Man sieht nur ihre Augen. Der Rest des Gesichtes ist, wie der ganze Körper, von schwarzem Stoff verhüllt. Aber diese Frau – bekleidet mit Überkleid und Gesichtsschleier, also in der Tracht weiblicher Unterwürfigkeit - diese Frau wird auf der Bühne sehr deutlich:
"Ich habe das Böse in den Augen der Fatwas gesehen. In einer Zeit, in der das Gute als rechtswidrig gilt. Ich habe das Böse in den Augen der Fatwas gesehen. Wenn ich die Wahrheit enthülle, kommt ein wildes Tier aus seinem Versteck hervor. Barbarisch im Denken und Handeln. Wütend und blind. Es trägt das Todeskleid gehalten von einem Gürtel. Es predigt als mächtige und offizielle Instanz und terrorisiert die, die Frieden suchen."
Absurdidät des Alltags
2010 schafft es Hissa Hilal als erste Frau in das Finale der Fernsehshow "Poet der Millionen" in Abu Dhabi, eine Art "Grand Prix" der "Nabati", der traditionellen Dichtung der Beduinen.
Vor einem Millionenpublikum kritisieren ihre Gedichte die Situation der arabischen Frau und prangern verhetzende Fatwas an, etwa die, die allen, die sich für eine Gleichberechtigung der Geschlechter einsetzen, mit dem Tode droht, erzählt der deutsche Regisseur Andreas Wolff:
"Was sehr spektakulär war, ist, dass sie sich auf einen Geistlichen bezogen hat, der Abdurrahman al-Barrak, das ist einer der bekanntesten geistlichen Führer in Saudi Arabien. Und Hissa hat einfach in diesem Gedicht, sie hat nicht seinen Namen genannt, aber sie hat gesagt: Er will Leute töten, er will, dass Menschen getötet werden, wenn sie sich miteinander vermischen. Das ist völlig unislamisch, ihrer Meinung nach. Und dieser Hass und diese Gewaltschürung auf der Welt durch unsere saudischen Kleriker, die bewirkt, dass Araber auf der ganzen Welt gefürchtet werden."
Der Dokumentarfilm ist voller Szenen, die die Absurdität des Alltags der Frauen in Saudi-Arabien zeigen, die Widersprüche eines Landes zwischen Erdölkapitalismus und fundamentalistischer Religionsdoktrin.
Wir sehen Hissa Hilal mit ihren ebenfalls vollverschleierten Töchtern in den teuren Modegeschäften der Shopping-Malls. Wir sehen, wie panikartig alle Geschäfte geschlossen werden, weil der Muezzin zum Gebet ruft. Wir sehen, wenn sich Mutter und ihre Töchter plötzlich im Taxi beobachtet fühlen und hektisch ihr Gesicht verhüllen. Der Film zeigt das Leben einer Frau voller gesellschaftlicher Zwänge.
Schleier ohne Sinn
Hissa Hilal sieht sich in erster Linie als Künstlerin und nicht als politische Aktivistin. Sie entstammt einer traditionellen Beduinenfamilie.
Bei den Beduinen seien Männer und Frauen über Jahrhunderte hinweg nicht getrennt gewesen, Frauen hätten die Burka getragen, um sich vor Verbrennungen durch die Sonne zu schützen. Sie sei ein Schutz gegen fremde Männer und Entführer gewesen: "Damals hatte das einen Sinn, aber jetzt?", fragt Hissa Hilal.
"In einer zivilisierten Gesellschaft mit Gesetzen ist die Verschleierung überhaupt nicht mehr sinnvoll. Absolut nicht. Wenn ich in einer anderen Situation wäre, würde ich den Nikab nicht tragen. Wenn ich in einem fremden Land wäre, wo mich keiner kennt, würde ich diesen Gesichtsschleier nicht tragen, wozu? Ich würde für jeden seltsam aussehen." Aber im Film verhüllt sie ihr Gesicht.
Der Staat sei nicht immer so repressiv gewesen, sagt Hissa Hilal. Mit sechs Jahren zog sie mit ihrer Familie von der Wüste in die Stadt. Der Großvater verkaufte seine Kamele, und mit dem Ölboom begann ein rasanter industrieller Aufschwung.
Die 1970er-Jahre waren, so Hissa Hilal, auch im arabischen Raum eine Zeit der kulturellen Freiheit, eine kurze Blüte für Literatur, Musik und andere Künste. Auch in Saudi Arabien war alles liberaler. Dann kam die Rolle rückwärts, nach dem Überfall auf die große Moschee in Mekka im November 1979, bei dem 270 Menschen getötet wurden, 550 verletzt. Danach, so die Dichterin, gewannen die Fundamentalisten beherrschenden Einfluss auf die Kultur und den Alltag.
Deutschlandreise abgesagt
Vor wenigen Tagen wollte Hissa Hilal selbst nach Deutschland kommen und den Film in verschiedenen Kinos vorstellen. Aber die Lage in Saudi-Arabien hat sich wieder verschärft. Zwar kämpft der Kronprinz mit Reformversprechen für ein besseres Image seines Landes. Von Juni an sollen Frauen den Führerschein machen dürfen.
Aber nur wenige Tage vor Hissa Hilals Abreise wurden sieben Aktivistinnen und Aktivisten von Beamten der Staatssicherheit festgenommen, die sich seit Längerem für ein Frauenfahrrecht einsetzen. "Und dann gab es diese Schmähkampagnen, in den saudischen Medien, wo den Frauenrechtsaktivistinnen, die verhaftet wurden, vorgeworfen wurde, dass sie Verräterinnen sind und das dann auch wiederum in den westlichen Medien gebracht wurde und die saudischen Medien dann wiederum berichtet haben, dass die Akivistinnen, die verhaftet wurden, mit der westlichen Welt in Kontakt sind, beziehungsweise dass sie Geld aus dem Ausland benutzen, um Unruhe zu stiften. Und dann hat sie sich gedacht, dass wenn sie hierherkommt, ihr am Schluss auch noch Aktivismus vorgeworfen wird, und ihr vielleicht vorgeworfen wird, dass sie durch ausländische Gelder irgendwie Unruhe stiften will und eventuell sie dann verhaftet wird."
Hissa Hilal hat ihre Reise nach Deutschland nicht angetreten. Die Mutter von vier Kindern möchte auf keinen Fall als Regime-Gegnerin verhaftet werden. Ihr Land möchte sie nicht verlassen, hat sie immer wieder betont, hier habe sie ihre Wurzeln, ihre Kultur und ihre Familie.