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"Die Serben müssen sich aus dem Kosovo zurückziehen"

Die serbische Regierung und ihre Handlanger müssen sich aus dem souveränen Staat Kosovo zurückziehen, fordert die Europaabgeordnete und Balkan-Expertin Doris Pack (CDU). Der Rückzug sollte eine der Bedingungen für mögliche EU-Beitrittsverhandlungen Serbiens sein, so Pack.

Doris Pack im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Es ist noch gar nicht lange her, da herrschten blutige Bürgerkriege auf dem Balkan. Auch vor grausamsten Menschenrechtsverletzungen machten die Kriegsparteien nicht Halt, und das mitten in Europa. Dass die Gefahr durchaus nicht gebannt ist, das zeigen die immer wieder aufflammenden Konflikte im Norden des Kosovo. Hier kommt es immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Serben und Kosovaren. Seit gestern sitzen auf Einladung der Europäischen Union die Regierungschefs beider Seiten in Brüssel zusammen, um endlich einen Durchbruch in dem Dauerstreit zu finden. Gleichzeitig wird in Berlin Serbiens Vizepremier Aleksandar Vucic erwartet.
    Über das Thema wollen wir sprechen mit Doris Pack (CDU), Europaabgeordnete und Balkan-Expertin. Guten Morgen, Frau Pack.

    Doris Pack: Guten Morgen!

    Heckmann: Frau Pack, Serbien hat sich ja zuletzt bei der Auslieferung von mutmaßlichen Kriegsverbrechern kooperativ gezeigt. Muss die EU jetzt nicht ihre Zusage einhalten und Beitrittsgespräche mit Serbien aufnehmen, oder zumindest einen Termin dafür nennen?

    Pack: Ich denke, dass Serbien kooperativ war, ist etwas fragwürdig. Es hat sehr lange gebraucht, bis es die beiden Herrschaften ausgeliefert hat. Ich denke, jeder wusste, wo sie waren, nur ausgeliefert wurden sie erst, als der Druck größer wurde und man sich erhoffte, man bekommt durch die Auslieferung dann auch den Status des Kandidaten, was ja auch dann geschehen ist. Jetzt erhofft man sich durch die Verhandlungen oder die Dialoge, die in Brüssel geführt werden zwischen den Ministerpräsidenten beider Länder und Catherine Ashton, einen weiteren Fortschritt. Das heißt also, man beginnt, zu reden miteinander, und das müsste ja dann wohl reichen, so heißt es überall, dass jetzt endlich auch die Verhandlungen beginnen können. Also ich bin mir nicht ganz sicher, dass das wirklich schon so weit ist. Die Verhandlungen zwischen den beiden oder die Gespräche zwischen den beiden Regierungschefs sind noch nicht sehr von Ergebnissen gezeitigt. Ich hoffe also, dass da mehr bei rauskommt, und das werden wir vielleicht am Ende dieses Tages sehen.

    Heckmann: Wir werden sehen, was dabei herauskommt. Die Kernfrage aber ist jetzt schon klar: Wie geht es weiter mit dem Kosovo. Ist es weiterhin ein souveräner Staat, oder partiell immer noch ein Teil Serbiens?

    Pack: Nein! Es ist ein souveräner Staat und es ist ja auch von hundert Staaten anerkannt.

    Heckmann: Aber Belgrad sieht das ein bisschen anders?

    Pack: Ja, das kann ich mir vorstellen. Das ist klar, das steht ja auch in seiner Verfassung. Sie haben ja nach der Unabhängigkeit noch einmal ihre Verfassung geändert und das bekräftigt, dass Kosovo ein Teil ihres Landes ist. Es ist aber ein Staat, der anerkannt ist von sehr vielen Staaten in der Welt, und das kommt ja nicht von Ungefähr. Der Staat hat sich ja nicht gebildet aus Jux und Dollerei, wie wir sagen, sondern er hat sich gebildet nach einem von Milosevic, dem serbischen Regierungschef damals, eingerichteten Apartheid-Regime in diesem Lande und nach einer ganz schwierigen Situation, wo Hunderttausende von Albanern vertrieben wurden. Die NATO ist ja nicht dem Kosovo zur Hilfe gekommen, weil da nichts passiert ist. Das heißt, die Ausgangssituation im Kosovo war die, dass es diesen Schritt geben musste, weil es unter serbischer Herrschaft nicht mehr leben konnte.

    Jetzt sind in Serbien natürlich auch Menschen an der Regierung, auch schon die ganze Zeit, die auch mit Milosevic zusammengearbeitet haben. Der jetzige Regierungschef – den habe ich selber noch gesehen, als er im Vorzimmer von Herrn Milosevic gearbeitet hat. Das heißt, die gehören alle noch zu dieser Generation, die im Grunde genommen nie zugegeben haben, was für ein Unrecht sie angerichtet haben in dem Nachbarland.

