Gerd Breker: Es gibt Situationen, in denen kommt es darauf an, bloß nichts falsch zu machen. Man kann in großer Gelassenheit schauen, wie die, die regieren und das Heft des Handelns in der Hand haben, sich gegenseitig behaken und sich mühen, all den Krisen hinterherzueilen. Die Sozialdemokratie, sie befindet sich derzeit in so einer bequemen Position. Die schwarz-gelbe Koalition hat in den Umfragen keine Mehrheit mehr, da die FDP sich bei drei Prozent festgesetzt hat und die Merkel-CDU mit all ihren Kehrtwendungen programmatisch auf die SPD zueilt. In diesen Krisenzeiten kommt der SPD vieles entgegen und es wäre leicht, nichts verkehrt zu machen, wären da nicht die eigenen Parteigänger, die ideologischen Rückhalt brauchen, und wäre da nicht die K-Frage, die Frage der Fragen, die über diesem Parteitag der Sozialdemokraten schwebt, ob es der Partei nun recht ist oder nicht. Die Piratenpartei hat an diesem Wochenende nach ihrem überraschend guten Abschneiden bei der Berlin-Wahl ihren bislang größten Bundesparteitag abgehalten. Der Versuch war, die Freunde der Internet-Freiheit auf ein programmatisch breites Fundament zu stellen, in gewisser Weise also etwas Ähnliches wie erwachsen werden dieser Partei, oder anders gesagt: wählbarer zu werden. Ein erster Schritt dazu das BGE, das Bedingungslose Grundeinkommen für jeden – kontrovers diskutiert, aber mit Zwei-Drittel-Mehrheit schließlich angenommen. Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen Falter. Guten Tag, Herr Falter.
Jürgen Falter: Guten Tag!
Breker: Beginnen wollen wir mit der SPD. Es könnte den Sozialdemokraten reichen, jetzt einfach nichts verkehrt zu machen. Aber wird das den Parteilinken gelingen, ganz ohne Ideologie auszukommen?
Falter: Na das wird sehr schwer werden natürlich. Die haben bestimmte Grundüberzeugungen und die werfen sie natürlich ungern über Bord, beziehungsweise damit halten sie auch ungern hinterm Berg. Aber je näher das Ziel kommt, je wahrscheinlicher es wird, den Kanzler wieder zu stellen, umso disziplinierender ist natürlich die Wirkung dieser Perspektive. Das sollte man nicht unterschätzen. Und wir werden morgen sehen bei den Abstimmungen über die Steuer, wie weit die linke sich durchsetzen kann. Wenn sie sich nicht durchsetzt, dann wächst möglicherweise das Risiko für die SPD, dass sie sich dann noch versuchen zu melden, bevor tatsächlich Regierungsverantwortung ergriffen wird.
Breker: Die SPD empfindet das derzeit offenbar als Luxus, drei potenzielle Kanzlerkandidaten zu haben. Aber dieser Luxus könnte auch zu einem Fluch werden?
Falter: Es ist die Frage, wie man es inszeniert. Die Franzosen, die französischen Sozialisten haben das ja gut vorgeführt, wie man so etwas machen kann: so etwas wie nationenweite Primaries zwischen den verschiedenen Kandidaten mit Debatten vorher. Das hat ein unglaubliches Interesse geweckt und hat auch die Zustimmung zu den Sozialisten insgesamt dann verstärkt. Etwas Ähnliches, so ein bisschen wie ein Pferderennen, könnte die SPD sich auch vorstellen. Sie hat es ja schon mal gehabt mit Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine, und das war damals auch ein Pluspunkt in der Auseinandersetzung mit der CDU und Helmut Kohl.
Breker: Man kann ja davon ausgehen, Herr Falter, dass die Euro-Krise andauern wird. Spricht das für Peer Steinbrück?
Falter: Wenn die Euro-Krise weiter andauert, wenn sie sich möglicherweise noch verschlimmern sollte, dann dürfte das auf jeden Fall für Peer Steinbrück und vielleicht auch für Frank-Walter Steinmeier sprechen, beides Leute: einer mit hoher außenpolitischer Kompetenz, der andere mit hoher finanzpolitischer Kompetenz, die auch die Dinge auf den Begriff bringen können, vor allen Dingen Peer Steinbrück. Dann, glaube ich, werden die Chancen von Steinbrück wachsen, Kanzlerkandidat der SPD zu werden.
