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"Die Situation ist ähnlich wie in Tunesien"

Der Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kairo, Andreas Jacobs, zeigt sich lediglich überrascht von der Zahl der Demonstranten bei den Protesten am Dienstag. Unmut und Perspektivlosigkeit seien auch in Ägypten Anlass für die Unruhen.

Andreas Jacobs im Gespräch mit Anne Raith |
    Anne Raith: Als Mitte Januar die Lage in Tunesien eskalierte und der Staatspräsident nach wochenlangen Protesten flüchtete, fielen die Blicke schnell auch auf die anderen Staaten der Region. Würden sich die Proteste einem Flächenbrand gleich ausweiten und die strengsten Regime der arabischen Welt ins Wanken bringen? – In den darauffolgenden Tagen gingen die Menschen in Algerien, Mauretanien und Jordanien auf die Straße. In Ägypten ist gestern die größte Protestkundgebung seit 30 Jahren gewaltsam aufgelöst worden. Vier Menschen kamen dabei ums Leben. Heute hat nun die Jugend zum Generalstreik aufgerufen. Am Telefon bin ich jetzt mit Andreas Jacobs verbunden. Er leitet das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kairo. Guten Tag, Herr Jacobs.

    Andreas Jacobs: Guten Tag, Frau Raith.

    Raith: Wie haben Sie denn die Demonstration gestern erlebt?

    Jacobs: Ich war am Morgen in der Innenstadt hier in Kairo unterwegs und habe mir die Aufstellung der Sicherheitsorgane und der Polizei angeschaut und war dann am Nachmittag sowohl im Innenstadtbereich mit in der Demonstration als auch dann später in einem Vorort, in Shubra - das ist ein Ort, wo üblicherweise auch einiges los ist, wenn es Demonstrationen gibt – und dann später auch wieder auf dem zentralen Platz, den eben schon im Bericht erwähnten Tahrir-Platz.

    Raith: Hat Sie das Ausmaß der Proteste überrascht? Wäre das vor einigen Wochen denkbar gewesen?

    Jacobs: Ich denke, es hat uns schon überrascht, weil wir sind hier in Ägypten nicht ganz so überrascht gewesen, dass es Demonstrationen gab. Das gab es auch vorher schon. Auch vor einigen Jahren waren schon mal einige Hundert Leute in der Innenstadt unterwegs. Da ist die Situation etwas anders als in Tunesien. Aber das Ausmaß jetzt, denke ich, hat die meisten Beobachter doch überrascht. In den Medien ist ja von 10.000 bis 15.000 Personen die Rede. Ich habe etwas weniger gesehen, aber das lag auch daran, dass sich die einzelnen Demonstrationsgruppen verteilt haben. Aber ich denke, insgesamt war es überraschend.

    Raith: Wie erklären Sie sich denn jetzt dieses wachsende Ausmaß an Protesten, an Unmut?

    Jacobs: Ich glaube, es hat einfach einen Auslöser gesucht. Unmut gab es schon lange. Die Situation oder das Volksempfinden ist ähnlich wie in Tunesien. Die Leute sind frustriert, sie sind perspektivlos, sie haben eine zunehmende Wut auf Offizielle und auf die Regierung und es brauchte einfach einen Auslöser, um dem jetzt mal Luft zu verschaffen, und da hat man eben die tunesischen Ereignisse genommen. Aber wie gesagt, es gab schon vor Monaten und auch seit Jahren gibt es immer wieder Aufrufe zu Streiks und zu Demonstrationen hier im Land.

    Raith: Ein paar Parallelen haben Sie schon genannt. Wie vergleichbar ist denn Ihrer Ansicht nach die Situation zwischen Tunesien und Ägypten?

    Jacobs: Das ist schwierig zu sagen, weil die Situation hier etwas unübersichtlicher ist als in Tunesien. Es gibt in Ägypten etwas mehr Freiheiten, was die Presse betrifft. Es gibt eine Zivilgesellschaft, die relativ klein ist, aber aktiv ist. Es gibt halb kontrollierte Oppositionsparteien. Also die Situation ist hier etwas anders als in Tunesien. Aber die Frustration und die Enttäuschung der Leute über die Politik der letzten vergangenen Jahre und Jahrzehnte ist ähnlich groß und insofern ist es sehr offen, was hier passiert. Es wird sehr viel spekuliert, das war ja eben schon angesprochen in dem Bericht. Also wir suchen hier jetzt alle etwas nach dem roten Faden und überlegen, wie die Sache weitergehen könnte.

