Blaise Cendrars war zeitlebens der Antipode zum Schriftsteller als Stubenhocker. Er war, auf exemplarische Weise, der Schriftsteller als Aktionist. Keine Prügelei und kein Saufgelage, von denen er berichtet, spielt sich nur vor seinem ruhenden Auge ab, immer ist er mittendrin. Zumeist kehrt er gerade von einer Reise zurück (z.B."aus Ägypten und dem oberen Sudan") Also gehört sein Herz einer Stadt wie Marseille: die "Stadt des Ankommens", mit ihrer, wie Cendrars notiert, "wunderbaren Vitalität, ihrem Durcheinander, ihrer Ungezwungenheit",... großmäulig und sonor wie eine Mistralbö" (dessen Schutzgeist die Redegabe und die Intrige seien).
"Die Poesie ist auf der Straße. Sie geht Arm in Arm mit dem Lachen. Sie führt es zur Quelle, geht mit ihm in die Bistros an der Straßenecke einen trinken, wo das Lachen der einfachen Leute von Herzen kommt, und von ihren Lippen fließt eine wunderbare Sprache."
Der 1887 als Frédéric Louis Sauser in der Schweiz geborene und 1961 in Paris gestorbene Blaise Cendrars spielt seine Stärken immer dann aus, wenn er sich in einer verdichteten Atmosphäre weiß: im Ersten Weltkrieg an der Front (wo er gleichermaßen der Stille wie dem Kanonendonner lauscht und ihn die ganz besondere Mischung aus Heldentum, Angst, Überdruß und Sehnsucht, cafard, fasziniert); in den Straßen, im Hafen und in den Bars, wo er alle Gerüche lustvoll in sich aufnimmt, sich mit "beherzten Frauen" umgibt, "die auch einen tüchtigen Schluck vertragen", und mit wilden Seefahrern, die heimlich Poeten und Künstler sind. In dieser Welt ist offensichtlich für die zartbesaiteten Dichter kein Platz:
"Was machte Rilke, mit dem ich mich kurz vor Ausbruch des Krieges geprügelt hatte, während ich Soldat war? ...Als ob der Platz eines Dichters nicht unter den Männern, seinen Brüdern, ist, wenn es schlecht steht um die Welt und alles zusammenstürzt, die Menschheit, die Zivilisation und der Rest."
Während die einen Dichter und Denker (wie Rilke oder vor ihm Nietzsche) sich in höhere Frequenzen und Sphären einstimmen, um dem Niedergang etwas entgegenzusetzen, sucht Cendrars die Kumpanei, den Korpsgeist und die "Originale" (mit ihrer "Tollkühnheit" und ihrem "Säuferwahnsinn"), erzählt von dem Leben in der Legion, wo alles imaginär und Lüge ist, von den Wettläufen mit der Zeit, an der Front, zwischen Minen und Gegenminen oder in unterirdischen Gewölbegängen, auf denen sich Sprengladungen häufen: "Rette sich, wer kann!" Man hat den Eindruck, daß ihn alles erregt, was spannungsgeladen ist - ein Vorläufer der Angstlust-Generation mit ihrem Bungee jumping, Freeclimbing, Snowrafting und Skyflying und daß er kaum einen Unterschied macht zwischen dem Krieg und einer "wüsten Keilerei".
Auf eine geradezu wundersame Weise ist aber dieser Autor (den seine Tochter und Biographin Miriam Cendrars und sein Verehrer Henry Miller den "Kontinent Cendrars" und eine "Dynamitladung" nannten und seine Werke als "tosend" charakterisierten, der von sich selbst sagte, er wolle mit seiner Literatur "Taten" vollbringen, "Wirbelstürme" entfachen und lieber "roh" als "empfindsam" sein) ein sensibler, von der Sprache verzauberter Jongleur, der den Rhythmen, Vibrationen und Modulationen der Sätze lauscht:
"Man kann sich als kreativer Mensch niemals dem Schreiben entziehen. Ebensowenig wie man nur selten den Bedingungen Lebens entkommen kann."
Und so hat er denn auch in diese autobiographischen Aufzeichnungen - "Die Signatur des Feuers" ist der erste Teil seines vierbändigen Lebens-Romans, von dem der dritte Band, unter dem Titel "Auf allen Meeren", bereits auf Deutsch vorliegt - kleine Poetologien eingefügt: Bekenntnisse seiner Leidenschaft für das Schreiben, das ihn verzehre:
"Der Akt des Schreibens ist ein Brand, der ein großes Gedankengewühl in Flammen aufgehen läßt und Bilderassoziationen in Funkenlohen verwandelt, um sie dann in knisternde Glut und Asche sinken zu lassen".
Also: Schreiben als ein Verbrennen am lebendigen Leib und eine Wiedergeburt aus der Asche. Und dennoch sei Schreiben auch an die Distanzierung von der Welt, vom Lebendigen geknüpft, müsse als "theoretische Wahrnehmung" betrieben werden.
