Archiv


"Die SPD gibt es ohne Politikwechsel nicht"

"Wir haben an unserer Glaubwürdigkeit wirklich noch zu arbeiten", sagt Ralf Stegner. Der Chef der SPD in Schleswig-Holstein fordert von seiner Partei, in den Sondierungsgesprächen bei Sozialthemen keine Kompromisse einzugehen und notfalls auf eine Regierungsbeteiligung zu verzichten.

Ralf Stegner im Gespräch mit Jörg Armbrüster |
    Tobias Armbrüster: Es war eine lange Nacht für die Vertreter von CDU, CSU und SPD. Bis Mitternacht haben sie zusammengesessen, es war die zweite Sondierungsrunde auf dem Weg hin zu einer möglichen Großen Koalition. Am Telefon ist jetzt Ralf Stegner, der Landeschef der SPD in Schleswig-Holstein und Fraktionschef im Kieler Landtag. Schönen guten Morgen, Herr Stegner.

    Ralf Stegner: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Stegner, wie sieht es jetzt aus für eine Große Koalition im Bund?

    Stegner: Nun, ich finde das nicht verwunderlich, wenn man sich das erste Mal intensiv über die Themen unterhält – ob das Arbeit oder Europa, ob das Steuern und Finanzen, ob das Familie, Energiepolitik, Kommunen, Rente, Pflege, Infrastruktur ist, all diese Themen, Zuwanderungsfragen -, dass dabei dann etwas deutlich wird, was im Wahlkampf ja gelegentlich bestritten worden ist, nämlich dass es natürlich große Unterschiede zwischen SPD und Union gibt. Die Tatsache, dass man für verschiedene Dinge die gleichen Begriffe wählt – Frau Merkel hat das ja oft getan -, bedeutet eben nicht, wie oft gedeutet worden ist, es gäbe gar keine großen Unterschiede, sondern es gibt sie, und insofern ist es nicht verwunderlich, dass solche Gespräche sehr, sehr schwierig sind. Und es bleibt ja auch dabei, dass die Stimmung in der SPD in allen Landes- und Bezirksverbänden sehr, sehr skeptisch gegenüber einer Großen Koalition ist und dass die Leute sagen, na ja, 25 Prozent für die SPD ist ein schlechtes Ergebnis, da geht man normalerweise in die Opposition.

    Armbrüster: Herr Stegner, man könnte natürlich sagen, es wäre der Basis auch wahrscheinlich schwer zu erklären, wenn Sie sich schon nach zwei Gesprächen auf eine Große Koalition einigen könnten?

    Stegner: Ja, das stimmt. Aber ich würde mich dagegen wenden, so zu tun, als sei das hier ein großes Theaterspiel, wo man eigentlich nur ein bisschen pokert, eigentlich geht es denen doch um Posten, so ungefähr, und die sind sich schon längst einig.

    Armbrüster: Stimmt das nicht?

    Stegner: Nein, das stimmt nicht. Das würde die SPD-Glaubwürdigkeit massiv beschädigen. Wir haben Themen, die uns ausgesprochen wichtig sind. Ich will mal sagen: zum Beispiel gute Arbeit und die Gerechtigkeitsthemen. Das ist für uns erste Priorität. Und wie sollte man Leuten erklären, dass wir jahrelang gegen eine Politik kämpfen, wie sie Schwarz-Gelb gemacht hat, um hinterher dann Mehrheitsbeschaffer für Frau Merkel zu sein. Das kommt nicht infrage! Die Komplizität liegt ein bisschen darin zu verstehen, dass eine Aussage von Frau Merkel nicht stimmt. Sie hat gesagt, es sei kein Politikwechsel gewählt worden. Das hat sie ein paar Mal gesagt. Das stimmt aber nicht. Die FDP ist aus der Bundesliga abgestiegen und die Union hat keine absolute Mehrheit. Sie hat ein starkes Ergebnis, aber wenn sie mit uns, also mit der SPD, zusammen eine Regierung bilden wollte, dann wird das ohne Politikwechsel nicht gehen mit der SPD. Das ist doch klar und solche Gespräche zeigen das natürlich auch, dass dem so ist. Dass die Union pokert und dass sie heute mit den Grünen redet, das ist alles in Ordnung, und wenn die mit den Grünen zusammen eine Koalition bilden, dann tun sie das. Jedenfalls mit der SPD kann es keine Regierung geben mit einem "weiter so" einer schwarz-gelben Politik, die wir bekämpft haben. Das würde unsere Glaubwürdigkeit bei den Mitgliedern, aber vor allen Dingen auch bei unseren Wählerinnen und Wählern beschädigen, und das können und dürfen wir nicht tun. Für eine gute Tagesschlagzeile darf man meiner Meinung nach nicht die eigene Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen.

