Es ist die derzeit beliebteste Sendung im argentinischen Fernsehen: "Gran Cunado", die hiesige Ausgabe von "Big Brother". Der Clou: Jeden Abend kommen Politiker ins Studio: Manchmal nur ein Imitator, manchmal das Original. Moderator Marcello Tinelli:
"Die Leute bedanken sich bei dir auf der Straßen und sagen: 'Danke, dass wir wieder über Politiker lachen können, denn das konnten wir schon lange nicht mehr.' Das ist es! Fast sieben Jahre ist nichts geschehen, und das hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Man kann über alle reden und man kann alle argentinischen Politiker charakterisieren."
Politik als Lachnummer passt ins Szenario. Eigentlich werden am Sonntag nur Teile des Parlaments und des Senats neu gewählt. Aber die Partei des Präsidentenpaares Nestor und Christina Kirchner hat als Zugpferde Gouverneure und Bürgermeister auf der Liste, die im Falle einer Wahl das Mandat gar nicht annehmen. Die Opposition gebärdet sich, als seien Präsidentenwahlen. Und die Leute auf der Straße schütteln nur den Kopf und hoffen:
"...dass die Politiker aufhören, apokalyptische Vorhersagen zu machen."
"...dass die Wirtschaft nicht weiter geschwächt wird, mit soviel Hin- und -Her."
"...dass uns die Politiker nicht weiter so belügen, wie sie es bisher immer getan haben."
Wohl selten hat ein Fernsehspektakel mit so bescheidener Qualität die Seelenlage eines Landes so offengelegt wie Marcelo Tinellis Politikerparodien in "Gran Cunado". Graciela Römer, Politikwissenschaftlerin in Buenos Aires:
"Ich glaube, das Phänomen der 'Tinellisierung' reicht viel tiefer. Es enthüllt die Krise, zunächst die Krise des politischen Systems, und zum anderen die Sinnkrise in der Politik, Die Leute haben heute anders als früher das Gefühl, dass keine der politischen Gruppierungen oder die Politik an sich ein Instrument des Wandels ist."
Absurdes Theater, wohin man schaut. Mit ungeheuren Geld- und Materialaufwand werfen sich die Politiker in die Schlacht, um gerade einmal ein Drittel der Sitze im Parlament und Senat, um die es am Sonntag offiziell geht.
Christina Kirchner, seit Ende 2007 Argentiniens Präsidentin und Nachfolgerin ihres Mannes Nestor, der in den Augen vieler Argentinier das Land aus der schweren Krise 2001 geführt und wieder gestärkt hat. Nestor, behaupten Medien und Analysten, habe weiterhin die Hosen an im Präsidentenpalast. Jetzt kandidiert er in der Provinz Buenos Aires, dort, wo 40 Prozent der Stimmen im ganzen Land konzentriert sind. Aber sein Stern verblasse, meint der Meinungsforscher Jorge José Giacobbe:
"Ich würde sagen, um es klar auszudrücken, wir befinden uns am Ende des ausufernden Zyklus des Namens Kirchner in der argentinischen Gesellschaft. Alle Anzeichen weisen darauf hin, dass das spezielle Gewicht, das Prestige des Namens seit eineinhalb oder zwei Jahren verflossen ist, und was heute geschieht, hat genau mit dieser Ermüdung zu tun."
Vor allem der Streit mit der Landwirtschaft um höhere Exportabgaben, der letztes Jahr eine regelrechte Versorgungskrise auslöste, hat den Kirchners viele Sympathien gekostet. Auch der Versuch der Präsidentin, das Ausmaß der Wirtschaftskrise und die hohe Inflation schönzureden, stößt Leute ab. Rosendo Fraga, Direktor des Politikinstituts Nueva Mayoria:
"Eine Regierung, die mit 60 Prozent Popularität begonnen hatte, lag bei weniger als 30 Prozent, und das gilt sowohl für das Ansehen der Präsidentin wie auch für das des ehemaligen Präsidenten Nestor Kirchner. Zum zweiten: die Verschleißerscheinungen im Laufe der Zeit. Nach sechs Jahren an der Macht ist es logisch und normal, dass die Leute einen Wechsel wollen. Was sie zuvor gut fanden, gefällt ihnen nicht mehr."
