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Die Sicherheit in den libanesischen Palästinensercamps

Die palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon werden als Keimzellen der Unruhe angesehen. Es sind rechtsfreie Räume, in denen theoretisch die Palästinenser die Kontrolle haben. Praktisch herrscht in den meisten Camps Anarchie. Seit den Kämpfen zwischen der libanesischen Armee und Fatah al Islam im nordlibanesischen Nahr al Bared- Camp wird im Libanon immer häufiger die Frage gestellt, ob nicht der Staat die Kontrolle übernehmen sollte.

Von Birgit Kaspar |
    Man passiert zwei Kontrollpunkte, um in das größte palästinensische Flüchtlingslager Ain al Hilweh im Südlibanon zu gelangen - erst den der libanesischen Armee, dann den der Fatah-Fraktion der PLO. Letztere kontrolliert das Camp. Die libanesischen Sicherheitskräfte haben keinen Zutritt.
    Die Hauptstraße von Ain al Hilweh ist voller riesiger Schlaglöcher, Strom- und andere Kabel hängen wie Spinnennetze zwischen den maximal zwei- bis dreistöckigen Betonhäusern. Es herrscht Versorgungsanarchie. Die 42jährige Um Mohammed, deren freundliches Gesicht von einem dunklen Kopftuch eingerahmt wird, bietet Melonen und Tomaten auf einem kleinen Holztisch feil:

    "Die Lage im Camp ist sehr schlecht. Es gibt immer wieder Schießereien und Kämpfe. Es ist nicht besser geworden."

    Schießereien zwischen unterschiedlichen Palästinenserfraktionen in diesem rund 1,5 Quadratkilometer großen Armenviertel, das gleich an die südlibanesische Stadt Sidon angrenzt, gehören zur Tagesordnung. Meist sind es Racheakte oder kleinere Machtkämpfe, für die sich kaum jemand im Libanon interessiert. Der libanesische Staat unterhält keinerlei Präsenz in den zwölf palästinensischen Lagern, in denen rund 300.000 palästinensische Flüchtlinge leben. Seit einem Abkommen von 1969 dürfen die libanesischen Sicherheitskräfte die Lager nicht betreten. Die Palästinenser selbst sind für die Kontrolle zuständig. Das hat in der Vergangenheit nicht besonders gut funktioniert, so Paul Salem von der Carnegie Stiftung für Internationalen Frieden in Beirut:

    "Viele dieser Lager sind tatsächlich unter gar keiner Kontrolle, sie sind ziemlich chaotisch."

    Seit mehr als vier Wochen kämpft die libanesische Armee nun gegen die al-Qaeda-inspirierte Islamistengruppe Fatah al Islam im nordlibanesischen Palästinenserlager Nahr al Bared. Mehr als 50 Soldaten und ungezählte Militante sowie Zivilisten sind dabei ums Leben gekommen und das Problem ist immer noch nicht gelöst. Für Premierminister Siniora ist die Sache klar: Dass sich eine so schwer bewaffnete Gruppe wie Fatah al Islam in Nahr al Bared einnisten konnte, zeigt dass das autonome Sicherheitssystem nicht funktioniert. Timor Göksel, Sicherheitsexperte und langjähriger politischer Berater der UNIFIL-Truppen im Südlibanon:

    "Kein Land kann mit einer solchen Situation leben. Es sind nicht nur die Palästinenser, auch libanesische Kriminelle verstecken sich in den Lagern und sind unantastbar."

    Auch radikale Islamisten sind auf dem Vormarsch in den Camps. So hat die Hamas unter den Palästinensern im Libanon große Sympathien. Bisher hat es glücklicherweise aber noch keine Auseinandersetzungen zwischen Hamas und Fatah hier gegeben. Beunruhigender ist allerdings, dass sich seit dem Rückzug der syrischen Truppen aus dem Libanon jüngsten Untersuchungen zufolge immer mehr al-Qaeda-nahe Grüppchen in die Camps zurückziehen, vor allem nach Ain al Hilweh. Unter ihnen Jund al Sham, übersetzt "Soldaten Groß-Syriens", die vor zwei Wochen in Kämpfe mit der libanesischen Armee verwickelt waren. Es konnte verhindert werden, dass sich der Konflikt ähnlich wie in Nahr al Bared ausweitete. Denn die großen Palästinenserfraktionen Fatah und Hamas waren sich einig, dass sie solche Gruppierungen unter Kontrolle halten wollten. Munir Maqdah, Militärkommandeur der Fatah in den libanesischen Palästinenserlagern:

