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Die Selbstverbrennung von Pfarrer Oskar Brüsewitz
Allein gegen die DDR

Vor rund 40 Jahren in Zeitz: Ein evangelischer Pfarrer übergießt sich auf dem Marktplatz mit Benzin und verbrennt sich. Das DDR-Regime verunglimpft ihn als Psychopathen. Bis heute ist die Erinnerung an Oskar Brüsewitz ein heißes Eisen. War er verrückt? Oder ein christlicher Widerstandskämpfer?

Von Carsten Dippel |
    An die öffentliche Selbstverbrennung des Pfarrers Oskar Brüsewitz vor 30 Jahren haben rund 400 Menschen am 18.08.06 in Zeitz (Sachsen-Anhalt) mit einem Gottesdienst erinnert. Nach dem Gottesdienst legten Vertreter der Kirchenleitung sowie Verwandte, Freunde und Weggefährten Kränze an der Brüsewitz-Gedenksäule vor der Kirche nieder.
    Erinnerung an die öffentliche Selbstverbrennung des Pfarrers Oskar Brüsewitz (imago stock&people)
    Es ist ein sommerlich frischer Tag: dieser 18. August 1976. Die Hausfassaden in Zeitz sind grau wie überall in der DDR. Die Stadt liegt ruhig da, die Kinder sind in den Ferien. Auf dem kleinen Platz vor der Michaeliskirche steigt ein Mann im Talar aus seinem Wartburg. Er stellt Schilder auf sein Autodach. Mit einer markigen Botschaft:
    "Funkspruch an alle, Funkspruch an alle! – Die Kirche in der DDR klagt den Kommunismus an! Wegen Unterdrückung der Kirchen in Schulen an Kindern und Jugendlichen."
    Dann läuten die Glocken und plötzlich geht alles ganz schnell. Der Mann übergießt sich mit Benzin. Er entzündet ein Streichholz und geht in Flammen auf, lichterloh. Der Mann heißt Oskar Brüsewitz. Er ist Pfarrer der Evangelischen Kirche.
    "Das ist eben nicht nur eine politische Demonstrativtat", so der Historiker Karsten Krampitz, "das war ja zum ersten Mal in der DDR-Geschichte. Erstmals hatte sich ja ein Mensch offenbar wegen der SED-Politik öffentlich das Leben genommen. Und das hat die getroffen. Wenn das rauskommt. Davor hatten die Angst."
    Geistesgegenwärtig wirft sich ein Busfahrer mit einer Decke auf den brennenden Mann. Noch bevor ein Krankenwagen eintrifft, eilen Vopos und der CDU-Kreisvorsitzende herbei. Sie reißen die Plakate vom Autodach. Brüsewitz taumelt. Schließlich wird er ins Krankenhaus gebracht. Streng bewacht von der Stasi.
    "Aber es war eben auch ein Suizid"
    Wenige Tage später, am 22. August 1976, erliegt er seinen schweren Verbrennungen. Seine Familie darf sich nicht mehr von ihm verabschieden.
    Vor 25 Jahren, am 18. August 1976, übergoss sich der evangelische Pfarrer Oskar Brüsewitz (Foto vom 28.2.1976) vor der Michaeliskirche in Zeitz mit Benzin und zündete sich an. 
    Der evangelische Pfarrer Oskar Brüsewitz im Februar 1976, ein halbes Jahr vor seiner Selbstverbrennung (dpa/ picture alliance)
    "Aber es war eben auch ein Suizid. Das wird immer weggelassen in der Erzählung. Also Brüsewitz selber hat auch diese Deutung gehabt, indem er in der Selbstmörderecke sich das Grab ausgehoben hat."
    Die SED, sagt der Historiker Karsten Krampitz, ist alarmiert. Eine öffentliche Selbstverbrennung, noch dazu aus politischen Motiven, das ist für das Regime das schlimmste anzunehmende Unglück.
    Für die evangelische Kirche ist es ein Schock. Rainer Eppelmann, Verteidigungsminister der ersten frei gewählten Volkskammer, erinnert sich:
    "Der Name Oskar Brüsewitz hatte mir vorher überhaupt nichts gesagt. Und dann haben wir mit Erschrecken gehört, dass sich ein Pfarrer übergossen hat vor der Kirche in Zeitz und protestieren wollte damit offensichtlich gegen die Bildungspolitik in der DDR."
