Silvia Engels: Bei der SPD ist das Projekt, Bundeskanzlerin Merkel abzulösen, auf ganzer Linie gescheitert. Nun droht ein Konflikt um die Frage, ob die Sozialdemokraten erneut für eine Große Koalition bereitstehen sollten. Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat sich gestern Abend recht deutlich gegen ein solches Bündnis ausgesprochen. Am Telefon ist nun Rudolf Dreßler, Sozialexperte der SPD, dem linken Flügel zugehörig, und in den 80er-Jahren Parlamentarischer Staatssekretär. Guten Morgen, Herr Dreßler!
Rudolf Dreßler: Guten Morgen!
Engels: Welchen Kurs empfehlen Sie in dieser Frage Ihrer Partei?
Dreßler: Ich empfehle den Kurs, sich genau zu überlegen, wo man steht, was ein solches Wahlergebnis, das zweite miese Ergebnis innerhalb von ein paar Jahren, für eine so traditionsreiche Partei bedeutet. Und da gibt es zwei Punkte, die man sich vergegenwärtigen muss. Die SPD wäre mit einem 16-Prozentpunkte-Abstand der kleine Juniorpartner. Von Augenhöhe gegenüber der CDU kann man realistisch nicht mehr sprechen. Und das Zweite ist: Die erste und somit größte Oppositionspartei wäre dann die Partei Die Linke. Diese würde die SPD sozialpolitisch jagen, und meine Prognose ist, sie würde die SPD mit Erfolg jagen. Anders ausgedrückt: Die SPD könnte in einer Großen Koalition nur verlieren.
Engels: Das heißt, da sollte man die Tür schnell zuschlagen?
Dreßler: Sehr schnell zuschlagen. Dass man Gespräche führen muss, ist klar. Aber Sie müssen sich vergegenwärtigen: Die SPD müsste das Betreuungsgeld im Nachhinein sanktionieren. Die SPD müsste von ihren gesamten Korrekturvorschlägen in Richtung Rente mit 67, in Richtung Leiharbeit Abstand nehmen. Oder glaubt jemand im Ernst, die CDU würde sich nach diesem Wahlerfolg auf der politischen Linie eines SPD-Wahlprogramms auch nur teilweise wiederfinden? Das ist doch abartig!
Engels: Heute will sich aber Frank-Walter Steinmeier erneut zum SPD-Fraktionschef wählen lassen. Er gilt ja als Befürworter einer erneuten Großen Koalition. Ist die noch zu vermeiden, wenn Steinmeier die Fraktion wieder führt?
Dreßler: Ich glaube nicht, dass Steinmeier ähnlich wie 2009 noch machen kann, was er will, ein paar Minuten nach einem Wahlergebnis oder ein paar Stunden. Dieses ist vorbei. Die SPD wird am Freitag einen Parteikonvent abhalten und meine Prognose ist, wenn es zu einer Mitgliederbefragung über das weitere Vorgehen der SPD kommt, dann wird dort entschieden und nicht im Büro von Frank-Walter Steinmeier. Das bedeutet, die SPD wird logischerweise, wenn sie eine Mitgliederbefragung durchführen wird, dieses dann akzeptieren müssen, egal ob man dafür oder dagegen oder besonders erfreut oder weniger erfreut ist.
Engels: Bahnt sich da also eine Zerreißprobe zwischen Gegnern und Befürwortern der Großen Koalition in der SPD an?
Dreßler: Meine Prognose ist schon, dass es sich um eine vielleicht sogar Zerreißprobe handeln wird, in jedem Falle um eine große Auseinandersetzung über den weiteren Weg der SPD.
Engels: Wie kann SPD-Chef Gabriel mit diesem Konflikt umgehen?
Dreßler: Das muss er als Parteivorsitzender leisten. Da bleibt nun mal nichts anderes übrig. Denn er hat sich lange genug darauf vorbereiten können. Das Wahlergebnis selbst kann doch nicht als Sensation definiert werden. Alle Meinungsforschungsinstitute haben wochenlang vorher dieses Ergebnis fast haargenau vorausgesagt. Also es gibt nichts Sensationelles! Tatsache ist: Die SPD ist 2005 an der Seite der CDU/CSU aufgesogen worden auf das schlechteste Wahlergebnis seit 110 Jahren. Das muss man sich mal vergegenwärtigen. Wir haben jetzt das zweitschlechteste Ergebnis und das bedeutet: Wenn sie jetzt in die Große Koalition geht, ist ihr Charakter als Volkspartei dahin.
Engels: Sollte Peer Steinbrück sich zurückziehen?
