Anne Raith: Achtmal saßen Gegner und Befürworter mit dem Schlichter zusammen, um über das Bahnhofsprojekt "Stuttgart 21" zu debattieren und die verhärteten Fronten zumindest ein wenig aufzuweichen. Das zumindest war das Ansinnen des Schlichters. Heute will Heiner Geißler seinen Schlichterspruch verkünden, nachdem beide Seiten noch einmal Gelegenheit hatten, Stellung zu beziehen.
In Stuttgart ist mir nun auch Joachim Dorfs zugeschaltet, der Chefredakteur der "Stuttgarter Zeitung". Guten Tag, Herr Dorfs!
Joachim Dorfs: Hallo, Frau Raith.
Raith: Noch können wir es nicht genau absehen, aber es sieht so aus, als ob der Schlichterspruch ein "ja, aber" wird von Heiner Geißler. Wie befriedigend ist das denn aus Ihrer Sicht?
Dorfs: Ich denke, man ist ja eigentlich ohne allzu große Erwartungen überhaupt in die Schlichtung gegangen. Man muss sich die Situation vorher noch mal vor Augen führen, als die Schlichtung losging. Die Fronten waren extrem verhärtet und vor dem Hintergrund hat die Schlichtung überhaupt schon mal etwas gebracht, nämlich sie hat Transparenz und sie hat auch Vertrauen gebracht.
Was sie nicht gebracht hat, ist eine Annäherung der Positionen. Das ist heute Morgen ja auch noch mal klar geworden. Insofern wird das "Bauen ja, aber", wobei man das "Aber" natürlich sich noch mal genau ansehen muss, vermutlich eher den Befürwortern und den Projektträgern gefallen als den Projektgegnern.
Raith: Ist das denn alles in allem mehr als Sie erwartet haben?
Dorfs: Die Schlichtung war eindeutig ein Erfolg. Sie war natürlich nicht in jedem Punkt ein Erfolg, wie ich schon sagte. Sie hat Transparenz gebracht und sie hat damit auch mehr Vertrauen gebracht. Und das war ja das, woran es in dem ganzen Projekt, das ja über viele Jahre lief, haperte, und das hat Stefan Mappus, Ministerpräsident Baden-Württembergs, heute Morgen ja auch noch mal eingeräumt.
Also insofern: Die Schlichtung hat tatsächlich diese Informationen gebracht und sie hat überhaupt die Kontrahenten wieder an einen Tisch gebracht. Man muss sich das wirklich vorstellen: Die Fronten waren derartig verhärtet, der Gesprächsfaden war völlig abgerissen. Insofern war da der Weg tatsächlich auch schon mal das Ziel.
Was sich auch gezeigt hat – das hat Ihr Kollege ja gerade auch gesagt -, dass es betrieblich, auch zu meiner Überraschung, der Bahn dann doch sehr schwer gefallen ist, die im Voraus behaupteten gewaltigen Vorteile von "Stuttgart 21" gegenüber dem jetzigen Projekt darzustellen. Was man aber auch gesehen hat, ist, dass bestimmte Befürchtungen der Projektgegner eben doch übertrieben sind, sowohl was die Ökologie, als auch was die Wirtschaftlichkeit angeht. Insofern: Ich glaube, es hat doch viel an Transparenz und Übersichtlichkeit gebracht.
Raith: Wer hat sich denn, wenn man das sagen kann, mehr bewegt oder bewegen müssen in den vergangenen Wochen? Kann man da eine Tendenz ausmachen?
Dorfs: Das ist schwer zu sagen. Ich meine, heute Morgen beispielsweise die Zusicherung des Stuttgarter Oberbürgermeisters Schuster, die Grundstücke in eine Stiftung zu überführen, war sicherlich eine Bewegung. Also die Grundstücke des Gleisfeldes, die die Stadt von der Bahn abgekauft hat, um dann dieses neue Stadtviertel zu entwickeln. Das ist sicherlich eine Bewegung.