    Eppelmann war damals Pfarrer in Berlin:
    "Aber was das für ein Mensch war, was er gemacht hat, all das war mir unbekannt. Sein Selbstmord war ein Fanal, deswegen hat er es vielleicht auch gemacht. Das andere hat ihn ja nicht DDR-weit bekannt gemacht. Das erste, was ich mitbekommen habe: Ein Pfarrer hat sich öffentlich verbrannt und angesteckt. Und nicht aus Liebeskummer."
    Elke Heinemann lebt seit über 50 Jahren in Zeitz, jener heute gut 30.000 Einwohner zählenden Stadt zwischen Leipzig und Gera. Elke Heinemann heißt anders, möchte ihren Namen aber nicht im Radio hören. Sie erinnert sich an das aufwühlende Ereignis:
    "Es war sehr heftig, also die Leute waren entsetzt, dass sowas überhaupt passiert. Das war Protest, in der DDR traute doch niemand laut zu protestieren."
    War die Selbstverbrennung ein politisches Zeichen? Oder die Tat eines Wahnsinnigen, etwas, das nicht ins Bild passte?
    "Er hat es seiner Kirche nicht leicht gemacht"
    Wie schwer sich die Kirche damals damit tat, erlebte auch Rainer Eppelmann:
    "Er hat es seiner Kirche damit nicht leicht gemacht. Es hat natürlich Verurteilung gegeben, die eben gesagt haben, man bringt sich nicht selber um, egal aus welchem Grund, man bringt sich nicht selber um. Ich empfand das als verständlich, aber unsensibel."
    Von der Selbstverbrennung hat Eppelmann auf innerkirchlichem Wege erfahren.
    "Und ich habe dann in den nächsten Stunden unterschiedliche Reaktionen gehört. Vorsichtige Worte der Kirche, ein aufgeregter Manfred Stolpe, der Sorge hatte, dass das jetzt alles zum Schaden der Regierenden passieren könnte. Ich kann mich noch an die Formulierung von ihm erinnern, jetzt sind wir gefordert, mit dafür Sorge zu tragen, dass die DDR und damit meinte er die Regierung, dass die nicht allein da steht."
    Noch am Abend findet eine Krisensitzung im Magdeburger Konsistorium statt. Auch der Staatssekretär für Kirchenfragen, Hans Seigewasser, ist anwesend. An die Familie denkt in diesen aufgeregten Stunden niemand. Brüsewitz' Frau Christa und ihre Tochter Esther werden derweil von der Stasi stundenlang verhört.
    Brüsewitz Tat schlägt eine tiefe Wunde – auch in seiner Kirche. Rainer Eppelmann:
    "Das hat viele nachdenklich gemacht. Hat natürlich, ich vermute mal, keinen Pfarrkonvent gegeben, keinen Gemeindekirchenrat gegeben, keine Sitzung von Synode oder Kirchenleitung, die darüber nicht geredet haben. Und denn eben nicht nur theologisch, was man nach eigenen theologischen Erkenntnissen darf und was man nicht darf, sondern auch: Hat er Recht? Nicht, dass er sich umgebracht hat, aber mit seinem Protest – hat er Recht?"
    Unkonventionell, volksnah, eine ziemlich gute Show
    "Er saß beim Kaffeetrinken. Es war wunderschönes Wetter. Und da habe ich den Oskar Brüsewitz als Bild im Gedächtnis und zwar in Gummistiefel mit Schlips und Kragen. Ich denke aber, das spricht für ihn. Ein großer Denker mit vielen Dingen im Kopf, gleichzeitig. Und trotzdem Bauer in Rippicha, der sein Feld bestellt hat."
    Erinnert sich Susanne Salzmann. Sie war noch ein Kind, als sie Oskar Brüsewitz einmal erlebte - bei der Gemeindeschwester.
    "Er war sehr eckig. Ich habe mich also eher vor ihm gefürchtet."
    Vor seiner aufsehenerregenden Tat war Brüsewitz bekannt für ungewöhnliche Aktionen. Einmal formte er Leuchtstoffröhren zu einem Kreuz und stellte sie auf seinen Kirchturm. Er ließ während einer Predigt eine Taube aufsteigen, schlug bei einer Beerdigung mit Eisenketten.
    Zeitz liegt im Burgenlandkreis im Süden von Sachsen-Anhalt. Die Stadt an der Weißen Elster hat eine lebhafte Geschichte. 