Dreßler: Das muss er selber entscheiden. Er ist gewählter Abgeordneter über die Landesliste und wenn er weiter Politik machen will, wird ihn niemand daran hindern können. Das ist ganz einzig und allein seine Entscheidung. Entscheidend ist die andere Frage, wie viel Einfluss er auf das zukünftige Geschehen der SPD hat, und das müssen die Gremien befinden.
Engels: Sollte denn SPD-Chef Gabriel im Amt bleiben?
Dreßler: Nach meiner Auffassung in jedem Fall.
Engels: Wie steht es denn um eine Möglichkeit, wenn Sie ja auch klar für linkere Positionen der SPD werben, dass vielleicht doch Hannelore Kraft oder jemand anders, der noch stärker für ein etwas linkeres Profil wirbt, in diese Rolle als Vorsitzender schlüpft?
Dreßler: Also ich glaube, Frau Kraft wäre gut beraten, wenn sie sich dieses jetzt nicht antut, sondern ihre Rolle in Nordrhein-Westfalen, die sie artikuliert hat, die sie vorgestellt hat, von der sie immer wieder gesprochen hat, ausfüllt. Und was im Jahre 2017 bei der nächsten Bundestagswahl ist, oder bei einer vorgezogenen Wahl, wenn widrige Umstände dieses nötig machen, das muss dann entschieden werden. Aber jetzt sollte Frau Kraft sich in diese Debatte nicht hineinziehen lassen.
Engels: Nehmen wir an, es kommt so, wie Sie prognostizieren: Die SPD steht nicht für eine Koalition mit der Union bereit. Was erwarten Sie dann für einen Kurs in der Bundesrepublik?
Dreßler: Dann wird die CDU auf die Grünen zugehen müssen und das, was einige CDU-Leute ja heute schon bevorzugen, nämlich eine Koalition mit einem kleineren Partner namens Grüne, das wird dann Realität werden. Und ich kann nicht erkennen, was daran nun besonders dramatisch sein soll. Das, was für die Grünen gilt in ihrer Abneigung in Richtung Koalition mit der CDU/CSU, gilt ja für die SPD genauso. Also das kann ich nicht erkennen, dass damit Deutschland in Gefahr stünde. Man darf sich immer vergegenwärtigen, dass die Konservativen bis zum Wahlabend, also vorgestern, die SPD als Gefahr für Deutschland und Europa diskreditiert haben. Und seit Sonntagabend, seit dem Wahlabend, reden sie plötzlich von staatsbürgerlicher Verantwortung der SPD. Dieses Argument ist doch lächerlich!
Engels: Rudolf Dreßler, Sozialexperte der SPD, dem linken Flügel seiner Partei zugehörig. Vielen Dank für das Gespräch.
Dreßler: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Rudolf Dreßler: Guten Morgen!
Engels: Welchen Kurs empfehlen Sie in dieser Frage Ihrer Partei?
Dreßler: Ich empfehle den Kurs, sich genau zu überlegen, wo man steht, was ein solches Wahlergebnis, das zweite miese Ergebnis innerhalb von ein paar Jahren, für eine so traditionsreiche Partei bedeutet. Und da gibt es zwei Punkte, die man sich vergegenwärtigen muss. Die SPD wäre mit einem 16-Prozentpunkte-Abstand der kleine Juniorpartner. Von Augenhöhe gegenüber der CDU kann man realistisch nicht mehr sprechen. Und das Zweite ist: Die erste und somit größte Oppositionspartei wäre dann die Partei Die Linke. Diese würde die SPD sozialpolitisch jagen, und meine Prognose ist, sie würde die SPD mit Erfolg jagen. Anders ausgedrückt: Die SPD könnte in einer Großen Koalition nur verlieren.
Engels: Das heißt, da sollte man die Tür schnell zuschlagen?
Dreßler: Sehr schnell zuschlagen. Dass man Gespräche führen muss, ist klar. Aber Sie müssen sich vergegenwärtigen: Die SPD müsste das Betreuungsgeld im Nachhinein sanktionieren. Die SPD müsste von ihren gesamten Korrekturvorschlägen in Richtung Rente mit 67, in Richtung Leiharbeit Abstand nehmen. Oder glaubt jemand im Ernst, die CDU würde sich nach diesem Wahlerfolg auf der politischen Linie eines SPD-Wahlprogramms auch nur teilweise wiederfinden? Das ist doch abartig!
Engels: Heute will sich aber Frank-Walter Steinmeier erneut zum SPD-Fraktionschef wählen lassen. Er gilt ja als Befürworter einer erneuten Großen Koalition. Ist die noch zu vermeiden, wenn Steinmeier die Fraktion wieder führt?