Breker: Werden eigentlich hierzulande die Wahlen immer noch in der Mitte gewonnen?
Falter: Es werden Wahlen eigentlich bei uns immer in der Mitte gewonnen. Das kommt einfach daher, weil zwei Drittel der Wahlberechtigten sich selber um die Mitte herum gruppieren in ihrer eigenen Vorstellung, und Mehrheiten können sie eigentlich nur da gewinnen. Sie können sie natürlich auch leicht links der Mitte gewinnen, aber sie müssen eben ein bisschen an die Mitte herankommen, sonst schaffen sie es nicht.
Breker: Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel, sie kennt offenbar die Umfrageergebnisse ihres Koalitionspartners und eilt mit all ihren Kehrtwendungen ja im Grunde den Sozialdemokraten entgegen. Heißt das, sie spekuliert klammheimlich oder weniger klammheimlich offen auf eine Große Koalition?
Falter: Man nennt das Frontbegradigungen, und das sind ja auch zum Teil Rückzugsgefechte. Es ist Anpassung an die Moderne, an andere Vorstellungen der Gesellschaft als die, die im Grundsatzprogramm stehen, und das eröffnet natürlich die Möglichkeiten für andere Koalitionen. Da gibt es dann keine dogmatischen Vorbehalte, keine ideologischen Barrieren, sondern man kann sagen, nur eigentlich in einer Großen Koalition können wir zusammen die großen Herausforderungen der Zeit in den Griff bekommen – immer mal davon ausgehend, dass große Herausforderungen der Zeit auch 2013 noch bestehen.
Breker: Die Piratenpartei – wir haben es an diesem Wochenende erlebt -, Herr Falter, sie will sich als liberale Kraft etablieren. Da hat die FDP ja auch in den letzten Jahren viel Platz gelassen. Aber hat die Piratenpartei überhaupt die Chance dazu?
Falter: Das kommt natürlich sehr darauf an, wie sie sich jetzt tatsächlich in den nächsten zwei Jahren bewährt. Aber sie ist auf einem guten Weg. Sie versucht, die weißen Flecken auf der programmatischen Landkarte wenigstens zu vermindern. Das ist ihr beim Offenbacher Parteitag ja auch gelungen. Sie hat eine ganze Reihe von Programmpunkten verabschiedet, die vorher in dieser Form nicht im Grundsatzprogramm drin standen. Und sie versucht, so etwas vorzulegen wie eine ganz eigenständige Mischung aus Altliberalismus des 19. Jahrhunderts ins Netzzeitalter hineintransportiert auf der einen Seite und Linksliberalismus mit durchaus linkem Zungenschlag dann auch für den anderen Teil der Partei, etwa was das Bedingungslose Grundeinkommen angeht.
Breker: Bislang, Herr Falter, hat es ja eigentlich immer nur Parteienabspaltungen links von der Mitte gegeben. Mit zu Guttenbergs Comeback-Versuch taucht nun auch erstmals der Gedanke an eine neue Partei rechts der Mitte auf. Hat die Chancen, ist das realistisch?
Falter: Das Wählerpotenzial ist vorhanden, ohne Zweifel. Es ist allerdings ein sehr heterogenes Wählerpotenzial. Das ist nicht so, dass die sich alle so leicht hinter einem Parteilabel versammeln würden. Das sind enttäuschte Katholiken beispielsweise, die mit dem gesellschaftspolitischen Kurs der CDU und der CSU nicht zurecht kommen, das sind enttäuschte Wirtschaftsliberale, das sind enttäuschte aller möglichen Couleur. Aber mit einer Sammlungsfigur, mit einer charismatischen Führungsfigur wie beispielsweise Guttenberg, oder Friedrich Merz könnte das gelingen. Aber dazu braucht man Geld, Organisation, Zeit und viel Idealismus, und ob das alles wirklich zusammenkommt, das ist mit einem großen Fragezeichen zu versehen.