    Zeitz liegt im Burgenlandkreis im Süden von Sachsen-Anhalt. Die Stadt an der Weißen Elster hat eine lebhafte Geschichte.  (imago stock&people)
    Brüsewitz engagierte sich aber auch in der Jugendarbeit, errichtete im Dorf einen Kinderspielplatz. Mit seiner unkonventionellen Art fand er bei seiner Gemeinde in Rippicha zunächst viel Zuspruch. Ein Pfarrer, der volksnah spricht, der nebenher noch eine kleine Landwirtschaft betreibt, das kannten sie so noch nicht.
    "Am Anfang muss der eine ziemlich gute Show da geliefert haben", sagt Karsten Krampitz. "Einmal hielt Brüsewitz eine Grabpredigt. In der ausgehobenen Grube lag noch ein Knochen. Und dann hebt Brüsewitz diesen Knochen hoch und redet über die Auferstehung von den Toten. Das musste mal bringen als Pfarrer! Die Leute waren entsetzt."
    Viele Gemeindemitglieder habe Brüsewitz vor den Kopf gestoßen, sagt Krampitz. Das sei auch eine Reaktion auf Kränkungen gewesen. Brüsewitz war nicht der theologisch versierte Intellektuelle – und das hätte ihn manch ein Amtskollege spüren lassen.
    "Doch, also der Brüsewitz hat schon einiges bewegt", sagt Werner Köppen. Er ist heute Pfarrer in Zeitz. Er betreut gut 20 Gemeinden in und um Zeitz, auch das Dorf Rippicha, in dem Brüsewitz einst tätig war.
    "Da hat sich so bei mir der Eindruck verstärkt, dass eben Herr Brüsewitz das gemacht hat, was er für richtig hielt und praktisch damit auch alle anderen Leute brüskiert hat."
    Schwindender Rückhalt
    In seiner Gemeinde schwindet der Rückhalt für Brüsewitz. Ein Entfremdungsprozess setzt ein.
    "Die waren da überfordert. Wir finden das heute schräg, so diese Zeichenhandlung. Ich gehe davon aus, dass da eine dissoziale Persönlichkeitsstörung vorgelegen hat. Also er macht ganz viel Unsinn. Aber ich sage nicht, dass er irre war, ich sage nicht, dass er ein Psychopath war. Er war anders programmiert", meint Karsten Krampitz.
    Drei Wochen vor seiner Selbstverbrennung ist der Stellvertreter des Bischofs bei Oskar Brüsewitz. Ob nicht angesichts der angespannten Situation in der Gemeinde ein Pfarrstellenwechsel das Beste sei?
    "Das hat er dann irgendwann so empfunden als Aufkündigung der Solidarität, dass er dann zu dieser Handlung kam."
    Er kam aus dem Westen in die DDR
    Brüsewitz kam 1954 aus dem Westen in die DDR, er hatte dort Frau und Kind verlassen, floh wohl auch wegen ungeklärter Schulden. Intern wurde er schon früh als ungeeignet für's Pfarramt betrachtet.
    "Brüsewitz ist fordernd, nach wie vor. Und das kann kein normaler Zeitzer leiden", so Eberhard Wirth, der ehemalige Denkmalpfleger der Stadt Zeitz. Er wohnt im Schatten der Michaeliskirche. "Er hatte zwar seine Gemeinde, die ihm auch zuhörte. Aber, wenn es drauf ankam, die haben nicht irgendwie eingegriffen, wenn er mit Pferd und Wagen durch Zeitz gefahren ist oder so."
    Einen kritischen Blick auf die Haltung seiner Kirche hat auch Elke Heinemann:
    "Ich muss aber auch sagen, die Kirche hat sich da ein bisschen abseits gehalten und hat sich sehr bedeckt gehalten über das ganze Geschehen."
    Auch Susanne Salzmann, die Brüsewitz als Kind erlebte, hat der umtriebige Pfarrer immer wieder beschäftigt:
    "Also ich glaube schon, dass er ein Mensch war, der etwas in Gang setzt und wahrscheinlich nicht bemerkt hat, dass das ein oder andere daneben hinten runterfiel. Und das finde ich schade."
    SED Propaganda wird zum Eigentor
    Noch am Tag der Selbstverbrennung beginnen die Meinungsmacher der Partei damit, alle Register zu ziehen, um Brüsewitz’ Tat eine Wendung in ihrem Sinne zu geben. Zunächst versuchen sie, die Selbstverbrennung zu vertuschen. Doch das Westfernsehen berichtet schon zwei Tage später, der Fall kann nicht unter den Teppich gekehrt werden.