"Der Schriftsteller darf sich zum Schreiben niemals vor ein Panorama setzen, so großartig es auch sein mag. Ein Schriftsteller muß in seiner Zelle arbeiten wie der heilige Hieronymus."
Man schreibe immer über sich selbst gebeugt - vor Augen: die Fiktion.
"Die Sprache hat mich verzaubert. Die Sprache hat mich verdorben. Durch die Sprache bin ich gebildet, aber auch verbildet worden. Daher bin ich wahrscheinlich ein Dichter geworden: weil ich für die Sprache sehr empfänglich bin, ob eine korrekte oder eine unkorrekte Sprache, ich schere mich den Teufel darum. Die Grammatik ist an einem toten Punkt angelangt, ich habe keine Ahnung davon und verachte sie; aber ich bin ein eifriger Wörterbuchleser, und wenn meine Orthographie etwas mangelhaft ist, so rührt das daher, daß ich sehr auf die Aussprache achte, der Idiosynkrasie der lebenden Sprache. Am Anfang ist nicht das Wort, sondern der Satz, eine Modulation. Lauschen Sie dem Gesang der Vögel!"
Im Verlauf der Lektüre von Cendrars' "Lebens-Roman" wird - in den einfühlsam erzählenden und oft in Dialogen sich formenden, manchmal auch angehaucht ethnologischen Texten, zun Beispiel über das Leben und die Kultur der Zigeuner - erkennbar, daß unter der rauhen Schale ein weicher Kern ist, daß hinter aller Leidenschaft für die Geschwindigkeit (die er auch "göttliche Wollust" nennt), für das Laute und Getriebige andere Wünsche sich verbergen: nach innerer Ruhe, Trägheit, Träumen und Flanieren. Am Ende hat er von sich und der Welt ein komplexes Bild gemalt, die Extreme ausgekostet, sich selbst geortet, jenseits der Heuchler, Kriecher und Salonpoeten, außerhalb der Schulen und Akademien, in lebendigem Austausch mit den Wortkargen und den Schwätzern, hat mit allen fünf Sinnen die Landschaften und Städte durchschnitten. Besonders schön und intensiv seine Beschreibungen von Marseille und der Banlieue von Paris, "diesem Mutlosen, auf die Schulter gesunkenen Antlitz von Paris, die Dornenkrone schräg über der Stirn ..., das ausweglose, das gespenstische niederkommende Grab".
In großer poetischer Freiheit übersetzt er seine Erfahrungen in rhythmisch und lautlich durchkomponierte Textpassagen, in denen zun Beispiel die "keuchenden Motoren" und das "Pfeifen der Lokomotiven" die Silben des Wortes Re-vo-lu-tion skandieren. Seine Bekenntnisse "Ich tauche meine Feder nicht in ein Tintenfaß, sondern ins Leben" und "Zuerst leben. Ich gehöre der Erde" sind nicht nur Schall und Rauch, sondern durch sein Leben und Werk bekundet und belegt.
"Die Poesie ist auf der Straße. Sie geht Arm in Arm mit dem Lachen. Sie führt es zur Quelle, geht mit ihm in die Bistros an der Straßenecke einen trinken, wo das Lachen der einfachen Leute von Herzen kommt, und von ihren Lippen fließt eine wunderbare Sprache."
Der 1887 als Frédéric Louis Sauser in der Schweiz geborene und 1961 in Paris gestorbene Blaise Cendrars spielt seine Stärken immer dann aus, wenn er sich in einer verdichteten Atmosphäre weiß: im Ersten Weltkrieg an der Front (wo er gleichermaßen der Stille wie dem Kanonendonner lauscht und ihn die ganz besondere Mischung aus Heldentum, Angst, Überdruß und Sehnsucht, cafard, fasziniert); in den Straßen, im Hafen und in den Bars, wo er alle Gerüche lustvoll in sich aufnimmt, sich mit "beherzten Frauen" umgibt, "die auch einen tüchtigen Schluck vertragen", und mit wilden Seefahrern, die heimlich Poeten und Künstler sind. In dieser Welt ist offensichtlich für die zartbesaiteten Dichter kein Platz:
"Was machte Rilke, mit dem ich mich kurz vor Ausbruch des Krieges geprügelt hatte, während ich Soldat war? ...Als ob der Platz eines Dichters nicht unter den Männern, seinen Brüdern, ist, wenn es schlecht steht um die Welt und alles zusammenstürzt, die Menschheit, die Zivilisation und der Rest."
Während die einen Dichter und Denker (wie Rilke oder vor ihm Nietzsche) sich in höhere Frequenzen und Sphären einstimmen, um dem Niedergang etwas entgegenzusetzen, sucht Cendrars die Kumpanei, den Korpsgeist und die "Originale" (mit ihrer "Tollkühnheit" und ihrem "Säuferwahnsinn"), erzählt von dem Leben in der Legion, wo alles imaginär und Lüge ist, von den Wettläufen mit der Zeit, an der Front, zwischen Minen und Gegenminen oder in unterirdischen Gewölbegängen, auf denen sich Sprengladungen häufen: "Rette sich, wer kann!" Man hat den Eindruck, daß ihn alles erregt, was spannungsgeladen ist - ein Vorläufer der Angstlust-Generation mit ihrem Bungee jumping, Freeclimbing, Snowrafting und Skyflying und daß er kaum einen Unterschied macht zwischen dem Krieg und einer "wüsten Keilerei".
