Christoph Heinemann: Der Deutsche Bundestag wird heute den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan im Rahmen der ISAF-Schutztruppe abermals verlängern, und zwar bis zum 31. Januar 2012. Neu an diesem Mandat ist die allerdings eingeschränkte Abzugsperspektive ab Ende 2011, also dieses Jahres. Frucht der liebevollen Zusammenarbeit zwischen Außen- und Verteidigungsminister, wir erinnern uns. Einsatz in Afghanistan, das betrifft gegenwärtig rund 5.000 deutsche Staatsbürger in Uniform. Einer von ihnen war Martin Jäger, der am 7. Juni 2003 – in Berlin regierten noch die Herrschaften Schröder und Fischer – in Kabul in einem Bus der Bundeswehr einen Anschlag er- und überlebte. Vier Soldaten starben, fast 30 Kameraden wurden zum Teil schwer verletzt. Martin Jäger erinnert sich:
Martin Jäger: Wir haben damals eine Tour gehabt zum Kabul International Airport, bis dann irgendwann ja circa drei Kilometer nach dem Camp ein Fahrzeug überholt hat, ein Taxi, der beladen war mit 140 Kilogramm Sprengstoff und der sich dann in die Luft gesprengt hat. Leben zerstört in dem Moment! Wenn sie so in der Lage sind, sie hören diese Schreie der Soldaten – sind ja nun mal Männer -, Schreie wie Kinder, wie Katzen, also das ist bis heute noch im Kopf drin, dann schmecken sie, sie riechen das verbrannte Fleisch, sie schmecken das Blut, sie gehen zu den Leuten hin, holen die raus. Die Schreie sind eigentlich überwiegend das Schlimmste gewesen, denn ich habe noch nie so viel, eine Masse an Menschen um Hilfe schreien hören.
Barbara Schmidt-Mattern: Was ist seitdem passiert, das Ihnen geholfen hat, mit diesem Erlebnis, mit dieser Erfahrung umgehen zu können?
Jäger: Ich befinde mich seit Ende 2003 ständig in psychologischer, psychotherapeutischer Behandlung. Bei mir ist es leider so, dass wir damals die ersten waren, die das in der Bundeswehr offiziell getroffen hat, ein terroristischer Angriff gegen die Truppe, und die Bundeswehr musste auch zu dem Zeitpunkt erst dazulernen, was machen wir eigentlich mit einem traumatisierten Soldaten. Ich muss mich da so ein bisschen als Versuchskaninchen bezeichnen. Ich bin da durch Krankenhäuser geschickt worden, zu Psychologen, alle haben immer mit den Händen geklatscht und haben gesagt, alles wird wieder gut, viele haben gesagt, "Sie bilden sich nur was ein". Der Erfolg bis jetzt ist eigentlich noch nicht für mich selber da gewesen. Ich leide immer noch sehr, sehr stark darunter. Ich habe ständig Alkohol getrunken. Irgendwann hat sich die Familie getrennt. Dann irgendwann hat ein Psychologe gesagt, "ja, Sie haben ein posttraumatisches Belastungssyndrom, PTBS", und für mich klang das in erster Linie wie ein Fußpilz. Ich wusste ja nicht, was das ist.
Schmidt-Mattern: Würden Sie denn sagen, dass mittlerweile in Deutschland genug getan wird für traumatisierte Soldaten, die aus Afghanistan nach Deutschland zurückkehren?
Jäger: Man geht anders jetzt damit um, man geht viel intensiver damit um. Zu meiner Zeit damals wurde das immer abgewiegelt, wurde gesagt, das kann nicht sein, das gibt es nicht, so was existiert nicht in Deutschland, da wo kein Krieg ist, da ist auch kein PTBS.
Schmidt-Mattern: Warum können so wenige Soldaten in Deutschland offen über ihre Probleme sprechen?
Jäger: In erster Linie ist das ein Karriereproblem. Wenn die Truppe ihnen einmal nachsagt – mir ist das ja nun jahrelang widerfahren -, sie müssen sich ständig an Psychologen wenden, damit sie überhaupt den Tag überstehen, dann ist man unten durch. Die Bundeswehr ist ähnlich wie eine Truppe Waschküche. Da heißt es ja, da ist ein Kranker, den können wir sowieso nicht gebrauchen, kann man für nichts einsetzen.
Schmidt-Mattern: Ist es denn aus Ihrer persönlichen Einschätzung heraus richtig, dass die Bundeswehr in Afghanistan ist?
Jäger: Auf jeden Fall! Also ich stehe da voll hinter.
Schmidt-Mattern: Befindet sich die Bundeswehr in Afghanistan im Krieg?
Jäger: Ja! Ganz deutliches ja!
Schmidt-Mattern: Die politische Debatte, wie sie derzeit in Deutschland geführt wird zum Afghanistan-Einsatz, wird sie der Situation der Soldaten gerecht?
Jäger: Überhaupt nicht. Wir haben schon dort 2003 in Kabul gemerkt, dass der politische Rückhalt komplett gefehlt hat für diesen Einsatz, und als Soldat ist man natürlich auf die Politik angewiesen und verlangt auch den Rückhalt der Politik und der Bevölkerung.
Schmidt-Mattern: Wenn Sie zurückblicken, würden Sie sich im Nachhinein wünschen, dass Sie damals nicht nach Afghanistan gegangen wären?