    Zur Beerdigung am 26. August kommen 400 Menschen - trotz eines immensen Aufgebots an Polizei und Staatssicherheit. Es kommen auch 71 Pfarrkollegen im Talar. Eine beeindruckende Solidaritätsbekundung.
    Im Neuen Deutschland wird Brüsewitz als Psychopath dargestellt, als sexuell pervers, als BND-Agent. Daraufhin hagelt es wütende Leserbriefe. Aus der ganzen DDR gehen Protestschreiben ein, auch an die Kirchenleitung. Allerdings keine aus dem Pfarrsprengel von Oskar Brüsewitz. Künstler und Intellektuelle melden sich zu Wort. Honecker erreicht ein Protestbrief von 24 Sozialisten, der für einige im Gefängnis endet. Die Stasi fährt scharfe Geschütze auf und will die Proteste im Keim ersticken.
    Es ist genau diese harsche Reaktion, die die Selbstverbrennung des Pfarrers zum "Fanal von Zeitz" macht, sagt Historiker Krampitz: "Erst dieser Hetzartikel hat die sich damals so langsam formierende Zivilgesellschaft mobilisiert. Erst danach kommen die ganzen Protestbriefe. So ein Eigentor, das ist so dumm gewesen."
    Er widerspricht der häufig anzutreffenden Sicht, die Kirche habe sich nicht ausreichend hinter Brüsewitz gestellt: "Die haben ihn da verteidigt."
    Am 11. September wird eine Kanzelabkündigung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen zum Fall Brüsewitz verlesen. Erich Honecker bezeichnet dies als einen der konterrevolutionärsten Akte der DDR-Geschichte.
    Autonomie und gewisse Spielräume für die Kirche
    Seit der neuen Verfassung von 1968 gab es viele Fragezeichen, was das Verhältnis von evangelischer Kirche und DDR-Staat betraf. Zwar war die harte Verfolgung der 1950er-Jahre vorbei. Doch es gab kein kodifiziertes Staatskirchenrecht. Welche Rolle konnte und durfte die evangelische Kirche in der DDR spielen? In dieses Ringen um das Verhältnis zwischen Staat und Kirche platzt der Suizid von Brüsewitz.
    "Da haben die so einen Schrecken gekriegt und dann war erst mal Eiszeit, da war erst mal Ruhe. Also das war eine Urangst von der SED, dass sie es mit so einer Untergrundkirche zu tun bekommen", sagt Karsten Krampitz.
    So gibt letztlich die Selbstverbrennung von Oskar Brüsewitz den entscheidenden Anstoß zum Staat-Kirche-Gespräch am 6. März 1978.
    Die SED war einem Gespräch mit der Kirche lange ausgewichen. Nun war aber auch ihr klar, dass sie mit der Kirche zu einer Vereinbarung kommen muss. Das Spitzengespräch zwischen Honecker und Kirchenleitung bringt der Kirche schließlich einige Erfolge. Vor allem ermöglicht es eine gewisse Autonomie und Spielräume, wo unter dem Dach der Kirche oppositionelle Gruppen entstehen können.
    Gedenksäule für Pfarrer Oskar Brüsewitz vor der Michaeliskirche in Zeitz
    Gedenksäule für Pfarrer Oskar Brüsewitz vor der Michaeliskirche in Zeitz (dpa / picture alliance / Hendrik Schmidt)
    An Oskar Brüsewitz erinnert heute eine Sandsteinsäule auf dem Platz vor der Michaeliskirche, an dem sich der Pfarrer 1976 angezündet hat. Um die Erinnerung wird bis heute gestritten. Vor einigen Jahren wurde eine erklärende Tafel an der Gedenksäule angebracht. Auf der steht, Brüsewitz habe sich das Leben aus Protest gegen Bevormundung genommen. Für Oskar Schmidt ist das ein Unding:
    "Bevormundung ist was Harmloses. Und das, was die Stasi mit Brüsewitz und mit anderen Opfern damals getan hat, ist keine Bevormundung, sondern das ist Unterdrückung, Zersetzung, Diskriminierung. Und wenn jetzt an der Tafel nur der eine Satz dransteht, dann ist das eine Verfälschung der Geschichte und das ist eine Verharmlosung der Stasi-Methoden."
    Widerstandskämpfer? Opfer der DDR Diktatur?
