Eine verfallene Kolchose am Dorfeingang, 600 Einwohner, die in kleinen Holzhäusern leben. Kein Asphalt auf den Straßen, kein fließend Wasser, kein Anschluss an die Kanalisation: Das ist das Dorf Buranowo in der russischen Teilrepublik Udmurtien westlich des Uralgebirges. Rund 1000 Kilometer, zwei Flugstunden, sind es bis nach Moskau. Die udmurtische Hauptstadt Ischewks liegt eine Stunde mit dem Auto entfernt.
Es gibt Zehntausende von Dörfern in Russland, die so aussehen wie Buranowo. Aber keines klingt wie dieses udmurtische Dorf, das mittlerweile bekannt in ganz Russland ist. Es ist die Heimat der Buranowskie Babushki, der Großmütter von Buranowo. Schon seit Jahrzehnten singen die acht Frauen zusammen, nun werden sie beim Eurovision Song Contest in Baku Ende Mai für Russland auftreten – das russische Fernsehpublikum hat sie international bekannten Stars vorgezogen.
Gerade absolvieren die Buranowskie Babuschki ihre tägliche Probe auf der kleinen Bühne des Klubhauses. Schon seit Sowjetzeiten ist es Mittelpunkt des sonst eher eintönigen Lebens in Buranowo.
"Party for everybody" – ist der Titel des Liedes, das sie beim Eurovision Song Contest in Aserbaidschan singen werden.
Abgesehen vom englischen Refrain ist der Text auf Udmurtisch. Er erzählt aus ihrem Leben auf dem Dorf, sagt die 76 Jahre alte Natalia Pugatschjowa.
"Wir singen darüber, wie wir den Tisch decken für unsere Kinder, die nun in der Stadt wohnen und zu Besuch kommen. Und dass wir ein Fest feiern und singen, wenn sie endlich da sind. Genauso ist das in meinem Leben: Mein Mann und ich wohnen allein, das ist oft langweilig. Aber mit meinen Kindern zu Hause ist mir gleich viel fröhlicher zumute."
Udmurtisch, eine Sprache mit 15 grammatikalischen Fällen, ist Muttersprache für die alten Frauen. Erst wenn Nicht-Udmurten dazukommen, dann wechseln sie ins Russische – einigen von ihnen fällt das jedoch schwer.
Udmurtisch wird weltweit von einer halben Million Menschen gesprochen, es ist eine finno-ugrische Sprache – wie Finnisch oder Estnisch. Udmurtisch ist zweite Amtssprache in der Republik Udmurtien: Kinder lernen es von Anfang an in der Schule, im staatlichen Regionalfernsehen gibt es udmurtischsprachige Programme. So hofft man, die Sprache zu bewahren, wieder zu erwecken – denn im Moment spricht jeder dritte der eineinhalb Millionen Udmurten die Sprache seiner Vorfahren nicht, wie eine Volkszählung vor ein paar Jahren ergab.
Und so sangen die Buranowskie Babushki, allesamt Lokalpatriotinnen, den englischen Refrain ihres Liedes erst nur widerwillig, erzählt die 74 Jahre alte Walentina Pjatschenko.
"Am Anfang haben wir nichts verstanden, dann haben die anderen die Übersetzung bekommen, aber ich war da wohl nicht da. Und ich sang den Refrain ohne Lächeln, ich wusste ja nicht, was das bedeutete. Dann hab ich nach der Übersetzung gefragt und nun singe ich es gern."
Singen - das gehört zum Leben in Udmurtien einfach dazu, erzählt die 73 Jahre alte Galina Konjewa, in deren Haus sich die alten Frauen fast jeden Abend treffen, um zu häkeln, zu stricken und gemeinsam Fernsehen zu schauen. Und neuerdings üben sie in den Werbepausen immer öfter auch den englischen Refrain ihres Eurovision-Liedes. Denn der hakt noch ein wenig:
Galina Konjewa:
"Die Udmurten sind ein singendes Volk. Früher gab es weder Akkordeons noch Gitarren hier, nicht mal Balalaikas, aber trotzdem haben die Udmurten immer schon gesungen. Auf dem Weg zur Arbeit und wenn sie danach müde nach Hause gingen. Und auf dem Feld beim Harken und beim Gras mähen mit der Sense. Wenn man krank wird, soll man in den Wald gehen und aus voller Brust singen. Dann wird man wieder gesund: Wer singt, der wird lange leben. Das ist nicht nur ein Sprichwort der Udmurten. Das sagen auch die Russen."
