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Die SPD "muss immer mehr sein als eine Partei"

Im "Frankfurter Hof" in Mainz hielt Ferdinand Lassalle am 20. Mai 1863 eine programmatische Rede - drei Tage später gründete er in Leipzig den "Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein". Die SPD erinnerte an die 150 Jahre alte Mainzer Vorgeschichte der Parteigründung.

Von Ludger Fittkau | 21.05.2013
    Sigmar Gabriel mit vielen Details aus der bewegten SPD-Geschichte. Kurt Beck mit dem kämpferischen Appell, über die große Parteihistorie nicht den mühseligen alltäglichen Streit für soziale Gerechtigkeit aus den Augen zu verlieren. Schließlich seine Nachfolgerin Malu Dreyer im Amt der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin, die sich froh zeigte, dass die SPD heute nicht mehr der schenkelklopfende Arbeiterverein des charismatischen Casanovas Lassalle ist, der im Duell um eine Frau sein Leben verlor.

    Der Mainzer Auftakt zu den großen 150 Jahr-Feiern der SPD schlug einen Bogen von der wechselvollen Geschichte der ältesten deutschen Partei zur offenen Zukunft des Politischen im Internetzeitalter. Sigmar Gabriel erinnerte in seiner Festrede zunächst daran, dass die SPD in ihren Anfangszeiten im 19. Jahrhundert geradezu eine säkulare Ersatzkirche sein sollte – von der Wiege bis zur Bahre wollte man Sozialdemokrat sein, so Gabriel:

    "Es gab sogar einen sozialdemokratischen Bestattungsverein, liebe Genossinnen und Genossen. Ja ja. In den katholischen Gebieten war das unüblich, sich Feuerbestatten zu lassen und so klassenbewusster Sozialdemokrat hat sich erst recht verbrennen lassen. Der Verein hieß übrigens auch noch: die Flamme. Und hatte 24.000 Mitglieder, Lebende, liebe Genossinnen und Genossen."

    Bismarcks Sozialistengesetze, Hitlers Machtergreifung und das Exil der Parteiführung, Wideraufbau nach dem Krieg und Wiedervereinigung 1989 – Sigmar Gabriel in seiner Rede sowie junge Mainzer Schauspieler machten die oft dramatische Geschichte der deutschen Sozialdemokratie lebendig. Kurt Beck forderte anschließend vehement, die von der Partei in anderthalb Jahrhunderten erkämpften sozialen Errungenschaften entschlossen zu verteidigen:

    "Und dort, wo es um Gerechtigkeit geht, da muss man halt den Mut haben, eine Frauenquote zu machen, damit an den Spitzen der Betriebe sich was ändert und nicht so ein Quatsch wie Flexi-Quote erfinden. Das geht mir so auf den Keks, das glaubt kein Mensch!"

    Malu Deyer, Becks Nachfolgerin im rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentenamt, machte anhand der SPD in ihrer Heimatstadt Trier deutlich, wie sehr sich die Partei seit den Zeiten des Frauenheldes Lassalle verändert habe. In der sozialdemokratischen Trierer Stadtratsfraktion seien längst mehr als die Hälfte der Stadtverordneten Frauen, so Dreyer:

    "Ich finde, dass es in Trier wirklich sehr, sehr gut läuft, denn die SPD-Fraktion hat mehr Frauen als Männer und die sind auch sehr, sehr jung. Ich denke schon, dass es ein großes Vorbild ist. Wir stehen in den Großstädten insgesamt ganz gut als SPD, aber wir können landesweit eigentlich noch besser werden."

    Allerdings nicht, indem die Partei an die Rundumversorgungsideen des
    19. Jahrhunderts anknüpft und womöglich wieder einen neuen Beerdigungsverein gründet, mahnt Sigmar Gabriel am Ende der Veranstaltung:

    "Also, man darf die Arbeiterkultur des letzten Jahrhunderts oder Ende des vorletzten Jahrhunderts auch nicht romantisieren. Das entstand aus harter Ausgrenzung. Was aber die SPD immer sein muss, sie muss immer mehr sein als eine Partei. In dem Augenblick, in dem die Menschen den Eindruck haben, das ist eine Partei, die irgendwie so zum Staat gehört, das reicht nicht. Sozialdemokratie ist nur dann lebendig, wenn sie immer auch ein Teil soziale Bewegung ist. Sie muss im Mieterverein dabei sein, sie muss im Sportverein dabei sein, in der örtlichen Bürgerinitiative, wenn es darum geht, beispielsweise Kulturinteressen zu vertreten. Sie muss im Stadtteil da sein. Und ihre Repräsentanten und Repräsentantinnen müssen ansprechbar sein."

    Nah bei den Leuten eben – so wie es Kurt Beck immer propagierte. Auch daran erinnerte Sigmar Gabriel gestern in Mainz. Die SPD als volksnahe Kümmererpartei – das ist auch nach 150 Jahren wohl noch ein echtes Erfolgsrezept.