    Heckmann: Sie haben es angedeutet, Frau Pack: Im serbisch dominierten Norden des Kosovo hat die albanisch geführte Regierung in Pristina nichts zu sagen. Serbien finanziert die serbischen Parallelstrukturen dort in der Region, Polizei, Gerichte, Schulen, Verwaltung, und die arbeiten nach serbischen und nicht nach kosovarischen Gesetzen. Glauben Sie, dass Serbien jemals bereit sein wird, sich aus dem Kosovo zurückzuziehen, und sollte man das zur Bedingung machen?

    Pack: Die Serben müssen sich aus dem Kosovo zurückziehen. Die serbische Regierung in Belgrad, die muss sich zurückziehen, und ihre Handlanger. Die Serben, die im Kosovo ihre Heimat haben, die leben im Kosovo, die sollen da bleiben, und wir haben einen Plan, der es möglich gemacht hat. Der Martti-Ahtisaari-Plan des ehemaligen finnischen Präsidenten, der hat es möglich gemacht, dass südlich des Flusses Iba, also nicht in Mitrovica, sondern im Süden, alles so verläuft, wie man es sich in einem normalen Land vorstellt. Die serbisch dominierten Städte und Gemeinden sind auch von diesen regiert und sie haben in ihren Schulen zum Beispiel auch serbische Kurrikula. Also es ist alles möglich, wenn man denn will.

    Aber der Norden wird quasi als Faustpfand auch von Belgrad gehalten, und man muss auch sagen, der Norden ist ein Hotspot der Kriminalität, und deswegen, glaube ich, ist es im Interesse aller, auch Europas, dass dieser Norden zivilisiert wird und dass deswegen auch der Plan von Martti Ahtisaari in diesem Teil des Landes des Kosovo installiert wird. Das wäre im Interesse der dort lebenden Serben und wenn sie nicht länger aufgeputscht werden, dann, glaube ich, sind sie auch bereit, das anzunehmen.

    Heckmann: Und man sollte einen solchen Rückzug aus diesem Bereich des Kosovo dann wirklich auch zur Bedingung für Beitrittsgespräche mit Serbien machen?

    Pack: Ja, das muss man. Es ist ja jetzt in den Gesprächen, die heute geführt werden hier in Brüssel, schon einiges angedeutet worden, wo die Regierung in Serbien eventuell bereit wäre, da zuzustimmen. Ich glaube, Frau Merkel, die Bundeskanzlerin hat ja in Belgrad selbst gesagt, was sie erwartet: Sie erwartet einen Dialog, der am Ende dann aber auch Ergebnisse zeitigt. Und das ist bisher sehr schwierig gewesen. Wenn selbst die KFOR und die EULEX, unsere Rechtsstaatsmission, in diesem Gebiet, im Norden des Kosovo, Probleme haben, überhaupt sich zu zeigen, dann ist es irgendwie klar, dass auch der europäische Rat nicht unbedingt gleich ja sagen kann, selbst zum Beginn der Verhandlungen, die ja dann noch lange nicht zu einem Beitritt führen.

    Heckmann: Frau Pack, Serbien hat ja auf anderen Gebieten durchaus auch Erfolge vorzuweisen: bei der Korruptionsbekämpfung, bei der Reform in Justiz, Medien und bei den Menschenrechten. Wie groß ist die Gefahr, dass diese Erfolge wieder zurückgedreht werden, wenn es bei dieser Frage der Beitrittsgespräche nicht zu Fortschritten kommt?

    Pack: Ja es ist immer schrecklich, wenn ich so lese, wenn Herr Vucic jetzt sagt, jetzt haben wir aber das Recht und jetzt müssen wir aber.

    Heckmann: Das ist der Vizepräsident?

    Pack: ... der Vizepremier, der jetzt auch in Berlin heute ist. – Ich glaube, es ist ein bisschen eigenartig. Das Land muss das tun, was jeder demokratische Staat tun muss. Die Korruption in Serbien ist unendlich groß und ich bin sehr froh darüber, dass dieser stellvertretende Ministerpräsident, der Vizepremierminister, jetzt endlich in diesem Bereich Fortschritte zeitigt und dass sehr viele Taten jetzt aufgedeckt wurden und auch verfolgt wurden, und es ist ja noch einiges im Gange. Das Thema des Donau-Hafens in Belgrad ist ein ganz schwieriger Korruptionsfall gewesen. Er wird jetzt also auch zu Ergebnissen kommen.

    Ich glaube also, dass er wirklich viel in diesem Bereich tut, aber man kann nicht für alles, was man normalerweise tut, auch gleich eine Belohnung bekommen. Ich will jetzt niemandem hineinreden, aber ich glaube, wenn die Gespräche heute hier in Brüssel von einigermaßen Erfolg gekrönt sind, dann könnte auch Berlin zustimmen, dass demnächst die Verhandlungen beginnen.