Folklorekollektive haben Tradition in vielen udmurtischen Dörfern – aber die Buranowskie Babuschki gehen seit mehreren Jahren einen ganz besonderen Weg: Sie singen nicht nur Volkslieder, sondern übersetzen moderne Lieder auf Udmurtisch: zum Beispiel "Let it be" von den Beatles. Deshalb wurde eine Producerin aus Moskau auf sie aufmerksam und nahm sie unter Vertrag – der erste Schritt auf die Weltbühne des Eurovision Song Contest.
Die udmurtischen Adaptionen waren eine Idee von Olga Tuktjarowa, die als Leiterin des Kulturhauses von Buranowo die Proben leitet und selbst mitsingt – auch wenn sie mit 43 Jahren eigentlich noch ein wenig jung ist, um sich Babuschka zu nennen. Der melancholische Unterton des Beatleshits passt zu den Udmurten, sagt Tuktjarowa.
"Wir Udmurten haben wenige fröhliche Volkslieder –aber schwermütig, leise Lieder haben wir sehr viele. Das hat mit dem Leben hier zu tun: Es hat einen langsamen Rhythmus, ist voll von schwerer Arbeit und innerer Sorgen. Denn die Udmurten sind von Natur aus sehr verschlossen und zeigen ihre Gefühle nicht. Unsere singenden Babuschki sind anders, offener – das Alter macht sie weise und offen. Aber früher als sie jung waren, waren auch sie verschlossen."
Bisher war Udmurtien bei den Menschen in Russland bekannt dafür, die Heimat des Komponisten Pjotr Tschaikowski zu sein, dem die Welt legendäre Melodien wie den Schwanensee oder den Nussknacker zu verdanken hat. Tschaikowski kam als Sohn eines Bergbau Ingenieurs im Jahr 1840 in der udmurtischen Stadt Wotkinsk zur Welt.
Aber noch enger verbunden ist Udmurtien in der Wahrnehmung der Russen mit dem Kalaschnikow-Sturmgewehr, der meist produzierten Waffe der Welt.
Bis heute werden Kalaschnikows in der udmurtischen Hauptstadt Ischewsk produziert. Auch andere schwere Waffenindustrie ist seit Sowjetzeiten in der Region angesiedelt. Die Industriestadt Ischewsk ist umgeben von Gebieten, in denen es kaum etwas gibt außer Landwirtschaft. Die Infrastruktur- meist schlecht erschlossen wie so häufig in den russischen Regionen.
"Es gibt Tendenzen der Migration: Die jungen Leute aus den Dörfern zieht es nach Ischewsk – und die, die aus Ischewsk kommen, wollen nach Moskau oder St. Petersburg. Alle denken, da wo sie nicht sind, sei es besser"
,sagt die Journalistin Swetlana Syrigina aus Ischwesk. Sie selbst bleibt und ist stolz auf ihre udmurtischen Wurzeln. Sie war eine der Ersten, die vor vier Jahren über die Buranowskie Babuschki schrieben. Aber dass die alten Frauen so erfolgreich sein würden, das hat selbst Svetlana Syrigina überrascht. Neuerdings ist sie Pressesprecherin des Folklorekollektivs: Sie freut sich, dass die Republik ein neues Symbol hat, das nichts mit Waffen zu tun hat.
"Für Udmurtien ist das sehr wichtig, denn wir sind ein kleines Volk. Die letzte Volkszählung hat gezeigt, dass es schon wieder 90.000 Udmurten weniger gibt. Die Babuschki wollen in Baku ihr Volk, ihre Kultur repräsentieren. Und ich hoffe, dass sie damit die Aufmerksamkeit der Mächtigen erregen – auf regionaler und föderaler Ebene - und dass das zu mehr Aufmerksamkeit für die kleinen Völker in Russland führt. Alle nationalen Identitäten verschwimmen im heutigen Russland. Dabei ist es wichtig, die Kulturen zu erhalten, nicht nur die udmurtische, sondern alle."
Nach der Mittagspause geht im Klubhaus die Probe weiter – zur Abwechslung auch mal mit etwas anderem als dem Eurovision-Lied. Auf dem Programm: eine Ballade der russischen Kultrockband von Jurij Tschewtschuk. Der Text ist noch neu für die Babushki, und weil sie nicht so lange stehen können, sitzen sie nun in einem Stuhlkreis am Bühnenrand.