    Raith: Sie haben es ja schon angesprochen. Die Demonstranten sind nicht zentral organisiert, sie suchen nach dem roten Faden. Noch sei das ein Vorteil, hat unsere Korrespondentin eben gesagt. Wann könnte sich das denn ins Gegenteil verkehren, ins Chaos?

    Jacobs: Ja, gut. Man muss immer im Hinterkopf behalten, allein der Großraum Kairo hat doppelt so viele Einwohner wie ganz Tunesien. Wir sprechen hier von ganz anderen Dimensionen als in Tunesien, und das ist die Befürchtung, die sehr viele Ägypter, mit denen ich auch gestern auf der Straße gesprochen habe, haben, dass sie sagen, so etwas wie in Tunesien können wir uns hier nicht erlauben, wir wohnen alle auf engstem Raum und es gibt sehr viel mehr Menschen, und wenn hier so etwas passieren würde, dann hieße das das reine Chaos. Insofern habe ich auch sehr viel Besorgnis gehört und viele Menschen sind eben auch sehr unsicher, was die ganze Situation betrifft. Wie gesagt, im Moment gibt es hauptsächlich Spekulationen, aber niemand kann genau sagen, wo es hinläuft.

    Raith: Glauben Sie denn, dass die harte Haltung der ägyptischen Regierung, gepaart vielleicht mit dieser Besorgnis, die Protestierenden irgendwann abhalten wird, auf die Straße zu gehen?

    Jacobs: Ich denke schon, dass man hier in Ägypten einige Erfahrung hat mit Demonstranten, im Umgang mit Opposition, und ich glaube nicht, dass die Regierung sich das lange anschauen wird. Sie hat die Mittel, die Polizei ist relativ gut gerüstet, sie ist vorbereitet gewesen. Wir haben das gestern selber am Morgen gesehen. Es gab ein riesiges Polizeiaufgebot. Also ich denke, man wird das versuchen durchzuhalten und versuchen, ein kleines Ventil zu schaffen. Das war ja auch gestern zu sehen. Man ließ die Demonstranten relativ lange unbehelligt durch die Straßen ziehen, das war neu. Aber es gibt eben bestimmte rote Linien, die nicht überschritten werden dürfen, und da wird das Regime, denke ich, auch weiterhin mit harter Hand vorgehen.

    Raith: Wie spiegeln denn die ägyptischen Medien die Proteste? Wie gewahr ist man sich dessen, was passiert in Ägypten?

    Jacobs: In den Fernsehnachrichten wurde relativ wenig darüber berichtet, da standen andere Meldungen im Vordergrund. In den unabhängigen Tageszeitungen, die es hier eben auch gibt, wurde breit berichtet mit großen Fotos, Bildern, die man eben auch im Internet sehen kann. Die größte oppositionelle Zeitschrift überschrieb heute ihre Ausgabe mit dem Wort "Warnung", das sei ein lauter Warnschuss an die Regierung. Also es gibt schon Berichterstattung. Wir haben auch gestern sehr viele auch lokale Journalisten in dem Protestzug gesehen. Ich denke, die Leute können sich schon informieren über die Ereignisse, die hier stattfinden.

    Raith: In Tunesien erleben wir ja gerade die Schwierigkeiten, überhaupt eine neue Regierung zu bilden. Heute wird das Kabinett in Tunis ja erneut umgebildet. Gibt es denn in Ägypten oppositionelle Kräfte, die sich schon für eine Zeit danach positionieren? Von einigen haben wir eben gehört, aber gibt es da eine gemeinsame Haltung?

    Jacobs: Momentan sehe ich die noch nicht. Wir haben hier im weiteren Sinne drei Proteststränge, das sind die Islamisten, das ist die, sage ich mal, bürgerliche Mittelschichtjugend, und drittens die Arbeiter in den Industriestädten vor allen Dingen im Delta, die zum Teil sehr unterschiedliche Vorstellungen haben. Und der Kanon der Forderungen der Demonstranten ist auch sehr breit gefächert. Das reicht von politischen Freiheiten über Absetzung des Innenministers bis hin zur Ausweisung des israelischen Botschafters. Also da ist alles dabei, das ist ein sehr breiter Forderungskatalog, der hier erhoben wird, und bislang fehlt da nicht nur der Kopf, sondern auch etwas die Richtung, aber das kann sich durchaus ändern. Nur bislang ist es eben noch nicht absehbar.

    Raith: Einschätzungen von Andreas Jacobs. Er leitet das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kairo. Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.

    Jacobs: Bitte schön.