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"Die schwarzen Jahre"
Berliner Nationalgalerie arbeitet ihre Geschichte zwischen 1933 und 1945 auf

Die Nationalgalerie in Berlin zählte vor 1933 zu den wichtigsten Sammlungen für die Moderne weltweit und hat dann während der NS-Zeit einen beispiellosen Aderlass an "entarteter Kunst" erlebt. Aber erst seit einigen Jahren widmet sie sich gründlich der Aufarbeitung der Geschichte ihrer Sammlungen, wie jetzt mit der Ausstellung "Die Schwarzen Jahre". Fragen bleiben immer noch.

Von Carsten Probst |
    In der Ausstellung "Die Schwarzen Jahre" sollen bewusst nicht die großen Ikonen der sogenannten Entarteten Kunst gezeigt werden, sondern selten gezeigte, gleichwohl nicht weniger bedeutsame Werke aus der Zeit 1933 bis '45, die die Neue Nationalgalerie in ihren Sammlungen hat und die die Rolle dieses führenden deutschen Museums für die Moderne im Nationalsozialismus nachhaltiger beleuchten könnten. Für Udo Kittelmann steht damit die am kunsthistorischen Kanon ausgerichtete Präsentation von Kunst im Museum generell auf dem Prüfstand.
    "Muss es nicht vielmehr endlich auch in den Fokus rücken, dass die Kunst immer auch Teil einer Sozialgeschichte in jeder Zeit einmal war und widerspiegelte. (...) Allein eine ästhetische, anhand von Stilepochen ausgerichtete Präsentation würde immer wieder zur Kanonisierung führen."
    Anhand von sieben Hauptkapiteln werden die für die Sammlungen der Neuen Nationalgalerie so desaströsen Beziehungen zur Kulturpolitik des Nationalsozialismus entwickelt. Die Bilder an den Wänden werden von vielen Wandtexten begleitet. Zahlreiche Künstlerinnen und Künstler, die von der Reichskunstkammer damals als "entartet" eingestuft werden, gehen in den Widerstand, werden verfolgt, fliehen ins Ausland; Andere dienen sich dem neuen Regime an oder verharren in der inneren Emigration. Die Neue Nationalgalerie, deren Direktor Ludwig Justi ja zuvor die Sammlungen von Impressionisten und Expressionisten aufgebaut hatte, muss sich dazu verhalten. Justi hatte vor seiner Absetzung noch einen fragwürdigen Bildertausch mit Mussolinis Italien exekutieren müssen, durch den naturalistisch-klassizistische Gemälde aus Italien nun in die Sammlung kamen. Die Ausstellung wurde im April 1933 von Hermann Göring als erster Meilenstein einer "neuen Kulturpolitik" im Kronprinzenpalais in Berlin eröffnet. Von Eberhard Haftstaengl, dem für den abgesetzten Justi berufenen neuen Direktor, ist dann der Satz überliefert, alle lebenden Künstler mögen fortan im Garten des Propagandaministeriums spazieren gehen.
    Zweifel an der "neuen Dringlichkeit"
    Die Nationalgalerie verwies also die Kunst des 20. Jahrhunderts lieber an Goebbels und tauchte selber ab, indem sie sich nur noch der Kunst des 19. Jahrhunderts widmete. Hanfstaengl war andererseits kein eifernder Verfechter der Nazi-Kunstdoktrin. Dem berüchtigten Erlass vom 30. Juni 1937 zur Einziehung und Beschlagnahmung von Werken der "entarteten Kunst" verweigerte er sich. Nachdem Hanfstaengl deswegen seinerseits entlassen worden war, verteidigte aber auch sein Nachfolger Paul Ortwin Rave die moderne Sammlung, konnte letztlich aber nichts gegen die Schließung des Kronprinzenpalais und den massenhaften Aderlass moderner Werke unternehmen. Beide, Haftstaengl und Rave, haben nach Kriegsende bedeutende Karrieren als Museumsdirektoren in Westdeutschland fortgeführt.
    Mit über 60 Werken und ihren Erläuterungen bebildert diese Ausstellung diese in vielen Aspekten immer wieder höchst widersprüchliche Geschichte der Neuen Nationalgalerie, mit vielsagenden Einzelschicksalen wie etwa dem des Malers Erwin Hahs, der eigentlich gegen das NS-Regime eingestellt war und ein Hitler-Porträt vor brennenden Ruinen gemalt hatte, dieses dann aber musste er durch ein dem Regime gefälligeres Motiv übermalen, das sich nun in der Sammlung der Neuen Nationalgalerie befindet. Für die Ausstellung wurde jedoch eigens durch eine Röntgenuntersuchung eben jenes kritische Hitler-Porträt unter der heutigen Malschicht sichtbar gemacht.
    Die Bemühungen der Neuen Nationalgalerie um historische Wahrheit sind also erkennbar. Zugleich aber kann man immer noch keine verbindlichen Listen aller Ankäufe aus der NS-Zeit vorlegen. Die seien noch in Arbeit, heißt es. Mehr als 70 Jahre nach Kriegsende lässt das dann doch wieder an der "neuen Dringlichkeit" zweifeln.