Die acht Frauen tragen rote, bunt bestickte Gewänder, dazu gemusterte Kopftücher und Silberschmuck aus Münzen. Es sind udmurtische Festtagsgewänder, alte Familienerbstücke – und an den Füßen haben sie Schuhe aus Bast. Lapti nennen die Udmurten sie.
Und genauso werden sie auch in Baku beim Eurovision Song Contest auf der Bühne stehen, vor einem Weltpublikum. Vorsichtigen Vorschlägen ihrer Producer und der Veranstalter doch neue Kleider nähen zu lassen oder Make-up zu tragen, widersprachen sie heftig, erzählt die 74 Jahre alte Walentina Pjatschenko.
"In neuen Kostümen würden wir nicht so aussehen wie jetzt: wie Großmütter aus dem Museum. Und auch unsere Kopftücher sind sehr alt: 150 oder 200 Jahre, die sind von unseren Großmüttern, Urgroßmüttern. Sie nur an Festtagen getragen – an Hochzeiten zum Beispiel. Sie wurden aufbewahrt wie Schätze, damit sie schön blieben. Nun tragen sie sich schnell ab – auch wenn wir uns viel Mühe geben sie zu erhalten. Aber wir tragen sie nun mal oft jetzt."
In den Wochen und Tagen vor dem großen Auftritt haben die alten Frauen ein volles Programm: Außer den Proben, gilt es ja auch noch den Alltag zu bewältigen.
Walentina Pjatschenko muss wie alle Dorfbewohner täglich mit Eimern Wasser holen aus einer Brunnenstelle – denn fließend Wasser gibt es nicht. Auch ihre Hühner und Ziegen versorgt sie allein. Doch sie sieht keinen Grund zur Klage:
"Früher – im Krieg und danach, da hatten wir doch nichts zu essen. Im Vergleich dazu haben wir nun alles, weißes Brot zum Beispiel – darüber bin ich sehr froh. Wenn sie nur nicht aufhören uns die Rente auszuzahlen. Denn damit helfen wir auch unseren Kindern und Enkeln. An das schwere Dorfleben haben wir uns gewohnt: Was sollten wir denn in der Stadt? Ich könnte nur hinter der Nähmaschine sitzen. Wir brauchen den Wald und die Natur - die ziehen uns an."
Ein paar Häuser weiter steht Galina Konjewa im Stall: Sie hat wie Nachbarin und Freundin Walentina ein paar Ziegen und ein paar Hühner, so wie fast alle Dorfbewohner. Für Milch und Eier müssen sie so schon einmal kein Geld ausgeben. Doch neuerdings wirbeln die Konzerte und der Eurovision den Alltag durcheinander.
"Wenn ich weg bin, dann beschäftige ich eine Frau aus unserem Dorf, die sich hier um alles kümmert. Das Geld dafür gibt uns unsere Produzentin zusätzlich. Aber die Tiere vermissen mich: wenn ich zurückkomme winselt der Hund schon am Tor. Und dann ziehe ich mich um und geh gleich in den Stall zu den anderen Tieren."
Sie sind viel unterwegs: viel Stoff für ihre selbst gedichteten Lieder, in denen sie immer wieder von lustigen Episoden ihrer Reisen singen.
Skurrile Ereignisse bleiben nicht aus, wenn acht Frauen aus einem udmurtischen Dorf mit einem Durchschnittsalter von über 70 Jahren durch Russland und die Welt reisen. Selbst ein komplizierter Wasserhahn im Hotel kann da für Verwirrung sorgen, erzählt die 43 Jahre Olga Tuktjarowa – die auf Reisen achtgibt auf die älteren Mitglieder der Buranowskie Babushki.
"Es gibt natürlich Situationen, in denen es das Risiko gibt, dass man sie wie Clowns wahrnimmt, wie einen Scherz. Aber sobald sie auf der Bühne stehen, und beginnen zu singen, verflüchtigten sich alle falschen Eindrücke sofort. Denn wenn man offen und aufrichtig auftritt, dann enttäuscht man das Publikum nicht und gewinnt die Zuhörer für sich."
Ans Gewinnen beim Eurovision denken die Frauen nicht, sie wollen ernst genommen werden - auch ohne professionelle Gesangsausbildung – und ihre Republik und Russland würdig vertreten. Und im Stillen freuen sich die Frauen schon wieder auf ihren Alltag in Udmurtien. Ihre Honorare werden sie wieder immer spenden: für eine kleine Kirche für ihr Dorf. Und vielleicht, so hoffen sie, sponsert die Regionalverwaltung ja auch noch Asphalt für die Hauptstraße von Buranowo. Schließlich wohnen hier die wohl berühmtesten Babushki in ganz Russland.
