Nur 16 Werke hängen in den Räumen der National Gallery, doch welch erstaunliche Wucht! Die physische Präsenz von Caravaggios Figuren ist überwältigend – der grotesk verdrehte Körper Christi, umgeben von drei riesigen Peinigern, einer von ihnen bindet die Ruten zusammen, mit denen er ihn geißeln wird; der nackte Leichnam des Lazarus, der so schwer aussieht, dass man nicht weiß, ob er ins Grab gesenkt wird oder aufersteht; der Ritter des Johanniterordens, mit dem weißen Malteserkreuz auf der Brust, dessen harte Gesichtszüge nicht preisgeben, was in ihm vorgeht.
Der 1571 in Caravaggio bei Bergamo geborene Lombarde Michelangelo Merisi reiste als junger Mann nach Rom, ohne Geld und ohne Beziehungen. Doch schon bald machte ihn sein nie gesehener Realismus berühmt. Er malte die Hässlichkeit des Lebens, mitten in der Gegenreformation, deren Ideologie er zwar folgte, sie jedoch immer wieder untergrub. Seine Modelle waren Huren, Straßenjungen und Bettler, in deren Gesellschaft er sich wohler fühlte als unter seinen reichen Mäzenen. Sie tragen abgerissene Kleidung, ihre Fingernägel sind schmutzig, die Fußsohlen mit Dreck verkrustet. Ihm ging es um die "Nachahmung der Natur”, wie er schrieb. Dass diese unmittelbare, auf das Wesentliche reduzierte Malerei nicht allen zusagte, versteht sich: er mache "Kunst ohne Kunst” schrieb sein Rivale Giovanni Baglione.
Caravaggios Privatleben war wie seine Kunst: aufregend, hektisch und voller Gewalt. Immer wieder kam er mit dem Gesetz in Konflikt, sein ungezügeltes Temperament und sein Jähzorn wurden ihm schließlich zum Verhängnis: am 28. Mai 1606 erstach er auf dem Campo Marzo in Rom einen Kumpanen während eines Streits um Spielschulden – der logische Höhepunkt eines destruktiven Lebensstils. Überstürzt verließ er Rom, wo man ihn in seiner Abwesenheit zum Tode verurteilte. Die letzten vier Jahre seines Lebens war er ständig auf der Flucht, von Neapel über Malta und Sizilien wieder zurück nach Neapel. 1610 brach er nach Rom auf, weil der Papst angeblich das gegen ihn verhängte Todesurteil aufzuheben gedachte. Auf dem Weg starb er in Porto Ercole an einem Fieber, ganze 39 Jahre alt - seine Begnadigung erlebte er nicht mehr.
In diesen vier Jahren im Exil, in denen es ihm aber an Aufträgen nicht mangelte, rückt der Tod als Thema immer mehr in den Mittelpunkt seiner Kunst. Seine Werke werden noch dunkler, noch gewalttätiger, aber auch mitfühlender - so blickt etwa Salome weg, als ihr der Kopf von Johannes dem Täufer dargeboten wird. Und auch Schuld kommt ins Spiel - das "Martyrium der Heiligen Ursula" zeigt - völlig unerwartet - das Entsetzen auf dem Gesicht ihres Mörders, der gerade den Pfeil abgeschossen hat, der in ihre Brust eingedrungen ist.
Die Kuratoren der Londoner Schau haben sich Caravaggios Behandlung von Licht zum Vorbild für ihre Hängung genommen. So wie er seine Körper aus dem Dunkel ins Licht katapultiert - die obere Hälfte seiner Leinwände ist immer eine undurchdringliche Leere - lassen sie die Gemälde aus wenig beleuchteten, dunklen Wänden heraustreten - wie bei ihm: Drama, erzeugt durch den Kontrast von Licht und Schatten. Fast wie im Kino. Nicht umsonst schrieb der englische Regisseur Derek Jarman, der 1986 einen Film über Caravaggio drehte, der Maler habe das "filmische Licht" erfunden.
Ganz besonders gelungen ist das im letzten Raum, in dem nur ein Werk hängt. Schon von weitem sieht man den siegreichen David, in der Rechten ein blutiges Schwert, in der Linken den abgeschlagenen Kopf des besiegten Goliath, dessen Mund weit aufgerissen im Todesschrei. Mit fast mitleidiger Anteilnahme blickt der Sieger auf sein Opfer herunter, dem der Künstler die eigenen Gesichtszüge gegeben hat – das Selbstporträt eines zum Tode Verdammten. "David und Goliath” ist wohl eines seiner letzten Werke, und es ist möglich, dass er es auf seiner letzten, durch den Tod unterbrochenen Reise nach Rom dabei hatte, vielleicht als Geschenk für den Verwandten des Papstes, der für ihn die Begnadigung erwirken sollte.
