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Die Sehnsucht der Nazis nach "tollen Ahnen"

Die Ausstellung "Graben für Germanien" im Focke-Museum in Bremen zeigt die Suche der Nationalsozialisten nach Beweisen, dass die Germanen auch eine Hochkultur waren wie die Römer und die Griechen. Archäologische Funde wurden von den Archäologen der Nazizeit ideologisch interpretiert, erklärt Kuratorin Karin Walter.

Karin Walter im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 09.03.2013
    Burkhard Müller-Ullrich: Das Focke-Museum in Bremen alias Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte zeigt jetzt eine Ausstellung mit dem Titel "Graben für Germanien". Der Clou und die These dieser Ausstellung ist, dass es Germanien als solches gar nicht gab. Ich sprach vor der Ausstellung mit der Kuratorin, Karin Walter, und habe sie zunächst gefragt, ob darin nicht eine besondere museumsdidaktische Schwierigkeit steckt, nämlich zu zeigen, dass es etwas nicht gibt.

    Karin Walter: Indem wir zeigen, wie überhaupt diese Vorstellung von Germanien entstanden ist. Man wird konfrontiert mit Zitaten aus der Germania von Tacitus und man lernt dabei, mit welcher Intention Tacitus damals das Ganze geschrieben hat. Für ihn war das ja nicht so, dass er dort hingereist ist und eine Länderbeschreibung gemacht hat, sondern das ist so eine Art Sittenspiegel, den er den Römern vor die Augen gehalten hat, um denen zu sagen: Dort gibt es ein Volk, die sind zwar den meisten Tag nackt und nur wenn sie rausgehen tragen sie einen Mantel, aber die sind sehr sittenstreng und da gibt es keine pornographischen Darbietungen etc. So fängt das an und dann zeigen wir, wie sich diese Idee von Germanien dann weiterentwickelt hat im 15. Jahrhundert und wie das dann in der Zeit des Nationalsozialismus wirklich eine Blüte erlebt hat. Wir zeigen, wie die Germanen im Alltag präsent waren, in Ausstellungen, in der Bildungsarbeit, und wie die Archäologen da aktiv dran gearbeitet haben, dieses Bild der Germanen und die Überlegenheit der Germanen über die Römer und Griechen zu festigen.

    Müller-Ullrich: Genau, und darum geht es ja eigentlich: um die Zeit des Nationalsozialismus. Da galten die Germanen als besonders harte Kerle, also keine Warmduscher oder Warmbader, und gestützt wurde das Ganze auf doch archäologische Funde, die es gab. Wurden die missinterpretiert oder wurden die gefälscht?

    Walter: Die wurden einfach ideologisch interpretiert. Ein sehr schönes Beispiel ist dafür der Goldschatz von Eberswalde. Man muss sich vorstellen: Als man den gefunden hat, zu dem Zeitpunkt hat man ja immer so einen kleinen Minderwertigkeitskomplex gehabt, wenn man gesehen hat, was für tolle Dinge es bei den Römern gab, was es bei den Griechen gab. Und dann hatte man so vermeintlich endlich einen Beweis, dass Menschen, die in dem Gebiet vom Deutschen Reich gelebt haben, auch eine Hochkultur hatten, nämlich dieser Goldschatz: das sind fast drei Kilo reines Gold, verschiedene Gefäße. Aber man war dann sehr großzügig. Das, was ich gerade gesagt hatte mit der Tacitus-Germania, die ist 98 nach Christi geschrieben, und man hat das sehr richtig gedeutet, dass dieser Goldschatz von Eberswalde 1000 vor Christi entstanden ist, und man hat das einfach alles zusammengeschmissen über die Zeiten. Dass da 1000 Jahre dazwischen lagen und dass da vielleicht inzwischen ganz andere Völker in dieser Richtung gelebt haben, da hat man großzügig hinweg gesehen. Und genauso war es ja auch mit der Tatsache: Diese Vorstellung, dass es ein einheitliches Volk in diesem ganzen Gebiet gab, dafür gibt es einfach keine Belege.

    Müller-Ullrich: Und es gab eine Menge Geld für diese Forschungen, nicht zu vergessen. Das heißt, die Germanenforschung der Nazis war ja politisch erwünscht, wurde politisch unterstützt, wurde finanziell unterstützt, auch in Ihrem eigenen Haus, im Focke-Museum.

    Walter: Auch in unserem Haus. Natürlich: Es gab richtig ein Aufblühen. Es gab ein Aufblühen an den Universitäten, dass dieses Fach plötzlich populär wurde, dass viele neue Lehrstühle eingerichtet worden sind, dass an verschiedenen Orten die Bodendenkmalpflege eingerichtet worden ist. Das war auch der Fall in Bremen, dass der Museumsleiter des Focke-Museums gleichzeitig zum Landesarchäologen, zum Bodendenkmalpfleger wurde und dass Geld da war, um entsprechende Grabungen zu machen. Also man hat wirklich "Graben für Germanien", also die Suche nach Beweisen, dass die Germanen auch eine Hochkultur waren, dass die Deutschen praktisch auch tolle Ahnen hatten, das war der Wunsch der Nationalsozialisten.

    Müller-Ullrich: Vieles davon mutet uns ja heute fast ein bisschen lächerlich an. Man schmunzelt darüber. Es hat aber auch Wirkungen bis in die Gegenwart. Ich meine nicht nur die Neonazis, die sich natürlich auch noch auf manches gerne berufen würden, sondern es sind auch Forschungsfelder beackert worden, von denen man heute noch profitiert, oder?

    Walter: Für mich persönlich war es eigentlich eher überraschend, wie viel in der Werbung doch noch mit dem Germanenbild gearbeitet wird. Das sind so Dinge, wo ich hoffe auch, dass Leute, die bei uns in der Ausstellung waren, das dann nachher vielleicht reflektierter sehen, dass es nicht nur lustig ist, so einen trinkfesten Germanen zu sehen, sondern dass man sich klar wird, woher kommt dieses Bild, wann wurde dies geprägt.
    Und das andere ist natürlich das, dass man auch innerhalb der Archäologie doch auch mal kritisch umgehen muss mit den Professoren, die in der Nachkriegszeit dann an der Uni waren. Wenn man dann mal sieht, welche Rolle die in der Zeit des Nationalsozialismus hatten. Zum Teil haben sie ihre gleichen Ausgrabungsergebnisse einfach ein bisschen anders interpretiert, haben so ein paar Begriffe weggelassen, und das ist ja eigentlich auch das Erstaunliche: Die Art der Wissenschaft, wie geforscht worden ist, die war doch relativ modern schon im Nationalsozialismus. Das Entscheidende war nur diese ideologische Interpretation des Ganzen.

    Müller-Ullrich: Sagt Karin Walter, Kuratorin der Ausstellung "Graben für Germanien" im Bremer Focke-Museum.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.