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"Die schmutzigen Hände"

Jean-Paul Sartres Stück "Die schmutzigen Hände" ist ein Werk über Politik, Freiheit und scheiternde Utopien. Es wurde zur Zeit des Kalten Krieges in Westeuropa das kommerziell erfolgreichste Stück des Autors. Nun hat Regisseur Andreas Kriegenburg das Werk am Hamburger Thalia Theater inszeniert.

Von Michael Laages |
    Staunen macht der vehemente, ganz uneingeschränkte Jubel, der dem Abend folgt; selbst nach Abzug der premierenbedingten Hysterie, in die das Thalia-Publikum in jüngerer Zeit öfter verfällt. Was, welches latente Gefühl, welchen potenziell präsenten Ton hat diese Inszenierung des weithin ja wirklich uralten und überholten Textes dann eben doch getroffen; und zwar jenseits der unübersehbaren Virtuosität des Ensembles, unter Verzicht auch auf jede demonstrative Deutlichkeit durch aktuelle Akzente? Beides für sich, ja sogar beide zusammen hätten nicht genügt – vielleicht kam Andreas Kriegenburgs Hamburger Team einer viel schlichteren Wahrheit auf die Spur, die viel mehr Sartre ist als dessen merkwürdig verbrauchte Generalabrechnung mit den Strategien und Taktiken des real-existierenden Nachkriegskommunismus.

    So geht’s los. Ein junges Mädchen, Russin (jedenfalls spricht sie russisch zu Beginn) und mächtig animiert vom schweren Stiefelschritt eines müde aus irgendeinem Krieg heimkehrenden anderen Russen, schafft sich noch einmal (und modern mikrofonisiert) hinein ins alte linke Kampflied, und die Männer mimen mit leeren Stiefeln den Marschtritt dazu. Und dann die Fallhöhe: von Bert Brecht zu Bob Marley. Imitationen überall, wohin auch das Auge sieht und das Ohr hört – die Geschichte ist alt, und alte Geschichten erzählt das Stück; nehmt sie nicht zu ernst, sagt Kriegenburgs erstes Bild, nehmt vor allem die Inhalte all dieser alten Ideologien nicht all zu ernst, nicht so sehr diese potenziell tödlichen Querelen zwischen Kommunisten und Kompromisslern, die von nun an, jede Fraktion für sich, einen Abend lang über Leichen gehen werden; achtet vielmehr (und das ist nun wirklich sehr ernst gemeint!) auf die Motive, mit denen der eine oder die andere die jeweils eigene Front im Kampf für "das andere" definiert – sowie die eigene Bereitschaft, letzte Grenzen zu überschreiten; und eben nicht nur zu spielen.

    Achtet auch auf die Verpackungen – denn das ist womöglich Sartres interessanteres Projekt im Stück: den Grenzen nachzuspüren zwischen Spiel und Ernst; gröber gesagt: zwischen Theater und Wirklichkeit. Deshalb können alle Personen in Kriegenburgs Fassung so leichthin wechseln zwischen Albernheit und Abenteuer – wie der Dogmatiker Louis, der über kalauernde Wortspiele und Lachkrämpfe bis zur Kälte des Killers gelangt, und die kämpferisch-junge Olga, die zu Beginn das Einheitsfrontlied sang und zum Schluss ganz handfest vom Brautkleid in Weiß träumen wird; und das sind, wie die beiden Leibwächter- und Killer-Clowns, nur die Figuren am Rande. Im Zentrum des Textes lässt Kriegenburg ein Feuerwerk der Ironien abfackeln – mit Staatsmann Hoederer, der weiß, dass Macht, oder auch nur politischer Erfolg, ohne schmutzige Hände nicht möglich ist, mit Hugo, dem Jung-Anarchisten, der so gern ein Suppenkaspar gewesen wäre, aber nicht mal das schaffte und nun viel nach zu holen hat als Selfmade-Terrorist, mit Hugos Frau Jessica schließlich, deren Verführungspotenziale weit über einfache Männerphantasie hinaus gehen. Wie aus ganz anderen, unter- oder überirdischen Welten herübergeweht, fordert sie zugleich totale Freiheit im Spiel und im Ernst totale Wahrheit ein. Und Macht-Mensch Hoederer, vor lauter Bonhomie hier fast ein Schroederer, wird vor dieser Frau so klein mit Hut.

    Vielleicht ist dies ja "feministischer" Sartre, als wär’s von Simone de Beauvoir. Natürlich geht das nicht wirklich – doch allemal sind die großen Redeschlachten um Sinn und Ziel und Wert und Zweck von Dogma oder Macht (und um die Erkenntnis, das beides zusammen nicht geht) bei Kriegenburg vor allem wirbelnd-flatterndes Papier, ein Spiel mit klugen, vielleicht sogar wahren Worten – aber immer nur ein Spiel; Polit-Zirkus in einem Raum aus Wänden mit Schießscharten drin, und einem Kronleuchter in der Mitte, dessen flimmernde, klimpernde Glasperlen ihrerseits auch nichts sind als Spiel.

    Und sonderbar – erst in diesem Spiel fast ohne Ziel lässt sich wieder etwas von der existenziellen Ambition erahnen, und eben im Ansatz auch wieder ernst nehmen, die doch hinter allen Ismen lauert: in der Frage, zu was eine Idee befähigt, wohin sie führt, zu was sie Mut macht, welche Grenzen mit und dank ihr überschritten werden können. Denn das Wissen davon, dass Ideengeschichte auch immer die Geschichte von Katastrophe und Krieg, nützt wenig in ideen-, utopienloser Zeit – weil immerzu zu spüren ist, dass ohne sie alles immer nur viel schlimmer wird. So wächst im Spiel und im Ernst aus einem alten kalten Stück ein junger, hitziger Abend im April 2006.