Archiv


Die SPD in Niedersachsen zwischen Schröder und Gabriel

Seitdem der Niedersachse Gerhard Schröder 1998 als Parteivorsitzender der SPD antrat, haben Mitglieder im fünfstelligen Bereich ihr Parteibuch zurückgegeben. Seit einem Jahr steht ein anderer Niedersachse an der Spitze der SPD: Sigmar Gabriel. Und die Basis vor Ort begleitet ihn kritisch.

Von Susanne Schrammar |
    Das städtische Freizeitheim in Hannover-Döhren: Während nebenan die Square-Dance-Gruppe übt und später noch die Klönsnack-Truppe tagt, hat Angelo Alter seine Genossen um sich geschart. Mitgliedertreffen des SPD-Ortsvereines Döhren-Wülfel. Von den knapp 250 Mitgliedern sind an diesem Abend etwa 30 erschienen. Erst vor vier Wochen hat der 26-jährige den Vorsitz des Ortsvereines übernommen, der sechs sehr unterschiedliche hannoversche Stadtteile umfasst. Darunter das schicke Waldheim, wo Altkanzler Gerhard Schröder wohnt, und das eher sozialschwache Wülfel.

    Alter: "Also, es ist ein Querschnitt durch die Gesellschaft – von stark bis schwach, von gut gebildet bis nicht so gut gebildet von arbeitslos bis beschäftigt. Also, ich denke, das ist ein sehr bunter Mix."

    Der sich auch bei diesem Parteitreffen zeigt: ein Rechtsanwalt, eine Universitätsangestellte, ein Kellner, ein 15-jähriger Gymnasiast, der nebenbei als Pizzabote arbeitet und ziemlich viele, die das Rentenalter längst erreicht haben. Wir sind ein gutes und starkes Team, sagt der junge Vorsitzende stolz. Die meisten haben ihr Parteibuch schon seit Jahrzehnten. Polizist Angelo Alter ist erst vor anderthalb Jahren in die SPD eingetreten. Die Weltwirtschaftskrise habe ihm, der sich schon als Schülervertreter, Fußballschiedsrichter und Gewerkschafter engagiert hat, gezeigt, wo er politisch hingehöre.

    "Da ist mir erst wirklich deutlich geworden, wofür andere Parteien stehen, was andere Parteien bedienen. Und als ich dann den Blick auf mich selber geworfen habe und meine eigene Situation betrachtet habe, habe ich festgestellt: Du gehörst in die SPD rein. Für mich bedeutet Sozialdemokratie auch große Familie, füreinander da sein, dieses Solidarische, irgendwie zusammen was auf die Beine stellen und die Zeit, die man dafür investiert, bekommt man drei- oder vierfach wieder zurück."

    Nach 32 Jahren in der SPD fällt der Enthusiasmus ein wenig gebremster aus. Hätte es damals die Grünen schon gegeben, wäre ich vielleicht auch dort gelandet, gibt Gudrun Koch, 53-jährige Psychaterin aus Hannover unumwunden zu. Gleichberechtigung der Frau, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie – diese Anliegen hätten sie in die Partei geführt. Doch noch immer sei die SPD nicht dort, wo sie sein könnte, sagt die dreifache Mutter. Aus der Partei auszutreten sei dennoch nie infrage gekommen. Auch nicht, als unter Schröder Hartz IV eingeführt wurde und viele im Ortsverein Hannover-Döhren-Wülfel wütend ihr Parteibuch zurückgegeben hätten. Dass heute unter Gabriel in der SPD die Sinnhaftigkeit der Arbeitsmarktgesetze wieder heftig diskutiert werde, so richtig kann Gudrun Koch das nicht verstehen.

    "Die, die Nachteile haben, die schreien. Aber es gibt umso mehr Menschen, die Vorteile haben und die äußern sich ja nicht. Also, ich glaube, es gibt mehr Gewinner als Verlierer bei dem Systemwechsel, aber man muss eben nachbessern, dass man eben keine sozialen Härten und Ungerechtigkeiten erzeugt. Und man muss mehr tun, um Menschen eben in auskömmliche Arbeit zu bringen, dass sie nämlich von dem leben können, was sie tun."

    Die Debatte um Mindestlöhne, die Abschaffung der Rente mit 67 – Gudrun Koch, findet es gut, dass sich die SPD jetzt wieder auf ihre sozialen Wurzeln besinne. Richtig begeistert ist die Ärztin davon, dass nach dem Desaster bei der letzten Bundestagswahl die Parteibasis stärker miteinbezogen wird. Bei Wahlprogrammen und Personalfragen dürfen wir jetzt mitbestimmen, zählt sie als Beispiel auf, auch als einfaches Mitglied könne sie an Fortbildungen teilnehmen und wenn sie auf eine Rundmail der SPD-Parteiführung antworte, werde sie auch gehört.

    "Also, früher hatte ich das Gefühl, wenn ich mich äußere, das landet im Papierkorb oder es interessiert keinen und jetzt gibt es von der Parteizentrale scheinbar Leute, die sich damit befassen. Also, das ist ganz neu. "Vielen Dank für Deinen Kommentar" - das wird nicht nur gesagt, sondern sie bemühen sich darum, die Sachen, die von der Basis kommen, auch aufzunehmen."

    In der SPD kann man am meisten bewegen, wenn sie in der Opposition ist, sagt Hans-Dieter Keil-Süllow, 61 Jahre alt, Programmierer und seit vier Jahrzehnten mal mehr oder weniger im Ortsverein Hannover-Döhren-Wülfel aktiv.

    "Dann sind Leute plötzlich lernfähig, die vorher Positionen eingenommen haben, die Kompromisse gemacht haben. Sie sind dann auch radikaler, sie gehen mehr an die Wurzeln. Wenn unsereiner gesagt hat: Rente mit 67, damit kann man nicht an die Öffentlichkeit gehen, das schadet nur, dann erkennen die Leute das jetzt auch."

    Ein versteckter Seitenhieb in Richtung Sigmar Gabriel, der bei dieser Frage auch schon gegensätzliche Positionen vertreten hat. Und noch etwas kann der langjährige Vertreter im Stadtelternrat seinem Parteivorsitzenden nicht so recht verzeihen: die Abschaffung der Orientierungsstufe in Niedersachsen im Jahre 2001, als Gabriel hier Ministerpräsident war. In der Bildungspolitik, sagt der zweifache Vater Keil-Sülow, habe es einige Fehler und Versäumnisse gegeben.

    "Es gab immer schon seit Jahrzehnten Eltern, die darauf gewartet haben, dass ihr Kind auf eine Gesamtschule kommt. Und da hätte die SPD – auch als sie in der Landesregierung war oder in der Bundesregierung – sehr viel mehr an Bildungspolitik machen können."

    In einem Punkt gibt der 61-jährige dem Parteivorsitzenden Gabriel jedoch vehement recht. In einem Interview hatte der kürzlich gesagt, dass die Arbeit in der SPD in den vergangenen Monaten wieder viel mehr Freude mache. Ja, sagt Hans-Dieter Keil-Süllow und nickt, eine Art Aufbruchstimmung kann ich auch spüren, sogar eine neue Art der emotionalen Bindung der Mitglieder untereinander. Wenn der Ortsverein Hannover-Döhren-Wülfel seinen Infostand auf dem Marktplatz im Stadtviertel aufbaue, dann wieder mit Leidenschaft.

    "Die Diskussionen an den Infoständen machen jetzt auch wieder mehr Spaß als früher."