Ich glaube, dass sich inhaltlich insgesamt aber nicht so unglaublich viel bewegt hat. Es ist ja auch so: Die Kontrahenten hatten ja selbst Schwierigkeiten, sich auf die Zahl der Züge zu einigen, die den heutigen Bahnhof passieren. Da muss man einfach feststellen, dass die Fronten insgesamt einfach doch so verhärtet waren und auch nach wie vor verhärtet sind. Und das ist, glaube ich, tatsächlich dem späten Zeitpunkt dieser Schlichtung zuzuschreiben.
Raith: Aber was nützt es denn, wenn die Atmosphäre, wie Sie beschreiben, wieder von Vertrauen geprägt ist und nun alles in allem besser ist, aber inhaltlich einfach die Fronten hart bleiben?
Dorfs: Es ist, glaube ich, die Frage, wie man miteinander umgeht. Es ist auch die Frage, wie es jetzt weitergeht, unter welcher Beteiligung die weitere Planung erfolgt. Dass es keinen Kompromiss geben konnte – und ich meine, offensichtlich versucht Herr Geißler jetzt ja doch noch irgendwelche Kompromisslinien herzustellen; ich bin da tatsächlich skeptisch. Dass es keinen Kompromiss geben konnte, war eigentlich von vornherein klar. Entweder der Bahnhof ist über der Erde oder unter der Erde. Das war wirklich nicht zu erwarten. Aber wie gesagt noch mal: Auch Transparenz ist ein hohes Gut, Vertrauen ist ein Gut und sozusagen der Weg, wie man erstens jetzt mit dem Projekt – und das beginnt ja erst und die Gestaltung des neuen Stadtviertels steht ja überhaupt noch nicht fest; auch da ist tatsächlich, wenn man damit einen breiten gesellschaftlichen Konsens herstellt, auch das ein Gut. Und ich glaube, die Einigung oder der Konsens, dass künftige Großprojekte bereits in der Planungsphase anders diskutiert und mit breiterer Einbeziehung der Öffentlichkeit auch debattiert werden müssen, das ist, glaube ich, auch eindeutig nach dieser Schlichtung.
Raith: Für dieses Großprojekt haben sich SPD und Grüne heute noch mal für einen Volksentscheid starkgemacht. Wie groß ist Ihre Sorge, dass nach den Schlichtungsgesprächen nun doch alles wieder von vorne losgeht?
Dorfs: Das ist nicht von der Hand zu weisen. Aber man muss auch sagen, ich meine, letztlich haben sich beide Parteien der Schlichtung unterworfen. Das war für beide Parteien ein Risiko. Ich glaube, für die Projektträger war es sogar ein größeres Risiko als für die Projektgegner. Der Schlichterspruch wird jetzt in diesen Minuten fallen.
Was sozusagen Volksentscheid angeht, hat sich Heiner Geißler ja vorher schon geäußert. Das ist verfassungsrechtlich hier in Baden-Württemberg einfach sehr problematisch. Insofern: Ich kann nicht ausschließen, dass die Proteste wieder von vorne losgehen. Ich glaube, dass sie aber nicht mehr ganz so vehement und emotional aufgeheizt weitergehen. Aber das ist eine persönliche Einschätzung, das kann tatsächlich auch anders kommen.
Raith: Wenn wir noch zum Abschluss einen Blick auf die kommenden Wochen und Monate bis zur Landtagswahl werfen. Was glauben Sie, wird "Stuttgart 21" das beherrschende Thema bleiben?
Dorfs: Ich glaube, dass es tatsächlich das beherrschende Thema bleiben wird, weil zumindest die Grünen, möglicherweise aber sogar auch die CDU tatsächlich ein Interesse hat, dieses Thema im Landtagswahlkampf zu besetzen. Ich glaube aber auch, dass es womöglich nicht ganz so beherrschend sein wird, vor allen Dingen, weil es ja eben keine Stuttgarter Kommunalwahl ist, sondern eine Landtagswahl. Ich glaube, dass es nicht ganz so beherrschend sein wird, wie es vor ein paar Wochen noch aussah.