Hans Pietsch
Caravaggio: Die letzten Jahre. National Gallery, London. Bis 22. Mai 2005
Der 1571 in Caravaggio bei Bergamo geborene Lombarde Michelangelo Merisi reiste als junger Mann nach Rom, ohne Geld und ohne Beziehungen. Doch schon bald machte ihn sein nie gesehener Realismus berühmt. Er malte die Hässlichkeit des Lebens, mitten in der Gegenreformation, deren Ideologie er zwar folgte, sie jedoch immer wieder untergrub. Seine Modelle waren Huren, Straßenjungen und Bettler, in deren Gesellschaft er sich wohler fühlte als unter seinen reichen Mäzenen. Sie tragen abgerissene Kleidung, ihre Fingernägel sind schmutzig, die Fußsohlen mit Dreck verkrustet. Ihm ging es um die "Nachahmung der Natur”, wie er schrieb. Dass diese unmittelbare, auf das Wesentliche reduzierte Malerei nicht allen zusagte, versteht sich: er mache "Kunst ohne Kunst” schrieb sein Rivale Giovanni Baglione.
Caravaggios Privatleben war wie seine Kunst: aufregend, hektisch und voller Gewalt. Immer wieder kam er mit dem Gesetz in Konflikt, sein ungezügeltes Temperament und sein Jähzorn wurden ihm schließlich zum Verhängnis: am 28. Mai 1606 erstach er auf dem Campo Marzo in Rom einen Kumpanen während eines Streits um Spielschulden – der logische Höhepunkt eines destruktiven Lebensstils. Überstürzt verließ er Rom, wo man ihn in seiner Abwesenheit zum Tode verurteilte. Die letzten vier Jahre seines Lebens war er ständig auf der Flucht, von Neapel über Malta und Sizilien wieder zurück nach Neapel. 1610 brach er nach Rom auf, weil der Papst angeblich das gegen ihn verhängte Todesurteil aufzuheben gedachte. Auf dem Weg starb er in Porto Ercole an einem Fieber, ganze 39 Jahre alt - seine Begnadigung erlebte er nicht mehr.
In diesen vier Jahren im Exil, in denen es ihm aber an Aufträgen nicht mangelte, rückt der Tod als Thema immer mehr in den Mittelpunkt seiner Kunst. Seine Werke werden noch dunkler, noch gewalttätiger, aber auch mitfühlender - so blickt etwa Salome weg, als ihr der Kopf von Johannes dem Täufer dargeboten wird. Und auch Schuld kommt ins Spiel - das "Martyrium der Heiligen Ursula" zeigt - völlig unerwartet - das Entsetzen auf dem Gesicht ihres Mörders, der gerade den Pfeil abgeschossen hat, der in ihre Brust eingedrungen ist.
Die Kuratoren der Londoner Schau haben sich Caravaggios Behandlung von Licht zum Vorbild für ihre Hängung genommen. So wie er seine Körper aus dem Dunkel ins Licht katapultiert - die obere Hälfte seiner Leinwände ist immer eine undurchdringliche Leere - lassen sie die Gemälde aus wenig beleuchteten, dunklen Wänden heraustreten - wie bei ihm: Drama, erzeugt durch den Kontrast von Licht und Schatten. Fast wie im Kino. Nicht umsonst schrieb der englische Regisseur Derek Jarman, der 1986 einen Film über Caravaggio drehte, der Maler habe das "filmische Licht" erfunden.
Ganz besonders gelungen ist das im letzten Raum, in dem nur ein Werk hängt. Schon von weitem sieht man den siegreichen David, in der Rechten ein blutiges Schwert, in der Linken den abgeschlagenen Kopf des besiegten Goliath, dessen Mund weit aufgerissen im Todesschrei. Mit fast mitleidiger Anteilnahme blickt der Sieger auf sein Opfer herunter, dem der Künstler die eigenen Gesichtszüge gegeben hat – das Selbstporträt eines zum Tode Verdammten. "David und Goliath” ist wohl eines seiner letzten Werke, und es ist möglich, dass er es auf seiner letzten, durch den Tod unterbrochenen Reise nach Rom dabei hatte, vielleicht als Geschenk für den Verwandten des Papstes, der für ihn die Begnadigung erwirken sollte.
Hans Pietsch
Caravaggio: Die letzten Jahre. National Gallery, London. Bis 22. Mai 2005