimmen. Das ist gar nicht so einfach, sich das immer bewusst zu machen, weil wir an Missionen arbeiten, die in vier, fünf Jahren gestartet werden. Das ist zu weit weg, um das wirklich jetzt schon zu spüren. Es ist aber auch so, dass wir natürlich im Team sind, es gibt andere Leute, die auch noch mal über diese Rechnung rüber schauen. In der Entwicklung ist es so: Man programmiert erst, dann probiert man das Programm aus, man sucht die Fehler, dann wird's später weiter gegeben, dann wird es weiter getestet. Dass ein Mission letztendlich an einem kleinen Fehler scheitert, den ich hier in meine Software reinbringe, das glaube ich nicht. Da hab' ich doch die Hoffnung, dass das nicht passiert."

    Die Physikerin hat es geschafft. Mit 30 Jahren zählt sie zu den Jüngsten im Darmstädter Team, das obendrein fast nur aus Männern besteht. Ihr Vater ist Mathematiker, Zahlen waren immer ihre Leidenschaft, deswegen auch das Studium der theoretischen Physik. "Physiker ist eigentlich kein Beruf, sondern eine Qualifikation", sagt die junge Mitarbeiterin. Die Europäische Weltraum Agentur hat sie wegen dieser Qualifikation direkt nach dem Studium mit Handkuss genommen - mit einem fantastischen Gehalt, lächelt Frank Danesy:

    "Wir suchen natürlich diejenigen, die einen Schwerpunkt im Bereich Elektrik gelegt haben, aber durchaus auch diejenigen, die im Bereich Optik, im Bereich Mechanik Schwerpunkte gesetzt haben. Astrophysiker sind für uns auch sehr interessant - nur nicht unbedingt alle hier am Standort in Darmstadt. Aber wir haben auch andere, hochinteressante Standorte. Zum Beispiel in den Niederlanden, wo wir die Raumfahrzeuge entwickeln. Und das wird auch häufig von einem Physiker in die Wege geleitet."

    Die ESA muss sich gewiss keine Sorgen machen um geeigneten Nachwuchs. Die Jobs sind international begehrt, sie werden außerordentlich gut bezahlt, und sie sind krisensicher: Raumfahrt hat Zukunft. Und das wissen viele zu schätzen. Auf eine ausgeschriebene Stelle kommen rund 60 hochqualifizierte Bewerbungen, freut sich Personalchef Frank Danesy.

    Ob das so bleiben wird, ist die Frage. Die neuesten Zahlen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft lassen sorgenvoll in die Zukunft blicken, denn seit 2006 entscheiden sich leider immer weniger junge Menschen für ein Studium der Physik. Aber vielleicht bringen ja die vielen Initiativen im "Internationalen Jahr der Astronomie" neuen Schwung in die Naturwissenschaften - wenn Kinder durch Fernrohre schauen, Mondoberflächen aus Gips modellieren, Sternenbilder unter dem gewölbten Dach eines Planetariums bestaunen. Für Julia Schwartz, die heute Satellitenbahnen berechnet, ist das jedenfalls der richtige Weg:

    "Man kann, denke ich schon, Kinder, gerade auch Mädchen, darin bestärken, das auszuleben, was sie doch eigentlich gut können und eigentlich mögen. In der Grundschule war ich gut im Rechnen. Und es gab mindestens noch drei andere Mädchen, die es ebenfalls waren. Wir waren meistens die Besten. Das war in der Grundschule einfach so. Und dann frage ich mich doch manchmal, warum dreht sich das? Warum sind schon beim Abitur in den Physik-Curricula hauptsächlich nur noch Jungs. Das heißt, irgendwo verliert man manche Kinder oder manche Mädchen besonders. Ob man jemanden umstimmen kann, der eigentlich ein geborener Autor ist, das glaube ich nicht, der muss dann schon schreiben. Aber man kann Kinder wohl darin bestärken, dass sie das ausleben."