Es gibt Zehntausende von Dörfern in Russland, die so aussehen wie Buranowo. Aber keines klingt wie dieses udmurtische Dorf, das mittlerweile bekannt in ganz Russland ist. Es ist die Heimat der Buranowskie Babushki, der Großmütter von Buranowo. Schon seit Jahrzehnten singen die acht Frauen zusammen, nun werden sie beim Eurovision Song Contest in Baku Ende Mai für Russland auftreten – das russische Fernsehpublikum hat sie international bekannten Stars vorgezogen.
Gerade absolvieren die Buranowskie Babuschki ihre tägliche Probe auf der kleinen Bühne des Klubhauses. Schon seit Sowjetzeiten ist es Mittelpunkt des sonst eher eintönigen Lebens in Buranowo.
"Party for everybody" – ist der Titel des Liedes, das sie beim Eurovision Song Contest in Aserbaidschan singen werden.
Abgesehen vom englischen Refrain ist der Text auf Udmurtisch. Er erzählt aus ihrem Leben auf dem Dorf, sagt die 76 Jahre alte Natalia Pugatschjowa.
"Wir singen darüber, wie wir den Tisch decken für unsere Kinder, die nun in der Stadt wohnen und zu Besuch kommen. Und dass wir ein Fest feiern und singen, wenn sie endlich da sind. Genauso ist das in meinem Leben: Mein Mann und ich wohnen allein, das ist oft langweilig. Aber mit meinen Kindern zu Hause ist mir gleich viel fröhlicher zumute."
Udmurtisch, eine Sprache mit 15 grammatikalischen Fällen, ist Muttersprache für die alten Frauen. Erst wenn Nicht-Udmurten dazukommen, dann wechseln sie ins Russische – einigen von ihnen fällt das jedoch schwer.
Udmurtisch wird weltweit von einer halben Million Menschen gesprochen, es ist eine finno-ugrische Sprache – wie Finnisch oder Estnisch. Udmurtisch ist zweite Amtssprache in der Republik Udmurtien: Kinder lernen es von Anfang an in der Schule, im staatlichen Regionalfernsehen gibt es udmurtischsprachige Programme. So hofft man, die Sprache zu bewahren, wieder zu erwecken – denn im Moment spricht jeder dritte der eineinhalb Millionen Udmurten die Sprache seiner Vorfahren nicht, wie eine Volkszählung vor ein paar Jahren ergab.
Und so sangen die Buranowskie Babushki, allesamt Lokalpatriotinnen, den englischen Refrain ihres Liedes erst nur widerwillig, erzählt die 74 Jahre alte Walentina Pjatschenko.
"Am Anfang haben wir nichts verstanden, dann haben die anderen die Übersetzung bekommen, aber ich war da wohl nicht da. Und ich sang den Refrain ohne Lächeln, ich wusste ja nicht, was das bedeutete. Dann hab ich nach der Übersetzung gefragt und nun singe ich es gern."
Singen - das gehört zum Leben in Udmurtien einfach dazu, erzählt die 73 Jahre alte Galina Konjewa, in deren Haus sich die alten Frauen fast jeden Abend treffen, um zu häkeln, zu stricken und gemeinsam Fernsehen zu schauen. Und neuerdings üben sie in den Werbepausen immer öfter auch den englischen Refrain ihres Eurovision-Liedes. Denn der hakt noch ein wenig:
Galina Konjewa:
"Die Udmurten sind ein singendes Volk. Früher gab es weder Akkordeons noch Gitarren hier, nicht mal Balalaikas, aber trotzdem haben die Udmurten immer schon gesungen. Auf dem Weg zur Arbeit und wenn sie danach müde nach Hause gingen. Und auf dem Feld beim Harken und beim Gras mähen mit der Sense. Wenn man krank wird, soll man in den Wald gehen und aus voller Brust singen. Dann wird man wieder gesund: Wer singt, der wird lange leben. Das ist nicht nur ein Sprichwort der Udmurten. Das sagen auch die Russen."