Nestor Kirchner ist Peronist, und bei keiner Wahlveranstaltung fehlt die Hymne auf die Gründer dieser Bewegung, den General Perón und seine legendäre Gattin Evita. Seit der Rückkehr zur Demokratie 1983 wird Argentinien - mit einer kurzen Unterbrechung - von Peronisten regiert. Kirchner greift seine Gegner scharf an und beschwört seine Anhänger, dem Erfolgsmodell treu zu bleiben:
"Die sollen wissen, dass Perón und Eva Perón eine unverrückbare nationale Bewegung in die argentinischen Erde eingepflanzt haben, die mit all ihrer Kraft daran arbeitet, das Rückgrat einer Bewegung der Gerechtigkeit und der nationalen Befreiung zu sein, um innerhalb der Globalisierung ein autonomes Vaterland zu schaffen, die daran arbeitet, Gerechtigkeit und Integration zu schaffen, um die Träume zu erfüllen."
Inzwischen sehen die meisten Umfragen eine Niederlage der Kirchnerpartei voraus. Der Streit mit der Landwirtschaft hat den Mittelstand und das Bildungsbürgertum in Buenos Aires vergrätzt, in der mächtigen Provinz Buenos Aires haben Inflation und Armut bislang treuen Unterschichten verprellt. Auch die Wahlkampfthemen sprächen gegen Kirchner, glaubt der Meinungsforscher Enrique Zuleta Puceiro:
"Die Hauptthemen sind dieselben wie in ganz Lateinamerika: die Sicherheit der Bürger, die Sicherheit in den großen Städten, die Themen Gesundheit und Erziehung und die Qualität der Institutionen. In allen Ländern Lateinamerikas hat das dazu geführt, dass die Mittelschicht in den großen Städten gegen die Regierung stimmt."
Hinzukommt, dass die Peronisten in sich tief gespalten und untereinander verfeindet sind. Kirchners aussichtsreichster Gegenkandidat, der schwerreiche Unternehmer Francisco De Narvaez ist auch Peronist, kandidiert aber auf der Liste der bürgerlichen Partei, und würde sich nie mit dem "oficialismo" von Nestor und Christina verbrüdern:
"Gemeinsam mit Kirchner gehen wir nicht einmal bis zur nächsten Straßenecke, wir sind wie Wasser und Öl. Sie stehen für die alte Politik, eine Politik der Vetternwirtschaft mit ständigen Verletzungen der Normen und sogar Zwang gegenüber dem Volkswillen. Unser Weg ist genau entgegengesetzt, wir wollen den Argentiniern wieder Rationalität bieten, gesunden Menschenverstand, Normalität und Ruhe."
Der Kampf wischen Kirchner und De Narvaez in der Provinz Buenos Aires ist das spannendste Duell dieser Wahl. Glaubt man den Umfragen, könnte der Herausforderer die Nase vorne haben - und die Kirchnerpartei im Parlament ihre bisherige Mehrheit verlieren. Tatsächlich aber gehe es um mehr, meint der Politikexperte Jorge José Giacobbe:
"Viel früher als man annimmt, hat die politische Führerschaft gemerkt, dass es im Jahr 2011 keinen Kirchner mehr gibt. Sonst hätten sich weder die Kirchneranhänger an der Parlamentskandidatur beteiligt, noch wären sie zur Opposition gewechselt, oder hätte die Opposition zur Schlacht geblasen."
Tatsächlich lesen sich die Wahlvorschläge wie ein who is who der politischen Elite Argentiniens: Gouverneure, Bürgermeister, Parteichefs. Bei vielen steht fest, dass sie im Falle eines Sieges ihr Mandat gar nicht annehmen und unbekannte Kandidaten nachrücken. Ein durchsichtiges Manöver, meint der Politikwissenschaftler Federico Thompsen:
"Es wird nicht nur über die Zusammensetzung der zwei Kammern des Kongresses entschieden - die Regierung weiß bereits, dass sie verlieren wird - sondern es sind 'Primaries' wie die Amerikaner sagen würden, das heißt eine Art Vorentscheidung für die Präsidentschaftswahlen. Sowohl in der Regierung wie bei der Opposition gibt es Kandidaten, die sich als Präsidentschaftskandidaten für 2011 profilieren möchten."
Kaum jemand glaubt, dass Nestor oder Christina bei der Präsidentenwahl 2011 noch einmal antreten. Im Gegenteil: Die Wahl am Sonntag sei bereits ein Schaulaufen der nachfolgenden Kandidaten, meint die Wahlforscherin Graciela Römer:
"Wir stehen vor einer großen innerparteilichen Wahl, bei der je nach den Ergebnissen die Führerpersönlichkeiten für 2011 in Erscheinung treten werden. Und das gilt sowohl innerhalb des Peronismus mit Scioli, Kirchner, Reutemann und so weiter. Wie bei der Opposition, mit Binner und Carrió. Ich denke, das ist der allgemeine Rahmen, der gewissermaßen die Ergebnisse bestimmen wird."