    Armbrüster: Herr Stegner, das habe ich jetzt noch nicht ganz verstanden. Wo haben die Wähler denn für einen Politikwechsel gestimmt am 22. September?

    Stegner: Herr Armbrüster, wenn die Wähler eine absolute Mehrheit der Union hätten haben wollen, hätten sie sie gewählt. Oder wenn sie Schwarz-Gelb weiter so hätten haben wollen, dann hätten sie Schwarz-Gelb gewählt. Das ist ja offenkundig nicht der Fall. Wir wissen aus ganz vielen Befragungen und nicht nur aus Wahlkampfeindrücken, dass natürlich unsere Gerechtigkeitsthemen wie bei Arbeit zum Beispiel oder bei Rente und Pflege, bei bezahlbarem Wohnraum, dass die Zustimmung der Bevölkerung haben. Dass unser Wahlergebnis gleichwohl so schlecht ausgefallen ist, liegt wohl auch ein bisschen daran, dass zwar unsere Themen, unser Programm richtig gewesen ist, aber die Menschen uns noch nicht zugetraut haben wieder, dass wir das auch tun. Wir haben an unserer Glaubwürdigkeit wirklich noch zu arbeiten und ich gehöre wirklich nicht zu denen, die unser Ergebnis schönreden wollen. Das war nicht gut, da geht man normal in die Opposition, und wir können uns nur an einer Regierung beteiligen, wenn es substanzielle Veränderungen in der Politik gibt, und vielleicht hat der gestrige Abend auch dazu beigetragen, dass auch die Union erkannt hat, dass das so ist. Also wir sind nicht die FDP, so kann man eine Koalition mit der SPD nicht machen, und nun muss sich zeigen, ob die bereit sind, Politikwechsel zu machen. Wenn ja, dann kann es Verhandlungen geben, und wenn nein, dann bleiben wir in der Opposition.

    Armbrüster: Herr Stegner, aber es ist ja jetzt unzweifelhaft, dass beide Seiten, Union und SPD, aufeinander zugehen müssen, Zugeständnisse machen müssen. Lassen Sie uns mal ein Beispiel herausgreifen: den Mindestlohn. Das scheint ja einer der Knackpunkte zu sein. Die SPD will flächendeckend 8,50 Euro in Deutschland gesetzlich festgelegt. Wo würden Sie da Zugeständnisse machen?

    Stegner: Ich glaube, dass wir kein Zugeständnis machen dürfen bei der Frage, dass Menschen von ihrer Arbeit auch leben können müssen. Es ist weder christlich, noch sozial, noch sonst irgendwas, wenn das nicht geht. Und da kann man auch keine Unterschiede in Nord und Süd und West und Ost machen und da kann man auch nicht sagen, bei Friseuren ist das eben so, dass die von ihrer Arbeit nicht leben können, Friseurinnen, das geht alles nicht. Wir brauchen also einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Wenn es den dann mal gibt, dann kann man ja über die Frage reden, ob das künftig von einer Kommission festgelegt wird, wie das in England zum Beispiel der Fall ist oder anderswo. Aber dass das für uns ein ganz wesentliches Glaubwürdigkeitsthema ist, dass wir diesen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn bekommen, und dass Männer und Frauen für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn bekommen, das ist doch klar, das weiß doch auch jeder, da hat die SPD nun wirklich lange Wahlkampf für gemacht, hat lange dafür gekämpft. Wir können unseren Menschen, unseren Leuten doch gar nicht erklären, unseren Wählern nicht erklären, warum das plötzlich nicht mehr wichtig ist.

    Armbrüster: Dann erklären Sie uns vielleicht, Herr Stegner, bei welchen Punkten würden Sie denn Zugeständnisse machen in einem weiteren Sondierungsgespräch?

