Alle Zutaten zur perfekten Fernsehshow werden aufgefahren: der Applaus-Anheizer. Die Showband. Die Sitzecke für Schmalspur-Interviews mit Gästen. Die glitzernde Glamour-Kulisse in Form eines Sterns. Die eifrig laufende Aufnahmeassistentin. Sogar an der Zuschauerpsychologin für Härtefälle wurde im Theater Dortmund nicht gespart.
"Meine Damen und Herren, sehr geehrte Zuschauer. Wetten dass...? war gestern. Jetzt kommen wir in eine andere Dimension. Hier geht es um Überleben oder nicht. Der Kandidat ist unbewaffnet, die Gegner haben die Lizenz zum Töten. Freuen Sie sich mit uns auf spektakuläre Abendunterhaltung..."
Bescheidener Normalbürger
Nahezu ununterscheidbar lässt Regisseur Kay Voges auf der Bühne die Strukturen der gängigen Fernsehformate imitieren. Mit kleinen Einspielern wird der Gejagte vorgestellt. Dem redlichen Dortmunder Bäckergesellen Bernhard Lotz, mit seiner bodenständigen Freundin Candy und den leicht besorgten Eltern vor dem Reihenhaus könnte man jederzeit abendlich im Fernseher begegnen.
Schauspieler Sebastian Kuschmann verkörpert muskelbepackt und treuherzig-bescheiden den Normalbürger, der ja nur sein eigenes Stück vom Wohlstandskuchen abhaben will. Zynisch wird das Showformat als Wahrer der sozialen Gerechtigkeit verkauft. Nur das Killer-Kommando wird ein wenig zu grotesk überzeichnet: ein bulliger Nazi mit Kopf-Tatoo, eine elegante russische Agentin mit Klischeeakzent, ein Psychopath mit wirrem Haar. Sie scheinen eher einem Computerspiel entsprungen zu sein.
Doch oft genug gerät man als Zuschauer selbst ins Schwanken, ob man sich wirklich im Theater befindet. Mit einem gewaltigen Arsenal an Filmern, Designern, Sound-Artisten und Computerspezialisten entsteht auf der Bühne ein Szenario, das wirkt wie ein Theatertrick zur erfolgreichen Zuschauerbindung: mit lokalpatriotischen Anspielungen, mit Glitter, Kitsch und Konsum wird hier eine jener Hochglanzshows zelebriert, deren Einschaltquoten jedes deutsche Stadttheater erblassen lassen. Die Fallhöhe zum Bäckergesellen, der um sein Leben rast und dabei zum Objekt der zynischen Sendung wird, erscheint da umso größer.
Anspielungen auf die Lage von Flüchtlingen
Außen, in Echtzeit auf Bildschirmen ins Theater projiziert, muss Bernhard Lotz ein Ballett-Tutu an- und seinen Personalausweis ablegen. Und während der heroisch blickende Actionheld vermeintlich live von Hunden blutig gebissen, von Feuerstäben gebraten, von Elektroschockern malträtiert wird, läuft innen die Supershow ab. Ein Großteil der dümmlich-zynischen Dialoge sind übrigens Original-Abschriften bundesdeutscher Fernsehformate. Die YouTuberin, die mit Katzenvideos Milliardenklicks auf Youtube erreicht, gibt es tatsächlich, auch wenn sie nicht genauso schrill pink gekleidet ist wie der japanische Popstar, der in "Die Show" zum Gaststar wird. Und da man sich medial fortschrittlich gibt, kommt natürlich auch die Selbstreflexion nicht zu kurz, die in Form einer Kritikerrunde dargeboten wird:
"Die künstlich geschaffene Dauerhysterisierung durch die Medien stabilisiert die Produktionsbedingungen für Gewalt, die die Medien zu kritisieren vorgeben. Da beißt sich die Medienschlange in den metaphorischen Schwanz..."
Immer stärker werden im Laufe der drei Stunden die Anspielungen auf die Lage von Flüchtlingen eingestreut, die sich vermutlich ohne Schlaf, Essen und Ausweis, wie Bernhard Lotz, genauso vogelfrei fühlen und ebenso ihr Leben aufs Spiel setzen - nur eben auf dem Mittelmeer und nicht in den Straßen von Dortmund. Das wirkt manchmal zwar etwas angestrengt pädagogisch, bekommt aber auch geradezu metaphorische Bedeutung. Denn an der lustvollen Selbstbetäubung des saturierten Europas im Angesicht der Dramen vor den Grenzen haben sicher auch die degenerierten Fernsehshows von heute ihren Anteil.
An den Notwendigkeiten der Realität vorbei
Manche von ihnen tun dies dann auch noch im Dienst der guten Sache: Eine grandiose Szene ist in der Dortmunder "Show" etwa, als eine Gastsängerin nackte, schwarze Babypuppen gegen den Hunger in Afrika verkaufen will. Besser könnte man wohl nicht ausdrücken, wie zynisch und ignorant jedes Charity-Gedöns an den Notwendigkeiten der Realität vorbei agiert.
Zum Schluss - ganz anders als im Vorbildfilm "Millionenspiel" von 1970, wo der Kandidat überlebt - muss Bernhard Lotz in Dortmund mit sich selbst noch russisches Roulette spielen, denn er hatte entgegen der Regeln eine Geisel genommen. Er verliert. Und während seine Bühnenleiche im Hintergrund diskret entsorgt wird, feiert die Spaßgesellschaft vorne ihre Toleranz, Güte und Großzügigkeit.
"Solange das Kommando unterwegs ist, braucht Dortmund keine Angst vor Flüchtlingen haben", versichert der Gewinner. Ein intelligenter und beklemmender Abend geht hier zu Ende.