"Die Leute bedanken sich bei dir auf der Straßen und sagen: 'Danke, dass wir wieder über Politiker lachen können, denn das konnten wir schon lange nicht mehr.' Das ist es! Fast sieben Jahre ist nichts geschehen, und das hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Man kann über alle reden und man kann alle argentinischen Politiker charakterisieren."
Politik als Lachnummer passt ins Szenario. Eigentlich werden am Sonntag nur Teile des Parlaments und des Senats neu gewählt. Aber die Partei des Präsidentenpaares Nestor und Christina Kirchner hat als Zugpferde Gouverneure und Bürgermeister auf der Liste, die im Falle einer Wahl das Mandat gar nicht annehmen. Die Opposition gebärdet sich, als seien Präsidentenwahlen. Und die Leute auf der Straße schütteln nur den Kopf und hoffen:
"...dass die Politiker aufhören, apokalyptische Vorhersagen zu machen."
"...dass die Wirtschaft nicht weiter geschwächt wird, mit soviel Hin- und -Her."
"...dass uns die Politiker nicht weiter so belügen, wie sie es bisher immer getan haben."
Wohl selten hat ein Fernsehspektakel mit so bescheidener Qualität die Seelenlage eines Landes so offengelegt wie Marcelo Tinellis Politikerparodien in "Gran Cunado". Graciela Römer, Politikwissenschaftlerin in Buenos Aires:
"Ich glaube, das Phänomen der 'Tinellisierung' reicht viel tiefer. Es enthüllt die Krise, zunächst die Krise des politischen Systems, und zum anderen die Sinnkrise in der Politik, Die Leute haben heute anders als früher das Gefühl, dass keine der politischen Gruppierungen oder die Politik an sich ein Instrument des Wandels ist."
Absurdes Theater, wohin man schaut. Mit ungeheuren Geld- und Materialaufwand werfen sich die Politiker in die Schlacht, um gerade einmal ein Drittel der Sitze im Parlament und Senat, um die es am Sonntag offiziell geht.
Christina Kirchner, seit Ende 2007 Argentiniens Präsidentin und Nachfolgerin ihres Mannes Nestor, der in den Augen vieler Argentinier das Land aus der schweren Krise 2001 geführt und wieder gestärkt hat. Nestor, behaupten Medien und Analysten, habe weiterhin die Hosen an im Präsidentenpalast. Jetzt kandidiert er in der Provinz Buenos Aires, dort, wo 40 Prozent der Stimmen im ganzen Land konzentriert sind. Aber sein Stern verblasse, meint der Meinungsforscher Jorge José Giacobbe:
"Ich würde sagen, um es klar auszudrücken, wir befinden uns am Ende des ausufernden Zyklus des Namens Kirchner in der argentinischen Gesellschaft. Alle Anzeichen weisen darauf hin, dass das spezielle Gewicht, das Prestige des Namens seit eineinhalb oder zwei Jahren verflossen ist, und was heute geschieht, hat genau mit dieser Ermüdung zu tun."
Vor allem der Streit mit der Landwirtschaft um höhere Exportabgaben, der letztes Jahr eine regelrechte Versorgungskrise auslöste, hat den Kirchners viele Sympathien gekostet. Auch der Versuch der Präsidentin, das Ausmaß der Wirtschaftskrise und die hohe Inflation schönzureden, stößt Leute ab. Rosendo Fraga, Direktor des Politikinstituts Nueva Mayoria:
"Eine Regierung, die mit 60 Prozent Popularität begonnen hatte, lag bei weniger als 30 Prozent, und das gilt sowohl für das Ansehen der Präsidentin wie auch für das des ehemaligen Präsidenten Nestor Kirchner. Zum zweiten: die Verschleißerscheinungen im Laufe der Zeit. Nach sechs Jahren an der Macht ist es logisch und normal, dass die Leute einen Wechsel wollen. Was sie zuvor gut fanden, gefällt ihnen nicht mehr."