    Nur noch einmal: Verhandlungen beginnen mit der Europäischen Union bedeutet ja nicht, dass morgen der Beitritt geschieht. Das geht über viele Jahre, das hat man bei Kroatien gesehen, und ich denke, da kann man eventuell, aber nur noch einmal, wenn wirklich etwas passiert in diesen Gesprächen zwischen dem Premierminister Dacic und Thaci vom Kosovo heute mit Lady Ashton, ich glaube, dann kann man auch von Berlin aus sagen, okay, wir würdigen, was getan wurde, und man wird das vielleicht dem Herrn Vucic auch sagen heute, und wir können dann vielleicht diesen kleinen Schritt, der für uns ein sehr großer ist, gehen.

    Heckmann: Der Vizepremier Serbiens, Aleksandar Vucic – Sie haben es gerade eben auch noch mal gesagt -, wird heute in Berlin erwartet. Der Ex-Nationalist gibt ja den kompromisslosen Demokraten und Europäer mittlerweile. Wie schätzen Sie eigentlich seine Glaubwürdigkeit ein? Ist das ein zuverlässiger Verhandlungspartner?

    Pack: Ich habe inzwischen den Eindruck gewonnen, dass er weiß, worum es geht, und er ist der erste, er ist wirklich der erste – und man hat ja immer geglaubt, die Vorgängerregierung, die sogenannte pro-europäische, hätte hier viel tun können, was sie nicht getan hat. Vucic, der eigentlich der größten serbischen nationalistischen Partei vorsteht, ist derjenige, der jetzt wie ein Saubermann versucht, in diesem Lande zumindest die Korruption und kriminelle Machenschaften zu ahnden. Ich war erstaunt, aber ich denke, viele sind schon vom Saulus zum Paulus geworden.

    Heckmann: Noch eine grundsätzliche Frage, Frau Pack, zur Erweiterungspolitik der Europäischen Union. Mit Zypern haben wir uns ja einen erheblichen Problemkandidaten reingeholt. Rumänien und Bulgarien, auch da gibt es jetzt erhebliche Schwierigkeiten bei der Freizügigkeit mit entsprechenden Konsequenzen dann auch für die Städte und die Kommunen. Glauben Sie nicht, dass viele Menschen in der Europäischen Union, auch in Deutschland denken, dass mit der Erweiterung jetzt endlich mal Schluss sein sollte?

    Pack: Ja so einfach kann man es sich nicht machen. Diese Länder gehören zu Europa, sie liegen mitten in der Europäischen Union. Aber es ist eine Tatsache, dass wir mit der Aufnahme Zyperns, Rumäniens und Bulgariens einen großen Fehler gemacht haben. Aber zu dem Fehler der Aufnahme Zyperns in die Europäische Union haben uns die Griechen gezwungen, die gesagt haben, wenn ihr die nicht aufnehmt, nehmen wir die anderen neuen nicht auf, dann sagen wir nein. Deswegen haben wir sie aufgenommen, ohne dass das Problem der Spaltung Zyperns gelöst gewesen wäre. Das war unser Problem.

    Heckmann: Die Fehler sind gemacht worden. Sollte man dann jetzt nicht ein Moratorium ansetzen?

    Pack: Momentan wird sowieso kein weiteres Land mehr aufgenommen werden. Wenn die Verhandlungen beginnen, wie ich vorhin gesagt habe, dann dauert das sechs bis sieben bis acht Jahre, bis diese Länder dann wirklich all das erfüllt haben, was erfüllt sein muss, und dann erst ist es möglich, dass sie aufgenommen werden. Und auch dann haben wir noch eine Zeit einer Möglichkeit, ein Monitoring, eine Beobachtung einzurichten. Ich glaube also, die Fehler, die gemacht wurden, haben uns dazu wirklich gebracht – nicht nur uns, sondern das Parlament war immer dieser Auffassung, aber leider Gottes hat der Rat es nicht gemacht -, dass wir nie mehr ein Datum geben, sondern dass wir sagen, wenn die Bedingungen erfüllt sind, dann könnt ihr kommen.

    Die Rumänen und Bulgaren hatten schon 1999 das Datum von 2007. Ja was kann man dann erwarten von Menschen, die sind wie wir alle? Dann wartet man bis zum Ende und dann hat man seine Hausaufgaben nicht gemacht. Das darf nicht mehr vorkommen und wir haben jetzt sogar aus den Verhandlungen mit Kroatien gelernt, dass wir mit dem Justizkapitel in unseren Verhandlungen anfangen müssen, weil das der schwierigste Teil ist. Das haben wir jetzt mit Montenegro, die ja die Verhandlungen begonnen haben, so gemacht und so werden wir auch weiter aus den Fehlern, die wir machen, lernen und sicherlich am Ende dann besser ausgerüstete Staaten aufnehmen können.

    Heckmann: Die CDU-Abgeordnete im Europaparlament, Doris Pack, war das hier im Deutschlandfunk. Frau Pack, danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Pack: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.