    Stegner: Na ja, es gehört ja zur Professionalität dazu, dass man solche Sondierungsgespräche nicht vor Kameras und Mikrofonen führt, sondern dass die hinter verschlossenen Türen stattfinden, und dass unser Wahlprogramm zwar der Maßstab ist, aber nicht rauskommt bei 25 Prozent, das weiß nun jeder. In jeder Koalition muss man Kompromisse machen. Manchmal muss man sich auch über die Schrittgeschwindigkeiten unterhalten, mit denen man Dinge erreichen kann. Ich glaube, dass in der Analyse der Lage die Unterschiede gar nicht so groß sind zwischen Union und SPD. Auch Frau Merkel weiß, dass wir was für die Kommunen tun müssen. Auch Frau Merkel hat Versprechungen gemacht mit der Mütterrente zum Beispiel, oder im Pflegebereich, und weiß, dass das nicht geht ohne zusätzliche Mittel. Die müssen irgendwo herkommen logischerweise. Und wir haben in Europa eine große Verantwortung für soziales Europa. Und wir wissen alle, die Energiewende läuft nicht gut bisher, da muss man gemeinschaftlich was ändern. Also in der Analyse der Lage gibt es, glaube ich, so große Unterschiede nicht. Die Frage ist, kann man sich durchringen dazu, sich auf einen Weg zu machen, wo man sagen kann, es lohnt, gemeinsam eine Regierung zu bilden. Wenn man zu der Auffassung kommt, es lohnt nicht, dann soll man es lieber lassen. Und im übrigen bleibt es ja dabei: Die Mitglieder der SPD, die am Ende entscheiden werden bei uns, die würden dem nicht zustimmen, einer Vereinbarung nicht zustimmen, wenn es nicht substanzielle Veränderungen gegenüber der schwarz-gelben Politik gibt.

    Armbrüster: Was passiert denn, wenn die Mitglieder, wenn die Delegierten beim Konvent am Wochenende sagen, Leute, unter diesen Bedingungen, die ihr da in dieser Woche ausgehandelt habt, wollen wir keine Große Koalition, da machen wir nicht mit?

    Stegner: Dann würde es sie nicht geben. Aber es soll ja …

    Armbrüster: Das heißt, die SPD-Spitze würde sich einem solchen Votum des Konvents auch beugen?

    Stegner: Das ist doch selbstverständlich. Im übrigen soll es ja wahrscheinlich noch Gespräche geben und man wird dann sehen müssen, noch nicht mal, ob es eine Koalition geben kann, sondern ob es sich lohnt, darüber zu verhandeln. Das ist die Frage jetzt. Auch nach einem solchen Konvent bliebe die Sache ja offen, weil man sich immer die Freiheit nehmen muss, am Ende zu beurteilen, ob das eine tragfähige Vereinbarung ist. Schauen Sie, der Punkt ist ja: Viele Menschen in der Bevölkerung wollen eine Große Koalition. Das wissen wir aus den Umfragen. Und sie interessieren sich auch nicht für die Befindlichkeiten der SPD, das erleben wir ja auch. Aber sie interessieren sich natürlich schon, ob sie von ihrer Arbeit leben können, wie das mit Rente und Pflege ist, ob sie ihre Miete bezahlen können und den Strom. Dafür interessieren sie sich sehr, und deswegen sind diese inhaltlichen Fragen wichtig und eben nicht nur Schauspiel. Wenn die SPD den Eindruck erweckte, es ginge nur um Posten und nicht um Inhalte, dann kann man nicht Politik machen, und das wird die SPD auch nicht tun. Deswegen ist es zwar ein komplizierter Prozess, der ist aber sehr offen. Heute redet die Union mit den Grünen, mal sehen, was dabei herauskommt. Fest steht nur eins: Frau Merkel kann nur Bundeskanzlerin werden, wenn sie eine Mehrheit im Deutschen Bundestag bekommt, entweder mit den Grünen oder mit der SPD, und die SPD gibt es ohne Politikwechsel nicht.

    Armbrüster: Ralf Stegner war das, der SPD-Vorsitzende in Schleswig-Holstein und Fraktionschef im Kieler Landtag. Besten Dank, Herr Stegner, für das Gespräch heute Morgen.

    Stegner: Sehr gerne – tschüss!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.