    Oskar Schmidt ist nach Zeitz zurückgekehrt, in die Stadt, in der er aufgewachsen ist. Auch er hatte seinen Protest gegen die DDR bekundet - allerdings in Form eines Ausreiseantrages. 1984 ging er in den Westen. Das Gedenken an Brüsewitz und die Opfer der SED-Diktatur beschäftigt ihn:
    "Und wenn Sie die SED- und Stasi-Leute fragen, die jubeln über diese Formulierung. Nur die Opfer, denen tut das weh, dass hier so eine Beschönigung dessen stattfindet, was mit Familie Brüsewitz und mit Oskar Brüsewitz im speziellen passiert ist."
    Beschönigung durch die Stadt? Christian Thieme ist Oberbürgermeister von Zeitz, ein CDU-Mann. Er selbst ist vor wenigen Jahren aus Hamburg zugezogen. Aber auch seine Familie stammt ursprünglich aus Zeitz. Er begegnet der Aufregung, dem Streit um Tafelinschriften und das richtige Gedenken, gelassen:
    "Ich glaube, dass die Diskussionen abgenommen haben. Man trifft aber immer noch Zeitzeugen und man trifft viele Leute, die dazu höchst unterschiedliche Meinungen haben. Ich glaube, dass es sozusagen die Gruppe gibt, die von außen etwas in dieses Ereignis hineininterpretiert, was möglicherweise mehr ist, als das, was die Leute hier darüber denken. Nämlich einen, ja, geradezu Widerstandskampf gegen das DDR-Regime."
    Dem widerspricht Oskar Schmidt. Er reiht Brüsewitz genau dort ein – in die Reihe der Widerstandskämpfer:
    "Oskar Brüsewitz hat christlichen Widerstand gegen die Diktatur geleistet. Er ist ein mutiger Pfarrer gewesen, er hat etwas aufgebaut, eine erfolgreiche Gemeindearbeit. Und das ist durch Stasi-Zersetzungsmethoden kaputt gemacht worden. Er selber und seine Familie ist unterdrückt worden, und in die Verzweiflung getrieben worden. Er ist deshalb ein Opfer der DDR-Diktatur. Und für die katholische Kirche und für Teile der Evangelischen Kirche ist er Märtyrer."
    Apokalyptisches Weltbild? Depression? Antikommunismus?
    Dass Oskar Brüsewitz Opfer einer Stasi-Zersetzung geworden sei, hält der Historiker Karsten Krampitz hingegen für eine Legende. Zumindest fänden sich dafür in den Akten keine Belege. Was ihn zu dieser Tat getrieben habe, sei ein tragisches Zusammenspiel mehrerer Faktoren:
    "Das war sein apokalyptisches Weltbild, eine ordentliche Depression und natürlich auch sein Antikommunismus."
    Leerstand in der Zeitzer Innenstadt
    Leerstand in der Zeitzer Innenstadt (imago stock&people)
    Wer heute durch das beschauliche Zeitz läuft, kommt an vielen sanierten, aber auch an vielen leerstehenden Häusern vorbei. Industrie ist weggebrochen, die Arbeitslosigkeit hoch. Der ehemalige Wahlkreis von Stasi-Chef Mielke hat mit den typischen Problemen einer ostdeutschen Kleinstadt zu kämpfen.
    Zu Oskar Brüsewitz gibt es an den Jahrestagen im August größere Gedenkveranstaltungen. Sogar eine Pilgerwanderung wurde schon organisiert. Doch nicht wenige Zeitzer zucken beim Namen Brüsewitz mit den Schultern.
    Eine Straßencafé in der Abendsonne. Die 17jährige Emilia sitzt mit Freundinnen zusammen:
    "Ich habe den Namen noch nie gehört. Ich habe halt kein Religion. Ich habe Ethik. Wir haben davon nichts behandelt."
    Rainer Eppelmann ist etwa 60 Jahre älter. Bei aller Unkenntnis heute – für ihn ist Brüsewitz ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur friedlichen Revolution 1989/90:
    "Heute bin ich froh darüber, dass man immer noch an ihn erinnert, weil ich den Eindruck habe, er ist es wert, dass man ihn erinnert. Weil er irgendwie erkannt hat, man muss über Dinge reden, man muss sie benennen, um sich dann auch dagegen wehren zu können. Er versuchte, sich dagegen zu wehren und hat an der Stelle ein Stück Widerstandswillen und Nachdenklichkeit, nicht nur bei einzelnen Pfarrern, sondern auch in unseren Kirchenleitungen hervorgerufen."