Das Museum von Yad Vashem ist ein langer, dreieckiger Keil aus Beton. Am Eingang, im Inneren dieses Keils projetzieren sie ein Video-Kunstwerk an die Wand. Eine Collage des jüdischen Lebens vor dem Holocaust.
Anne Gnielka betrachtet die Aufnahme von zwei winkenden Frauen auf einer Straße in einer polnischen Stadt. Gnielka ist mit einer Lehrer-Gruppe aus Deutschland nach Yad Vashem gekommen.
"Wir haben uns in den ersten Tagen vor allem mit jüdischen Identitäten beschäftigt. Und das war für mich ein Aha-Erlebnis, dass es immens wichtig ist, das Leben vor der Schoah zu zeigen, und nicht nur am Ende, wo die Leichenberge auf den Fotos, die wir alle kennen, zu sehen sind."
Massenmord im Museum
Die Lehrer laufen tiefer in den Betonkeil. Das Museum in Yad Vashem schafft diesen Spagat, den Massenmord darzustellen und gleichzeitig einzelnen Opfern ein Gesicht zu geben.
So wie das der Opfer eines Massakers im Jahr 1944. Deutsche Soldaten erschossen tausende Juden in einem Wald in Estland. Die Lehrer sehen die Fotos der Leichenberge. Doch über die Opfer sagen diese Bilder nichts. Dann zeigt Deborah Hartmann von der International School for Holocaust Studies in Yad Vashem auf die Vitrinen.
Das alles waren Dinge, die in den Hosentaschen dieser ermordeten jüdischen Menschen gefunden worden sind. Also, als ein Beispiel haben wir hier Fotos von Jakob Noach Nev, der eigentlich die Zulassung hatte, an der Universität Bern Medizin studieren zu können. Diese Zulassung liegt jetzt in der Vitrine.
"Eine sehr nahegehende Ausstellung. Am Ende sind schon Tränen gekommen, muss ich sagen." Martin Witterberg, Geschichte- und Biologie-Lehrer aus Hamburg, hat den Holocaust selbst intensiv studiert. Jetzt merkt er an sich selbst, wie persönliche Opfergeschichten ihn ansprechen - und dass sie zu selten in der Ausbildung in Deutschland vorkommen: "Und das werde ich auf jeden Fall mitnehmen: exemplarisch an einzelnen Personen die Geschichte durchleben zu lassen."
Das will er tun, indem er eine Jüdin im Unterricht zu Wort kommen lassen will, die in Yad Vashem die Geschichte ihrer Deportation erzählt hat. Dazu hält Yad Vashem den Bericht des deutschen Polizisten bereit, der ihren Deportationszug begleitet hatte. So viel umfangreiches Material, wie in Yad Vashem bereit liegt, ist in Deutschland nur schwer zu bekommen.
Pegida: Fremdenfeindliche Parolen im heutigen Deutschland
Aus einem Lautsprecher im Museum plärrt eine Rede Adolf Hitlers, in der er schon 1939 die Judenvernichtung ankündigt. Manche der Lehrer übertragen das, was sie hier sehen und hören, in die deutsche Gegenwart, auf die Diskussion um Flüchtlinge. Wenn sie hört, wie die Menschen Hitler zugejubelt haben, macht sich Martina Wohlgemut aus Sachsen Sorgen. Sie denkt an die Pegida-Demonstrationen in Dresden, wo Tausende Menschen fremdenfeindliche Parolen bejubeln.
"Gerade, wenn man hier ist, erlebt man, was passiert, wenn viele Leute auf die Straße gehen und andere ausgrenzen möchten und das macht mir im Moment ganz viel Angst."
Anne Gnielka hingegen denkt an die tausenden Flüchtlinge, die jeden Tag in Deutschland ankommen. Deren persönliche Schicksale will sie mit den Techniken, die sie in Yad Vashem lernen, auch in der Schule erzählen.
"Wir sind jetzt einfach gefordert, uns zu engagieren, den Schülern begreiflich zu machen, welche Schicksale treiben die Leute hierher. Da können Lehrer ziemlich viel machen. Und darin verstehe ich meine Aufgabe."
Nach drei Stunden im Museum sind sie am anderen Ende des Betonkeils angekommen. Über eine Brücke aus Holz laufen die Lehrer zu ihrem Seminarraum. Dort setzen sie sich zusammen. Anneke Taler:
"Ich geh zurück und kann erzählen, ich bekomm Materialien, ich werde Bücher kaufen. Ich werde versuchen, diese Erfahrung zu teilen."
Am Freitag werden sie hier auch einen Holocaust-Überlebenden treffen. Davon kann sie ihren Schülern in Deutschland erzählen. Und auch Anne Gnielka hat sich in Yad Vashem mit Material versorgt. Bald kann sie mit ihren Klassen das ehemalige jüdische Leben auf der Straße in einer polnischen Stadt behandeln - so wie in der Video-Installation zu Beginn des langen Betonkeils im Museum von Yad Vashem.