    "Es gibt eine Entscheidung der Palästinenserfraktionen, dass wir kein Übergreifen der Kämpfe von Nahr al Bared auf irgendein anderes Lager zulassen werden. Wir haben Sicherheitsmaßnahmen in Ain al Hilweh getroffen. Dort wo es Probleme gab, patrouillieren jetzt gemeinsam palästinensische Sicherheitskräfte."

    Sie umfassen 40 militante Islamisten, die dafür sorgen, dass Jund al Sham keine schweren Waffen offen auf der Straße trägt. Das scheint im Augenblick zu funktionieren. Beobachter warnen aber davor, dass diese zweifelhaften islamistischen Militanten auf die Weise aufgewertet werden. Unter libanesischen Politikern wird inzwischen laut die Frage gestellt, ob der Staat nicht mehr Verantwortung in den Palästinensercamps übernehmen sollte,um diese rechtsfreien Inseln auf libanesischem Staatsgebiet zu beenden. Unklar ist allerdings, ob die libanesische Armee überhaupt willkommen in den Lagern ist. Um Mohammed, die eigentlich nur in Ruhe ihr Gemüse verkaufen möchte, wäre einverstanden:

    "Wir würden die libanesische Armee diesen Milizen vorziehen. Dies ist der Libanon, wir sind hier Gäste."

    Die Besitzerin eines kleinen Supermarktes auf der Hauptstrasse, die ihren Namen nicht nennen möchte, hält das nicht für gut.

    "Es wäre besser, wenn es eine gemeinsame palästinensisch-libanesische Initiative gebe. Ich glaube, wenn die Armee in die Lager kommt, gibt es riesen Probleme."

    Der Militärkommandeur Munir Maqdah sagt, man suche mit den Libanesen eine Kompromisslösung:

    "Wir haben eine palästinensische Brigade im Libanon vorgeschlagen, ähnlich der Badr Brigade in Jordanien. Sie würde die Sicherheit in den Camps gewährleisten, stünde aber unter der Kontrolle der libanesischen Armee."

    Gleichzeitig erwarte man aber vom libanesischen Staat, dass die sozialen und zivilen Rechte der Palästinenser im Zedernstaat verbessert würden.

    "Wir haben 70 Prozent Arbeitslosigkeit in den Lagern. Die Palästinenser haben Berufsverbote für 73 Jobs. Die Probleme müssen an der Wurzel gelöst werden, dann werden die Camps auch kein sicherer Hafen mehr für Aufrührer sein."

    Im Libanon wertet man es als gute Nachricht, dass Palästinenser und libanesische Regierung einen konstruktiven Dialog begonnen haben. Fraglich ist allerdings wie lange der palästinensische Konsens zwischen Hamas und Fatah noch halten kann angesichts der gewaltsamen Auseinandersetzungen beider Gruppen im Gazastreifen und im Westjordanland. Fraglich ist auch, ob die libanesische Regierung derzeit in der Lage ist, diese hoch komplizierte Angelegenheit anzugehen. Timor Göksel:

    "Ich glaube nicht, dass das in der gegenwärtigen Lage geht. Dazu braucht man ein einiges Land, das hinter der Regierung steht, hinter dem Staat und hinter der Armee. Denn man wird sich auch Feinde machen in der arabischen Welt. Aber im Augenblick sind wir alles andere als ein einiges Land."

    Angesichts regelmäßiger Bombenanschläge, einer gezielten Kampagne politischer Morde und einer innenpolitischen Krise zwischen der pro-westlichen Siniora-Regierung und der von Syrien und dem Iran unterstützten Opposition kann der Zedernstaat zur Zeit eigentlich nur hoffen, dass die vorhandene Instabilität nicht ins totale Chaos abdriftet.