Dreßler: Ich glaube nicht, dass Steinmeier ähnlich wie 2009 noch machen kann, was er will, ein paar Minuten nach einem Wahlergebnis oder ein paar Stunden. Dieses ist vorbei. Die SPD wird am Freitag einen Parteikonvent abhalten und meine Prognose ist, wenn es zu einer Mitgliederbefragung über das weitere Vorgehen der SPD kommt, dann wird dort entschieden und nicht im Büro von Frank-Walter Steinmeier. Das bedeutet, die SPD wird logischerweise, wenn sie eine Mitgliederbefragung durchführen wird, dieses dann akzeptieren müssen, egal ob man dafür oder dagegen oder besonders erfreut oder weniger erfreut ist.
Engels: Bahnt sich da also eine Zerreißprobe zwischen Gegnern und Befürwortern der Großen Koalition in der SPD an?
Dreßler: Meine Prognose ist schon, dass es sich um eine vielleicht sogar Zerreißprobe handeln wird, in jedem Falle um eine große Auseinandersetzung über den weiteren Weg der SPD.
Engels: Wie kann SPD-Chef Gabriel mit diesem Konflikt umgehen?
Dreßler: Das muss er als Parteivorsitzender leisten. Da bleibt nun mal nichts anderes übrig. Denn er hat sich lange genug darauf vorbereiten können. Das Wahlergebnis selbst kann doch nicht als Sensation definiert werden. Alle Meinungsforschungsinstitute haben wochenlang vorher dieses Ergebnis fast haargenau vorausgesagt. Also es gibt nichts Sensationelles! Tatsache ist: Die SPD ist 2005 an der Seite der CDU/CSU aufgesogen worden auf das schlechteste Wahlergebnis seit 110 Jahren. Das muss man sich mal vergegenwärtigen. Wir haben jetzt das zweitschlechteste Ergebnis und das bedeutet: Wenn sie jetzt in die Große Koalition geht, ist ihr Charakter als Volkspartei dahin.
Engels: Sollte Peer Steinbrück sich zurückziehen?
Dreßler: Das muss er selber entscheiden. Er ist gewählter Abgeordneter über die Landesliste und wenn er weiter Politik machen will, wird ihn niemand daran hindern können. Das ist ganz einzig und allein seine Entscheidung. Entscheidend ist die andere Frage, wie viel Einfluss er auf das zukünftige Geschehen der SPD hat, und das müssen die Gremien befinden.
Engels: Sollte denn SPD-Chef Gabriel im Amt bleiben?
Dreßler: Nach meiner Auffassung in jedem Fall.
Engels: Wie steht es denn um eine Möglichkeit, wenn Sie ja auch klar für linkere Positionen der SPD werben, dass vielleicht doch Hannelore Kraft oder jemand anders, der noch stärker für ein etwas linkeres Profil wirbt, in diese Rolle als Vorsitzender schlüpft?
Dreßler: Also ich glaube, Frau Kraft wäre gut beraten, wenn sie sich dieses jetzt nicht antut, sondern ihre Rolle in Nordrhein-Westfalen, die sie artikuliert hat, die sie vorgestellt hat, von der sie immer wieder gesprochen hat, ausfüllt. Und was im Jahre 2017 bei der nächsten Bundestagswahl ist, oder bei einer vorgezogenen Wahl, wenn widrige Umstände dieses nötig machen, das muss dann entschieden werden. Aber jetzt sollte Frau Kraft sich in diese Debatte nicht hineinziehen lassen.
Engels: Nehmen wir an, es kommt so, wie Sie prognostizieren: Die SPD steht nicht für eine Koalition mit der Union bereit. Was erwarten Sie dann für einen Kurs in der Bundesrepublik?
Dreßler: Dann wird die CDU auf die Grünen zugehen müssen und das, was einige CDU-Leute ja heute schon bevorzugen, nämlich eine Koalition mit einem kleineren Partner namens Grüne, das wird dann Realität werden. Und ich kann nicht erkennen, was daran nun besonders dramatisch sein soll. Das, was für die Grünen gilt in ihrer Abneigung in Richtung Koalition mit der CDU/CSU, gilt ja für die SPD genauso. Also das kann ich nicht erkennen, dass damit Deutschland in Gefahr stünde. Man darf sich immer vergegenwärtigen, dass die Konservativen bis zum Wahlabend, also vorgestern, die SPD als Gefahr für Deutschland und Europa diskreditiert haben. Und seit Sonntagabend, seit dem Wahlabend, reden sie plötzlich von staatsbürgerlicher Verantwortung der SPD. Dieses Argument ist doch lächerlich!
Engels: Rudolf Dreßler, Sozialexperte der SPD, dem linken Flügel seiner Partei zugehörig. Vielen Dank für das Gespräch.
Dreßler: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.