Raith: Einschätzungen von Joachim Dorfs, dem Chefredakteur der "Stuttgarter Zeitung", zum Schlichtungsendspurt zu "Stuttgart 21". Besten Dank für das Gespräch.
Dorfs: Danke Ihnen, Frau Raith.
In Stuttgart ist mir nun auch Joachim Dorfs zugeschaltet, der Chefredakteur der "Stuttgarter Zeitung". Guten Tag, Herr Dorfs!
Joachim Dorfs: Hallo, Frau Raith.
Raith: Noch können wir es nicht genau absehen, aber es sieht so aus, als ob der Schlichterspruch ein "ja, aber" wird von Heiner Geißler. Wie befriedigend ist das denn aus Ihrer Sicht?
Dorfs: Ich denke, man ist ja eigentlich ohne allzu große Erwartungen überhaupt in die Schlichtung gegangen. Man muss sich die Situation vorher noch mal vor Augen führen, als die Schlichtung losging. Die Fronten waren extrem verhärtet und vor dem Hintergrund hat die Schlichtung überhaupt schon mal etwas gebracht, nämlich sie hat Transparenz und sie hat auch Vertrauen gebracht.
Was sie nicht gebracht hat, ist eine Annäherung der Positionen. Das ist heute Morgen ja auch noch mal klar geworden. Insofern wird das "Bauen ja, aber", wobei man das "Aber" natürlich sich noch mal genau ansehen muss, vermutlich eher den Befürwortern und den Projektträgern gefallen als den Projektgegnern.
Raith: Ist das denn alles in allem mehr als Sie erwartet haben?
Dorfs: Die Schlichtung war eindeutig ein Erfolg. Sie war natürlich nicht in jedem Punkt ein Erfolg, wie ich schon sagte. Sie hat Transparenz gebracht und sie hat damit auch mehr Vertrauen gebracht. Und das war ja das, woran es in dem ganzen Projekt, das ja über viele Jahre lief, haperte, und das hat Stefan Mappus, Ministerpräsident Baden-Württembergs, heute Morgen ja auch noch mal eingeräumt.
Also insofern: Die Schlichtung hat tatsächlich diese Informationen gebracht und sie hat überhaupt die Kontrahenten wieder an einen Tisch gebracht. Man muss sich das wirklich vorstellen: Die Fronten waren derartig verhärtet, der Gesprächsfaden war völlig abgerissen. Insofern war da der Weg tatsächlich auch schon mal das Ziel.
Was sich auch gezeigt hat – das hat Ihr Kollege ja gerade auch gesagt -, dass es betrieblich, auch zu meiner Überraschung, der Bahn dann doch sehr schwer gefallen ist, die im Voraus behaupteten gewaltigen Vorteile von "Stuttgart 21" gegenüber dem jetzigen Projekt darzustellen. Was man aber auch gesehen hat, ist, dass bestimmte Befürchtungen der Projektgegner eben doch übertrieben sind, sowohl was die Ökologie, als auch was die Wirtschaftlichkeit angeht. Insofern: Ich glaube, es hat doch viel an Transparenz und Übersichtlichkeit gebracht.
Raith: Wer hat sich denn, wenn man das sagen kann, mehr bewegt oder bewegen müssen in den vergangenen Wochen? Kann man da eine Tendenz ausmachen?
Dorfs: Das ist schwer zu sagen. Ich meine, heute Morgen beispielsweise die Zusicherung des Stuttgarter Oberbürgermeisters Schuster, die Grundstücke in eine Stiftung zu überführen, war sicherlich eine Bewegung. Also die Grundstücke des Gleisfeldes, die die Stadt von der Bahn abgekauft hat, um dann dieses neue Stadtviertel zu entwickeln. Das ist sicherlich eine Bewegung.
Ich glaube, dass sich inhaltlich insgesamt aber nicht so unglaublich viel bewegt hat. Es ist ja auch so: Die Kontrahenten hatten ja selbst Schwierigkeiten, sich auf die Zahl der Züge zu einigen, die den heutigen Bahnhof passieren. Da muss man einfach feststellen, dass die Fronten insgesamt einfach doch so verhärtet waren und auch nach wie vor verhärtet sind. Und das ist, glaube ich, tatsächlich dem späten Zeitpunkt dieser Schlichtung zuzuschreiben.