Breker: Das heißt, das Spannendste bei der nächsten Bundestagswahl wird wohl sein, welche der beiden großen Parteien die Nase vorn hat?
Falter: Das ist der entscheidende Punkt. Im Augenblick hat es eindeutig die CDU/CSU. Das kann sich ändern, die SPD ist im Aufwind, sie ist ja wieder aus diesem 23-Prozent-Keller herausgekommen bis an die 30 Prozent. Das ist schon mal etwas, was die SPD sicherlich ziemlich optimistisch stimmen kann. Es wird sich zeigen, wie Angela Merkel die Krise, die Euro-Krise bewältigt. Wenn sie sie gut bewältigt, dann dürfte das der Union wiederum Rückenwind verschaffen.
Breker: Im Deutschlandfunk war das der Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen Falter. Herr Falter, ich danke Ihnen sehr für diese Analyse.
Falter: Gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Jürgen Falter: Guten Tag!
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Falter: Na das wird sehr schwer werden natürlich. Die haben bestimmte Grundüberzeugungen und die werfen sie natürlich ungern über Bord, beziehungsweise damit halten sie auch ungern hinterm Berg. Aber je näher das Ziel kommt, je wahrscheinlicher es wird, den Kanzler wieder zu stellen, umso disziplinierender ist natürlich die Wirkung dieser Perspektive. Das sollte man nicht unterschätzen. Und wir werden morgen sehen bei den Abstimmungen über die Steuer, wie weit die linke sich durchsetzen kann. Wenn sie sich nicht durchsetzt, dann wächst möglicherweise das Risiko für die SPD, dass sie sich dann noch versuchen zu melden, bevor tatsächlich Regierungsverantwortung ergriffen wird.
Breker: Die SPD empfindet das derzeit offenbar als Luxus, drei potenzielle Kanzlerkandidaten zu haben. Aber dieser Luxus könnte auch zu einem Fluch werden?
Falter: Es ist die Frage, wie man es inszeniert. Die Franzosen, die französischen Sozialisten haben das ja gut vorgeführt, wie man so etwas machen kann: so etwas wie nationenweite Primaries zwischen den verschiedenen Kandidaten mit Debatten vorher. Das hat ein unglaubliches Interesse geweckt und hat auch die Zustimmung zu den Sozialisten insgesamt dann verstärkt. Etwas Ähnliches, so ein bisschen wie ein Pferderennen, könnte die SPD sich auch vorstellen. Sie hat es ja schon mal gehabt mit Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine, und das war damals auch ein Pluspunkt in der Auseinandersetzung mit der CDU und Helmut Kohl.
Breker: Man kann ja davon ausgehen, Herr Falter, dass die Euro-Krise andauern wird. Spricht das für Peer Steinbrück?
Falter: Wenn die Euro-Krise weiter andauert, wenn sie sich möglicherweise noch verschlimmern sollte, dann dürfte das auf jeden Fall für Peer Steinbrück und vielleicht auch für Frank-Walter Steinmeier sprechen, beides Leute: einer mit hoher außenpolitischer Kompetenz, der andere mit hoher finanzpolitischer Kompetenz, die auch die Dinge auf den Begriff bringen können, vor allen Dingen Peer Steinbrück. Dann, glaube ich, werden die Chancen von Steinbrück wachsen, Kanzlerkandidat der SPD zu werden.
Breker: Werden eigentlich hierzulande die Wahlen immer noch in der Mitte gewonnen?
Falter: Es werden Wahlen eigentlich bei uns immer in der Mitte gewonnen. Das kommt einfach daher, weil zwei Drittel der Wahlberechtigten sich selber um die Mitte herum gruppieren in ihrer eigenen Vorstellung, und Mehrheiten können sie eigentlich nur da gewinnen. Sie können sie natürlich auch leicht links der Mitte gewinnen, aber sie müssen eben ein bisschen an die Mitte herankommen, sonst schaffen sie es nicht.