Jäger: Inzwischen ja. Das hat aber auch mit den Folgen zu tun, mit den sozialen Folgen, mit den familiären Folgen, also das Ganze Paket im Prinzip. Inzwischen bereut man das.
Heinemann: Martin Jäger im Gespräch mit Barbara Schmidt-Mattern, unserer Landeskorrespondentin in Nordrhein-Westfalen.
Abzug in Sicht - Bundestag entscheidet über Afghanistan-Mandat
Martin Jäger: Wir haben damals eine Tour gehabt zum Kabul International Airport, bis dann irgendwann ja circa drei Kilometer nach dem Camp ein Fahrzeug überholt hat, ein Taxi, der beladen war mit 140 Kilogramm Sprengstoff und der sich dann in die Luft gesprengt hat. Leben zerstört in dem Moment! Wenn sie so in der Lage sind, sie hören diese Schreie der Soldaten – sind ja nun mal Männer -, Schreie wie Kinder, wie Katzen, also das ist bis heute noch im Kopf drin, dann schmecken sie, sie riechen das verbrannte Fleisch, sie schmecken das Blut, sie gehen zu den Leuten hin, holen die raus. Die Schreie sind eigentlich überwiegend das Schlimmste gewesen, denn ich habe noch nie so viel, eine Masse an Menschen um Hilfe schreien hören.
Barbara Schmidt-Mattern: Was ist seitdem passiert, das Ihnen geholfen hat, mit diesem Erlebnis, mit dieser Erfahrung umgehen zu können?
Jäger: Ich befinde mich seit Ende 2003 ständig in psychologischer, psychotherapeutischer Behandlung. Bei mir ist es leider so, dass wir damals die ersten waren, die das in der Bundeswehr offiziell getroffen hat, ein terroristischer Angriff gegen die Truppe, und die Bundeswehr musste auch zu dem Zeitpunkt erst dazulernen, was machen wir eigentlich mit einem traumatisierten Soldaten. Ich muss mich da so ein bisschen als Versuchskaninchen bezeichnen. Ich bin da durch Krankenhäuser geschickt worden, zu Psychologen, alle haben immer mit den Händen geklatscht und haben gesagt, alles wird wieder gut, viele haben gesagt, "Sie bilden sich nur was ein". Der Erfolg bis jetzt ist eigentlich noch nicht für mich selber da gewesen. Ich leide immer noch sehr, sehr stark darunter. Ich habe ständig Alkohol getrunken. Irgendwann hat sich die Familie getrennt. Dann irgendwann hat ein Psychologe gesagt, "ja, Sie haben ein posttraumatisches Belastungssyndrom, PTBS", und für mich klang das in erster Linie wie ein Fußpilz. Ich wusste ja nicht, was das ist.
Schmidt-Mattern: Würden Sie denn sagen, dass mittlerweile in Deutschland genug getan wird für traumatisierte Soldaten, die aus Afghanistan nach Deutschland zurückkehren?
Jäger: Man geht anders jetzt damit um, man geht viel intensiver damit um. Zu meiner Zeit damals wurde das immer abgewiegelt, wurde gesagt, das kann nicht sein, das gibt es nicht, so was existiert nicht in Deutschland, da wo kein Krieg ist, da ist auch kein PTBS.
Schmidt-Mattern: Warum können so wenige Soldaten in Deutschland offen über ihre Probleme sprechen?
Jäger: In erster Linie ist das ein Karriereproblem. Wenn die Truppe ihnen einmal nachsagt – mir ist das ja nun jahrelang widerfahren -, sie müssen sich ständig an Psychologen wenden, damit sie überhaupt den Tag überstehen, dann ist man unten durch. Die Bundeswehr ist ähnlich wie eine Truppe Waschküche. Da heißt es ja, da ist ein Kranker, den können wir sowieso nicht gebrauchen, kann man für nichts einsetzen.
Schmidt-Mattern: Ist es denn aus Ihrer persönlichen Einschätzung heraus richtig, dass die Bundeswehr in Afghanistan ist?
Jäger: Auf jeden Fall! Also ich stehe da voll hinter.
Schmidt-Mattern: Befindet sich die Bundeswehr in Afghanistan im Krieg?
Jäger: Ja! Ganz deutliches ja!
Schmidt-Mattern: Die politische Debatte, wie sie derzeit in Deutschland geführt wird zum Afghanistan-Einsatz, wird sie der Situation der Soldaten gerecht?
Jäger: Überhaupt nicht. Wir haben schon dort 2003 in Kabul gemerkt, dass der politische Rückhalt komplett gefehlt hat für diesen Einsatz, und als Soldat ist man natürlich auf die Politik angewiesen und verlangt auch den Rückhalt der Politik und der Bevölkerung.
Schmidt-Mattern: Wenn Sie zurückblicken, würden Sie sich im Nachhinein wünschen, dass Sie damals nicht nach Afghanistan gegangen wären?
Jäger: Inzwischen ja. Das hat aber auch mit den Folgen zu tun, mit den sozialen Folgen, mit den familiären Folgen, also das Ganze Paket im Prinzip. Inzwischen bereut man das.
Heinemann: Martin Jäger im Gespräch mit Barbara Schmidt-Mattern, unserer Landeskorrespondentin in Nordrhein-Westfalen.
Abzug in Sicht - Bundestag entscheidet über Afghanistan-Mandat