Raith: Aber was nützt es denn, wenn die Atmosphäre, wie Sie beschreiben, wieder von Vertrauen geprägt ist und nun alles in allem besser ist, aber inhaltlich einfach die Fronten hart bleiben?
Dorfs: Es ist, glaube ich, die Frage, wie man miteinander umgeht. Es ist auch die Frage, wie es jetzt weitergeht, unter welcher Beteiligung die weitere Planung erfolgt. Dass es keinen Kompromiss geben konnte – und ich meine, offensichtlich versucht Herr Geißler jetzt ja doch noch irgendwelche Kompromisslinien herzustellen; ich bin da tatsächlich skeptisch. Dass es keinen Kompromiss geben konnte, war eigentlich von vornherein klar. Entweder der Bahnhof ist über der Erde oder unter der Erde. Das war wirklich nicht zu erwarten. Aber wie gesagt noch mal: Auch Transparenz ist ein hohes Gut, Vertrauen ist ein Gut und sozusagen der Weg, wie man erstens jetzt mit dem Projekt – und das beginnt ja erst und die Gestaltung des neuen Stadtviertels steht ja überhaupt noch nicht fest; auch da ist tatsächlich, wenn man damit einen breiten gesellschaftlichen Konsens herstellt, auch das ein Gut. Und ich glaube, die Einigung oder der Konsens, dass künftige Großprojekte bereits in der Planungsphase anders diskutiert und mit breiterer Einbeziehung der Öffentlichkeit auch debattiert werden müssen, das ist, glaube ich, auch eindeutig nach dieser Schlichtung.
Raith: Für dieses Großprojekt haben sich SPD und Grüne heute noch mal für einen Volksentscheid starkgemacht. Wie groß ist Ihre Sorge, dass nach den Schlichtungsgesprächen nun doch alles wieder von vorne losgeht?
Dorfs: Das ist nicht von der Hand zu weisen. Aber man muss auch sagen, ich meine, letztlich haben sich beide Parteien der Schlichtung unterworfen. Das war für beide Parteien ein Risiko. Ich glaube, für die Projektträger war es sogar ein größeres Risiko als für die Projektgegner. Der Schlichterspruch wird jetzt in diesen Minuten fallen.
Was sozusagen Volksentscheid angeht, hat sich Heiner Geißler ja vorher schon geäußert. Das ist verfassungsrechtlich hier in Baden-Württemberg einfach sehr problematisch. Insofern: Ich kann nicht ausschließen, dass die Proteste wieder von vorne losgehen. Ich glaube, dass sie aber nicht mehr ganz so vehement und emotional aufgeheizt weitergehen. Aber das ist eine persönliche Einschätzung, das kann tatsächlich auch anders kommen.
Raith: Wenn wir noch zum Abschluss einen Blick auf die kommenden Wochen und Monate bis zur Landtagswahl werfen. Was glauben Sie, wird "Stuttgart 21" das beherrschende Thema bleiben?
Dorfs: Ich glaube, dass es tatsächlich das beherrschende Thema bleiben wird, weil zumindest die Grünen, möglicherweise aber sogar auch die CDU tatsächlich ein Interesse hat, dieses Thema im Landtagswahlkampf zu besetzen. Ich glaube aber auch, dass es womöglich nicht ganz so beherrschend sein wird, vor allen Dingen, weil es ja eben keine Stuttgarter Kommunalwahl ist, sondern eine Landtagswahl. Ich glaube, dass es nicht ganz so beherrschend sein wird, wie es vor ein paar Wochen noch aussah.
Raith: Einschätzungen von Joachim Dorfs, dem Chefredakteur der "Stuttgarter Zeitung", zum Schlichtungsendspurt zu "Stuttgart 21". Besten Dank für das Gespräch.
Dorfs: Danke Ihnen, Frau Raith.