Breker: Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel, sie kennt offenbar die Umfrageergebnisse ihres Koalitionspartners und eilt mit all ihren Kehrtwendungen ja im Grunde den Sozialdemokraten entgegen. Heißt das, sie spekuliert klammheimlich oder weniger klammheimlich offen auf eine Große Koalition?
Falter: Man nennt das Frontbegradigungen, und das sind ja auch zum Teil Rückzugsgefechte. Es ist Anpassung an die Moderne, an andere Vorstellungen der Gesellschaft als die, die im Grundsatzprogramm stehen, und das eröffnet natürlich die Möglichkeiten für andere Koalitionen. Da gibt es dann keine dogmatischen Vorbehalte, keine ideologischen Barrieren, sondern man kann sagen, nur eigentlich in einer Großen Koalition können wir zusammen die großen Herausforderungen der Zeit in den Griff bekommen – immer mal davon ausgehend, dass große Herausforderungen der Zeit auch 2013 noch bestehen.
Breker: Die Piratenpartei – wir haben es an diesem Wochenende erlebt -, Herr Falter, sie will sich als liberale Kraft etablieren. Da hat die FDP ja auch in den letzten Jahren viel Platz gelassen. Aber hat die Piratenpartei überhaupt die Chance dazu?
Falter: Das kommt natürlich sehr darauf an, wie sie sich jetzt tatsächlich in den nächsten zwei Jahren bewährt. Aber sie ist auf einem guten Weg. Sie versucht, die weißen Flecken auf der programmatischen Landkarte wenigstens zu vermindern. Das ist ihr beim Offenbacher Parteitag ja auch gelungen. Sie hat eine ganze Reihe von Programmpunkten verabschiedet, die vorher in dieser Form nicht im Grundsatzprogramm drin standen. Und sie versucht, so etwas vorzulegen wie eine ganz eigenständige Mischung aus Altliberalismus des 19. Jahrhunderts ins Netzzeitalter hineintransportiert auf der einen Seite und Linksliberalismus mit durchaus linkem Zungenschlag dann auch für den anderen Teil der Partei, etwa was das Bedingungslose Grundeinkommen angeht.
Breker: Bislang, Herr Falter, hat es ja eigentlich immer nur Parteienabspaltungen links von der Mitte gegeben. Mit zu Guttenbergs Comeback-Versuch taucht nun auch erstmals der Gedanke an eine neue Partei rechts der Mitte auf. Hat die Chancen, ist das realistisch?
Falter: Das Wählerpotenzial ist vorhanden, ohne Zweifel. Es ist allerdings ein sehr heterogenes Wählerpotenzial. Das ist nicht so, dass die sich alle so leicht hinter einem Parteilabel versammeln würden. Das sind enttäuschte Katholiken beispielsweise, die mit dem gesellschaftspolitischen Kurs der CDU und der CSU nicht zurecht kommen, das sind enttäuschte Wirtschaftsliberale, das sind enttäuschte aller möglichen Couleur. Aber mit einer Sammlungsfigur, mit einer charismatischen Führungsfigur wie beispielsweise Guttenberg, oder Friedrich Merz könnte das gelingen. Aber dazu braucht man Geld, Organisation, Zeit und viel Idealismus, und ob das alles wirklich zusammenkommt, das ist mit einem großen Fragezeichen zu versehen.
Breker: Das heißt, das Spannendste bei der nächsten Bundestagswahl wird wohl sein, welche der beiden großen Parteien die Nase vorn hat?
Falter: Das ist der entscheidende Punkt. Im Augenblick hat es eindeutig die CDU/CSU. Das kann sich ändern, die SPD ist im Aufwind, sie ist ja wieder aus diesem 23-Prozent-Keller herausgekommen bis an die 30 Prozent. Das ist schon mal etwas, was die SPD sicherlich ziemlich optimistisch stimmen kann. Es wird sich zeigen, wie Angela Merkel die Krise, die Euro-Krise bewältigt. Wenn sie sie gut bewältigt, dann dürfte das der Union wiederum Rückenwind verschaffen.
Breker: Im Deutschlandfunk war das der Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen Falter. Herr Falter, ich danke Ihnen sehr für diese Analyse.
Falter: Gerne.
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