Auf eine geradezu wundersame Weise ist aber dieser Autor (den seine Tochter und Biographin Miriam Cendrars und sein Verehrer Henry Miller den "Kontinent Cendrars" und eine "Dynamitladung" nannten und seine Werke als "tosend" charakterisierten, der von sich selbst sagte, er wolle mit seiner Literatur "Taten" vollbringen, "Wirbelstürme" entfachen und lieber "roh" als "empfindsam" sein) ein sensibler, von der Sprache verzauberter Jongleur, der den Rhythmen, Vibrationen und Modulationen der Sätze lauscht:
"Man kann sich als kreativer Mensch niemals dem Schreiben entziehen. Ebensowenig wie man nur selten den Bedingungen Lebens entkommen kann."
Und so hat er denn auch in diese autobiographischen Aufzeichnungen - "Die Signatur des Feuers" ist der erste Teil seines vierbändigen Lebens-Romans, von dem der dritte Band, unter dem Titel "Auf allen Meeren", bereits auf Deutsch vorliegt - kleine Poetologien eingefügt: Bekenntnisse seiner Leidenschaft für das Schreiben, das ihn verzehre:
"Der Akt des Schreibens ist ein Brand, der ein großes Gedankengewühl in Flammen aufgehen läßt und Bilderassoziationen in Funkenlohen verwandelt, um sie dann in knisternde Glut und Asche sinken zu lassen".
Also: Schreiben als ein Verbrennen am lebendigen Leib und eine Wiedergeburt aus der Asche. Und dennoch sei Schreiben auch an die Distanzierung von der Welt, vom Lebendigen geknüpft, müsse als "theoretische Wahrnehmung" betrieben werden.
"Der Schriftsteller darf sich zum Schreiben niemals vor ein Panorama setzen, so großartig es auch sein mag. Ein Schriftsteller muß in seiner Zelle arbeiten wie der heilige Hieronymus."
Man schreibe immer über sich selbst gebeugt - vor Augen: die Fiktion.
"Die Sprache hat mich verzaubert. Die Sprache hat mich verdorben. Durch die Sprache bin ich gebildet, aber auch verbildet worden. Daher bin ich wahrscheinlich ein Dichter geworden: weil ich für die Sprache sehr empfänglich bin, ob eine korrekte oder eine unkorrekte Sprache, ich schere mich den Teufel darum. Die Grammatik ist an einem toten Punkt angelangt, ich habe keine Ahnung davon und verachte sie; aber ich bin ein eifriger Wörterbuchleser, und wenn meine Orthographie etwas mangelhaft ist, so rührt das daher, daß ich sehr auf die Aussprache achte, der Idiosynkrasie der lebenden Sprache. Am Anfang ist nicht das Wort, sondern der Satz, eine Modulation. Lauschen Sie dem Gesang der Vögel!"
Im Verlauf der Lektüre von Cendrars' "Lebens-Roman" wird - in den einfühlsam erzählenden und oft in Dialogen sich formenden, manchmal auch angehaucht ethnologischen Texten, zun Beispiel über das Leben und die Kultur der Zigeuner - erkennbar, daß unter der rauhen Schale ein weicher Kern ist, daß hinter aller Leidenschaft für die Geschwindigkeit (die er auch "göttliche Wollust" nennt), für das Laute und Getriebige andere Wünsche sich verbergen: nach innerer Ruhe, Trägheit, Träumen und Flanieren. Am Ende hat er von sich und der Welt ein komplexes Bild gemalt, die Extreme ausgekostet, sich selbst geortet, jenseits der Heuchler, Kriecher und Salonpoeten, außerhalb der Schulen und Akademien, in lebendigem Austausch mit den Wortkargen und den Schwätzern, hat mit allen fünf Sinnen die Landschaften und Städte durchschnitten. Besonders schön und intensiv seine Beschreibungen von Marseille und der Banlieue von Paris, "diesem Mutlosen, auf die Schulter gesunkenen Antlitz von Paris, die Dornenkrone schräg über der Stirn ..., das ausweglose, das gespenstische niederkommende Grab".
In großer poetischer Freiheit übersetzt er seine Erfahrungen in rhythmisch und lautlich durchkomponierte Textpassagen, in denen zun Beispiel die "keuchenden Motoren" und das "Pfeifen der Lokomotiven" die Silben des Wortes Re-vo-lu-tion skandieren. Seine Bekenntnisse "Ich tauche meine Feder nicht in ein Tintenfaß, sondern ins Leben" und "Zuerst leben. Ich gehöre der Erde" sind nicht nur Schall und Rauch, sondern durch sein Leben und Werk bekundet und belegt.