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Die "schweigsame Musik" spricht

Der russische Pianist Arcadi Volodos widmet sich auf seiner jüngsten CD den Werken Frederic Mompous. Mit unglaublichen dynamischen Kontrasten und einer beispielhaft differenzierten Anschlagskultur bringt er die "schweigsame Musik" Mompous zum Sprechen.

Von Jochen Hubmacher |
    Frederic Mompou
    ... pour appeler la joie (Nr. 6 aus "Charmes")


    Ein musikalischer Zauber, um die Freude herbeizurufen, "...pour appeler la joie" heißt dieses Stückchen aus Frederic Mompous Klavierzyklus "Charmes". Entstanden Anfang der 1920er Jahre gehörte es zu den erklärten Lieblingswerken des katalanischen Komponisten. Beispielhaft zeigt er, was Mompous Musik ausmacht: Kurze, prägnante musikalische Einfälle, die aus dem Nichts auftauchen und oft wieder im Nichts verschwinden. Vieles wirkt wie improvisiert.

    Auf eine thematische Entwicklung des musikalischen Materials wartet man bei Mompou meist vergeblich. Die Art und Weise, wie er mit dem Faktor Zeit umgeht, macht diesen Komponisten so radikal und visionär. Der messbaren Länge oder besser gesagt Kürze vieler seiner Stücke steht eine unglaubliche Entschleunigungswirkung gegenüber, die nicht von ungefähr an die Musik eines Eric Satie erinnert. Bereits 1911, also mit gerade mal 18 Jahren machte sich Mompou als hochbegabter Pianist von Barcelona nach Paris auf. Wie ein Schwamm saugte er dort die Klangwelt des französischen Impressionismus in sich auf. Die Musik eines Eric Satie oder Claude Debussy. Sehr deutlich hörbar ist dieser Einfluss in Mompous "Scènes d’enfants", seinen "Kinderszenen". Komponiert in den Jahren 1915 bis 1918, scheinen sie direkt an die kurz zuvor veröffentlichten Klavier-Préludes von Claude Debussy anzuknüpfen.

    Frederic Mompou
    Jeunes filles au jardin (aus: Scènes d’enfants)


    Fast 40 Jahre und zwei Weltkriege liegen zwischen dem gerade gehörten Stück "Jeunes filles au jardin” aus Frederic Mompous Kinderszenen und dem folgenden Klavier-Prélude "Palmier d’étoiles". Es entstand 1951 unter dem Eindruck eines Feuerwerks, das sich auf der Meeresoberfläche vor der katalanischen Stadt Badalona spiegelte. Palmier d’étoiles, was so viel bedeutet wie "Palme aus Sternen", bezeichnet einen speziellen Feuerwerkskörper, der beim Explodieren eine Palmenform in den Himmel zeichnet. Das Stück demonstriert eindrucksvoll, welch enorme Wegstrecke Frederic Mompou ausgehend vom französischen Impressionismus hin zu einem ganz eigenen kompositorischen Stil bereits zurückgelegt hatte.

    Frederic Mompou
    7me Prélude (Palmier d’étoiles)


    Neben den Klavierwerken, die den Hauptteil seines kompositorischen Schaffens ausmachen, beschäftigte sich Frederic Mompou intensiv mit der Gattung Lied. Dieser musikalischen Facette trägt Arcadi Volodos auf seiner neuen CD ebenfalls Rechnung. Und zwar in der Tradition eines Franz Liszt, der einst etliche Lieder zum Beispiel von Franz Schubert für Klavier solo transkribiert hat. Volodos entscheidet sich für ein Werk aus dem Jahr 1970. Damals vertonte Mompou ein Gedicht von Gustavo Adolfo Béquer, einem der wichtigsten Autoren der spanischen Romantik:

    Heute lächeln Himmel und Erde für mich
    Heute gelangt die Sonne auf den tiefsten Grund meiner Seele
    Heute habe ich sie gesehen... ich habe sie gesehen, und sie hat mich angeschaut
    Heute glaube ich an Gott.


    Frederic Mompou
    Hoy la tierra y los cielos me sonrien


    Arcadi Volodos beschließt seine CD mit ausgewählten Sätzen aus Frederic Mompous visionärstem und gleichzeitig intimstem Klavierzyklus "Musica callada", zu deutsch "schweigende" oder "schweigsame Musik". Insgesamt 28 Stücke, die zwischen 1951 und 67 entstanden und über die Mompou einmal sagte:

    "Diese Musik hat weder Luft noch Licht. Sie ist ein schwaches Pochen des Herzens. Man bittet sie nicht, sich weiter als einige Millimeter im Raum auszubreiten, denn ihre Aufgabe ist es, in die tiefsten Tiefen unserer Seele und in die geheimsten Regionen unseres Geistes vorzudringen."

    Frederic Mompou
    Musica callada - Angelico


    Selten steckte so viel Musik in so wenigen Noten wie in Frederic Mompous Musica callada. Und möglicherweise machen genau deswegen viele Pianisten einen so großen Bogen darum. Denn Mompou verweigert potentiellen Zirkusartisten am Klavier schlicht den Zutritt zur Manege.

    Da trifft es sich gut, dass Arcadi Volodos längst niemandem mehr beweisen muss, dass er flinke Finger hat. Auf den internationalen Konzertbühnen hat sich der inzwischen 41-jährige Russe in jüngster Vergangenheit deutlich rarer gemacht und obwohl er bei einem Major-Label unter Vertrag ist, gehen zwischen seinen CD-Veröffentlichungen oft mehrere Jahre ins Land.

    Volodos lässt sich Zeit und das sind beste Voraussetzungen, um die aus der Zeit gefallene Musik von Frederic Mompou grandios zu interpretieren. Mit unglaublichen dynamischen Kontrasten und einer beispielhaft differenzierten Anschlagskultur bringt er die "schweigsame Musik" Mompous zum Sprechen. Eine Musik, die durch ihre Schlichtheit überwältigt und zeigt wie unbeirrbar Mompou in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts seinen künstlerischen Weg verfolgte, während die komponierenden Zeitgenossen jede Menge hochkomplexe intellektuelle Klimmzüge vollführten.

    Frederic Mompou
    Musica callada XXIV Moderato


    Musica callada – Frederic Mompous schweigsame Musik, die es unbedingt zu entdecken lohnt. Der russische Pianist Arcadi Volodos liefert mit seiner neuen CD ein eindrucksvolles Plädoyer dafür. "Volodos plays Mompou", so der Titel der Aufnahme, die am 17. Mai beim Label Sony Classical erscheint.


    Musik:
    Volodos plays Mompou
    Arcadi Volodos, Klavier

    Label: Sony Classical (LC 06868)
    Bestell-Nr.: 887665433262