Folklorekollektive haben Tradition in vielen udmurtischen Dörfern – aber die Buranowskie Babuschki gehen seit mehreren Jahren einen ganz besonderen Weg: Sie singen nicht nur Volkslieder, sondern übersetzen moderne Lieder auf Udmurtisch: zum Beispiel "Let it be" von den Beatles. Deshalb wurde eine Producerin aus Moskau auf sie aufmerksam und nahm sie unter Vertrag – der erste Schritt auf die Weltbühne des Eurovision Song Contest.
Die udmurtischen Adaptionen waren eine Idee von Olga Tuktjarowa, die als Leiterin des Kulturhauses von Buranowo die Proben leitet und selbst mitsingt – auch wenn sie mit 43 Jahren eigentlich noch ein wenig jung ist, um sich Babuschka zu nennen. Der melancholische Unterton des Beatleshits passt zu den Udmurten, sagt Tuktjarowa.
"Wir Udmurten haben wenige fröhliche Volkslieder –aber schwermütig, leise Lieder haben wir sehr viele. Das hat mit dem Leben hier zu tun: Es hat einen langsamen Rhythmus, ist voll von schwerer Arbeit und innerer Sorgen. Denn die Udmurten sind von Natur aus sehr verschlossen und zeigen ihre Gefühle nicht. Unsere singenden Babuschki sind anders, offener – das Alter macht sie weise und offen. Aber früher als sie jung waren, waren auch sie verschlossen."
Bisher war Udmurtien bei den Menschen in Russland bekannt dafür, die Heimat des Komponisten Pjotr Tschaikowski zu sein, dem die Welt legendäre Melodien wie den Schwanensee oder den Nussknacker zu verdanken hat. Tschaikowski kam als Sohn eines Bergbau Ingenieurs im Jahr 1840 in der udmurtischen Stadt Wotkinsk zur Welt.
Aber noch enger verbunden ist Udmurtien in der Wahrnehmung der Russen mit dem Kalaschnikow-Sturmgewehr, der meist produzierten Waffe der Welt.
Bis heute werden Kalaschnikows in der udmurtischen Hauptstadt Ischewsk produziert. Auch andere schwere Waffenindustrie ist seit Sowjetzeiten in der Region angesiedelt. Die Industriestadt Ischewsk ist umgeben von Gebieten, in denen es kaum etwas gibt außer Landwirtschaft. Die Infrastruktur- meist schlecht erschlossen wie so häufig in den russischen Regionen.
"Es gibt Tendenzen der Migration: Die jungen Leute aus den Dörfern zieht es nach Ischewsk – und die, die aus Ischewsk kommen, wollen nach Moskau oder St. Petersburg. Alle denken, da wo sie nicht sind, sei es besser"
,sagt die Journalistin Swetlana Syrigina aus Ischwesk. Sie selbst bleibt und ist stolz auf ihre udmurtischen Wurzeln. Sie war eine der Ersten, die vor vier Jahren über die Buranowskie Babuschki schrieben. Aber dass die alten Frauen so erfolgreich sein würden, das hat selbst Svetlana Syrigina überrascht. Neuerdings ist sie Pressesprecherin des Folklorekollektivs: Sie freut sich, dass die Republik ein neues Symbol hat, das nichts mit Waffen zu tun hat.
"Für Udmurtien ist das sehr wichtig, denn wir sind ein kleines Volk. Die letzte Volkszählung hat gezeigt, dass es schon wieder 90.000 Udmurten weniger gibt. Die Babuschki wollen in Baku ihr Volk, ihre Kultur repräsentieren. Und ich hoffe, dass sie damit die Aufmerksamkeit der Mächtigen erregen – auf regionaler und föderaler Ebene - und dass das zu mehr Aufmerksamkeit für die kleinen Völker in Russland führt. Alle nationalen Identitäten verschwimmen im heutigen Russland. Dabei ist es wichtig, die Kulturen zu erhalten, nicht nur die udmurtische, sondern alle."
Nach der Mittagspause geht im Klubhaus die Probe weiter – zur Abwechslung auch mal mit etwas anderem als dem Eurovision-Lied. Auf dem Programm: eine Ballade der russischen Kultrockband von Jurij Tschewtschuk. Der Text ist noch neu für die Babushki, und weil sie nicht so lange stehen können, sitzen sie nun in einem Stuhlkreis am Bühnenrand.
Die acht Frauen tragen rote, bunt bestickte Gewänder, dazu gemusterte Kopftücher und Silberschmuck aus Münzen. Es sind udmurtische Festtagsgewänder, alte Familienerbstücke – und an den Füßen haben sie Schuhe aus Bast. Lapti nennen die Udmurten sie.