Nestor Kirchner ist Peronist, und bei keiner Wahlveranstaltung fehlt die Hymne auf die Gründer dieser Bewegung, den General Perón und seine legendäre Gattin Evita. Seit der Rückkehr zur Demokratie 1983 wird Argentinien - mit einer kurzen Unterbrechung - von Peronisten regiert. Kirchner greift seine Gegner scharf an und beschwört seine Anhänger, dem Erfolgsmodell treu zu bleiben:
"Die sollen wissen, dass Perón und Eva Perón eine unverrückbare nationale Bewegung in die argentinischen Erde eingepflanzt haben, die mit all ihrer Kraft daran arbeitet, das Rückgrat einer Bewegung der Gerechtigkeit und der nationalen Befreiung zu sein, um innerhalb der Globalisierung ein autonomes Vaterland zu schaffen, die daran arbeitet, Gerechtigkeit und Integration zu schaffen, um die Träume zu erfüllen."
Inzwischen sehen die meisten Umfragen eine Niederlage der Kirchnerpartei voraus. Der Streit mit der Landwirtschaft hat den Mittelstand und das Bildungsbürgertum in Buenos Aires vergrätzt, in der mächtigen Provinz Buenos Aires haben Inflation und Armut bislang treuen Unterschichten verprellt. Auch die Wahlkampfthemen sprächen gegen Kirchner, glaubt der Meinungsforscher Enrique Zuleta Puceiro:
"Die Hauptthemen sind dieselben wie in ganz Lateinamerika: die Sicherheit der Bürger, die Sicherheit in den großen Städten, die Themen Gesundheit und Erziehung und die Qualität der Institutionen. In allen Ländern Lateinamerikas hat das dazu geführt, dass die Mittelschicht in den großen Städten gegen die Regierung stimmt."
Hinzukommt, dass die Peronisten in sich tief gespalten und untereinander verfeindet sind. Kirchners aussichtsreichster Gegenkandidat, der schwerreiche Unternehmer Francisco De Narvaez ist auch Peronist, kandidiert aber auf der Liste der bürgerlichen Partei, und würde sich nie mit dem "oficialismo" von Nestor und Christina verbrüdern:
"Gemeinsam mit Kirchner gehen wir nicht einmal bis zur nächsten Straßenecke, wir sind wie Wasser und Öl. Sie stehen für die alte Politik, eine Politik der Vetternwirtschaft mit ständigen Verletzungen der Normen und sogar Zwang gegenüber dem Volkswillen. Unser Weg ist genau entgegengesetzt, wir wollen den Argentiniern wieder Rationalität bieten, gesunden Menschenverstand, Normalität und Ruhe."
Der Kampf wischen Kirchner und De Narvaez in der Provinz Buenos Aires ist das spannendste Duell dieser Wahl. Glaubt man den Umfragen, könnte der Herausforderer die Nase vorne haben - und die Kirchnerpartei im Parlament ihre bisherige Mehrheit verlieren. Tatsächlich aber gehe es um mehr, meint der Politikexperte Jorge José Giacobbe:
"Viel früher als man annimmt, hat die politische Führerschaft gemerkt, dass es im Jahr 2011 keinen Kirchner mehr gibt. Sonst hätten sich weder die Kirchneranhänger an der Parlamentskandidatur beteiligt, noch wären sie zur Opposition gewechselt, oder hätte die Opposition zur Schlacht geblasen."
Tatsächlich lesen sich die Wahlvorschläge wie ein who is who der politischen Elite Argentiniens: Gouverneure, Bürgermeister, Parteichefs. Bei vielen steht fest, dass sie im Falle eines Sieges ihr Mandat gar nicht annehmen und unbekannte Kandidaten nachrücken. Ein durchsichtiges Manöver, meint der Politikwissenschaftler Federico Thompsen:
"Es wird nicht nur über die Zusammensetzung der zwei Kammern des Kongresses entschieden - die Regierung weiß bereits, dass sie verlieren wird - sondern es sind 'Primaries' wie die Amerikaner sagen würden, das heißt eine Art Vorentscheidung für die Präsidentschaftswahlen. Sowohl in der Regierung wie bei der Opposition gibt es Kandidaten, die sich als Präsidentschaftskandidaten für 2011 profilieren möchten."
Kaum jemand glaubt, dass Nestor oder Christina bei der Präsidentenwahl 2011 noch einmal antreten. Im Gegenteil: Die Wahl am Sonntag sei bereits ein Schaulaufen der nachfolgenden Kandidaten, meint die Wahlforscherin Graciela Römer:
"Wir stehen vor einer großen innerparteilichen Wahl, bei der je nach den Ergebnissen die Führerpersönlichkeiten für 2011 in Erscheinung treten werden. Und das gilt sowohl innerhalb des Peronismus mit Scioli, Kirchner, Reutemann und so weiter. Wie bei der Opposition, mit Binner und Carrió. Ich denke, das ist der allgemeine Rahmen, der gewissermaßen die Ergebnisse bestimmen wird."