Und genauso werden sie auch in Baku beim Eurovision Song Contest auf der Bühne stehen, vor einem Weltpublikum. Vorsichtigen Vorschlägen ihrer Producer und der Veranstalter doch neue Kleider nähen zu lassen oder Make-up zu tragen, widersprachen sie heftig, erzählt die 74 Jahre alte Walentina Pjatschenko.
"In neuen Kostümen würden wir nicht so aussehen wie jetzt: wie Großmütter aus dem Museum. Und auch unsere Kopftücher sind sehr alt: 150 oder 200 Jahre, die sind von unseren Großmüttern, Urgroßmüttern. Sie nur an Festtagen getragen – an Hochzeiten zum Beispiel. Sie wurden aufbewahrt wie Schätze, damit sie schön blieben. Nun tragen sie sich schnell ab – auch wenn wir uns viel Mühe geben sie zu erhalten. Aber wir tragen sie nun mal oft jetzt."
In den Wochen und Tagen vor dem großen Auftritt haben die alten Frauen ein volles Programm: Außer den Proben, gilt es ja auch noch den Alltag zu bewältigen.
Walentina Pjatschenko muss wie alle Dorfbewohner täglich mit Eimern Wasser holen aus einer Brunnenstelle – denn fließend Wasser gibt es nicht. Auch ihre Hühner und Ziegen versorgt sie allein. Doch sie sieht keinen Grund zur Klage:
"Früher – im Krieg und danach, da hatten wir doch nichts zu essen. Im Vergleich dazu haben wir nun alles, weißes Brot zum Beispiel – darüber bin ich sehr froh. Wenn sie nur nicht aufhören uns die Rente auszuzahlen. Denn damit helfen wir auch unseren Kindern und Enkeln. An das schwere Dorfleben haben wir uns gewohnt: Was sollten wir denn in der Stadt? Ich könnte nur hinter der Nähmaschine sitzen. Wir brauchen den Wald und die Natur - die ziehen uns an."
Ein paar Häuser weiter steht Galina Konjewa im Stall: Sie hat wie Nachbarin und Freundin Walentina ein paar Ziegen und ein paar Hühner, so wie fast alle Dorfbewohner. Für Milch und Eier müssen sie so schon einmal kein Geld ausgeben. Doch neuerdings wirbeln die Konzerte und der Eurovision den Alltag durcheinander.
"Wenn ich weg bin, dann beschäftige ich eine Frau aus unserem Dorf, die sich hier um alles kümmert. Das Geld dafür gibt uns unsere Produzentin zusätzlich. Aber die Tiere vermissen mich: wenn ich zurückkomme winselt der Hund schon am Tor. Und dann ziehe ich mich um und geh gleich in den Stall zu den anderen Tieren."
Sie sind viel unterwegs: viel Stoff für ihre selbst gedichteten Lieder, in denen sie immer wieder von lustigen Episoden ihrer Reisen singen.
Skurrile Ereignisse bleiben nicht aus, wenn acht Frauen aus einem udmurtischen Dorf mit einem Durchschnittsalter von über 70 Jahren durch Russland und die Welt reisen. Selbst ein komplizierter Wasserhahn im Hotel kann da für Verwirrung sorgen, erzählt die 43 Jahre Olga Tuktjarowa – die auf Reisen achtgibt auf die älteren Mitglieder der Buranowskie Babushki.
"Es gibt natürlich Situationen, in denen es das Risiko gibt, dass man sie wie Clowns wahrnimmt, wie einen Scherz. Aber sobald sie auf der Bühne stehen, und beginnen zu singen, verflüchtigten sich alle falschen Eindrücke sofort. Denn wenn man offen und aufrichtig auftritt, dann enttäuscht man das Publikum nicht und gewinnt die Zuhörer für sich."
Ans Gewinnen beim Eurovision denken die Frauen nicht, sie wollen ernst genommen werden - auch ohne professionelle Gesangsausbildung – und ihre Republik und Russland würdig vertreten. Und im Stillen freuen sich die Frauen schon wieder auf ihren Alltag in Udmurtien. Ihre Honorare werden sie wieder immer spenden: für eine kleine Kirche für ihr Dorf. Und vielleicht, so hoffen sie, sponsert die Regionalverwaltung ja auch noch Asphalt für die Hauptstraße von Buranowo. Schließlich wohnen hier die wohl berühmtesten Babushki in ganz Russland.